Kapitel 101 - Die Melancholie des Morgensterns
Die Welt löste sich ein weiteres Mal auf; Farben verblassten, Konturen verschwammen und auch die leidenden Augen des Dämonenherrschers. Sein überraschtes, getroffenes Gesicht, als Luzifer sich abwandte, war das letzte, was Green sah. Als auch dieses im Farbstrom der Zeit verschwand, hätte Green sich am liebsten Light zugewandt, doch sein Gesicht, seine gesamte Gestalt war nicht zu sehen, genauso wenig wie Green. Sie waren gestaltlos in diesem Strom der Erinnerungen, der sie mitriss; ein rasender Strom, unaufhaltbar und ungnädig. Zu gerne hätte sie einen Stein in diesen schnellen Strom hineingeworfen, um ihn zu pausieren, doch sie war, genau wie Light, ohne Substanz in dieser Sphäre. Doch ihre Stimme besaß sie noch:
"Die beiden waren ein Paar?" Green hörte ihre eigene, ungläubige Stimme widerhallen an Wänden, die es nicht gab.
"Luzifer und der namenlose Dämonenherrscher... sie liebten sich?"
"Ich wage nicht zu beurteilen, ob sie zu diesem Zeitpunkt noch von einem Band der Liebe verbunden waren, aber... es gab in der Tat niemanden, der so sehr von dem Dämonenherrscher geliebt wurde, wie Luzifer."
Bäume wuchsen aus dem Nichts empor, schossen in die Höhe und Blätter wehten im Wind, wie die flatternden Kleider und Umhänge der beiden Schatten, die sich unter dem roten Baum trafen und sich im Schatten des Blätterwerkes anlächelten. Luzifer, weniger ernst, mit errötenden Wangen und wunderschönen, strahlenden Augen, als wären sie selbst zu Sternen geworden, sommerlich gekleidet, mit Blumen und kleinen Juwelen im Haar und violetten Bändern um die schmalen Handgelenke herum. So schön, dass es unwirklich erschien, aber nicht unnahbar, sondern warm und funkelnd, als würde man einen Stern in den Händen halten. Green hielt mit klopfendem Herzen die Luft an, als der andere Schatten die Hände des Morgensterns nahm und sie auf seine Brust legte.
"Hörst du das?" Green war beinahe überrascht sie sprechen zu hören. Diese Augen schienen eine ganz eigene Sprache zu sprechen, für die das Öffnen des Mundes gar nicht notwendig war.
"Euer Herzschlag, mein Gebieter."
"Nenne mich nicht so, denn über dich gebiete ich nicht." Er lachte so heiter und leicht.
"Wenn hier einer gebietet, dann du über mich. Du hörst es, spürst es..." Der namenlose Dämonenherrscher legte auch noch seine zweite Hand über Luzifers.
"Ich habe mein Herz noch nie schlagen gehört. Es scheint nur zu existieren und zu schlagen, wenn ich in deiner Nähe bin, mein Luzifer... mein Morgenstern." Green war zwar ohne Körper, aber dieses Bild schnürte ihr dennoch die Kehle zu, als der Gebieter mit der Rückseite seiner Finger über das glatte Gesicht Luzifers strich und seine Wange mit Sanftheit ehrerbietig liebkoste und ihm flüsternd antwortete:
"In diesen Herzen gibt es nur dich." Die Hände verbanden sich und Luzifer ließ sich nach vorne fallen, mit der linken Hand auf der Brust seines Gebieters.
"Es gibt nur uns." Luzifer war auch in den anderen Erinnerungen ein Wesen von unglaublich makelloser Schönheit, aber in diesem Moment erblühte diese, wurde strahlender und noch schöner; in dem Moment, wo seine Augen aufleuchteten, sein Gesicht rosig wurde und sein Lächeln sein gesamtes Gesicht erwärmte. Doch es war nicht Luzifer, der Green den Atem raubte - es war der namenlose Dämonenherrscher. Das, was Green da in seinem Gesicht sah, war Liebe. Es war die purste Form der Liebe. Unbezwingbar, unbeirrbar, verblendend, warm und voller Glückseligkeit. Genau dieselbe, die Green in den Abgrund geworfen hatte...
Doch die Lippen der beiden Dämonen berührten sich nie, denn als Light die Stimme erhob, verwischte das Bild der Liebenden.
"Hikaru hätte ihn niemals töten dürfen."
Das goldene Gelb, das tiefe Rot und die warme Sonne verschwanden. Kleider und Blätter flatterten nicht mehr im sanften Wind, Augen voller Liebe schlossen sich und zurück blieb ein Blick voller Trauer. Die Sterne waren untergegangen und die goldenen Augen waren stumpf geworden wie eine tiefe, dunkle Nacht ohne Sterne, ohne jegliches Licht. Kein Morgen würde jemals wieder in diesen Augen grauen.
Was war passiert?
Die Erinnerungen waren nun verwischter und Green konnte nichts weiter als Schatten sehen. Zerbrochene Gesichter, leidende Augen. Luzifer riss sich von seinem geliebten Gebieter los--- Figuren sind wir! Dein Spielzeug! --- Worte, die nicht trösten konnten, Worte, die ungesagt blieben, Worte, die niemals hätten gesagt werden dürfen --- Ich kann dir kein Element geben, Luzifer, selbst wenn ich es wollen würde! Ich habe dich perfekt gemacht, was willst du eigentlich mehr?! --- Schmerzen, so viele Schmerzen im Herzen, welches doch eigentlich so einfach glücklich zu machen war --- Sind die Gefühle, die ich in mir spüre, überhaupt meine eigenen oder hast du sie mir eingepflanzt?! ---
Er wollte doch nur sein Lächeln sehen. Etwas anderes wollte er doch gar nicht. Warum war denn das schon zu viel verlangt?
Warum kannst du nicht mehr für mich lächeln, mein Morgenstern...?
Warum kann ich dich nicht trösten... warum kann ich dir deine Traurigkeit nicht nehmen?
Warum kann ich dir nicht helfen?
Aber auch wenn die Augen des Morgensterns voller Gram waren, sie waren immer noch entschlossen und plötzlich waren sie wieder zurück, am gleichen Tag, am gleichen stürmischen Abend - dem Abend, an dem die Dämonin gestorben war. Der Dämonenherrscher stand immer noch auf dem Balkon, wo er sich mit einer Hand abstützen musste. Er überlegte, ob er Luzifer hinterhergehen sollte, aber wie oft hatte er das nicht schon getan. Er richtete Unheil an; er sollte lieber in Lerenien-Sei bleiben - denn ja, natürlich wusste er genau, was Luzifer vorhatte, wohin ihn seine eiligen Schritte führten.
Er eilte Treppen empor und durchquerte viele Gänge, ehe er sich plötzlich von einem Balkon aus in die Höhe schoss, wie ein Vogel, der alles hinter sich lassen wollte; die Welt, dessen Wesen, selbst die Wolken. Seine Kleider und seine Hörner wurden nass, als er durch die schwarzen Wolken brach, doch er ließ sich nicht aufhalten. Sein Blick war in die Höhe gerichtet, auf ein Ziel, welches nur er sah. Er war so schnell, dass Green schwindelig wurde beim Zugucken, aber gerade als sie sich beschweren wollte, hielt Luzifer inne und auch Greens Drang sich zu beschweren verschwand, als sie ein wohlbekanntes, aber immer wieder schönes Bild erblickte.
Die Welt über den Wolken.
Der weite, endlose Himmel. Das dunkle Blau und die Sterne, die zu funkeln begonnen hatten. Dort, wo die Wolkendecke aufhörte, war noch ein schwaches Gelb und ein zartes Rosa zu sehen; die letzten Überbleibsel der untergegangen Sonne. Luzifers feuchte Hörner leuchteten golden hervor auf dieser wunderschönen Leinwand und Green war sich plötzlich nicht sicher, ob er nicht weinte.
"Warum willst du diese Welt verlassen..." Doch, er weinte, aber er war unglaublich gefasst, als wären das gar nicht seine Tränen, die aus seinen goldenen Augen perlten, die auf den Himmel gerichtet waren.
"... diese wunderschöne Welt mit ihrem farbenreichen Himmel... Oh, warum nur..." Luzifer legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf, wo der Himmel am dunkelsten war.
"... dürfen wir hier nicht Zuhause sein?"
"Firey, geht es dir gut?" Die ehrliche Antwort lautete: nein, es ging ihr nicht gut. Es war ihr alles zu viel. Sie konnte es nicht mehr koordinieren. Die Weihe. Die Mitwächter, die alle komisch waren. Siberu. Der Krieg. Sie wollte über Siberu und seine Worte, sein Grinsen und seine traurigen Augen nachdenken und alles, woran sie denken konnte, war Zerstörung, Tote. Blut. Leichen von Wächtern. Funken von Dämonen. Ihr gesamter Körper zitterte so heftig, dass sie Yuukis Hände auf ihrer Schulter und auf ihrem gekrümmten Rücken gar nicht spüren konnte.
Es war vorbei. Sie war zurück im Tempel. Es war warm und hell und sie war in Sicherheit. Aber sie konnte das Gesehene nicht von sich abschütteln. Yuuki hatte sie zurückgebracht, oh wie peinlich war es nicht gewesen. Azuma war noch in Henel, genau dort wo auch Fireys Gedanken noch waren. Rauch, überall Rauch, überall Schreie. Auch jetzt noch schrien sie in ihren Ohren. Ihr war doch beigebracht worden, sich zu konzentrieren, auch wenn alles um sie herum brannte, aber sie hatte ihren Bogen nicht spannen können. Ihre Hände hatten gezittert, gezittert vor Angst. Ja, sie hatte Angst. Sie hatte Angst von einer der vielen Attacken getroffen zu werden. Sie hatte Angst zu sterben. Ruhige Stimmen waren in ihrem Ohr gewesen. Sie hatten ihr gesagt, wo sie hingehen sollte, was ihr Befehl war. Unterstützen. Sie hatte ihre Mitwächter unterstützen sollen.
"Sind... sind viele gestorben..." Wegen mir?
"Das weiß ich nicht, Firey." Yuukis Hand strich ihr über den Rücken und auch wenn Firey selbst zitterte, so spürte sie, dass er es ebenfalls tat.
"Habe ich... überhaupt jemanden getroffen? Habe ich... einen Dämon..." Sie konnte das Wort nicht aussprechen. Aber warum fragte sie denn das überhaupt? Sie wusste nicht einmal, ob sie einen Pfeil abgeschossen hatte. Alles war so verschwommen, so unwirklich, so schrecklich. Warum hatte sie London und die Westminster Abbey überhaupt verlassen? Sie hätte dort bleiben sollen. Das Treffen dort... das Treffen mit Siberu... es kam ihr vor wie ein Traum. Wie gerne wäre sie nicht in diesem Traum geblieben...
"Nicht direkt... aber weil einer deiner Pfeile einen Dämon gestreift hat, konnte einer von uns gerettet werden."
"Das ist... gut... das ist schön..." Firey nahm das Glas Wasser entgegen, welches Yuuki ihr gereicht hatte, aber sie trank nicht davon. Sie zitterte zu sehr, um das Glas anzuheben. Doch ihr Zimmer nahm langsam wieder Konturen an. Langsam, viel zu langsam verstand sie, dass sie außer Gefahr war, dass sie gerade gekämpft hatte und dass die Schlacht vorbei war. Das, was sie so sehr zum Zittern brachte, war nicht nur die Todesangst, sondern auch das Adrenalin, welches mit einem Zittern aus ihrem Körper verebbte.
"Du solltest etwas trinken und dich ausruhen, Firey." Firey erhob das Glas, aber als Yuuki hinzufügte, dass sie heute genug Dämonen getötet hatten, senkte sie es wieder. Sie hatten genug Dämonen getötet... und sie hatte sich mit einem getroffen. Sie sah Yuuki an, der neben ihr auf ihrem Bett saß, sah in seine braunen Augen, die sie besorgt musterten... und fühlte eine leichte Beunruhigung. Eine Verwunderung, die sie nicht platzieren konnte.
"Du warst auf dem Schlachtfeld...? Du warst die gesamte Zeit dort?" Ein wenig schämte sie sich für die Frage und sie sah auf das Glas mit der hellen, leicht milchigen Flüssigkeit, von der sie immer noch nicht getrunken hatte.
"Natürlich war ich das. Ich war dort, wo wir Wächter hingehören." Firey starrte immer noch auf das Wasser, aber eine Augenbraue wölbte sich leicht. Das war Yuuki, der da mit ihr sprach. Es war seine Stimme, es war seine Hand auf ihrem Rücken. Warum hatte sie gleichzeitig das Gefühl, dass er es nicht war?
"Danke, Yuuki. Danke für deine Hilfe." Sie lächelte ihn an:
"Ich werde mich nun hinlegen. Ein wenig Ruhe wird mit guttun."
"Du solltest vielleicht vorher eine Dusche nehmen." Nur damit sie wieder von dem Wasser verbrannt werden konnte? Nein, danke. Katzenwäsche musste genügen... aber das sagte sie Yuuki nicht, von welchem sie sich verabschiedete, als sie ihn zur Tür brachte, obwohl diese nur fünf Meter von ihr entfernt war. Aber er ging nicht, nachdem sie sich verabschiedet hatten - er sah sie streng, aber auch besorgt an.
"Vergiss nicht etwas zu trinken. Das ist wichtig."
"Das werde ich schon nicht", versicherte Firey ihm, doch die Wahrheit sah anders aus. In Wahrheit nahm sie das Glas und leerte das Wasser in einem Blumentopf, um stattdessen von dem Wasser zu trinken, welches Azuma ihr gegeben hatte. Jetzt, wo sie Yuuki gesehen und gehört hatte, wie absolut wenig er Yuuki ähnelte, war sie sich immer sicherer, dass sie dieses Wasser unter gar keinen Umständen trinken wollte.
Luzifer hatte ein Ziel und wie ein Komet schoss er leuchtend unter dem nächtlichen Himmel Richtung Aeterniya. Er weinte nun nicht mehr; seine Augen waren fest nach vorne gerichtet. Seine einzigen Begleiter waren der helle Mond und die funkelnden Sterne, die hier oben über den Wolken leuchteten, da er noch nicht zur Landung angesetzt hatte. Das Gold seiner Hörner leuchtete im Mondlicht, welches auch seine langen Wimpern betonte und seinem zierlichen Körper einen unheimlichen Glanz verliehen, als wäre er eine Sternschnuppe. Seine wallende Kleidung flatterte im Wind, ebenso wie seine Locken es taten, die aussahen wie fliegender Lavendel. Light erklärte Green nicht, wohin Luzifer auf dem Weg war oder warum sie dies hier sahen, aber sie fragte auch nicht. Sie folgte dem fliegenden Dämon gespannt und mit zusammengezogenem Herzen, als spüre sie das seine.
Gute zwei Stunden dauerte der Flug, doch Aeterniya war gar nicht sein Ziel:Aals Luzifer durch die Wolken hindurchbrach, sah Green, wie sich ein weites Meer unter ihm auftat und sie glaubte eigentlich nicht, dass Aeterniya an ein Meer angrenzte... Der Mond und die Sterne verschwanden, blieben oberhalb der dichten Wolkendecke, die für das Licht undurchdringlich war und machten Platz für die kleinen funkelnden Lichter einiger Behausungen, die sich um den Strand herum tummelten. Stege führten hinaus auf das Meer, dessen sachte Wellen über einen hellen Strand spülten.
"Wo sind wir?", fragte Green, während Luzifer sachte, ja, vorsichtig am Ufer abseits der Besiedlungen landete, ohne ein einziges der Gräser und Gersten herunterzuknicken. Seine Finger suchten sofort, wie Green erstaunt sah, die Spitzen der Gersten, als suche er Halt an dessen kleinen Samen. Sanft berührte er sie, ließ die einzelnen Samenkerne zwischen den Fingern gleiten und verwirrte Green sehr mit dieser Tat. Was tat er denn da? Aber Light beantwortete ihre Frage ganz unberührt:
"Wir sind in Cilaceleste, einem Ort, wohin meine Mutter sich zurückgezogen hat."
Green konnte Light nicht sehen, aber ihr war dennoch, als deutete er auf etwas - auf einen Steg, der hinaus auf das Wasser führte, hinaus zu einem weißen Pavillon am Ende des Stegs, welchen Luzifer nun auch betrat. Als wäre er auf dem Weg zu einem Kongresssaal, schritt er mit schnellen, festen Schritten über den hölzernen Steg, der von den Wellen umarmt wurde. Ein leises Gluckern erfüllte die Stille, ebenso wie ein sachtes Rauschen der Wellen. Es war recht kühl, aber der Wind war hier nicht allzu kräftig. Es war Luzifers eigener, zügiger Schritt, der seine Haare emporhob, ehe er abrupt vor dem erleuchteten Pavillon zum Stillstand kam.
Der Pavillon war zu allen Seiten hin offen; es gab weder eine Tür noch Glasscheiben, nur ein paar Stufen, die zu dem Zufluchtsort hinaufführten, wo sich Hikari, Light und Yami befanden. Als Green die drei erblickte - Yami ihre Schwester im Arm haltend, Light nah bei einer der Säulen stehend, mit der Hand auf dieser - verstand sie erst, dass Hikari selbst die Lichtquelle war, die den Pavillon erhellte. Sie strahlte von sich aus, ihre Aura war es, die die Nacht um sie herum erhellte und was die Wellen glänzen ließ, die ihren Weg um den Pavillon herum fanden.
"Vergebt meinen unangekündigten Besuch." Luzifer verbeugte sich nicht, aber er senkte kurz den Kopf, dabei war es nur Light, der sich zu ihm herumgedreht hatte; die beiden Schwestern sahen eng verschlungen auf das dunkle Wasser hinaus, aber davon ließ Luzifer sich nicht beirren. Er sprach weiter:
"Ich bin hier in meiner Funktion als Diplomat." Light runzelte die Stirn, aber es war Yami, die ihre Stimme erhob - eine wütende, zischende Stimme.
"Wir benötigen Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten." Doch der Tonfall der Stimme und die Tatsache, dass der Teufel immer noch nicht angesehen wurde, schreckte ihn nach wie vor nicht ab:
"Und wir benötigen Antworten." Green vernahm ein abfälliges Geräusch, welches sie nur zu gut von Silence kannte, aber es war Hikari, die plötzlich herumwirbelte und dann ganz plötzlich auf die Beine emporsprang, um mit einem Satz vor Luzifer zu stehen, dem sie ihre zusammengeballten Hände mit verzweifelter Inbrunst an die Brust warf.
"Ich kann der Dämonin das Leben zurückgeben, welches ich ihr genommen habe!", rief sie eindringlich, mit einer starken Verzweiflung, die ihre kleine Stimme schier zerriss. Ihr Gesicht war tränennass; die Niedergeschlagenheit hatte ihr gesamtes Äußeres gezeichnet. Es sah aus, als wäre sie in den letzten Stunden gealtert: von dem jungen, naiven Mädchen war nichts mehr übrig. Sie sah aus wie ein zerbrochener, toter Geist.
"Ich kann es ungeschehen machen! Dieses schreckliche Unglück!" Yami richtete sich auf, aber es war Light, der seine Hände auf Hikaris Schultern legte und sie wegzuziehen versuchte, doch Hikari hatte sich an der Uniform des Teufels festgekrallt, der sie mit einer steinernen Miene betrachtete.
"Lass es mich ungeschehen machen!" Wieder konnte Green sich der Ironie nicht entziehen, die ihr diese Szene bereitete; die Lichtgöttin, die so verzweifelt war über den Tod einer namenlosen Dämonin...
"Mutter..." Hikari hörte ihren Sohn nicht. Flehend und mit Tränen, die das gesamte Gesicht verschmierten, starrte sie in die goldenen Augen Luzifers, der sie schweigend musterte, ehe er ihre Finger, einer nach dem anderen von seiner Brust löste.
"Das ist ein großzügiges Angebot, welches wir jedoch ablehnen, da es im Widerspruch mit unserer Überzeugung und Lebensweise steht. Was tot ist, soll zu den Sternen zurückkehren und dort ruhen", antwortete er mit seiner ruhigen, melodischen Stimme, als wäre es ein Lied.
"Leider befürchte ich auch, dass die Tat nicht ungeschehen gemacht werden kann." Hikari starrte ihn entsetzt an und ihre weißen Augen ließen auch nicht von ihm ab, als Luzifer einen Schritt rückwärtsging, als wolle er einen Sicherheitsabstand zu Hikari, um zu verhindern, dass sie sich ihm ein weiteres Mal an die Brust warf.
"Was habt ihr vor?" Yami nahm Light Hikari aus den Händen und schloss das zitternde Elend in ihre Arme, wobei jede Bewegung von Luzifer beobachtet wurde.
"Die Frage ist nicht, was wir gedenken zu tun..." Seine schmale Iris glitt vom einen zum anderen.
"Sondern ihr."
"Wir?", hickste Hikari, Luzifer immer noch flehentlich ansehend, als erwartete sie ein Wunder von ihm, aber er antwortete nicht sofort. Er schwieg, einen nach dem anderen musternd.
"Wo ist Hikaru-san? Wie ich bereits gesagt habe, ich bin hier in meiner Funktion als Diplomat. Ich wünsche daher auch mit ihr zu sprechen." Ein beklemmendes Schweigen breitete sich im Pavillon aus, nur unterbrochen von dem Gesang des Wassers und dem Schluchzen der Lichtgöttin. Luzifers glatte Stirn wölbte sich ein wenig und er legte den Kopf eine Ahnung schief, geduldig auf eine Antwort wartend, die Light ihm gab.
"Wir... wissen es nicht. Sie hat versucht, die Bindung zu uns zu kappen." Luzifers Augen weiteten sich, aber nicht so sehr, dass es sein ruhiges Gesicht zu sehr aufwühlte.
"Ist ihr das gelungen?" Light schüttelte den Kopf.
"Nein, aber die Bindung ist instabil..."
"Sie liebt mich nicht mehr!", rief Hikari in Yamis Armen zusammenbrechend:
"Sie liebt mich nicht mehr! Ihre eigene Mutter!"
"Shhh, alles gut, Hikari... Hikaru wird wieder zurückkehren..." Doch Yamis Worte zeigten keine Wirkung auf Hikari und auch Lights Hände, die er wieder auf ihre zitternden Schultern legte, damit auch er ihr Trost spenden konnte, obwohl er doch selbst Tränen in den Augen hatte, beruhigten die aufgelöste Göttin nicht, die an diesem Tag nicht nur ihren ersten Mord begangen, sondern auch ihre Tochter verloren hatte.
"Ich sehe, dass ihr in der Tat Bearbeitungsbedarf habt." Luzifer sah etwas peinlich berührt, aber immer noch ernst aus.
"Ich werde ein anderes Mal zurückkehren."
"Nein, das ist nicht nötig." Es war wieder Yami, die das Gespräch übernommen hatte, obwohl sie immer noch ihre weinende Schwester in den Armen hielt.
"Ihr habt den langen Weg auf Euch genommen und Ihr sollt nicht gehen, ohne Eure Antworten erhalten zu haben. Ihr werdet mit mir Vorlieb nehmen müssen." Luzifer und Yami sahen sich kurz in die Augen, ehe Luzifer sich verneigte.
"Das ist mir recht. Ich danke Euch für Euer Verständnis." Yami nickte und sah zu Light.
"Light, kümmere du dich um unser Licht." Das musste sie ihm natürlich eigentlich nicht sagen, denn natürlich würde er das tun.
"Ich bin gleich zurück, süßes Schwesterchen", sagte Yami und hauchte ihrem Licht einen Kuss auf die Stirn, ehe sie sich von Hikari löste, die ihr mit verweinten Augen hinterher sah.
"Verzeiht die Sentimentalität meiner Schwester", begann Yami ohne Umschweife, als sie bei Luzifer angekommen war, der am Ende des Stegs, am Land, auf sie gewartet hatte und anfing Richtung Osten zu gehen, sobald Yami bei ihm angelangt war.
"Da gibt es nichts, was ich verzeihen müsste. Ihre Gefühle sind ehrlich. Ich verurteile sie nicht für diese. In der Tat wünschte ich, dass..." Luzifer unterbrach sich mitten im Satz, plötzlich zerknirscht aussehend und jäh mehr Emotionen offenbarend als zu einem anderen Zeitpunkt.
"Ihr verlangtet Antworten." Yami hatte ihm wohl angesehen, dass er seinen Satz nicht zu einem Ende führen würde und führte das Gespräch zum eigentlichen Thema.
"Ich kann mir vorstellen, auf welche Fragen Ihr Antworten wünscht."
"Eigentlich gibt es nur eine wahre Frage." Das schwarze Wasser umspielte ihre nackten Füße, doch keinen der beiden störte die Kälte der Wellen, die kleine Steinchen an Land schob, um sie dann wieder zurückzuziehen.
"Die Frage, wozu wir das heute erlangte Wissen benutzen werden." Yami und Luzifer sahen sich an, beide hohe und sehr elegante, sehr schöne Wesen, in welchen man wirklich Youma und Silence erkennen konnte, auch wenn keiner von ihnen Luzifers Locken oder seine Hörner geerbt hatte.
"Ich kann Euch versichern..." Yami wandte sich wieder ab und ging weiter.
"... dass wir keinerlei Disput wünschen. Es war ein sehr bedauerlicher Unfall und wenn ihr einen Prozess wünscht, so wird sich Hikari dem nicht entziehen."
"Wir erheben keinerlei Anklage."
"Wie erfreulich und großzügig von Euch." Yamis Stimme war genauso diplomatisch und sachlich wie Luzifers und Green fragte sich auf einmal, ob die beiden vorher schon oft miteinander gesprochen hatten... auch wenn Green dort deutlich die Eltern der Zwillinge erkennen konnte... ein Liebespaar sah sie nicht. Sie sah zwei Diplomaten, Machthaber und Politiker.
Ein kleines Lachen, welches weder zu den ausgetauschten Worten noch zu dem ruhigen Wellengang passen wollte, ertönte, aber Green wusste sofort, wo es herstammte, denn es war dasselbe verstohlene, ruhige, schelmische Lachen, welches Silence ihr auch schon oft zugeworfen hatte und als Yami sich mit einem kurzen aufflackernden Lächeln Luzifer zuwandte, sah sie Silence so ähnlich, dass es Green ein wenig erschrak.
"Ihr seid wirklich ein guter Diplomat."
"Ich kann Euch nicht ganz folgen", erwiderte Luzifer trocken und gänzlich unbeeindruckt.
"Ihr wollt nicht, dass es bekannt wird, dass wir nun eine Waffe gegen euch besitzen, weder in unserem Reich, noch in eurem... und es würde bekannt werden, wenn es einen Prozess geben würde. Daher wünscht Ihr auch keine Wiederbelebung." Sie lachte wieder und sah über das schwarze Meer hinweg:
"Obwohl zu den "Sternen zurückkehren", wirklich sehr poetisch klingt."
"Ich bitte um etwas Respekt unserer Kultur und unserem Glauben gegenüber." Auch wenn dies eine Aufforderung war, so klang Luzifers Stimme immer noch recht hölzern, als ob es ihn nichts anginge.
"Doch Ihr habt recht. Wir wünschen in der Tat keine Bekanntmachung des Unfalls. Wenn Eure Worte aufrichtig sind und Ihr ebenfalls keinen Disput wünscht, dann gehe ich davon aus, dass dies auch nicht in Eurem Interesse ist."
"Durchaus nicht. Ich kann Euch versichern, dass das Wissen um die wahre Kraft des Lichts auch unter uns geblieben ist. Nicht einmal die anderen Götter sind in Kenntnis gesetzt." Sie ließen nun langsam den Sand hinter sich und gingen durch das hohe Schilf, wo Luzifer wieder mit den Fingern über die Spitzen des Grases und der Gerste strich und Green bemerkte auch, dass er darauf achtete, keine einzige der lilanen Blumen umzuknicken, die wie lilane Pusteblumen aussahen.
"Ich will ehrlich mit Euch sein und Euch mitteilen, dass Acht an der Zahl von dem heutigen Unglück wissen." Seine Finger berührten wieder jeden einzelnen Samen, an welchem sie vorbeistrichen.
"Eure Brüder, nehme ich an?"
"Exakt. Die heute Verstorbene war ohne Familie."
"Welch unverschämtes Glück", kicherte Yami, aber nichts in Luzifers Gesicht sah danach aus, als würde er sich diesem Lachen irgendwie anschließen wollen. Im Gegenteil, er sah plötzlich recht melancholisch aus. Ob Yami es ebenfalls bemerkte? Sie wechselte jedenfalls sehr abrupt das Thema:
"An Euch ist ja das Element der Natur verlorengegangen!" Ouu, autsch. Da hatte Yami aber unbeabsichtigt - es war doch unbeabsichtigt? - genau das gesagt, was wehtat. Aber Luzifers Bewegungen und auch sein hübsches Gesicht erstarrten nur kurz. Er fasste sich sehr schnell, aber er zog dennoch seine Finger zu sich, als hätte die Blüten und die Samen ihn plötzlich dazu aufgefordert. Er sah sie kurz skeptisch an und es war sehr deutlich, dass ihm dieser Themenwechsel nicht gefiel, aber er antwortete dennoch:
"Ohne Euch erzürnen und beleidigen zu wollen, so denke ich eher, dass das Element der Dunkelheit passend zu einem Wesen wir mir wäre."
"Weil Ihr sooo verschlossen und trübsinnig seid?" Luzifer antwortete nicht. Er sah auch wieder geradeaus, sehr deutlich machend, dass er über dieses Thema nicht sprechen wollte. Allgemein war es deutlich, dass Luzifer sich nicht selbst zum Thema machen wollte, aber Yami achtete nicht darauf und fuhr ungehindert fort, die Arme auf den Rücken legend.
"Die Dunkelheit ist aber nicht so dunkel und düster wie Ihr."
"Das erscheint mir ein Widerspruch zu sein."
"Natürlich denkt Ihr so. Ihr versteht wie so viele nicht, dass die Dunkelheit hell ist und das Licht dunkel." Er stutzte und sah sie auch mit einer leichten Wölbung seiner Augenbrauen an.
"Das verstehe ich in der Tat nicht."
"Das müsst Ihr auch nicht. Das ist das Geheimnis von mir und meiner Schwester." Sie lächelte ihn vielsagend, geheimnisvoll und neckend an, ehe sie sich abwandte und hinaus über das Wasser sah, zurück zu dem kleinen Licht, welches in der Dunkelheit flackerte.
"Ich werde mich nun auch zu ihr zurückbegeben. Meine Schwester braucht mich an ihrer Seite. Ich hoffe, sie wird bald aufhören zu weinen." Luzifer antwortete nicht, aber er war ihrem Blick gefolgt. Als Yami keine Antwort erhielt, wollte sie sich schon von ihm verabschieden, aber Luzifer sprach seine verborgenen Worte doch noch aus.
"Für ihr gebrochenes Herz möchte ich mich gerne entschuldigen." Die schwarzen Haare der Göttin wirbelten um sie herum, als sie Luzifer verwundert ansah.
"Was habt Ihr mit dem Herz meiner Schwester zu tun? Es war ihre Schuld, dass sie so dumm war und sich in so einen Idioten verliebt hat - und glaubt nicht, dass ich mich dafür entschuldige, dass ich Euren Gebieter eben einen Idioten genannt habe." Da - da glaubte Green kurz ein leichtes Schmunzeln auf Luzifers Gesicht zu sehen.
"Das müsst Ihr auch nicht. Er ist ein Idiot." Einige Schritte begleitete Luzifer Yami noch zurück, doch er ging nicht noch einmal zu Hikari und Light. Er nickte Light von Weitem zu, welcher sie beobachte, sobald sie sich ihnen wieder genähert hatten und reichte dann Yami freundschaftlich die Hand, die die Hand mit einem starken Händedruck nahm.
"Wir werden nun also Tränen trocknen und in unsere jeweiligen Hauptstädte zurückkehren und so tun, als wäre niemals etwas geschehen?"
"Wenn Ihr es versucht, dann werden wir es ebenfalls tun. Auf dass unser Frieden..." Sehr abrupt, viel, viel zu abrupt für Greens Geschmack, wurden die Farben weggewischt, als hätte sie ein Tornado erfasst.
"Light?!", rief Green überrascht:
"Was tust du?! War die Erinnerung schon vorbei?" Aber niemand antwortete ihr.
"Light!"
Greens Schrei wurde von dem Strom verschluckt, der alle Farben mit sich riss und hätte Green einen Körper gehabt, sie hätte versucht sich irgendwo festzuhalten. Was geschah hier?! War das normal, sollte das so sein, war das Lights Werk? Sie wollte noch einmal seinen Namen schreien, darum bitten, dass er aufhörte, denn es tat weh, ja, es tat weh, als würde etwas aus ihrem tiefsten Inneren herausgerissen werden, herausgeschnitten, mit Gewalt, aus ihrer Seele, aus dem tiefsten Kern ihrer Seele...
Und dann war plötzlich alles ruhig.
Das Bild war wieder klar, aber Green war so verwirrt, dass sie zunächst nicht erkennen konnte, was sie sah. Es war heller als zuvor... der Morgen graute. Der Himmel war in hellen Pastellfarben gefärbt, klar, aber ohne Sterne. Sie war auf einem Feld... einem Feld mit vereinzelten hohen Bäumen, die in Gruppen standen und deren Stämme kahl waren: nur ihre Spitzen waren voll mit üppigem Blätterwerk. Hohes, grünes Gras, mit Raureif bedeckt und... Luzifers Hand, die wieder über das Gras glitt. War das... derselbe Abend, beziehungsweise der darauffolgende Morgen? Er trug jedenfalls dieselbe Kleidung, aber etwas... irgendetwas war komisch... Greens Innerstes zog sich zusammen und sie fürchtete etwas...
Nein, sie brauchte sich nicht mehr zu fürchten.
Ab heute würde sie sich nie wieder fürchten.
Luzifer hielt abrupt inne, als er Hikaru am Ende des Weges unter den Bäumen sah. Sie stand da einfach nur. Gute acht Meter von ihm entfernt und sah ihn an. Genau wie einige Stunden zuvor zog Luzifer seine Finger vom Gras zurück und noch während er dies tat, begann er zu sprechen, obwohl er natürlich wusste, dass Hikaru ihm nicht antworten konnte:
"Ich grüße Euch, Hikaru-san. Ich habe Euch vermisst, als ich mit Eurer Mutter und Eurem Bruder gesprochen habe. Sie vermissen Euch." Es folgte natürlich keine Antwort. Nicht einmal ein Nicken. Sie sah ihn einfach nur an mit ihren großen, weißen Augen. Sah ihn an, ohne zu blinzeln. Aber Luzifer ließ sich nicht von seinen Worten abbringen, obwohl er schlucken musste.
"Ich gehe davon aus, dass Eure Familienmitglieder es Euch berichten werden, doch ich möchte dennoch auch Euch deutlich mitteilen, dass wir keinerlei Disput wünschen. Das, was heute geschehen ist, betrachten wir als einen Unfall, in Übereinstimmung mit dem Wunsch Eurer Mutter und der Schwester Eurer Mutter. Ich gehe davon aus, dass dies auch in Eurem Interesse ist?" Er erwartete wohl ein Nicken. Aber es kam keines.
Stattdessen streckte die kleine Hikari mit einem schmalen Lächeln die Hand aus.
Und ein gleißendes Licht erhellte das Feld.
Firey hatte Schlaftabletten nehmen müssen, um schlafen zu können, aber traumlos war ihr Schlaf dennoch nicht, obwohl sie wie eine Tote im Bett lag und sehr ruhig atmete. Das Gesicht Silvers vermischte sich mit den Schreien des Kampfes, mit Yuukis Worten, mit seinen und Ignes’ leuchtenden Augen. Fail erzählte ihr wieder von den Tränen der Hikari, Green davon, dass sie es tun musste - die Weihe war wichtig, nur so würde sie die letzten beschützen können, die sie liebte. Nicht noch jemand sollte sterben so wie Grey... so wie Grey... und Silver beharrte wieder darauf, dass Blue ihn nicht getötet hatte. Firey wollte ihm das glauben: sie wollte auf seiner Seite sein... aber sie war doch auf der Seite der Wächter, die auf das Schlachtfeld gehörten, Dämonen töten mussten und sie hatte versagt, versagt... Sie hatte viel zu sehr an Silver... Siberu... gedacht... viel zu sehr... nein, sie konnte ihren Bogen so oder so nicht spannen, den Bogen, den sie von Hirey geerbt hatte und dem sie keine Ehre machen konnte... Das Wasser... das Wasser aus dem Turm... Greens Tränen...
Sie konnte es nicht trinken.
"Aber Ihr müsst."
Firey öffnete die Augen und die Worte wiederholten sich. Sie konnte nichts sehen; alles war verschwommen... Trinken... sie musste trinken... nein, sie wollte nicht, aber das Glas wurde ihr bereits zu den Lippen geführt. Wer war es? Wem gehörte die Hand?
"Die Weihe muss vollzogen werden." Es war dunkel... immer noch Nacht... aber da war etwas Helles... jemand beugte sich über sie... etwas Goldenes leuchtete in der Dunkelheit. Ah... goldene Haare... die Person, die das Glas zu ihren Lippen führte, hatte goldene Haare.
Als das weiße Wasser ihre Lippen berührte, war Firey mit einem Mal hellwach und erschrocken fuhr sie zurück und schlug das Glas aus der Hand eines---- Tempelwächters?! Sie hatte den Tempelwächter noch nie zuvor gesehen, aber das war ihr auch gerade vollkommen egal, denn dieser hatte wieder ein Glas in der Hand, welches bis zum Rand mit der weißen Flüssigkeit gefüllt war.
"Ihr müsst es trinken, Hii-sama." Firey schüttelte erschrocken den Kopf, zurückweichend, doch das ließ der Tempelwächter nicht zu - mit Kraft und Schnelligkeit packte er Fireys Hand und drückte sie ohne Rücksicht auf Verluste mit seinem Knie ins Bett herunter, ihr das Glas wieder hinhaltend.
"Ihr müsst dem Licht und dem Wächtertum dienen." Seine Stimme klang unwirklich und unecht, doch das Wasser, was er ihr reichte, war mehr als echt - es schwabbte über den Rand des Glases und tropfte auf Fireys Hals herunter, welcher wieder höllisch zu schmerzen begann. Firey biss sich auf die Lippen, um nicht zu schreien, versuchte wegzukommen, doch die Schmerzen wurden größer und---- sie konnte doch keinen Mitwächter verletzen?!
"Trinkt!"
Aber jemand anderes hatte davor keine Skrupel.
Es geschah so schnell, dass Firey gar nicht mitfolgen konnte. Auf einmal wurde der Tempelwächter weggeschleudert - an die Wand links von ihrem Bett, wo er eine Vase zu Boden riss und die Blumen sich auf dem Boden verteilten. Aber Firey sah weder die Blumen, noch den Tempelwächter an.
Sondern Silver, der auf ihrem Bett stand.
"Die Tempelwächter sind ja noch komischer geworden, als ich sie in Erinnerung hatte!"
"Die beiden waren ein Paar?" Green hörte ihre eigene, ungläubige Stimme widerhallen an Wänden, die es nicht gab.
"Luzifer und der namenlose Dämonenherrscher... sie liebten sich?"
"Ich wage nicht zu beurteilen, ob sie zu diesem Zeitpunkt noch von einem Band der Liebe verbunden waren, aber... es gab in der Tat niemanden, der so sehr von dem Dämonenherrscher geliebt wurde, wie Luzifer."
Bäume wuchsen aus dem Nichts empor, schossen in die Höhe und Blätter wehten im Wind, wie die flatternden Kleider und Umhänge der beiden Schatten, die sich unter dem roten Baum trafen und sich im Schatten des Blätterwerkes anlächelten. Luzifer, weniger ernst, mit errötenden Wangen und wunderschönen, strahlenden Augen, als wären sie selbst zu Sternen geworden, sommerlich gekleidet, mit Blumen und kleinen Juwelen im Haar und violetten Bändern um die schmalen Handgelenke herum. So schön, dass es unwirklich erschien, aber nicht unnahbar, sondern warm und funkelnd, als würde man einen Stern in den Händen halten. Green hielt mit klopfendem Herzen die Luft an, als der andere Schatten die Hände des Morgensterns nahm und sie auf seine Brust legte.
"Hörst du das?" Green war beinahe überrascht sie sprechen zu hören. Diese Augen schienen eine ganz eigene Sprache zu sprechen, für die das Öffnen des Mundes gar nicht notwendig war.
"Euer Herzschlag, mein Gebieter."
"Nenne mich nicht so, denn über dich gebiete ich nicht." Er lachte so heiter und leicht.
"Wenn hier einer gebietet, dann du über mich. Du hörst es, spürst es..." Der namenlose Dämonenherrscher legte auch noch seine zweite Hand über Luzifers.
"Ich habe mein Herz noch nie schlagen gehört. Es scheint nur zu existieren und zu schlagen, wenn ich in deiner Nähe bin, mein Luzifer... mein Morgenstern." Green war zwar ohne Körper, aber dieses Bild schnürte ihr dennoch die Kehle zu, als der Gebieter mit der Rückseite seiner Finger über das glatte Gesicht Luzifers strich und seine Wange mit Sanftheit ehrerbietig liebkoste und ihm flüsternd antwortete:
"In diesen Herzen gibt es nur dich." Die Hände verbanden sich und Luzifer ließ sich nach vorne fallen, mit der linken Hand auf der Brust seines Gebieters.
"Es gibt nur uns." Luzifer war auch in den anderen Erinnerungen ein Wesen von unglaublich makelloser Schönheit, aber in diesem Moment erblühte diese, wurde strahlender und noch schöner; in dem Moment, wo seine Augen aufleuchteten, sein Gesicht rosig wurde und sein Lächeln sein gesamtes Gesicht erwärmte. Doch es war nicht Luzifer, der Green den Atem raubte - es war der namenlose Dämonenherrscher. Das, was Green da in seinem Gesicht sah, war Liebe. Es war die purste Form der Liebe. Unbezwingbar, unbeirrbar, verblendend, warm und voller Glückseligkeit. Genau dieselbe, die Green in den Abgrund geworfen hatte...
Doch die Lippen der beiden Dämonen berührten sich nie, denn als Light die Stimme erhob, verwischte das Bild der Liebenden.
"Hikaru hätte ihn niemals töten dürfen."
Das goldene Gelb, das tiefe Rot und die warme Sonne verschwanden. Kleider und Blätter flatterten nicht mehr im sanften Wind, Augen voller Liebe schlossen sich und zurück blieb ein Blick voller Trauer. Die Sterne waren untergegangen und die goldenen Augen waren stumpf geworden wie eine tiefe, dunkle Nacht ohne Sterne, ohne jegliches Licht. Kein Morgen würde jemals wieder in diesen Augen grauen.
Was war passiert?
Die Erinnerungen waren nun verwischter und Green konnte nichts weiter als Schatten sehen. Zerbrochene Gesichter, leidende Augen. Luzifer riss sich von seinem geliebten Gebieter los--- Figuren sind wir! Dein Spielzeug! --- Worte, die nicht trösten konnten, Worte, die ungesagt blieben, Worte, die niemals hätten gesagt werden dürfen --- Ich kann dir kein Element geben, Luzifer, selbst wenn ich es wollen würde! Ich habe dich perfekt gemacht, was willst du eigentlich mehr?! --- Schmerzen, so viele Schmerzen im Herzen, welches doch eigentlich so einfach glücklich zu machen war --- Sind die Gefühle, die ich in mir spüre, überhaupt meine eigenen oder hast du sie mir eingepflanzt?! ---
Er wollte doch nur sein Lächeln sehen. Etwas anderes wollte er doch gar nicht. Warum war denn das schon zu viel verlangt?
Warum kannst du nicht mehr für mich lächeln, mein Morgenstern...?
Warum kann ich dich nicht trösten... warum kann ich dir deine Traurigkeit nicht nehmen?
Warum kann ich dir nicht helfen?
Aber auch wenn die Augen des Morgensterns voller Gram waren, sie waren immer noch entschlossen und plötzlich waren sie wieder zurück, am gleichen Tag, am gleichen stürmischen Abend - dem Abend, an dem die Dämonin gestorben war. Der Dämonenherrscher stand immer noch auf dem Balkon, wo er sich mit einer Hand abstützen musste. Er überlegte, ob er Luzifer hinterhergehen sollte, aber wie oft hatte er das nicht schon getan. Er richtete Unheil an; er sollte lieber in Lerenien-Sei bleiben - denn ja, natürlich wusste er genau, was Luzifer vorhatte, wohin ihn seine eiligen Schritte führten.
Er eilte Treppen empor und durchquerte viele Gänge, ehe er sich plötzlich von einem Balkon aus in die Höhe schoss, wie ein Vogel, der alles hinter sich lassen wollte; die Welt, dessen Wesen, selbst die Wolken. Seine Kleider und seine Hörner wurden nass, als er durch die schwarzen Wolken brach, doch er ließ sich nicht aufhalten. Sein Blick war in die Höhe gerichtet, auf ein Ziel, welches nur er sah. Er war so schnell, dass Green schwindelig wurde beim Zugucken, aber gerade als sie sich beschweren wollte, hielt Luzifer inne und auch Greens Drang sich zu beschweren verschwand, als sie ein wohlbekanntes, aber immer wieder schönes Bild erblickte.
Die Welt über den Wolken.
Der weite, endlose Himmel. Das dunkle Blau und die Sterne, die zu funkeln begonnen hatten. Dort, wo die Wolkendecke aufhörte, war noch ein schwaches Gelb und ein zartes Rosa zu sehen; die letzten Überbleibsel der untergegangen Sonne. Luzifers feuchte Hörner leuchteten golden hervor auf dieser wunderschönen Leinwand und Green war sich plötzlich nicht sicher, ob er nicht weinte.
"Warum willst du diese Welt verlassen..." Doch, er weinte, aber er war unglaublich gefasst, als wären das gar nicht seine Tränen, die aus seinen goldenen Augen perlten, die auf den Himmel gerichtet waren.
"... diese wunderschöne Welt mit ihrem farbenreichen Himmel... Oh, warum nur..." Luzifer legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf, wo der Himmel am dunkelsten war.
"... dürfen wir hier nicht Zuhause sein?"
"Firey, geht es dir gut?" Die ehrliche Antwort lautete: nein, es ging ihr nicht gut. Es war ihr alles zu viel. Sie konnte es nicht mehr koordinieren. Die Weihe. Die Mitwächter, die alle komisch waren. Siberu. Der Krieg. Sie wollte über Siberu und seine Worte, sein Grinsen und seine traurigen Augen nachdenken und alles, woran sie denken konnte, war Zerstörung, Tote. Blut. Leichen von Wächtern. Funken von Dämonen. Ihr gesamter Körper zitterte so heftig, dass sie Yuukis Hände auf ihrer Schulter und auf ihrem gekrümmten Rücken gar nicht spüren konnte.
Es war vorbei. Sie war zurück im Tempel. Es war warm und hell und sie war in Sicherheit. Aber sie konnte das Gesehene nicht von sich abschütteln. Yuuki hatte sie zurückgebracht, oh wie peinlich war es nicht gewesen. Azuma war noch in Henel, genau dort wo auch Fireys Gedanken noch waren. Rauch, überall Rauch, überall Schreie. Auch jetzt noch schrien sie in ihren Ohren. Ihr war doch beigebracht worden, sich zu konzentrieren, auch wenn alles um sie herum brannte, aber sie hatte ihren Bogen nicht spannen können. Ihre Hände hatten gezittert, gezittert vor Angst. Ja, sie hatte Angst. Sie hatte Angst von einer der vielen Attacken getroffen zu werden. Sie hatte Angst zu sterben. Ruhige Stimmen waren in ihrem Ohr gewesen. Sie hatten ihr gesagt, wo sie hingehen sollte, was ihr Befehl war. Unterstützen. Sie hatte ihre Mitwächter unterstützen sollen.
"Sind... sind viele gestorben..." Wegen mir?
"Das weiß ich nicht, Firey." Yuukis Hand strich ihr über den Rücken und auch wenn Firey selbst zitterte, so spürte sie, dass er es ebenfalls tat.
"Habe ich... überhaupt jemanden getroffen? Habe ich... einen Dämon..." Sie konnte das Wort nicht aussprechen. Aber warum fragte sie denn das überhaupt? Sie wusste nicht einmal, ob sie einen Pfeil abgeschossen hatte. Alles war so verschwommen, so unwirklich, so schrecklich. Warum hatte sie London und die Westminster Abbey überhaupt verlassen? Sie hätte dort bleiben sollen. Das Treffen dort... das Treffen mit Siberu... es kam ihr vor wie ein Traum. Wie gerne wäre sie nicht in diesem Traum geblieben...
"Nicht direkt... aber weil einer deiner Pfeile einen Dämon gestreift hat, konnte einer von uns gerettet werden."
"Das ist... gut... das ist schön..." Firey nahm das Glas Wasser entgegen, welches Yuuki ihr gereicht hatte, aber sie trank nicht davon. Sie zitterte zu sehr, um das Glas anzuheben. Doch ihr Zimmer nahm langsam wieder Konturen an. Langsam, viel zu langsam verstand sie, dass sie außer Gefahr war, dass sie gerade gekämpft hatte und dass die Schlacht vorbei war. Das, was sie so sehr zum Zittern brachte, war nicht nur die Todesangst, sondern auch das Adrenalin, welches mit einem Zittern aus ihrem Körper verebbte.
"Du solltest etwas trinken und dich ausruhen, Firey." Firey erhob das Glas, aber als Yuuki hinzufügte, dass sie heute genug Dämonen getötet hatten, senkte sie es wieder. Sie hatten genug Dämonen getötet... und sie hatte sich mit einem getroffen. Sie sah Yuuki an, der neben ihr auf ihrem Bett saß, sah in seine braunen Augen, die sie besorgt musterten... und fühlte eine leichte Beunruhigung. Eine Verwunderung, die sie nicht platzieren konnte.
"Du warst auf dem Schlachtfeld...? Du warst die gesamte Zeit dort?" Ein wenig schämte sie sich für die Frage und sie sah auf das Glas mit der hellen, leicht milchigen Flüssigkeit, von der sie immer noch nicht getrunken hatte.
"Natürlich war ich das. Ich war dort, wo wir Wächter hingehören." Firey starrte immer noch auf das Wasser, aber eine Augenbraue wölbte sich leicht. Das war Yuuki, der da mit ihr sprach. Es war seine Stimme, es war seine Hand auf ihrem Rücken. Warum hatte sie gleichzeitig das Gefühl, dass er es nicht war?
"Danke, Yuuki. Danke für deine Hilfe." Sie lächelte ihn an:
"Ich werde mich nun hinlegen. Ein wenig Ruhe wird mit guttun."
"Du solltest vielleicht vorher eine Dusche nehmen." Nur damit sie wieder von dem Wasser verbrannt werden konnte? Nein, danke. Katzenwäsche musste genügen... aber das sagte sie Yuuki nicht, von welchem sie sich verabschiedete, als sie ihn zur Tür brachte, obwohl diese nur fünf Meter von ihr entfernt war. Aber er ging nicht, nachdem sie sich verabschiedet hatten - er sah sie streng, aber auch besorgt an.
"Vergiss nicht etwas zu trinken. Das ist wichtig."
"Das werde ich schon nicht", versicherte Firey ihm, doch die Wahrheit sah anders aus. In Wahrheit nahm sie das Glas und leerte das Wasser in einem Blumentopf, um stattdessen von dem Wasser zu trinken, welches Azuma ihr gegeben hatte. Jetzt, wo sie Yuuki gesehen und gehört hatte, wie absolut wenig er Yuuki ähnelte, war sie sich immer sicherer, dass sie dieses Wasser unter gar keinen Umständen trinken wollte.
Luzifer hatte ein Ziel und wie ein Komet schoss er leuchtend unter dem nächtlichen Himmel Richtung Aeterniya. Er weinte nun nicht mehr; seine Augen waren fest nach vorne gerichtet. Seine einzigen Begleiter waren der helle Mond und die funkelnden Sterne, die hier oben über den Wolken leuchteten, da er noch nicht zur Landung angesetzt hatte. Das Gold seiner Hörner leuchtete im Mondlicht, welches auch seine langen Wimpern betonte und seinem zierlichen Körper einen unheimlichen Glanz verliehen, als wäre er eine Sternschnuppe. Seine wallende Kleidung flatterte im Wind, ebenso wie seine Locken es taten, die aussahen wie fliegender Lavendel. Light erklärte Green nicht, wohin Luzifer auf dem Weg war oder warum sie dies hier sahen, aber sie fragte auch nicht. Sie folgte dem fliegenden Dämon gespannt und mit zusammengezogenem Herzen, als spüre sie das seine.
Gute zwei Stunden dauerte der Flug, doch Aeterniya war gar nicht sein Ziel:Aals Luzifer durch die Wolken hindurchbrach, sah Green, wie sich ein weites Meer unter ihm auftat und sie glaubte eigentlich nicht, dass Aeterniya an ein Meer angrenzte... Der Mond und die Sterne verschwanden, blieben oberhalb der dichten Wolkendecke, die für das Licht undurchdringlich war und machten Platz für die kleinen funkelnden Lichter einiger Behausungen, die sich um den Strand herum tummelten. Stege führten hinaus auf das Meer, dessen sachte Wellen über einen hellen Strand spülten.
"Wo sind wir?", fragte Green, während Luzifer sachte, ja, vorsichtig am Ufer abseits der Besiedlungen landete, ohne ein einziges der Gräser und Gersten herunterzuknicken. Seine Finger suchten sofort, wie Green erstaunt sah, die Spitzen der Gersten, als suche er Halt an dessen kleinen Samen. Sanft berührte er sie, ließ die einzelnen Samenkerne zwischen den Fingern gleiten und verwirrte Green sehr mit dieser Tat. Was tat er denn da? Aber Light beantwortete ihre Frage ganz unberührt:
"Wir sind in Cilaceleste, einem Ort, wohin meine Mutter sich zurückgezogen hat."
Green konnte Light nicht sehen, aber ihr war dennoch, als deutete er auf etwas - auf einen Steg, der hinaus auf das Wasser führte, hinaus zu einem weißen Pavillon am Ende des Stegs, welchen Luzifer nun auch betrat. Als wäre er auf dem Weg zu einem Kongresssaal, schritt er mit schnellen, festen Schritten über den hölzernen Steg, der von den Wellen umarmt wurde. Ein leises Gluckern erfüllte die Stille, ebenso wie ein sachtes Rauschen der Wellen. Es war recht kühl, aber der Wind war hier nicht allzu kräftig. Es war Luzifers eigener, zügiger Schritt, der seine Haare emporhob, ehe er abrupt vor dem erleuchteten Pavillon zum Stillstand kam.
Der Pavillon war zu allen Seiten hin offen; es gab weder eine Tür noch Glasscheiben, nur ein paar Stufen, die zu dem Zufluchtsort hinaufführten, wo sich Hikari, Light und Yami befanden. Als Green die drei erblickte - Yami ihre Schwester im Arm haltend, Light nah bei einer der Säulen stehend, mit der Hand auf dieser - verstand sie erst, dass Hikari selbst die Lichtquelle war, die den Pavillon erhellte. Sie strahlte von sich aus, ihre Aura war es, die die Nacht um sie herum erhellte und was die Wellen glänzen ließ, die ihren Weg um den Pavillon herum fanden.
"Vergebt meinen unangekündigten Besuch." Luzifer verbeugte sich nicht, aber er senkte kurz den Kopf, dabei war es nur Light, der sich zu ihm herumgedreht hatte; die beiden Schwestern sahen eng verschlungen auf das dunkle Wasser hinaus, aber davon ließ Luzifer sich nicht beirren. Er sprach weiter:
"Ich bin hier in meiner Funktion als Diplomat." Light runzelte die Stirn, aber es war Yami, die ihre Stimme erhob - eine wütende, zischende Stimme.
"Wir benötigen Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten." Doch der Tonfall der Stimme und die Tatsache, dass der Teufel immer noch nicht angesehen wurde, schreckte ihn nach wie vor nicht ab:
"Und wir benötigen Antworten." Green vernahm ein abfälliges Geräusch, welches sie nur zu gut von Silence kannte, aber es war Hikari, die plötzlich herumwirbelte und dann ganz plötzlich auf die Beine emporsprang, um mit einem Satz vor Luzifer zu stehen, dem sie ihre zusammengeballten Hände mit verzweifelter Inbrunst an die Brust warf.
"Ich kann der Dämonin das Leben zurückgeben, welches ich ihr genommen habe!", rief sie eindringlich, mit einer starken Verzweiflung, die ihre kleine Stimme schier zerriss. Ihr Gesicht war tränennass; die Niedergeschlagenheit hatte ihr gesamtes Äußeres gezeichnet. Es sah aus, als wäre sie in den letzten Stunden gealtert: von dem jungen, naiven Mädchen war nichts mehr übrig. Sie sah aus wie ein zerbrochener, toter Geist.
"Ich kann es ungeschehen machen! Dieses schreckliche Unglück!" Yami richtete sich auf, aber es war Light, der seine Hände auf Hikaris Schultern legte und sie wegzuziehen versuchte, doch Hikari hatte sich an der Uniform des Teufels festgekrallt, der sie mit einer steinernen Miene betrachtete.
"Lass es mich ungeschehen machen!" Wieder konnte Green sich der Ironie nicht entziehen, die ihr diese Szene bereitete; die Lichtgöttin, die so verzweifelt war über den Tod einer namenlosen Dämonin...
"Mutter..." Hikari hörte ihren Sohn nicht. Flehend und mit Tränen, die das gesamte Gesicht verschmierten, starrte sie in die goldenen Augen Luzifers, der sie schweigend musterte, ehe er ihre Finger, einer nach dem anderen von seiner Brust löste.
"Das ist ein großzügiges Angebot, welches wir jedoch ablehnen, da es im Widerspruch mit unserer Überzeugung und Lebensweise steht. Was tot ist, soll zu den Sternen zurückkehren und dort ruhen", antwortete er mit seiner ruhigen, melodischen Stimme, als wäre es ein Lied.
"Leider befürchte ich auch, dass die Tat nicht ungeschehen gemacht werden kann." Hikari starrte ihn entsetzt an und ihre weißen Augen ließen auch nicht von ihm ab, als Luzifer einen Schritt rückwärtsging, als wolle er einen Sicherheitsabstand zu Hikari, um zu verhindern, dass sie sich ihm ein weiteres Mal an die Brust warf.
"Was habt ihr vor?" Yami nahm Light Hikari aus den Händen und schloss das zitternde Elend in ihre Arme, wobei jede Bewegung von Luzifer beobachtet wurde.
"Die Frage ist nicht, was wir gedenken zu tun..." Seine schmale Iris glitt vom einen zum anderen.
"Sondern ihr."
"Wir?", hickste Hikari, Luzifer immer noch flehentlich ansehend, als erwartete sie ein Wunder von ihm, aber er antwortete nicht sofort. Er schwieg, einen nach dem anderen musternd.
"Wo ist Hikaru-san? Wie ich bereits gesagt habe, ich bin hier in meiner Funktion als Diplomat. Ich wünsche daher auch mit ihr zu sprechen." Ein beklemmendes Schweigen breitete sich im Pavillon aus, nur unterbrochen von dem Gesang des Wassers und dem Schluchzen der Lichtgöttin. Luzifers glatte Stirn wölbte sich ein wenig und er legte den Kopf eine Ahnung schief, geduldig auf eine Antwort wartend, die Light ihm gab.
"Wir... wissen es nicht. Sie hat versucht, die Bindung zu uns zu kappen." Luzifers Augen weiteten sich, aber nicht so sehr, dass es sein ruhiges Gesicht zu sehr aufwühlte.
"Ist ihr das gelungen?" Light schüttelte den Kopf.
"Nein, aber die Bindung ist instabil..."
"Sie liebt mich nicht mehr!", rief Hikari in Yamis Armen zusammenbrechend:
"Sie liebt mich nicht mehr! Ihre eigene Mutter!"
"Shhh, alles gut, Hikari... Hikaru wird wieder zurückkehren..." Doch Yamis Worte zeigten keine Wirkung auf Hikari und auch Lights Hände, die er wieder auf ihre zitternden Schultern legte, damit auch er ihr Trost spenden konnte, obwohl er doch selbst Tränen in den Augen hatte, beruhigten die aufgelöste Göttin nicht, die an diesem Tag nicht nur ihren ersten Mord begangen, sondern auch ihre Tochter verloren hatte.
"Ich sehe, dass ihr in der Tat Bearbeitungsbedarf habt." Luzifer sah etwas peinlich berührt, aber immer noch ernst aus.
"Ich werde ein anderes Mal zurückkehren."
"Nein, das ist nicht nötig." Es war wieder Yami, die das Gespräch übernommen hatte, obwohl sie immer noch ihre weinende Schwester in den Armen hielt.
"Ihr habt den langen Weg auf Euch genommen und Ihr sollt nicht gehen, ohne Eure Antworten erhalten zu haben. Ihr werdet mit mir Vorlieb nehmen müssen." Luzifer und Yami sahen sich kurz in die Augen, ehe Luzifer sich verneigte.
"Das ist mir recht. Ich danke Euch für Euer Verständnis." Yami nickte und sah zu Light.
"Light, kümmere du dich um unser Licht." Das musste sie ihm natürlich eigentlich nicht sagen, denn natürlich würde er das tun.
"Ich bin gleich zurück, süßes Schwesterchen", sagte Yami und hauchte ihrem Licht einen Kuss auf die Stirn, ehe sie sich von Hikari löste, die ihr mit verweinten Augen hinterher sah.
"Verzeiht die Sentimentalität meiner Schwester", begann Yami ohne Umschweife, als sie bei Luzifer angekommen war, der am Ende des Stegs, am Land, auf sie gewartet hatte und anfing Richtung Osten zu gehen, sobald Yami bei ihm angelangt war.
"Da gibt es nichts, was ich verzeihen müsste. Ihre Gefühle sind ehrlich. Ich verurteile sie nicht für diese. In der Tat wünschte ich, dass..." Luzifer unterbrach sich mitten im Satz, plötzlich zerknirscht aussehend und jäh mehr Emotionen offenbarend als zu einem anderen Zeitpunkt.
"Ihr verlangtet Antworten." Yami hatte ihm wohl angesehen, dass er seinen Satz nicht zu einem Ende führen würde und führte das Gespräch zum eigentlichen Thema.
"Ich kann mir vorstellen, auf welche Fragen Ihr Antworten wünscht."
"Eigentlich gibt es nur eine wahre Frage." Das schwarze Wasser umspielte ihre nackten Füße, doch keinen der beiden störte die Kälte der Wellen, die kleine Steinchen an Land schob, um sie dann wieder zurückzuziehen.
"Die Frage, wozu wir das heute erlangte Wissen benutzen werden." Yami und Luzifer sahen sich an, beide hohe und sehr elegante, sehr schöne Wesen, in welchen man wirklich Youma und Silence erkennen konnte, auch wenn keiner von ihnen Luzifers Locken oder seine Hörner geerbt hatte.
"Ich kann Euch versichern..." Yami wandte sich wieder ab und ging weiter.
"... dass wir keinerlei Disput wünschen. Es war ein sehr bedauerlicher Unfall und wenn ihr einen Prozess wünscht, so wird sich Hikari dem nicht entziehen."
"Wir erheben keinerlei Anklage."
"Wie erfreulich und großzügig von Euch." Yamis Stimme war genauso diplomatisch und sachlich wie Luzifers und Green fragte sich auf einmal, ob die beiden vorher schon oft miteinander gesprochen hatten... auch wenn Green dort deutlich die Eltern der Zwillinge erkennen konnte... ein Liebespaar sah sie nicht. Sie sah zwei Diplomaten, Machthaber und Politiker.
Ein kleines Lachen, welches weder zu den ausgetauschten Worten noch zu dem ruhigen Wellengang passen wollte, ertönte, aber Green wusste sofort, wo es herstammte, denn es war dasselbe verstohlene, ruhige, schelmische Lachen, welches Silence ihr auch schon oft zugeworfen hatte und als Yami sich mit einem kurzen aufflackernden Lächeln Luzifer zuwandte, sah sie Silence so ähnlich, dass es Green ein wenig erschrak.
"Ihr seid wirklich ein guter Diplomat."
"Ich kann Euch nicht ganz folgen", erwiderte Luzifer trocken und gänzlich unbeeindruckt.
"Ihr wollt nicht, dass es bekannt wird, dass wir nun eine Waffe gegen euch besitzen, weder in unserem Reich, noch in eurem... und es würde bekannt werden, wenn es einen Prozess geben würde. Daher wünscht Ihr auch keine Wiederbelebung." Sie lachte wieder und sah über das schwarze Meer hinweg:
"Obwohl zu den "Sternen zurückkehren", wirklich sehr poetisch klingt."
"Ich bitte um etwas Respekt unserer Kultur und unserem Glauben gegenüber." Auch wenn dies eine Aufforderung war, so klang Luzifers Stimme immer noch recht hölzern, als ob es ihn nichts anginge.
"Doch Ihr habt recht. Wir wünschen in der Tat keine Bekanntmachung des Unfalls. Wenn Eure Worte aufrichtig sind und Ihr ebenfalls keinen Disput wünscht, dann gehe ich davon aus, dass dies auch nicht in Eurem Interesse ist."
"Durchaus nicht. Ich kann Euch versichern, dass das Wissen um die wahre Kraft des Lichts auch unter uns geblieben ist. Nicht einmal die anderen Götter sind in Kenntnis gesetzt." Sie ließen nun langsam den Sand hinter sich und gingen durch das hohe Schilf, wo Luzifer wieder mit den Fingern über die Spitzen des Grases und der Gerste strich und Green bemerkte auch, dass er darauf achtete, keine einzige der lilanen Blumen umzuknicken, die wie lilane Pusteblumen aussahen.
"Ich will ehrlich mit Euch sein und Euch mitteilen, dass Acht an der Zahl von dem heutigen Unglück wissen." Seine Finger berührten wieder jeden einzelnen Samen, an welchem sie vorbeistrichen.
"Eure Brüder, nehme ich an?"
"Exakt. Die heute Verstorbene war ohne Familie."
"Welch unverschämtes Glück", kicherte Yami, aber nichts in Luzifers Gesicht sah danach aus, als würde er sich diesem Lachen irgendwie anschließen wollen. Im Gegenteil, er sah plötzlich recht melancholisch aus. Ob Yami es ebenfalls bemerkte? Sie wechselte jedenfalls sehr abrupt das Thema:
"An Euch ist ja das Element der Natur verlorengegangen!" Ouu, autsch. Da hatte Yami aber unbeabsichtigt - es war doch unbeabsichtigt? - genau das gesagt, was wehtat. Aber Luzifers Bewegungen und auch sein hübsches Gesicht erstarrten nur kurz. Er fasste sich sehr schnell, aber er zog dennoch seine Finger zu sich, als hätte die Blüten und die Samen ihn plötzlich dazu aufgefordert. Er sah sie kurz skeptisch an und es war sehr deutlich, dass ihm dieser Themenwechsel nicht gefiel, aber er antwortete dennoch:
"Ohne Euch erzürnen und beleidigen zu wollen, so denke ich eher, dass das Element der Dunkelheit passend zu einem Wesen wir mir wäre."
"Weil Ihr sooo verschlossen und trübsinnig seid?" Luzifer antwortete nicht. Er sah auch wieder geradeaus, sehr deutlich machend, dass er über dieses Thema nicht sprechen wollte. Allgemein war es deutlich, dass Luzifer sich nicht selbst zum Thema machen wollte, aber Yami achtete nicht darauf und fuhr ungehindert fort, die Arme auf den Rücken legend.
"Die Dunkelheit ist aber nicht so dunkel und düster wie Ihr."
"Das erscheint mir ein Widerspruch zu sein."
"Natürlich denkt Ihr so. Ihr versteht wie so viele nicht, dass die Dunkelheit hell ist und das Licht dunkel." Er stutzte und sah sie auch mit einer leichten Wölbung seiner Augenbrauen an.
"Das verstehe ich in der Tat nicht."
"Das müsst Ihr auch nicht. Das ist das Geheimnis von mir und meiner Schwester." Sie lächelte ihn vielsagend, geheimnisvoll und neckend an, ehe sie sich abwandte und hinaus über das Wasser sah, zurück zu dem kleinen Licht, welches in der Dunkelheit flackerte.
"Ich werde mich nun auch zu ihr zurückbegeben. Meine Schwester braucht mich an ihrer Seite. Ich hoffe, sie wird bald aufhören zu weinen." Luzifer antwortete nicht, aber er war ihrem Blick gefolgt. Als Yami keine Antwort erhielt, wollte sie sich schon von ihm verabschieden, aber Luzifer sprach seine verborgenen Worte doch noch aus.
"Für ihr gebrochenes Herz möchte ich mich gerne entschuldigen." Die schwarzen Haare der Göttin wirbelten um sie herum, als sie Luzifer verwundert ansah.
"Was habt Ihr mit dem Herz meiner Schwester zu tun? Es war ihre Schuld, dass sie so dumm war und sich in so einen Idioten verliebt hat - und glaubt nicht, dass ich mich dafür entschuldige, dass ich Euren Gebieter eben einen Idioten genannt habe." Da - da glaubte Green kurz ein leichtes Schmunzeln auf Luzifers Gesicht zu sehen.
"Das müsst Ihr auch nicht. Er ist ein Idiot." Einige Schritte begleitete Luzifer Yami noch zurück, doch er ging nicht noch einmal zu Hikari und Light. Er nickte Light von Weitem zu, welcher sie beobachte, sobald sie sich ihnen wieder genähert hatten und reichte dann Yami freundschaftlich die Hand, die die Hand mit einem starken Händedruck nahm.
"Wir werden nun also Tränen trocknen und in unsere jeweiligen Hauptstädte zurückkehren und so tun, als wäre niemals etwas geschehen?"
"Wenn Ihr es versucht, dann werden wir es ebenfalls tun. Auf dass unser Frieden..." Sehr abrupt, viel, viel zu abrupt für Greens Geschmack, wurden die Farben weggewischt, als hätte sie ein Tornado erfasst.
"Light?!", rief Green überrascht:
"Was tust du?! War die Erinnerung schon vorbei?" Aber niemand antwortete ihr.
"Light!"
Greens Schrei wurde von dem Strom verschluckt, der alle Farben mit sich riss und hätte Green einen Körper gehabt, sie hätte versucht sich irgendwo festzuhalten. Was geschah hier?! War das normal, sollte das so sein, war das Lights Werk? Sie wollte noch einmal seinen Namen schreien, darum bitten, dass er aufhörte, denn es tat weh, ja, es tat weh, als würde etwas aus ihrem tiefsten Inneren herausgerissen werden, herausgeschnitten, mit Gewalt, aus ihrer Seele, aus dem tiefsten Kern ihrer Seele...
Und dann war plötzlich alles ruhig.
Das Bild war wieder klar, aber Green war so verwirrt, dass sie zunächst nicht erkennen konnte, was sie sah. Es war heller als zuvor... der Morgen graute. Der Himmel war in hellen Pastellfarben gefärbt, klar, aber ohne Sterne. Sie war auf einem Feld... einem Feld mit vereinzelten hohen Bäumen, die in Gruppen standen und deren Stämme kahl waren: nur ihre Spitzen waren voll mit üppigem Blätterwerk. Hohes, grünes Gras, mit Raureif bedeckt und... Luzifers Hand, die wieder über das Gras glitt. War das... derselbe Abend, beziehungsweise der darauffolgende Morgen? Er trug jedenfalls dieselbe Kleidung, aber etwas... irgendetwas war komisch... Greens Innerstes zog sich zusammen und sie fürchtete etwas...
Nein, sie brauchte sich nicht mehr zu fürchten.
Ab heute würde sie sich nie wieder fürchten.
Luzifer hielt abrupt inne, als er Hikaru am Ende des Weges unter den Bäumen sah. Sie stand da einfach nur. Gute acht Meter von ihm entfernt und sah ihn an. Genau wie einige Stunden zuvor zog Luzifer seine Finger vom Gras zurück und noch während er dies tat, begann er zu sprechen, obwohl er natürlich wusste, dass Hikaru ihm nicht antworten konnte:
"Ich grüße Euch, Hikaru-san. Ich habe Euch vermisst, als ich mit Eurer Mutter und Eurem Bruder gesprochen habe. Sie vermissen Euch." Es folgte natürlich keine Antwort. Nicht einmal ein Nicken. Sie sah ihn einfach nur an mit ihren großen, weißen Augen. Sah ihn an, ohne zu blinzeln. Aber Luzifer ließ sich nicht von seinen Worten abbringen, obwohl er schlucken musste.
"Ich gehe davon aus, dass Eure Familienmitglieder es Euch berichten werden, doch ich möchte dennoch auch Euch deutlich mitteilen, dass wir keinerlei Disput wünschen. Das, was heute geschehen ist, betrachten wir als einen Unfall, in Übereinstimmung mit dem Wunsch Eurer Mutter und der Schwester Eurer Mutter. Ich gehe davon aus, dass dies auch in Eurem Interesse ist?" Er erwartete wohl ein Nicken. Aber es kam keines.
Stattdessen streckte die kleine Hikari mit einem schmalen Lächeln die Hand aus.
Und ein gleißendes Licht erhellte das Feld.
Firey hatte Schlaftabletten nehmen müssen, um schlafen zu können, aber traumlos war ihr Schlaf dennoch nicht, obwohl sie wie eine Tote im Bett lag und sehr ruhig atmete. Das Gesicht Silvers vermischte sich mit den Schreien des Kampfes, mit Yuukis Worten, mit seinen und Ignes’ leuchtenden Augen. Fail erzählte ihr wieder von den Tränen der Hikari, Green davon, dass sie es tun musste - die Weihe war wichtig, nur so würde sie die letzten beschützen können, die sie liebte. Nicht noch jemand sollte sterben so wie Grey... so wie Grey... und Silver beharrte wieder darauf, dass Blue ihn nicht getötet hatte. Firey wollte ihm das glauben: sie wollte auf seiner Seite sein... aber sie war doch auf der Seite der Wächter, die auf das Schlachtfeld gehörten, Dämonen töten mussten und sie hatte versagt, versagt... Sie hatte viel zu sehr an Silver... Siberu... gedacht... viel zu sehr... nein, sie konnte ihren Bogen so oder so nicht spannen, den Bogen, den sie von Hirey geerbt hatte und dem sie keine Ehre machen konnte... Das Wasser... das Wasser aus dem Turm... Greens Tränen...
Sie konnte es nicht trinken.
"Aber Ihr müsst."
Firey öffnete die Augen und die Worte wiederholten sich. Sie konnte nichts sehen; alles war verschwommen... Trinken... sie musste trinken... nein, sie wollte nicht, aber das Glas wurde ihr bereits zu den Lippen geführt. Wer war es? Wem gehörte die Hand?
"Die Weihe muss vollzogen werden." Es war dunkel... immer noch Nacht... aber da war etwas Helles... jemand beugte sich über sie... etwas Goldenes leuchtete in der Dunkelheit. Ah... goldene Haare... die Person, die das Glas zu ihren Lippen führte, hatte goldene Haare.
Als das weiße Wasser ihre Lippen berührte, war Firey mit einem Mal hellwach und erschrocken fuhr sie zurück und schlug das Glas aus der Hand eines---- Tempelwächters?! Sie hatte den Tempelwächter noch nie zuvor gesehen, aber das war ihr auch gerade vollkommen egal, denn dieser hatte wieder ein Glas in der Hand, welches bis zum Rand mit der weißen Flüssigkeit gefüllt war.
"Ihr müsst es trinken, Hii-sama." Firey schüttelte erschrocken den Kopf, zurückweichend, doch das ließ der Tempelwächter nicht zu - mit Kraft und Schnelligkeit packte er Fireys Hand und drückte sie ohne Rücksicht auf Verluste mit seinem Knie ins Bett herunter, ihr das Glas wieder hinhaltend.
"Ihr müsst dem Licht und dem Wächtertum dienen." Seine Stimme klang unwirklich und unecht, doch das Wasser, was er ihr reichte, war mehr als echt - es schwabbte über den Rand des Glases und tropfte auf Fireys Hals herunter, welcher wieder höllisch zu schmerzen begann. Firey biss sich auf die Lippen, um nicht zu schreien, versuchte wegzukommen, doch die Schmerzen wurden größer und---- sie konnte doch keinen Mitwächter verletzen?!
"Trinkt!"
Aber jemand anderes hatte davor keine Skrupel.
Es geschah so schnell, dass Firey gar nicht mitfolgen konnte. Auf einmal wurde der Tempelwächter weggeschleudert - an die Wand links von ihrem Bett, wo er eine Vase zu Boden riss und die Blumen sich auf dem Boden verteilten. Aber Firey sah weder die Blumen, noch den Tempelwächter an.
Sondern Silver, der auf ihrem Bett stand.
"Die Tempelwächter sind ja noch komischer geworden, als ich sie in Erinnerung hatte!"