Kapitel 102 - Trink!
"Si...beru?" Völlig perplex und mit offenem Mund starrte Firey ihren rothaarigen Retter an, der sofort ein Grinsen hervorzauberte, als wäre er ein strahlender Ritter, der soeben einen Drachen erlegt hatte - dabei war es ein Tempelwächter, der bewusstlos auf der anderen Seite ihres Zimmers lag, etwas, was die Feuerwächterin sich genauso wenig erklären konnte wie Silvers Anwesenheit in ihrem Zimmer. Was tat er hier? Was hatte der Tempelwächter hier getan? Träumte sie immer noch?
"Ja, ich! Offensichtlich kann ich dich ja nicht alleine lassen." Er deutete auf den Blondschopf, während hinter ihm die Vorhänge ihres Fensters im Wind flatterten. War er wie ein Dieb durch ihr Fenster gekommen?!
"Ich kann mich auch alleine verteidigen, besten Dank", erwiderte Firey mit einem leicht schmollenden Unterton und einer Hand, die zur Bettlampe griff - aber da unterbrach sie Silver.
"Was ist das denn?" Sie hatte nicht darüber nachgedacht, aber sofort, als sie die Worte und seinen Tonfall hörte, wusste sie, was er meinte - ihre schwarzen Narben am Hals. Sie trug einen lockeren, dunkelblauen Pyjama, welcher selbstverständlich nicht ihren Hals bedeckte - sie hatte ja auch nicht damit gerechnet, nächtlichen Besuch zu erhalten! Am allerwenigsten einen Besuch von Silver, welcher sie nun skeptisch musterte, immer noch in ihrem Bett stehend.
"Das, ach... das ist..." Plötzlich beugte er sich herunter- schneller als dass Firey gucken konnte - ihrem Gesicht plötzlich so nah, dass sie das Rot seiner Augen sehen konnte. Aber seine Augen sahen nicht in ihre. Er sah ihren Hals an, scheinbar nicht darauf achtend oder nicht bemerkend, dass Firey mit schnell schlagendem Herzen versuchte, Abstand zu gewinnen und sich in ihr Kissen zu drücken. Saß er da gerade wirklich in ihrem Bett?!
"Wie hast du denn das hingekriegt..." Er runzelte die Stirn - und noch ehe Firey etwas sagen konnte, dämmerte es ihm von selbst.
"Das hast du von diesem durchgeknallten Arzt, oder? Als er dich... gewürgt hat." Das hatte er definitiv schnell durchschaut und Firey ärgerte sich darüber, aber sie wusste nicht genau, warum - jetzt wo Silver sie so besorgt und bestürzt ansah, wusste Firey plötzlich gar nicht mehr, warum sie es ihm überhaupt hatte verheimlichen wollen.
"Es ist nichts, sag ich doch--" Firey erhob ihre Hand zu ihrem Hals und bedeckte die schwarze Haut, verbarg sie vor Silvers neugierigem Blick.
"Nun lass doch mal seh---" Silver unterbrach sich selbst und hob horchend den Kopf, den er seitlich zur Tür drehte und auf einmal, noch ehe Firey verstand, was ihn so alarmierte, sprang er plötzlich empor und war dann schon mit einem Rückwärtssalto am anderen Ende des Zimmers am geöffneten Balkon und Firey musste perplex zugeben, dass sie diese Schnelligkeit und Gewandtheit doch ein wenig beeindruckte... so gut war sie dann doch noch nicht.
Doch das war nicht der richtige Zeitpunkt, um eifersüchtig zu sein, denn da hörte Firey ebenfalls hastige Schritte.
"Espiritou del Aire!", war das erste, was ihr einfiel und das einzige, was sie Silver zurief - aber er hatte schon verstanden. Er nickte und war dann schon wie vom Erdboden verschluckt und da er nicht teleportieren konnte, spürte Firey wieder ein wenig Neid aufkommen. Er war wirklich verdammt schnell...
Aber dann wurde schon die Tür geöffnet und ein Mitglied des Wachpersonals stand alarmiert in Fireys Zimmer. Eine Wasserwächterin, gut zehn Jahre älter als Firey, kurze Haare, strenges Gesicht, mit kräftigen Schultern und stechenden Augen, die sofort auf Firey lagen, die nichts anderes tun konnte, als zu schlucken.
"Hii-sama!" Ihre Stimme war kraftvoll wie ein Peitschenschlag und Firey schämte sich ein wenig dafür, dass sie zusammenzuckte, aber sie konnte nicht anders.
"Es wurde dämonische Aktivität in diesem Zimmer festgestellt!", donnerte ihre Stimme, die ganz wie eine Anklage klang - eine Anklage, die sich gegen Firey richtete, die in ihrem Bett kleiner wurde... aber beschloss, dass es keinen Sinn hatte zu lügen. Diese Frau würde sie noch wegen Dämonie ins Sanctuarian schleppen!
"Wo ist der Eindringling?!" Mit einem kräftigen Schritt stand die Wächterin auch schon vor ihrem Bett, wo sie Firey anklagend ansah, als hätte Firey einen Dämon unter ihrer Bettdecke versteckt. Aber sie konnte doch gar nicht wissen, dass Firey Siberu nicht zu ihren Feinden zählte, oder doch?! Nein, nein, Firey musste ruhig bleiben... Sie konnte es nicht wissen. Green hatte sämtliche Akten über Siberu und Blue und deren Auftrag als Wissen einstufen lassen, welches nur den Elementarwächtern zustand. Ein einfaches Mitglied des Wachpersonals - obwohl sie absolut nicht nach einer Unterwächterin aussah! - würde das nicht wissen. Moment! Das war gar nicht das Problem! Der Tempelwächter... Firey sah zur Seite, dort wo... aber da lag niemand. Die Scherben ihrer Vase lagen auf dem Boden, ebenso wie die Blumen, aber... kein Glas?
Aber... das hatte sie sich... doch nicht eingebildet...?
"Ich weiß es nicht." Firey schluckte, aber sie war schon froh, dass sie etwas herausbekam, so intensiv wie sie angestarrt wurde. Fühlte Green sich so im Training mit Shaginai?
"Ich habe sie nur kurz gesehen." Besser sie suchte nach einem weiblichen Dämon...
"... einem Schatten gleich und dann..." Firey sah auf den Boden und wollte gerade eine Lüge zusammendichten, in welcher auch der Tempelwächter eine Rolle zu spielen hatte, aber sie fand keine.
"Ja?!", bohrte die Wasserwächterin nach, als sie Fireys Blick gefolgt war und genau wie Firey nur beigefarbenen Teppich sah und absolut keine Spur von irgendwem.
"... dann war sie auch schon wieder weg. Aus dem Fenster." Firey deutete auf das geöffnete Fenster und erwartete eigentlich, dass die Wasserwächterin sich nun auf die Suche nach dem ach-so-weiblichen Eindringling machen würde, aber sie bewegte sich nicht. Sie sah immer noch Firey an! Sie sollte aufhören damit!
"Einem Schatten gleich...", wiederholte sie nachdenklich und Firey nickte bestätigend.
"Ihr hattet sicherlich Angst, Hii-sama." Das zu hören würde wohl viele beleidigen, aber diese etwas ruhigeren Worte brachten Fireys Schultern dazu sich zu senken. Ihre Stimme klang plötzlich etwas... netter.
"So viele Feuerwächter sind bereits vor Euch in ihren Betten ermordet worden..." Von Karou ermordet - ja, Firey kannte die Geschichte. Bis heute wusste man nicht genau, wie er es geschafft hatte, das zu vollbringen. Alleine der Gedanke an Karou ließ sie sofort bleich werden und ihre Finger wanderten auch automatisch an ihren Hals.
"Der Vorfall muss untersucht werden." Sie drehte sich herum, aber ihre Augen lagen immer noch auf Firey:
"Kleidet Euch, Hii-sama. Ich werde vor der Tür warten."
"Geht das nicht auch morgen?" Firey lächelte unsicher, aber ein hartes "nein" ließ es sofort verschwinden. Was sollte sie nun tun? Firey wusste nicht, ob sie vor mehreren Wächtern lügen konnte und Silver wartete auf sie! Er würde wohl kaum bis zum nächsten Morgen auf sie warten... ganz zu schweigen davon, dass sie am Morgen gar keine Zeit hatte! Die Elementarwächter waren da wieder zu einer Versammlung einberufen worden; die letzten Vorbereitungen für die Weihe mussten getroffen werden - sie konnte Silver nur jetzt sprechen.
"Ich möchte nicht." Die Wasserwächterin drehte sich herum, ernst, aber auch ein wenig perplex. Was hatte sie da gerade von der braven und freundlichen Feuerwächterin gehört, die auch Schwierigkeiten damit hatte sie anzusehen, aber tapfer den Blickkontakt hielt?
"Wenn es möglich ist, möchte ich es gerne auf... 10 Uhr verschieben. Wissen Sie, ich..." Firey musste sich wirklich Mühe geben, die Augen nicht abzuwenden.
"... musste in der letzten Schlacht teilnehmen und habe nicht viel Schlaf bekommen. Falls wir morgen ausrücken müssen, dann muss ich ausgeruht sein." Die Wasserwächterin musterte sie immer noch intensiv - viel zu intensiv für Fireys Geschmack - ohne ihr eine Antwort zu geben. Aber Firey fuhr fort. Sie war immerhin eine Elementarwächterin. Wenn sie etwas nicht wollte, dann musste sie es nicht tun.
"So kurz vor der Weihe wäre alles andere doch fahrlässig." Ihre Stirn runzelte sich. Ob sie sich fragte, ob Firey von einem Dämon besessen war? Sie sah ihr auffällig stierend in die Augen, aber scheinbar sah sie darin etwas, was sie von der Ehrlichkeit Fireys überzeugte.
"Ihr seid Euch im Klaren darüber, dass dies gefährlich sein könnte?"
"Ich denke, die Dämonin ist bereits weg und wird nicht wiederkommen, nun wo sie in ihrem Vorhaben unterbrochen wurde. Ich habe keine Angst", fügte Firey mit einem Lächeln hinzu.
"Ich habe mehr Angst um meine Mitwächter, die ich in einem übermüdeten Zustand in Gefahr bringen könnte."
"Ihr seid eine sehr ehrliche Seele, Hii-sama. Ich wünschte, andere würden sich daran ein Beispiel nehmen." Meinte sie da etwa Azuma? Es war wirklich unglaublich wie schlecht sein Ruf war - er eilte ihm wirklich voraus, immerhin hatten weder Firey noch Azuma mit dieser Wächterin zu tun.
"Ich danke Ihnen", flüsterte Firey mit schlechtem Gewissen, aber schnell war sie zu erleichtert, um sich um ihr schlechtes Gewissen zu kümmern, denn endlich ließ sie sie alleine - aber natürlich nicht ohne sie darauf hinzuweisen, dass sie diesen Angriff nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.
Die Worte waren jedoch schnell vergessen und kaum, dass die Tür zu war, sprang Firey aus dem Bett empor und zog sich schnell das einzige an, was sie zur Hand hatte - ihre Uniform. Anstatt ihren Köcher und ihren Bogen mitzunehmen, warf sie sich einen Umhang mit Kapuze über, ehe sie sich zum nächsten Teleportationspunkt aufmachte und sich nach Espiritou del Aire teleportierte.
Ein heftiges Bibbern ging Firey durch sämtliche Knochen und sie schlug überrascht die Augen auf - Schnee! Schnee, so weit das Auge reichte!
Die Straßen waren bedeckt mit Schnee, die Baustellen ebenfalls; wie Skelette hoben sich die Balken und Verstrebungen vor dem dunkelgrauen Hintergrund ab, der gesprenkelt wurde von dem hellen Schnee, der so sachte vom Himmel herunterfiel, in einem trägen, immerwährenden Fall. Kein Wind war zu spüren hier oben auf Espiritou del Aire, der Schnee fiel und fiel. Stetig, ohne Pause, ohne aus der Bahn zu geraten bedeckte er die Insel der Wächter, die Firey eigentlich als Sommerinsel in Erinnerung hatte... aber da fiel ihr, bibbernd vor Kälte, ein, dass nur die Zeit auf dieser Insel den anderen angepasst war, nicht aber die Jahreszeit. Die Jahreszeiten zu kontrollieren kostete die Klimawächter sehr viel Magie und Aufwand, welcher nicht für eine Insel benutzt wurde, die noch nicht bewohnt war... und da sie sich im Krieg befanden, flossen auch keine Mittel mehr in den Wiederaufbau dieser Insel, die nun gänzlich sich selbst überlassen wurde.
Firey bedrückte dieser Anblick. Die angefangenen Häuser, die leeren Fenster, die lichtlosen Straßen... nirgends auch nur einen Wächter zu spüren. Wahrscheinlich war hier schon sehr lange kein Wächter mehr gewesen.
"Du hättest mich ruhig vor---vorwarnen können!" Und da war er - derjenige, der hier am allerwenigsten hineinpasste und der sich wohl genauso sehr von dem dunklen Weiß abhob wie Firey: Silver. Bibbernd vor Kälte sich die nackten Arme warmreibend und mit klappernden Zähnen und unruhigen Füßen. Er machte einen recht witzigen Eindruck, wie er da an einer baufälligen Pagode stand und auf und ab tippelte, um die Kälte von sich zu schütteln - Firey musste beinahe ein wenig schmunzeln, wäre sie nicht nach wie vor noch zu verwundert, ihn zu sehen. Hier. Nein. Überhaupt.
"Wir Dämonen hassen Kälte! Wir hasseeeen sie!" Er schüttelte sich, als widere der Schnee ihn an:
"Die meisten jedenfalls - ich definitiv!"
"Ich wusste nicht, dass es hier schneien würde", konterte Firey und öffnete ihre behandschuhte Handfläche, auf der eine kleine Flamme entstand, die sie umgehend wärmte.
"Das liegt an dem Bannkreis, der die Temperaturen auf den jeweiligen Inseln regelt. Er ist hier nicht aktiviert." Die Feuerwächterin unterbrach sich selbst als sie bemerkte, dass Silver sich nicht länger die Arme rieb - nein, als sie seinen Blick bemerkte. Seine leicht geweiteten, erstaunten, begeisterten Augen, in denen sich die Flamme spiegelten.
"Du kannst es ja jetzt", hauchte er überrascht und seine Worte formten kleine, weiße Wolken, die sich von der Dunkelheit abhoben. Firey erwiderte seinen Blick mit denselben großen Augen; dann sah sie zur Flamme und dann wieder zu Silver, der sie aber immer noch mit seiner verblüfften Begeisterung ansah - und dann musste sie ihren Kopf senken, denn sie wurde rot. Zu rot als dass... er es hätte sehen dürfen. Sie antwortete auch nicht. Denn auch ihre Stimme... durfte er jetzt nicht hören. Sie würde zu viel verraten. Viel zu viel.
Zum Glück fand Firey schnell etwas, um von ihrer Röte abzulenken und um sie gleichzeitig vor der Kälte zu retten: Im weißen Pavillon entzündete sie mit einem Handschlenker ein kleines Feuerchen. Der Schnee und die Kälte wichen, flohen vor den roten und gelben Flammen, die von Firey kontrolliert und in der Mitte des Bodens gebündelt wurden. Die Wärme breitete sich schnell aus und Silver löste seine Hände von seinen nackten Schultern um sich vor dem improvisierten Lagerfeuer in die Hocke zu begeben und die Hände daran zu wärmen. Firey dagegen blieb an einer der Säulen stehen und sah wie gebannt mit starren Augen auf das Feuer. Was... taten sie hier eigentlich. Waren es wirklich sie, die hier waren? Sie, eine Wächterin und er, ein Dämon, auf der verschneiten Ruine von Espiritou del Aire?
"Schmerzt es?" Firey war froh, dass es Silver war, der mit dem Reden begann, denn sie wusste definitiv nicht, was sie sagen sollte; aber sie war nicht froh über das Thema, denn er sprach über ihre schwarzen Wunden.
"Nein, eigentlich nicht", antwortete Firey und zog ihren Rollkragen ein wenig höher - was sie wohl nicht hätte tun dürfen, denn seine Augen verengte sich.
"Es ist wirklich nichts Ernstes." Dass es nicht schmerzte war nur eine halbe Lüge, doch das nun war mehr als gelogen. Silver fiel auch nicht darauf hinein:
"Normale Narben von normalen Wunden sehen nach zwei Monaten nicht mehr so aus. Dieser unheimliche Kerl hat mehr drauf als ich dachte." Sein Blick verdunkelte sich und er sah immer noch auf Fireys Hals, als könnte er durch ihren Stoff hindurch weiterhin die schwarzen Merkmale betrachten.
"Du hättest tot sein können." Silver sah immer noch gedankenverloren auf Fireys Finger, aber Firey hatte gerade jeden Gedanken an ihre schwarze Haut oder Karou vergessen: wie... wie absolut ungewohnt ernst Silver da sprach - und wie ernst war nicht sein Blick. Das Rot seiner Augen war beinahe schwarz und nur das Feuer spiegelte sich in ihnen.
"Ich hätte von Anfang an da sein sollen. Nicht Rui."
"Du hättest es wahrscheinlich nicht verhindern können", beeilte sich Firey zu sagen, aber das waren definitiv nicht die richtigen Worte: Silver sah beleidigt aus.
"Ich muss mich auch selbst verteidigen können."
"Kannst du denn das?" Nun war es wohl Firey, die sich beleidigt fühlen sollte, aber irgendwie fühlte sie sich weniger beleidigt, als... bestätigt. Konnte sie sich wirklich verteidigen? Bis jetzt hatte sie jeder retten müssen. Azuma, Wächter, die sie nicht kannte... wie sollte sie von Silvers Worten beleidigt sein, wenn er recht hatte?
"Ich wundere mich darüber, dass du das fragst." Silver sah sie fragend an.
"Oder sagen wir es anders. Ich wundere mich darüber, dass du mich nicht mit diesen Narben aufziehst." Firey zog den braunen Rollkragen ein wenig herunter, so dass man die Haut sehen konnte.
"Es verschönert mich immerhin nicht gerade." Deutlich perplex sah Silver Firey an:
"So oberflächlich schätzt du mich ein?" Firey verengte ihre Augen: oberflächlich war definitiv ein Wort, welches leider ziemlich passend war für ihn und das konnte er auch nicht verleugnen, was ihm selbst bewusst wurde:
"Okay, okay, ich bin ziemlich oberflächlich, aber ich habe meine Grenzen. Wir sind im Krieg, nicht in einem Schönheitswettbewerb." Firey, welche sich eben auf die Knie hatte gleiten lassen, begann zu lachen. Sie wusste gar nicht wieso. Aber sie tat es. Deutlicher, lauter, als sie es gewohnt war. Nicht zurückgehalten. Kein höfliches und freundliches Lachen, sondern ein Lachen, das aus ihrem Innersten kam und welches sich schrecklich... schrecklich gut anfühlte.
Überrascht sah Silver die lachende Wächterin vor sich jenseits des Feuers an, doch lange sah er nicht verwundert aus, ehe sich, angesteckt von Fireys Lachen, ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete.
Lange hielt es jedoch nicht, denn ganz plötzlich, genauso plötzlich wie Fireys Lachen erklungen war, verwandelte dieses sich in Tränen. In kullernde, unaufhaltbare Tränen, die sich Firey genauso wenig erklären konnte wie Silver, den sie mit ihrem heftigen Gefühlsumschwung gänzlich überforderte. Es waren keine Freudentränen. Es waren Tränen der Trauer.
"Entschuldige, ent-entschuldige, ich weiß nicht, wo die... plötzlich... herkommen..." Sie wischte sich die Tränen weg, aber sie ließen sich nicht bekämpfen. Nicht so.
"Es ist... es ist... so komisch mit dir zu reden, hier und... dass wir uns überhaupt sehen... Ich hätte nicht gedacht..." Firey schüttelte den Kopf und die Tränen flogen nach links und nach rechts.
"Ich hätte das nicht gedacht... niemals gedacht... aber das ist kein Traum und... und... ach, vergiss was ich hier sage, es ergibt keinen Sinn, ignorier... ignorier es."
"Du dummes Flachbrett." Aus einem Firey unerklärlichen Grund weinte sie noch mehr und sie hob schon die Hände, um ihr tränennasses Gesicht darin zu verbergen - doch ihre Hand wurde aufgehalten. Aufgehalten von Silvers Hand, der ihre festhielt und ihren Blick ebenso gefangen nahm.
"Wie sollte ich das ignorieren können?" Feuer flackerte, Tränen rannten herunter und Fireys Herz begann zu rasen, als Silvers Worte in der kalten Nachtluft zu hören waren:
"Ich verstehe dich. Ich... verstehe, warum du weinst. Es ist sicherlich derselbe Grund, weshalb ich hier bin." Firey schluckte, um ihre Stimme zu festigen, aber sie brachte sie hervor:
"Warum... warum bist du hier?" Silver zögerte das Antworten hinaus und Firey bemerkte, dass seine Wangen sich ebenfalls errötet hatten.
"Ich konnte einfach nicht schlafen, ohne dich nochmal gesprochen zu haben." Er ließ ihre Hand gehen und lehnte sich zurück und aus einem Firey unerklärlichen Grund fand sie das entsetzlich, absolut entsetzlich, aber sie blieb sitzen ohne sich zu bewegen.
"Es fühlte sich einfach nicht richtig an." Das Ganze fühlte sich nicht richtig an. Es war auch nicht richtig. Oh Gott, Green war im Turm, litt womöglich und was tat Firey...
"Unser Gespräch war einfach nicht beendet. Ich musste nochmal mit dir sprechen - und das nicht erst in ein paar Wochen."
"Das war ziemlich unvorsichtig von dir", flüsterte Firey mit zaghafter, vom Weinen angeschlagener Stimme.
"Ich bin auch nicht gerade dafür bekannt, vorsichtig zu sein." Dieser Punkt ging an ihn, dachte Firey mit einem leichten Schmunzeln und zog ihre Beine zu sich heran, damit sie ihr Kinn auf ihre Knie abstützen konnte. Der rote Kristall ihrer Stiefel schimmerte im Licht der Flammen; ein hypnotisierender, beruhigender Anblick, der sie für einen kurzen Moment ablenkte und weshalb sie nicht bemerkte, dass Silver von etwas anderem hypnotisiert war als das Feuer.
"Was wolltest du denn gerne noch besprechen?" Silver schreckte auf und seine Augen flohen schier vor Fireys Beinen. Ertappt - Firey hatte jedoch nichts bemerkt - ins Feuer starrend, druckste Silver ein wenig herum, als hätte er vollkommen vergessen, was er hatte sagen wollen und weshalb er sich überhaupt nach England aufgemacht hatte.
"Wolltest du noch über deinen Bruder sprechen...?" Die vorsichtige Frage Fireys und der Gedanke an Blue kühlte Silvers Gedanken ab wie ein kalter Windstoß, der alles andere wegwehte. Seine Röte verschwand, war nur noch als leichter rosa Schimmer zu sehen und sein Blick war ernst, als er sich Firey wieder zuwandte.
"Ich wollte dich eigentlich fragen, ob es möglich sein könnte, dass du ein Treffen zwischen Green-chan und mir arrangieren könntest." Er bemerkte sehr wohl, dass Firey sich sofort versteifte, aber er ließ sich nicht beirren.
"Nicht im Tempel. Nicht im Reich der Wächter und auch nicht bei uns. In London vielleicht...?" Firey hatte sich tatsächlich versteift, als hätte Silver mit der Erwähnung ihres Namens einen Geist heraufbeschworen - einen gefährlichen Geist.
"Ich weiß nicht", antwortete Firey ehrlich, denn sie wollte ihn nicht anlügen:
"Ich weiß wirklich nicht, ob das so eine gute Idee ist."
"Bitte, Firey, ich muss Dinge... klarstellen. Ich muss mit ihr reden."
"Das geht im Moment nicht", antwortete Firey, froh darüber, die Weihe als Grund nennen zu können, welche sie Silver erst einmal erklären musste, denn er wusste weder, was die Weihe war, noch dass Green bereits abwesend war wegen dieser.
"Green-chan ist in einem Turm, um eine "echte Hikari" zu werden...?", wiederholte Silver verwirrt.
"Und der Tempelwächter war deswegen drauf und dran dich zu ertränken? Habe ich das richtig verstanden?" Vielleicht hatte sie ihm auch ein wenig mehr erzählt, als es Not getan hätte. Aber dort in dem Pavillon, umgeben von dem fallenden Schnee mit dem knisternden Feuer, tat es zu gut, zu reden - es tat zu gut, mit Silver zu reden.
"Er wollte mich nicht ertränken. Er wollte mich dazu bringen, das Wasser zu trinken." Silvers Stirn legte sich in noch tiefere Falten.
"Ich wusste ja schon immer, dass die Wächter bekloppt sind." Obwohl der Zwischenfall mit dem Tempelwächter nicht witzig gewesen war und ihr es auch nicht behagte, dass Yuuki nicht so ganz er selbst war, wollte Firey gerade protestieren, als Silver ihr ins Wort fiel.
"Du musst schon zugeben, dass es bei den Wächtern einige komische Traditionen gibt und diese Weihe klingt ganz besonders eigenartig."
"Es ist eine uralte Tradition", verteidigte Firey sie, wenn auch ein wenig halbherzig.
"Die dir scheinbar nicht behagt, ansonsten hättest du das Wasser ja schon getrunken." Unauffällig betastete Firey wieder ihren Hals. Dieses Detail, dass die schwarzen Merkmale gebrannt hatten beim Duschen, hatte sie bewusst ausgelassen.
"Ich habe wirklich kein gutes Gefühl dabei. Kann man die Weihe bomben?" Jetzt war es Firey, die ihn stirnrunzelnd ansah.
"Ja, also, kann man sie aufhalten. Kann man Green-chan da rausholen?"
"Das glaube ich nicht... und ich glaube auch nicht, dass man es tun sollte. Es ist eine wichtige Tradition... ein Ritual, das nicht nur wichtig ist für Green, sondern für das gesamte Wächtertum."
"Aber sie wird da doch nicht geopfert...?"
"Was? Nein?! Natürlich wird sie das nicht! Übermorgen ist die Weihe und dann ist alles vorbei und wieder so wie es sein soll."
"Huh, ich dachte, die Weihe wäre schon?!" Jetzt wurde es Firey definitiv zu verwirrend und sie beschloss, das Thema zu beenden. Sie waren auch schon zu lange hier gewesen. Bald würde es dämmern und wenn sie nicht pünktlich zur Morgenversammlung anwesend sein würde, dann könnte das eine Katastrophe mit sich bringen in Verbindung mit dem Besuch der Wasserwächterin.
"Ich denke, wir sollten uns jetzt verabschieden." Firey richtete sich auf und während sie das tat, streckte sie ihre Hand aus und sog das Feuer zurück, womit es mit einem Mal plötzlich nicht nur wieder kalt war, sondern auch stockfinster.
Firey, plötzlich überrascht von der Dunkelheit, als hätte sie diese nicht kommen gesehen, blinzelte überrumpelt, doch das Blinzeln hielt inne, als Silver nun schon zum zweiten Mal in dieser Nacht ihre Hand nahm. Fest und warm war seine Hand und der Stoff, der seine Finger umgab, war eigenartig weich.
"Wann sehen wir uns wieder?"
"Das..." Firey musste schlucken.
"... kommt wohl auf deinen Fürsten an."
"Ich meine nicht auf dem Schlachtfeld." Fireys Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit und die kleinen Funken, die vom Feuer übriggeblieben waren und zusammen mit dem Schnee durch die Luft trieben, erlaubten ihr Silvers Gesicht in der Düsternis auszumachen.
"In London", brachte sie atemlos hervor.
"Am letzten Mittwoch im Monat. 17 Uhr." Sie sah, dass seine Augen sich weiteten. Sie sah, dass er sich freute.
"Meine Aura wird dann spürbar sein, dann..." Ein wenig drückte sie seine Finger, aber... nur ein wenig.
"... werden wir uns sehen können."
Firey lächelte, als sie in den Tempel zurückkehrte, wo bereits der Hauch der Morgendämmerung die Grasflächen mit glitzerndem Tau bedeckte. Sie hatte einen anderen Teleportationspunkt gewählt als den, den sie benutzt hatte, um nach Espiritou del Aire zu gelangen; einer, der weiter weg lag von ihrem Gemach, damit sie sich noch ein wenig freuen konnte. Ja, sie freute sich. Sie war auch ein wenig stolz auf sich. Sie sollte es nicht sein, denn sie hatte etwas Verbotenes getan, aber sie war dennoch stolz auf sich. Und ihr Herz schlug so schnell und so angenehm und...
"Kleine Flamme." Das Lächeln war verschwunden und jeder Gedanke an Silver ebenfalls beim Klang dieser Stimme. Oder... war es eine Stimme? Hörte sie sie mit ihren Ohren... oder mit ihrem Herzen? Sie wusste es nicht. Aber als Firey sich mit großen, starren Augen und schnell schlagendem Herzen herumdrehte, war sie nicht überrascht dort auf einer Mauer Hirey sitzen zu sehen.
Außerweltlich rötlich leuchtend. Ein Geist. Eine Aura. Lebendig wirkend und zugleich so fern von jedem Leben, von jeder fleischlichen Hülle, wie man es nur sein konnte. Mit einem festen Blick, mit brennenden, roten Augen und brennendem Haar, das in der windlosen Nacht um ihn herumwehte. Gekleidet in die Uniform, in der er gestorben war, aber ohne Bogen, ohne Köcher.
Firey konnte ihn, diese Erscheinung, nur atemlos anstarren.
"Warum trinkst du nicht?" Seine Lippen bewegten sich nicht. Sie hörte seine Stimme in ihrem Kopf. Seine Augen blinzelten ebenfalls nicht. Unablässig sah er sie an.
"Du fürchtest dich." Er richtete sich auf, langsam und kraftvoll.
"Doch das musst du nicht."
"Warum... kann ich dich sehen?" Das war keine Antwort auf seine Frage, aber dennoch regte sich nun endlich etwas in dem rötlich leuchtenden Gesicht Hireys - ein kleines Lächeln erschien.
"Weil deine Hikari sich im Turm befindet, kleine Flamme... und weil du dich unterschätzt." Seine Hand war heiß, kochend heiß, als er sie an ihre Wange legte. Jeden normalen Menschen hätte diese Berührung wohl die Wange gekostet oder ihn schier in Brand gesteckt, aber Firey empfand diese Berührung als sanft und angenehm - doch versteift, gänzlich versteift vor Ehrfurcht war sie dennoch.
"Du hast eine starke, einfühlsame Seele; eine offene Seele. Deine Verbindung zu uns ist stärker als du denkst... verwehre dich ihrer nicht." Langsam bewegten sich seine heißen Finger herunter.
"Die Weihe ist wegweisend. Wertvoll für unseren Kampf... von großer Bedeutung für dein Weiterleben." Sein Lächeln war verschwunden und er sah nicht länger in Fireys Augen, sondern auf ihren Hals, welchen er nun mit seinen heißen Fingern berührte. Doch was war das? Ihr Hals... schmerzte nicht. Seine Berührung war... wohltuend.
"Er hat uns alle getötet. Jeden Einzelnen von uns. Mich in den Wahnsinn getrieben, weil ich so dumm war und mit ihm gespielt habe." Seine Augen wurden zu Lavasteinen. Heiß, doch leblos.
"Weil ich in Hochmut über ihn gelacht habe, hat er unser Element in den Abgrund gerissen." Firey sah es vor sich; sah durch Hireys Augen hindurch in sein Herz, in seine Erinnerungen, längst verschwunden, längst verblasst, längst tot. Sie spürte sein heiteres Lachen unter dem roten Himmel Henels. Wer wird heute mehr Dämonen töten? Wer wird mehr haben, wer wird mehr haben? Lachen. Worte der Zurechtweisung ignoriert. Nur so ließ sich der Krieg ertragen, nur so machte er Spaß. Der neue Dämonenkönig war auf dem Schlachtfeld! Oh, das war interessant. Sie sollten sich zurückziehen. Aber nein, neeein. Ein wenig Spaß musste sein - und wer verließ denn das Schlachtfeld ohne seine Waffe benutzt zu haben? Das taten nur Feiglinge.
Doch anstatt mit dem Pfeil auf den Dämonenkönig zu zielen, zielte Hirey mit dem Pfeil auf einen weitaus gefährlicheren Dämon, dem er den Arm abriss. Er hatte gelacht. Hatte angeben wollen. Er hatte doch mit Absicht nicht seinen Kopf getroffen; er hatte seine Präzision zeigen wollen. Der erste Dämon des Tages ging an---
Firey wurde wieder zurück in die Wirklichkeit geworfen mit einem so heftigen Schlag von Angst, dass sie beinahe den Boden unter den Füßen verlor. Nur für einen Augenblick hatte sie Karous Gesicht gesehen. Der Hass. Die Rache. Der Wahnsinn.
"Trink." Hirey hielt der zitternden Feuerwächterin einen goldenen Kelch hin, der aus einer anderen Zeit zu stammen schien.
"Trink, wenn es dir nicht so ergehen soll wie allen anderen vor dir. Trink, damit du weiterleben kannst. Trink, damit du eine Zukunft haben kannst! Trink, damit du ihn töten kannst!"
Mit bebenden Händen hob Firey das Wasser zu ihren Lippen und trank.
"Ja, ich! Offensichtlich kann ich dich ja nicht alleine lassen." Er deutete auf den Blondschopf, während hinter ihm die Vorhänge ihres Fensters im Wind flatterten. War er wie ein Dieb durch ihr Fenster gekommen?!
"Ich kann mich auch alleine verteidigen, besten Dank", erwiderte Firey mit einem leicht schmollenden Unterton und einer Hand, die zur Bettlampe griff - aber da unterbrach sie Silver.
"Was ist das denn?" Sie hatte nicht darüber nachgedacht, aber sofort, als sie die Worte und seinen Tonfall hörte, wusste sie, was er meinte - ihre schwarzen Narben am Hals. Sie trug einen lockeren, dunkelblauen Pyjama, welcher selbstverständlich nicht ihren Hals bedeckte - sie hatte ja auch nicht damit gerechnet, nächtlichen Besuch zu erhalten! Am allerwenigsten einen Besuch von Silver, welcher sie nun skeptisch musterte, immer noch in ihrem Bett stehend.
"Das, ach... das ist..." Plötzlich beugte er sich herunter- schneller als dass Firey gucken konnte - ihrem Gesicht plötzlich so nah, dass sie das Rot seiner Augen sehen konnte. Aber seine Augen sahen nicht in ihre. Er sah ihren Hals an, scheinbar nicht darauf achtend oder nicht bemerkend, dass Firey mit schnell schlagendem Herzen versuchte, Abstand zu gewinnen und sich in ihr Kissen zu drücken. Saß er da gerade wirklich in ihrem Bett?!
"Wie hast du denn das hingekriegt..." Er runzelte die Stirn - und noch ehe Firey etwas sagen konnte, dämmerte es ihm von selbst.
"Das hast du von diesem durchgeknallten Arzt, oder? Als er dich... gewürgt hat." Das hatte er definitiv schnell durchschaut und Firey ärgerte sich darüber, aber sie wusste nicht genau, warum - jetzt wo Silver sie so besorgt und bestürzt ansah, wusste Firey plötzlich gar nicht mehr, warum sie es ihm überhaupt hatte verheimlichen wollen.
"Es ist nichts, sag ich doch--" Firey erhob ihre Hand zu ihrem Hals und bedeckte die schwarze Haut, verbarg sie vor Silvers neugierigem Blick.
"Nun lass doch mal seh---" Silver unterbrach sich selbst und hob horchend den Kopf, den er seitlich zur Tür drehte und auf einmal, noch ehe Firey verstand, was ihn so alarmierte, sprang er plötzlich empor und war dann schon mit einem Rückwärtssalto am anderen Ende des Zimmers am geöffneten Balkon und Firey musste perplex zugeben, dass sie diese Schnelligkeit und Gewandtheit doch ein wenig beeindruckte... so gut war sie dann doch noch nicht.
Doch das war nicht der richtige Zeitpunkt, um eifersüchtig zu sein, denn da hörte Firey ebenfalls hastige Schritte.
"Espiritou del Aire!", war das erste, was ihr einfiel und das einzige, was sie Silver zurief - aber er hatte schon verstanden. Er nickte und war dann schon wie vom Erdboden verschluckt und da er nicht teleportieren konnte, spürte Firey wieder ein wenig Neid aufkommen. Er war wirklich verdammt schnell...
Aber dann wurde schon die Tür geöffnet und ein Mitglied des Wachpersonals stand alarmiert in Fireys Zimmer. Eine Wasserwächterin, gut zehn Jahre älter als Firey, kurze Haare, strenges Gesicht, mit kräftigen Schultern und stechenden Augen, die sofort auf Firey lagen, die nichts anderes tun konnte, als zu schlucken.
"Hii-sama!" Ihre Stimme war kraftvoll wie ein Peitschenschlag und Firey schämte sich ein wenig dafür, dass sie zusammenzuckte, aber sie konnte nicht anders.
"Es wurde dämonische Aktivität in diesem Zimmer festgestellt!", donnerte ihre Stimme, die ganz wie eine Anklage klang - eine Anklage, die sich gegen Firey richtete, die in ihrem Bett kleiner wurde... aber beschloss, dass es keinen Sinn hatte zu lügen. Diese Frau würde sie noch wegen Dämonie ins Sanctuarian schleppen!
"Wo ist der Eindringling?!" Mit einem kräftigen Schritt stand die Wächterin auch schon vor ihrem Bett, wo sie Firey anklagend ansah, als hätte Firey einen Dämon unter ihrer Bettdecke versteckt. Aber sie konnte doch gar nicht wissen, dass Firey Siberu nicht zu ihren Feinden zählte, oder doch?! Nein, nein, Firey musste ruhig bleiben... Sie konnte es nicht wissen. Green hatte sämtliche Akten über Siberu und Blue und deren Auftrag als Wissen einstufen lassen, welches nur den Elementarwächtern zustand. Ein einfaches Mitglied des Wachpersonals - obwohl sie absolut nicht nach einer Unterwächterin aussah! - würde das nicht wissen. Moment! Das war gar nicht das Problem! Der Tempelwächter... Firey sah zur Seite, dort wo... aber da lag niemand. Die Scherben ihrer Vase lagen auf dem Boden, ebenso wie die Blumen, aber... kein Glas?
Aber... das hatte sie sich... doch nicht eingebildet...?
"Ich weiß es nicht." Firey schluckte, aber sie war schon froh, dass sie etwas herausbekam, so intensiv wie sie angestarrt wurde. Fühlte Green sich so im Training mit Shaginai?
"Ich habe sie nur kurz gesehen." Besser sie suchte nach einem weiblichen Dämon...
"... einem Schatten gleich und dann..." Firey sah auf den Boden und wollte gerade eine Lüge zusammendichten, in welcher auch der Tempelwächter eine Rolle zu spielen hatte, aber sie fand keine.
"Ja?!", bohrte die Wasserwächterin nach, als sie Fireys Blick gefolgt war und genau wie Firey nur beigefarbenen Teppich sah und absolut keine Spur von irgendwem.
"... dann war sie auch schon wieder weg. Aus dem Fenster." Firey deutete auf das geöffnete Fenster und erwartete eigentlich, dass die Wasserwächterin sich nun auf die Suche nach dem ach-so-weiblichen Eindringling machen würde, aber sie bewegte sich nicht. Sie sah immer noch Firey an! Sie sollte aufhören damit!
"Einem Schatten gleich...", wiederholte sie nachdenklich und Firey nickte bestätigend.
"Ihr hattet sicherlich Angst, Hii-sama." Das zu hören würde wohl viele beleidigen, aber diese etwas ruhigeren Worte brachten Fireys Schultern dazu sich zu senken. Ihre Stimme klang plötzlich etwas... netter.
"So viele Feuerwächter sind bereits vor Euch in ihren Betten ermordet worden..." Von Karou ermordet - ja, Firey kannte die Geschichte. Bis heute wusste man nicht genau, wie er es geschafft hatte, das zu vollbringen. Alleine der Gedanke an Karou ließ sie sofort bleich werden und ihre Finger wanderten auch automatisch an ihren Hals.
"Der Vorfall muss untersucht werden." Sie drehte sich herum, aber ihre Augen lagen immer noch auf Firey:
"Kleidet Euch, Hii-sama. Ich werde vor der Tür warten."
"Geht das nicht auch morgen?" Firey lächelte unsicher, aber ein hartes "nein" ließ es sofort verschwinden. Was sollte sie nun tun? Firey wusste nicht, ob sie vor mehreren Wächtern lügen konnte und Silver wartete auf sie! Er würde wohl kaum bis zum nächsten Morgen auf sie warten... ganz zu schweigen davon, dass sie am Morgen gar keine Zeit hatte! Die Elementarwächter waren da wieder zu einer Versammlung einberufen worden; die letzten Vorbereitungen für die Weihe mussten getroffen werden - sie konnte Silver nur jetzt sprechen.
"Ich möchte nicht." Die Wasserwächterin drehte sich herum, ernst, aber auch ein wenig perplex. Was hatte sie da gerade von der braven und freundlichen Feuerwächterin gehört, die auch Schwierigkeiten damit hatte sie anzusehen, aber tapfer den Blickkontakt hielt?
"Wenn es möglich ist, möchte ich es gerne auf... 10 Uhr verschieben. Wissen Sie, ich..." Firey musste sich wirklich Mühe geben, die Augen nicht abzuwenden.
"... musste in der letzten Schlacht teilnehmen und habe nicht viel Schlaf bekommen. Falls wir morgen ausrücken müssen, dann muss ich ausgeruht sein." Die Wasserwächterin musterte sie immer noch intensiv - viel zu intensiv für Fireys Geschmack - ohne ihr eine Antwort zu geben. Aber Firey fuhr fort. Sie war immerhin eine Elementarwächterin. Wenn sie etwas nicht wollte, dann musste sie es nicht tun.
"So kurz vor der Weihe wäre alles andere doch fahrlässig." Ihre Stirn runzelte sich. Ob sie sich fragte, ob Firey von einem Dämon besessen war? Sie sah ihr auffällig stierend in die Augen, aber scheinbar sah sie darin etwas, was sie von der Ehrlichkeit Fireys überzeugte.
"Ihr seid Euch im Klaren darüber, dass dies gefährlich sein könnte?"
"Ich denke, die Dämonin ist bereits weg und wird nicht wiederkommen, nun wo sie in ihrem Vorhaben unterbrochen wurde. Ich habe keine Angst", fügte Firey mit einem Lächeln hinzu.
"Ich habe mehr Angst um meine Mitwächter, die ich in einem übermüdeten Zustand in Gefahr bringen könnte."
"Ihr seid eine sehr ehrliche Seele, Hii-sama. Ich wünschte, andere würden sich daran ein Beispiel nehmen." Meinte sie da etwa Azuma? Es war wirklich unglaublich wie schlecht sein Ruf war - er eilte ihm wirklich voraus, immerhin hatten weder Firey noch Azuma mit dieser Wächterin zu tun.
"Ich danke Ihnen", flüsterte Firey mit schlechtem Gewissen, aber schnell war sie zu erleichtert, um sich um ihr schlechtes Gewissen zu kümmern, denn endlich ließ sie sie alleine - aber natürlich nicht ohne sie darauf hinzuweisen, dass sie diesen Angriff nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.
Die Worte waren jedoch schnell vergessen und kaum, dass die Tür zu war, sprang Firey aus dem Bett empor und zog sich schnell das einzige an, was sie zur Hand hatte - ihre Uniform. Anstatt ihren Köcher und ihren Bogen mitzunehmen, warf sie sich einen Umhang mit Kapuze über, ehe sie sich zum nächsten Teleportationspunkt aufmachte und sich nach Espiritou del Aire teleportierte.
Ein heftiges Bibbern ging Firey durch sämtliche Knochen und sie schlug überrascht die Augen auf - Schnee! Schnee, so weit das Auge reichte!
Die Straßen waren bedeckt mit Schnee, die Baustellen ebenfalls; wie Skelette hoben sich die Balken und Verstrebungen vor dem dunkelgrauen Hintergrund ab, der gesprenkelt wurde von dem hellen Schnee, der so sachte vom Himmel herunterfiel, in einem trägen, immerwährenden Fall. Kein Wind war zu spüren hier oben auf Espiritou del Aire, der Schnee fiel und fiel. Stetig, ohne Pause, ohne aus der Bahn zu geraten bedeckte er die Insel der Wächter, die Firey eigentlich als Sommerinsel in Erinnerung hatte... aber da fiel ihr, bibbernd vor Kälte, ein, dass nur die Zeit auf dieser Insel den anderen angepasst war, nicht aber die Jahreszeit. Die Jahreszeiten zu kontrollieren kostete die Klimawächter sehr viel Magie und Aufwand, welcher nicht für eine Insel benutzt wurde, die noch nicht bewohnt war... und da sie sich im Krieg befanden, flossen auch keine Mittel mehr in den Wiederaufbau dieser Insel, die nun gänzlich sich selbst überlassen wurde.
Firey bedrückte dieser Anblick. Die angefangenen Häuser, die leeren Fenster, die lichtlosen Straßen... nirgends auch nur einen Wächter zu spüren. Wahrscheinlich war hier schon sehr lange kein Wächter mehr gewesen.
"Du hättest mich ruhig vor---vorwarnen können!" Und da war er - derjenige, der hier am allerwenigsten hineinpasste und der sich wohl genauso sehr von dem dunklen Weiß abhob wie Firey: Silver. Bibbernd vor Kälte sich die nackten Arme warmreibend und mit klappernden Zähnen und unruhigen Füßen. Er machte einen recht witzigen Eindruck, wie er da an einer baufälligen Pagode stand und auf und ab tippelte, um die Kälte von sich zu schütteln - Firey musste beinahe ein wenig schmunzeln, wäre sie nicht nach wie vor noch zu verwundert, ihn zu sehen. Hier. Nein. Überhaupt.
"Wir Dämonen hassen Kälte! Wir hasseeeen sie!" Er schüttelte sich, als widere der Schnee ihn an:
"Die meisten jedenfalls - ich definitiv!"
"Ich wusste nicht, dass es hier schneien würde", konterte Firey und öffnete ihre behandschuhte Handfläche, auf der eine kleine Flamme entstand, die sie umgehend wärmte.
"Das liegt an dem Bannkreis, der die Temperaturen auf den jeweiligen Inseln regelt. Er ist hier nicht aktiviert." Die Feuerwächterin unterbrach sich selbst als sie bemerkte, dass Silver sich nicht länger die Arme rieb - nein, als sie seinen Blick bemerkte. Seine leicht geweiteten, erstaunten, begeisterten Augen, in denen sich die Flamme spiegelten.
"Du kannst es ja jetzt", hauchte er überrascht und seine Worte formten kleine, weiße Wolken, die sich von der Dunkelheit abhoben. Firey erwiderte seinen Blick mit denselben großen Augen; dann sah sie zur Flamme und dann wieder zu Silver, der sie aber immer noch mit seiner verblüfften Begeisterung ansah - und dann musste sie ihren Kopf senken, denn sie wurde rot. Zu rot als dass... er es hätte sehen dürfen. Sie antwortete auch nicht. Denn auch ihre Stimme... durfte er jetzt nicht hören. Sie würde zu viel verraten. Viel zu viel.
Zum Glück fand Firey schnell etwas, um von ihrer Röte abzulenken und um sie gleichzeitig vor der Kälte zu retten: Im weißen Pavillon entzündete sie mit einem Handschlenker ein kleines Feuerchen. Der Schnee und die Kälte wichen, flohen vor den roten und gelben Flammen, die von Firey kontrolliert und in der Mitte des Bodens gebündelt wurden. Die Wärme breitete sich schnell aus und Silver löste seine Hände von seinen nackten Schultern um sich vor dem improvisierten Lagerfeuer in die Hocke zu begeben und die Hände daran zu wärmen. Firey dagegen blieb an einer der Säulen stehen und sah wie gebannt mit starren Augen auf das Feuer. Was... taten sie hier eigentlich. Waren es wirklich sie, die hier waren? Sie, eine Wächterin und er, ein Dämon, auf der verschneiten Ruine von Espiritou del Aire?
"Schmerzt es?" Firey war froh, dass es Silver war, der mit dem Reden begann, denn sie wusste definitiv nicht, was sie sagen sollte; aber sie war nicht froh über das Thema, denn er sprach über ihre schwarzen Wunden.
"Nein, eigentlich nicht", antwortete Firey und zog ihren Rollkragen ein wenig höher - was sie wohl nicht hätte tun dürfen, denn seine Augen verengte sich.
"Es ist wirklich nichts Ernstes." Dass es nicht schmerzte war nur eine halbe Lüge, doch das nun war mehr als gelogen. Silver fiel auch nicht darauf hinein:
"Normale Narben von normalen Wunden sehen nach zwei Monaten nicht mehr so aus. Dieser unheimliche Kerl hat mehr drauf als ich dachte." Sein Blick verdunkelte sich und er sah immer noch auf Fireys Hals, als könnte er durch ihren Stoff hindurch weiterhin die schwarzen Merkmale betrachten.
"Du hättest tot sein können." Silver sah immer noch gedankenverloren auf Fireys Finger, aber Firey hatte gerade jeden Gedanken an ihre schwarze Haut oder Karou vergessen: wie... wie absolut ungewohnt ernst Silver da sprach - und wie ernst war nicht sein Blick. Das Rot seiner Augen war beinahe schwarz und nur das Feuer spiegelte sich in ihnen.
"Ich hätte von Anfang an da sein sollen. Nicht Rui."
"Du hättest es wahrscheinlich nicht verhindern können", beeilte sich Firey zu sagen, aber das waren definitiv nicht die richtigen Worte: Silver sah beleidigt aus.
"Ich muss mich auch selbst verteidigen können."
"Kannst du denn das?" Nun war es wohl Firey, die sich beleidigt fühlen sollte, aber irgendwie fühlte sie sich weniger beleidigt, als... bestätigt. Konnte sie sich wirklich verteidigen? Bis jetzt hatte sie jeder retten müssen. Azuma, Wächter, die sie nicht kannte... wie sollte sie von Silvers Worten beleidigt sein, wenn er recht hatte?
"Ich wundere mich darüber, dass du das fragst." Silver sah sie fragend an.
"Oder sagen wir es anders. Ich wundere mich darüber, dass du mich nicht mit diesen Narben aufziehst." Firey zog den braunen Rollkragen ein wenig herunter, so dass man die Haut sehen konnte.
"Es verschönert mich immerhin nicht gerade." Deutlich perplex sah Silver Firey an:
"So oberflächlich schätzt du mich ein?" Firey verengte ihre Augen: oberflächlich war definitiv ein Wort, welches leider ziemlich passend war für ihn und das konnte er auch nicht verleugnen, was ihm selbst bewusst wurde:
"Okay, okay, ich bin ziemlich oberflächlich, aber ich habe meine Grenzen. Wir sind im Krieg, nicht in einem Schönheitswettbewerb." Firey, welche sich eben auf die Knie hatte gleiten lassen, begann zu lachen. Sie wusste gar nicht wieso. Aber sie tat es. Deutlicher, lauter, als sie es gewohnt war. Nicht zurückgehalten. Kein höfliches und freundliches Lachen, sondern ein Lachen, das aus ihrem Innersten kam und welches sich schrecklich... schrecklich gut anfühlte.
Überrascht sah Silver die lachende Wächterin vor sich jenseits des Feuers an, doch lange sah er nicht verwundert aus, ehe sich, angesteckt von Fireys Lachen, ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete.
Lange hielt es jedoch nicht, denn ganz plötzlich, genauso plötzlich wie Fireys Lachen erklungen war, verwandelte dieses sich in Tränen. In kullernde, unaufhaltbare Tränen, die sich Firey genauso wenig erklären konnte wie Silver, den sie mit ihrem heftigen Gefühlsumschwung gänzlich überforderte. Es waren keine Freudentränen. Es waren Tränen der Trauer.
"Entschuldige, ent-entschuldige, ich weiß nicht, wo die... plötzlich... herkommen..." Sie wischte sich die Tränen weg, aber sie ließen sich nicht bekämpfen. Nicht so.
"Es ist... es ist... so komisch mit dir zu reden, hier und... dass wir uns überhaupt sehen... Ich hätte nicht gedacht..." Firey schüttelte den Kopf und die Tränen flogen nach links und nach rechts.
"Ich hätte das nicht gedacht... niemals gedacht... aber das ist kein Traum und... und... ach, vergiss was ich hier sage, es ergibt keinen Sinn, ignorier... ignorier es."
"Du dummes Flachbrett." Aus einem Firey unerklärlichen Grund weinte sie noch mehr und sie hob schon die Hände, um ihr tränennasses Gesicht darin zu verbergen - doch ihre Hand wurde aufgehalten. Aufgehalten von Silvers Hand, der ihre festhielt und ihren Blick ebenso gefangen nahm.
"Wie sollte ich das ignorieren können?" Feuer flackerte, Tränen rannten herunter und Fireys Herz begann zu rasen, als Silvers Worte in der kalten Nachtluft zu hören waren:
"Ich verstehe dich. Ich... verstehe, warum du weinst. Es ist sicherlich derselbe Grund, weshalb ich hier bin." Firey schluckte, um ihre Stimme zu festigen, aber sie brachte sie hervor:
"Warum... warum bist du hier?" Silver zögerte das Antworten hinaus und Firey bemerkte, dass seine Wangen sich ebenfalls errötet hatten.
"Ich konnte einfach nicht schlafen, ohne dich nochmal gesprochen zu haben." Er ließ ihre Hand gehen und lehnte sich zurück und aus einem Firey unerklärlichen Grund fand sie das entsetzlich, absolut entsetzlich, aber sie blieb sitzen ohne sich zu bewegen.
"Es fühlte sich einfach nicht richtig an." Das Ganze fühlte sich nicht richtig an. Es war auch nicht richtig. Oh Gott, Green war im Turm, litt womöglich und was tat Firey...
"Unser Gespräch war einfach nicht beendet. Ich musste nochmal mit dir sprechen - und das nicht erst in ein paar Wochen."
"Das war ziemlich unvorsichtig von dir", flüsterte Firey mit zaghafter, vom Weinen angeschlagener Stimme.
"Ich bin auch nicht gerade dafür bekannt, vorsichtig zu sein." Dieser Punkt ging an ihn, dachte Firey mit einem leichten Schmunzeln und zog ihre Beine zu sich heran, damit sie ihr Kinn auf ihre Knie abstützen konnte. Der rote Kristall ihrer Stiefel schimmerte im Licht der Flammen; ein hypnotisierender, beruhigender Anblick, der sie für einen kurzen Moment ablenkte und weshalb sie nicht bemerkte, dass Silver von etwas anderem hypnotisiert war als das Feuer.
"Was wolltest du denn gerne noch besprechen?" Silver schreckte auf und seine Augen flohen schier vor Fireys Beinen. Ertappt - Firey hatte jedoch nichts bemerkt - ins Feuer starrend, druckste Silver ein wenig herum, als hätte er vollkommen vergessen, was er hatte sagen wollen und weshalb er sich überhaupt nach England aufgemacht hatte.
"Wolltest du noch über deinen Bruder sprechen...?" Die vorsichtige Frage Fireys und der Gedanke an Blue kühlte Silvers Gedanken ab wie ein kalter Windstoß, der alles andere wegwehte. Seine Röte verschwand, war nur noch als leichter rosa Schimmer zu sehen und sein Blick war ernst, als er sich Firey wieder zuwandte.
"Ich wollte dich eigentlich fragen, ob es möglich sein könnte, dass du ein Treffen zwischen Green-chan und mir arrangieren könntest." Er bemerkte sehr wohl, dass Firey sich sofort versteifte, aber er ließ sich nicht beirren.
"Nicht im Tempel. Nicht im Reich der Wächter und auch nicht bei uns. In London vielleicht...?" Firey hatte sich tatsächlich versteift, als hätte Silver mit der Erwähnung ihres Namens einen Geist heraufbeschworen - einen gefährlichen Geist.
"Ich weiß nicht", antwortete Firey ehrlich, denn sie wollte ihn nicht anlügen:
"Ich weiß wirklich nicht, ob das so eine gute Idee ist."
"Bitte, Firey, ich muss Dinge... klarstellen. Ich muss mit ihr reden."
"Das geht im Moment nicht", antwortete Firey, froh darüber, die Weihe als Grund nennen zu können, welche sie Silver erst einmal erklären musste, denn er wusste weder, was die Weihe war, noch dass Green bereits abwesend war wegen dieser.
"Green-chan ist in einem Turm, um eine "echte Hikari" zu werden...?", wiederholte Silver verwirrt.
"Und der Tempelwächter war deswegen drauf und dran dich zu ertränken? Habe ich das richtig verstanden?" Vielleicht hatte sie ihm auch ein wenig mehr erzählt, als es Not getan hätte. Aber dort in dem Pavillon, umgeben von dem fallenden Schnee mit dem knisternden Feuer, tat es zu gut, zu reden - es tat zu gut, mit Silver zu reden.
"Er wollte mich nicht ertränken. Er wollte mich dazu bringen, das Wasser zu trinken." Silvers Stirn legte sich in noch tiefere Falten.
"Ich wusste ja schon immer, dass die Wächter bekloppt sind." Obwohl der Zwischenfall mit dem Tempelwächter nicht witzig gewesen war und ihr es auch nicht behagte, dass Yuuki nicht so ganz er selbst war, wollte Firey gerade protestieren, als Silver ihr ins Wort fiel.
"Du musst schon zugeben, dass es bei den Wächtern einige komische Traditionen gibt und diese Weihe klingt ganz besonders eigenartig."
"Es ist eine uralte Tradition", verteidigte Firey sie, wenn auch ein wenig halbherzig.
"Die dir scheinbar nicht behagt, ansonsten hättest du das Wasser ja schon getrunken." Unauffällig betastete Firey wieder ihren Hals. Dieses Detail, dass die schwarzen Merkmale gebrannt hatten beim Duschen, hatte sie bewusst ausgelassen.
"Ich habe wirklich kein gutes Gefühl dabei. Kann man die Weihe bomben?" Jetzt war es Firey, die ihn stirnrunzelnd ansah.
"Ja, also, kann man sie aufhalten. Kann man Green-chan da rausholen?"
"Das glaube ich nicht... und ich glaube auch nicht, dass man es tun sollte. Es ist eine wichtige Tradition... ein Ritual, das nicht nur wichtig ist für Green, sondern für das gesamte Wächtertum."
"Aber sie wird da doch nicht geopfert...?"
"Was? Nein?! Natürlich wird sie das nicht! Übermorgen ist die Weihe und dann ist alles vorbei und wieder so wie es sein soll."
"Huh, ich dachte, die Weihe wäre schon?!" Jetzt wurde es Firey definitiv zu verwirrend und sie beschloss, das Thema zu beenden. Sie waren auch schon zu lange hier gewesen. Bald würde es dämmern und wenn sie nicht pünktlich zur Morgenversammlung anwesend sein würde, dann könnte das eine Katastrophe mit sich bringen in Verbindung mit dem Besuch der Wasserwächterin.
"Ich denke, wir sollten uns jetzt verabschieden." Firey richtete sich auf und während sie das tat, streckte sie ihre Hand aus und sog das Feuer zurück, womit es mit einem Mal plötzlich nicht nur wieder kalt war, sondern auch stockfinster.
Firey, plötzlich überrascht von der Dunkelheit, als hätte sie diese nicht kommen gesehen, blinzelte überrumpelt, doch das Blinzeln hielt inne, als Silver nun schon zum zweiten Mal in dieser Nacht ihre Hand nahm. Fest und warm war seine Hand und der Stoff, der seine Finger umgab, war eigenartig weich.
"Wann sehen wir uns wieder?"
"Das..." Firey musste schlucken.
"... kommt wohl auf deinen Fürsten an."
"Ich meine nicht auf dem Schlachtfeld." Fireys Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit und die kleinen Funken, die vom Feuer übriggeblieben waren und zusammen mit dem Schnee durch die Luft trieben, erlaubten ihr Silvers Gesicht in der Düsternis auszumachen.
"In London", brachte sie atemlos hervor.
"Am letzten Mittwoch im Monat. 17 Uhr." Sie sah, dass seine Augen sich weiteten. Sie sah, dass er sich freute.
"Meine Aura wird dann spürbar sein, dann..." Ein wenig drückte sie seine Finger, aber... nur ein wenig.
"... werden wir uns sehen können."
Firey lächelte, als sie in den Tempel zurückkehrte, wo bereits der Hauch der Morgendämmerung die Grasflächen mit glitzerndem Tau bedeckte. Sie hatte einen anderen Teleportationspunkt gewählt als den, den sie benutzt hatte, um nach Espiritou del Aire zu gelangen; einer, der weiter weg lag von ihrem Gemach, damit sie sich noch ein wenig freuen konnte. Ja, sie freute sich. Sie war auch ein wenig stolz auf sich. Sie sollte es nicht sein, denn sie hatte etwas Verbotenes getan, aber sie war dennoch stolz auf sich. Und ihr Herz schlug so schnell und so angenehm und...
"Kleine Flamme." Das Lächeln war verschwunden und jeder Gedanke an Silver ebenfalls beim Klang dieser Stimme. Oder... war es eine Stimme? Hörte sie sie mit ihren Ohren... oder mit ihrem Herzen? Sie wusste es nicht. Aber als Firey sich mit großen, starren Augen und schnell schlagendem Herzen herumdrehte, war sie nicht überrascht dort auf einer Mauer Hirey sitzen zu sehen.
Außerweltlich rötlich leuchtend. Ein Geist. Eine Aura. Lebendig wirkend und zugleich so fern von jedem Leben, von jeder fleischlichen Hülle, wie man es nur sein konnte. Mit einem festen Blick, mit brennenden, roten Augen und brennendem Haar, das in der windlosen Nacht um ihn herumwehte. Gekleidet in die Uniform, in der er gestorben war, aber ohne Bogen, ohne Köcher.
Firey konnte ihn, diese Erscheinung, nur atemlos anstarren.
"Warum trinkst du nicht?" Seine Lippen bewegten sich nicht. Sie hörte seine Stimme in ihrem Kopf. Seine Augen blinzelten ebenfalls nicht. Unablässig sah er sie an.
"Du fürchtest dich." Er richtete sich auf, langsam und kraftvoll.
"Doch das musst du nicht."
"Warum... kann ich dich sehen?" Das war keine Antwort auf seine Frage, aber dennoch regte sich nun endlich etwas in dem rötlich leuchtenden Gesicht Hireys - ein kleines Lächeln erschien.
"Weil deine Hikari sich im Turm befindet, kleine Flamme... und weil du dich unterschätzt." Seine Hand war heiß, kochend heiß, als er sie an ihre Wange legte. Jeden normalen Menschen hätte diese Berührung wohl die Wange gekostet oder ihn schier in Brand gesteckt, aber Firey empfand diese Berührung als sanft und angenehm - doch versteift, gänzlich versteift vor Ehrfurcht war sie dennoch.
"Du hast eine starke, einfühlsame Seele; eine offene Seele. Deine Verbindung zu uns ist stärker als du denkst... verwehre dich ihrer nicht." Langsam bewegten sich seine heißen Finger herunter.
"Die Weihe ist wegweisend. Wertvoll für unseren Kampf... von großer Bedeutung für dein Weiterleben." Sein Lächeln war verschwunden und er sah nicht länger in Fireys Augen, sondern auf ihren Hals, welchen er nun mit seinen heißen Fingern berührte. Doch was war das? Ihr Hals... schmerzte nicht. Seine Berührung war... wohltuend.
"Er hat uns alle getötet. Jeden Einzelnen von uns. Mich in den Wahnsinn getrieben, weil ich so dumm war und mit ihm gespielt habe." Seine Augen wurden zu Lavasteinen. Heiß, doch leblos.
"Weil ich in Hochmut über ihn gelacht habe, hat er unser Element in den Abgrund gerissen." Firey sah es vor sich; sah durch Hireys Augen hindurch in sein Herz, in seine Erinnerungen, längst verschwunden, längst verblasst, längst tot. Sie spürte sein heiteres Lachen unter dem roten Himmel Henels. Wer wird heute mehr Dämonen töten? Wer wird mehr haben, wer wird mehr haben? Lachen. Worte der Zurechtweisung ignoriert. Nur so ließ sich der Krieg ertragen, nur so machte er Spaß. Der neue Dämonenkönig war auf dem Schlachtfeld! Oh, das war interessant. Sie sollten sich zurückziehen. Aber nein, neeein. Ein wenig Spaß musste sein - und wer verließ denn das Schlachtfeld ohne seine Waffe benutzt zu haben? Das taten nur Feiglinge.
Doch anstatt mit dem Pfeil auf den Dämonenkönig zu zielen, zielte Hirey mit dem Pfeil auf einen weitaus gefährlicheren Dämon, dem er den Arm abriss. Er hatte gelacht. Hatte angeben wollen. Er hatte doch mit Absicht nicht seinen Kopf getroffen; er hatte seine Präzision zeigen wollen. Der erste Dämon des Tages ging an---
Firey wurde wieder zurück in die Wirklichkeit geworfen mit einem so heftigen Schlag von Angst, dass sie beinahe den Boden unter den Füßen verlor. Nur für einen Augenblick hatte sie Karous Gesicht gesehen. Der Hass. Die Rache. Der Wahnsinn.
"Trink." Hirey hielt der zitternden Feuerwächterin einen goldenen Kelch hin, der aus einer anderen Zeit zu stammen schien.
"Trink, wenn es dir nicht so ergehen soll wie allen anderen vor dir. Trink, damit du weiterleben kannst. Trink, damit du eine Zukunft haben kannst! Trink, damit du ihn töten kannst!"
Mit bebenden Händen hob Firey das Wasser zu ihren Lippen und trank.