Kapitel 65 - Die Jagdfanfare
In dem Moment, in dem Nocturn zusammen mit Youma und Feullé in die große Festhalle trat, dachte wohl der Großteil der Fürsten dasselbe: irrten sich ihre Augen oder war es tatsächlich Nocturn, der da in der Tür stand? Einige von ihnen hatten gedacht, er sei tot; andere hatten ihn tot gewünscht, doch nicht daran geglaubt - Lerou konnte sich nicht an ihn erinnern und kramte gerade in seinem begrenzten Gehirn, wo er ihn denn schon mal gesehen hatte.
Nocturn amüsierte sich königlich über die vielen Gedanken, die ihm zuflogen, doch kommentierte sie nicht; er begnügte sich damit, breit zu grinsen, auch als einige begannen, sich über die Kombination von Youma und Nocturn zu wundern. Was hatte es mit dieser auf sich? Wer war der Fremde?
"Und wie ich sehe, sind zufällig auch noch zwei Plätze frei!", rief Nocturn erfreut und begann auch schon, auf die zwei leeren Plätze schräg gegenüber der beiden Halbdämonenbrüder zuzusteuern, die ihn mindestens ebenso ungläubig anstarrten wie die anderen Anwesenden.
"Ihr müsst euch keine Umstände machen, einen dritten Stuhl zu holen für meine Tochter - ich nehme sie einfach auf den Schoß." Keiner reagierte darauf und es hätte auch niemand irgendwelche Anstalten gemacht, einen dritten Stuhl heranzuholen für das kleine, zitternde Mädchen, das sich an Nocturns Hand klammerte und halb hinter ihm verborgen war.
Während Nocturn sich setzte und wie angekündigt die errötende Feullé auf seinen Schoß setzte, warfen sich die Fürsten einige vielsagende Blicke zu, die Nocturn zwar entgingen, Youma aber missvergnügt bemerkte, als er sich steif ebenfalls setzte, jedoch nicht im Sinn hatte, das Essen irgendwie anzurühren. Stattdessen ließ er einen unauffälligen Blick über die versammelten Mitglieder der Hohen schweifen: was für ein eigentümlich zusammengewürfelter Haufen Individuen - genauso zufällig zusammengewürfelt wie das Geschirr des Tisches! Unterschiedlicher könnten die Anwesenden wahrlich nicht aussehen; rechts neben ihm saß ein Dämon, der nur aus Gas zu bestehen schien und dessen Augen er nicht klar ausmachen konnte, weshalb er ihn nicht sonderlich lange ansah, während auf der anderen Seite des Tisches ein Dämon saß, der mehr einer übergroßen Kugel glich; links neben diesem eigenartigen Dämon war ein Fürst von kolossaler Größe mit einer monströsen linken Körperhälfte, den er ebenfalls nicht länger als nötig ansehen wollte, denn wenn er vorgehabt hätte, irgendetwas zu sich zu nehmen, dann hätte ihm dieser Dämon definitiv den Appetit verdorben. Dank seines eigenartigen Körpers war er nicht in der Lage, Messer und Gabel zu benutzen, weshalb das Essen um ihn herum eher Matsch glich. Schräg gegenüber von ihm erkannte Youma Lycram aus Teris Erzählungen, der ihn überaus feindlich anstarrte.
Ihm gefiel die gesamte Situation nicht und er teilte Nocturns gute Laune nicht, welcher die Situation wohl nach wie vor amüsant fand - Youma fand sie eher bedrohlich, viel eher mit einem Schlachtfeld zu vergleichen als mit einem Fest... Egal wie stark sie beide waren, so hatten sie keine Chance, wenn die Fürsten sie alle auf einmal angreifen würden. Darüber hinaus hatte Youma sowieso eher das Verlangen, Nocturn selbst anzugreifen, anstatt sich kämpfend an seine Seite zu stellen. Diese kindische Unüberlegtheit war ja nicht zum Aushalten!
Und wo war der eigentliche Gastgeber, Karou? Hatte er das Ganze doch nicht inszeniert, um ihn aus der Reserve zu locken? Was war der eigentliche Hintergrund von diesem Abendmahl?
Darüber schien sich Nocturn keinerlei Gedanken zu machen; fröhlich füllte er Speisen auf den Teller, allerdings nicht für sich selbst, sondern für Feullé - und beschwerte sich genau wie Lerou darüber, dass es keinen Kuchen mehr gab.
"Komplett meine Meinung! Das ist einfach zu schlecht." Kaum hatte der König dies gesagt und damit unbewusst das bedrohliche Eis zum Brechen gebracht, lehnte sich nun Chernobog vor und fragte misstrauisch:
"Wer hat dich eigentlich eingeladen? Ich dachte, das wäre ein Fest für die Hohen?" Youma kannte den Fürsten nicht und musterte ihn neugierig - wenigstens diesen Vorteil brachte dieses Theater; er sah nun endlich alle Fürsten. Der Dämon, der diese Frage gestellt hatte, sah jünger aus als die anderen und es schien Youma, als würde eine Aura der Unerfahrenheit ihn umgeben. Er musste sich sein Gesicht merken, damit er Nocturn später über ihn ausfragen konnte; ebenmäßig geschnittene, schwarze Haare, die ihm kurz über die Schulter fielen und die Hälfte seines Gesichtes und damit auch sein linkes Auge verbargen; das sichtbare, rote Auge musterte Nocturn und Youma allerdings schon skeptisch genug. Sein Aussehen war relativ unspektakulär, aber seine Aura machte Youma stutzig - er konnte jedoch nicht sagen, was genau es war, doch irgendetwas störte ihn.
"Ich habe, genau wie ihr, wie ich doch annehme, eine Einladung erhalten und bin dieser natürlich höflich nachgegangen", fuhr Nocturn unterdessen fort, während er Feullé fütterte, als wäre sie wirklich noch ein kleines Kind, welches nicht selbst in der Lage war, zu essen.
Auf Nocturns Antwort hin blickten einige umgehend zu Lerou, der die plötzliche Aufmerksamkeit verwirrt erwiderte. Blue allerdings interessierte es herzlich wenig, wer Nocturn eingeladen hatte. Eine gänzlich andere Frage beschäftigte ihn um einiges mehr: War das wirklich der Dämon, von dem ihr Vater so geschwärmt hatte und um den sich so viele Gerüchte rankten? Irgendwie konnte Blue sich dies nur schwer vorstellen, obwohl er eine ungewisse Nervosität in sich spürte, welche er nicht so ganz verstehen wollte.
Auch Silver schenkte der eigentlichen Debatte keinerlei Aufmerksamkeit: er hatte sich in Litauen also doch nicht geirrt, als er für einen kurzen Moment geglaubt hatte, Nocturn gesehen zu haben. Er hatte es Blue erzählen wollen, doch keine Gelegenheit dafür gefunden... aber was hatte Nocturn in Litauen zu suchen gehabt? War er es dann auch gewesen, der ihn zurück in die Dämonenwelt gebracht hatte? Warum sollte er?
Auch Lycram schien sich - auf jeden Fall momentan - nicht für die Frage zu interessieren, wer Nocturn eingeladen hatte: provokativ lehnte er sich in dem verschnörkelten Stuhl zurück und zischte, mit dem goldenen Messer auf Youma zeigend:
"Ach und du findest es auch besonders höflich, so einen Halbling mitzuschleppen? Nach Lerenien-Sei? Zu einem Fest der Hohen?!" Er warf einen verächtlichen Blick in Richtung von Silver und Blue und fuhr ebenso missbilligend fort:
"Zwei von dieser Sorte sind eindeutig genug!" Gaossou, welcher fünf Stühle weiter rechts saß, fand Youmas Anwesenheit auch viel bedeutsamer als Nocturns, denn diese machte ihn nervös: wie zur Hölle war es möglich, dass er überhaupt noch am Leben war? Er hatte ihn doch in Lacrimosas Gebiet verschwinden sehen, wie also konnte er als Mann so putzmunter hier aufkreuzen? Lycram machte einen Fehler, wenn er sich mit ihm anlegte; bemerkte er seine Aura denn nicht? Spürte er denn nicht, wie anders sie war und dass dieses Anderssein nichts mit seinem Dasein als Halbdämon zu tun hatte? In sieben Teufels Namen! Warum hatte er sich nur zu diesem Abendessen überreden lassen! Er hätte hinter seiner Mauer bleiben sollen... Wenn er sich klammheimlich aus dem Staub machen würde, würde es auffallen... oder?
Nocturn, welcher immerhin bereits selbst erfahren hatte, dass Youma nicht besonders gerne auf sein Halbdämonendasein angesprochen wurde, war überrascht, wie ruhig Youma blieb; nach wie vor in seinem Stuhl zurückgelehnt, die Arme über der Brust verschränkt, antwortete er:
"Ich bitte Sie darum, mich nicht mit ordinären Halbdämonen zu vergleichen, obwohl ich nicht leugnen kann, dass ich ebenfalls das Blut zweier Rassen in mir trage. Ich denke, Sie und alle anderen, die an meinen Fähigkeiten zweifeln, werden sobald eines Besseren belehrt."
"Bin ich der Einzige, der gerade kotzen könnte?" Youma überraschte diese Reaktion offensichtlich; anders als Nocturn, der mit einer solchen bereits gerechnet hatte und eine ähnliche Meinung auch bei den anderen Fürsten lesen konnte - zwar war Youmas Dämonisch noch nicht besonders ausgereift, doch seine Art zu sprechen war geprägt von einer immensen Arroganz und Überheblichkeit. Er sprach unheimlich geschwollen, als würde er mit jedem Wort seinen Gesprächspartner für dumm verkaufen wollen.
Scheinbar hatte man auch erstmals die Lust verloren mit Youma reden zu wollen, denn man wandte sich nun wieder Nocturn zu:
"Wo waren Sie eigentlich in den letzten 19 Jahren, Nocturn-san?", war es Azzazello, der dies fragte; eine Frage, auf die Nocturn schon eine Weile gewartet hatte, dass sie nun auch wirklich gestellt werden würde, doch bevor er antworten konnte, stellte Azzazello noch eine Frage, die, so wusste Nocturn dank seiner Fähigkeiten, doch hoffentlich Lycram von seiner Wut gegen Youma ablenken sollte:
"Und viel wichtiger ist die folgende Frage: Warum tauchen Sie gerade jetzt wieder auf? Ist es wegen den Unruhen in unserer Welt? Haben Sie nun doch vor, eine politische Machtposition einzunehmen?" Sobald die Worte "politische Machtposition" gefallen waren, bemerkte Nocturn, dass Youma sich versteifte. Zwar sagte er nichts und seine Gedanken waren auch für den Flötenspieler nicht zugänglich, doch es war deutlich in seinem Gesicht zu sehen, dass er es nicht witzig fand, dass Nocturn diese Frage gestellt bekam. Doch Nocturn reagierte komplett anders als er es geglaubt hatte:
"Mir ist zu Ohren gekommen, dass die momentane Hikari uns Dämonen heilen kann... Es fällt mir schwer zu glauben, dass so eine Hikari so etwas vollbringen kann."
Nocturn musste sich stark zurückhalten, um nicht zu lachen, als er bemerkte, dass das geschah, was er erhofft hatte: zwar hatte er die beiden Halbdämonenbrüder nicht direkt im Blick, doch aus dem Augenwinkel war ihm nicht entgangen, dass sowohl Silver als auch Blue aufsahen, als er dieses Thema nun endlich anriss. Während Silver ihn unverhohlen erschrocken anstarrte, hatte Blue seinen Fehler schon bemerkt und sah wieder sein Essen an, als ginge ihn das Ganze nichts an. Doch was Nocturn noch viel mehr gefiel war die Tatsache, dass er nun auch Ri-Ils Aufmerksamkeit hatte - was auch Lycram bemerkte, denn ihm entging nicht, dass Ri-Il plötzlich die Augen geöffnet hatte. Obwohl der Fürst vom einen Moment auf den anderen von einer bedrohlichen Aura umgeben war, lächelte er Nocturn entspannt an, was dieser versuchte zu erwidern, doch eine leichte Wut spielte unter der Oberfläche seines Lächelns.
"Kaum weilen Sie wieder unter den Lebenden und schon so gut informiert."
"Ich fühle mich geehrt, ein solches Kompliment von einem Meister der Informationen zu erhalten. Aber gegen Sie sind meine Künste wohl überaus bescheiden." Youma warf einen ernsten, aber auch fragenden Blick zu Nocturn, doch dieser bemerkte seinen Blick gar nicht, denn er und Ri-Il starrten sich in die dämonischen Augen des jeweils anderen und Youma sah deutlich, dass Nocturn weitaus weniger gelassen war, als er tat, denn, verborgen von der Tischkante, klammerte er Feullé an sich, welche so gut es ging versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, um Nocturns unterdrückte Wut nicht bloßzustellen.
Doch ganz plötzlich, so abrupt als wäre plötzlich ein Faden auseinandergerissen, wandte Nocturn sich grinsend von Ri-Il ab - und Youma hätte schwören können, dass er Ri-Il kurz hatte nicken sehen. Was ging hier vor sich?
"Und?", fragte Nocturn, völlig ahnungslos tuend:
"Wie wurde das mit der Hikari geregelt? Wird die Lichterbin und ihre Fähigkeit geteilt oder jagen wir sie und sehen, wer sie zuerst bekommt?"
Blue konnte es sich nicht erklären - aber irgendetwas sagte ihm, dass Nocturn dieses Thema nicht nur aus Interesse ansprach, sondern vor allen Dingen wegen Silver und ihm. Natürlich wusste Blue von den Gedankenlesefähigkeiten Nocturns und hatte daher sofort auf Japanisch gedacht statt in der Sprache der Dämonen; hatte er dennoch so schnell herausgefunden, welches falsche Spiel die beiden Brüder spielten? Aber wie? Blue warf einen Seitenblick zu seinem Bruder, welcher wieder ziemlich effektiv den Unbeeindruckten spielte, indem er weiter aß, als wären Nocturn und Youma nie im Saal aufgetaucht und als würde das Thema nicht zufällig seine ehemalige beste Freundin sein. Blue wusste nicht, in welcher Sprache Silver normalerweise dachte, aber er hoffte, dass er ebenso klug war wie sein Bruder und auf Japanisch dachte, denn Blue konnte sich nicht vorstellen, dass Nocturn dieser Sprache mächtig war. Wenn er es doch war, würde das Blues ungutes Gefühl erklären... Vielleicht stammte das Gefühl aber auch daher, dass es ihm überhaupt nicht gefiel, dass Green wie ein zu jagendes Vieh behandelt wurde.
Doch er musste sich zurückhalten, denn ihm war klar, dass Lycram, seitdem das Thema Green auf den Tisch gekommen war, immer wieder zu ihnen sah. Ganz offensichtlich hatte er sein Bestreben, Blue und Silver etwas anhängen zu wollen, nach wie vor nicht aufgegeben und Blue war auch klar, dass Lycram sie beide sicherlich verdächtigte, was den gegen ihn gerichteten Angriff beim Kriegsbeginn anging, obwohl es eigentlich jeder Fürst hätte sein können, der an Greens Fähigkeiten interessiert war - und das waren offensichtlich alle, wenn man einen Blick über die Fürsten schweifen ließ. Verständlicherweise: das Anti-Licht konnte sie zwar vor dem Tod durch Lichtintus bewahren, war aber - angeblich, denn Blue hatte seine Anwendung noch nie am eigenen Körper erlebt -mit solch heftigen Nebenwirkungen verbunden, dass sie trotzdem für mehrere Wochen ausgeschaltet sein konnten.
Etwas Ähnliches dachte Silver in diesem Moment ebenfalls, während er mit gespielter Ruhe sein blutiges Steak schnitt: Green konnte sie alle sofort komplett heilen und das in nur wenigen Minuten. Wenn er an die Heilungen zurückdachte, spürte er immer noch ihre wärmenden Hände und sah gleichzeitig auch ihr angestrengtes Gesicht. Zwar hatte sie sich nie beklagt, doch der Heilungsakt war sicherlich nicht leicht. Würde sie es überhaupt überleben, wenn sie einem der Fürsten in die Hände fiel? Würde er darauf Rücksicht nehmen, dass Green nicht am laufenden Band heilen konnte? Das abgeschnittene Stück Fleisch blieb ihm im Halse hängen, denn er kannte die Antwort.
"Und was interessiert dich, wie wir das mit der Hikari geregelt haben? Du bist kein Mitglied der Hohen, es geht dich also einen Scheißdreck an!" Die gleiche Frage - nur anders formuliert - stellte sich auch Youma mit langsam wachsender Wut. Warum interessierte Nocturn sich so brennend für das Schicksal der Hikari? Youma selbst hatte absolut null Interesse an ihr oder ihren angeblichen Fähigkeiten und er fand es überhaupt nicht witzig, dass Nocturn es zu haben schien. Er hatte überhaupt nichts anderes zu tun oder zu sagen als das, was sie besprochen hatten! Und das hatten sie gewiss nicht besprochen - er hatte Youma ja sogar verschwiegen, dass die Hikari solche Fähigkeiten besaß! - denn so etwas Dummes hätte Youma sofort unterbunden, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Sollte sie doch als Unterhaltung für die Fürsten dienen... was ging sie das an?
Anstatt sofort auf die Frage der Fürsten zu antworten, sah Nocturn sich gemütlich auf dem Festbankett um, als suche er nun etwas für sich, nachdem er Feullé abgehakt hatte.
"Es ist nur einfach so...", begann Nocturn, während er sich ein wenig vorlehnte, um das Essen besser überblicken zu können, dabei sämtliche, wütende Augenpaare ignorierend, die auf ihm lagen:
"...dass ich ebenfalls an ihr interessiert bin. Der Grund dafür ist ein anderer als eurer, aber er steht ihm leider im Weg..."
"Soll das eine Drohung sein?", fragte einer der Fürsten, den Nocturn nicht von seinem vorigen Leben her kannte, den er daher kurz ein wenig intensiver musterte und schnell herausfand, dass er zu den Dämonen gehörte, die ein großes Mundwerk besaßen, stets auf Provokation aus, immer einer der ersten, wenn es darum ging, eine Schlacht anzuzetteln - egal, ob gegen Wächter oder Dämonen - durchschnittlich intelligent, Probleme, mit Messer und Gabel umzugehen, daher nur Suppe essend... aber einen Namen fand Nocturn nicht heraus; die wenigsten dachten über ihren eigenen Namen nach, aber der Flötenspieler wusste natürlich, wie er diese Lücke umgehen konnte und wanderte flugs in die Gedanken eines anderen Hohen-Mitglieds - und fand ihn auch bei Lycram, der sich darüber aufregte, dass Markiar ihm mit dieser Frage zuvorgekommen war - und wenn Markiar mal wieder vorhatte, einen Krieg anzuzetteln, dann wäre Lycram einer Teilnahme gar nicht so abgeneigt.
Nocturn blieb angesichts der ausgesprochenen sowie der unausgesprochenen Drohung ruhig und spielte den gänzlich Überraschten:
"Aber nein! Ich würde es niemals wagen, die Hohen zu bedrohen, wie komme ich denn dazu. Ich bin doch nicht lebensmüde!" Er lachte unbeschwert, doch niemand stimmte ein: am allerwenigsten sein Partner, der es wählte, die Ironie in seinen Worten zu überhören, viel zu wütend war er wieder und am liebsten würde er Nocturn selbst den Kopf abreißen: was tat er denn?! Es war absolut nicht seine Intention, den Fürsten gleich beim ersten Treffen den Krieg zu erklären - vor allen Dingen nicht, wenn sie so eindeutig in der Überzahl waren. Aber wie sollte er das verhindern? Er konnte nicht versuchen, ihn in der Sprache der Wächter zurechtzuweisen, denn das würde wahrscheinlich genauso negativ enden wie eine Kriegserklärung an die Hohen, wenn sie so herausfanden, dass seine zweite Hälfte die eines Wächters war. Irgendwann würden sie es sowieso erfahren, aber nicht so und nicht jetzt.
"Ich dachte mir nur...", fuhr Nocturn weiterhin unbeeindruckt fort:
"...dass es wohl in unser aller Sinn ist, dass sie nicht wie ein Kalb in Stücke zerrissen wird." Kurz herrschte bedrohliches Schweigen: allerdings nur was das Reden betraf, denn die Worte Nocturns hatten ein wahres Feuer an Gedanken in Silvers und Blues Kopf entfacht. Gedanken, die von Sorge um Green geprägt waren und für einen Moment verfluchte Blue sich, dass er Greens Fähigkeit jemals preisgegeben hatte. War dieses Bankett die Eröffnung einer unbarmherzigen Jagd? Nein, die Jagd hatte bereits lange vorher begonnen, dachte Silver: sie hatte von dem Moment an begonnen, wo sein Bruder und er den Auftrag beendet und gewählt hatten, Green am Leben zu lassen. Die Jagd war bereits in vollem Gange: auf dem Schlachtfeld hatten sie Lycram noch aufhalten können und waren zum Glück auch nicht aufgeflogen, aber sie würden nicht immer auf dem gleichen Schlachtfeld wie Green sein. Das Glück im Unglück war nicht immer auf ihrer Seite!
"Apropos. Ich könnte eigentlich gut ein Stück vom Kalb haben", sagte Nocturn und unterbrach den Gedankengang der beiden Brüder jäh:
"Blacks Sohn, wärst du so gut?" Nocturn hatte wohl nicht bemerkt, dass Black zwei Söhne hatte und war - oder tat auf jeden Fall so - überrascht, als natürlich sowohl Blue als auch Silver aufsahen.
"Ah, entschuldigt, ich kenne eure Namen nicht. Doch ich meinte den Größeren von euch; immerhin steht das Kalb vor ihm." Zwar lächelte Nocturn höflich, dennoch war Blue förmlich zur Salzsäule erstarrt, als wäre das ruhige Lächeln voller Gefahr. Denn natürlich war Blue klar, dass es nicht um das Kalb ging, denn das könnte Nocturn auch mittels Magie zu sich beordern - etwas Anderes lag dahinter und Blue verspürte nicht die geringste Lust herauszufinden, was es war. Als Nocturn seine Hand ausstreckte, damit Blue ihm die Kalbskeulen reichen konnte, erwachte er aus seiner Starre und wollte der Bitte gerade zögernd nachgehen, als Ri-Ils Hand stattdessen plötzlich hervorschnellte und Nocturn statt Blue das Fleisch reichte.
Sichtlich überrascht blickten ihn Blue und Nocturn an. Der Letztere fand allerdings schnell wieder zurück zu seiner Rolle. Er bedankte sich mit einem falschen Lächeln bei dem Fürsten, welcher sich nun an Silver wandte, die Lautstärke des allgemeinen Getuschels geschickt nutzend:
"Silver-kun, ich hoffe, das Essen hat gemundet, denn ich muss dich darum bitten, wieder nach Hause zurückzukehren." Beide Brüder sahen ihn verblüfft an, was Ri-Il mit einem entschuldigenden Lächeln quittierte:
"Ich habe doch tatsächlich vergessen dafür zu sorgen, dass Mekare-chan abgeholt wird! Ihr wisst ja, dass sie sich nicht selbst teleportieren kann und genauso wisst ihr ja auch, wie wütend sie werden wird, wenn niemand sie nach abgeschlossenem Dienst abholt. Tust du mir den Gefallen, Silver-kun?" Immer noch zeigte sich nichts als Unverständnis auf dem Gesicht der beiden Halbdämonen, die er abwechselnd ansah, so dass Ri-Il fort fuhr:
"Mekare-chans Maid wird dir sagen können, wo sie sich aufhält. Mekare-chan freut sich sicherlich, wenn du sie abholen kommst!" Zögernd standen nun sowohl Blue und Silver auf, worüber sich Ri-Il offensichtlich wunderte.
"Blue, du kannst ruhig bleiben - du hast ja auch noch gar nichts gegessen!" Und wie um dies zu unterstreichen, legte er seine spitzen Finger auf die Schulter Blues, um ihn wieder zum Hinsetzen zu bewegen. Der Halbdämon folgte dieser Aufforderung sofort, doch nicht ohne einen Blick an Silver zu senden, der ihm sagte, dass er tun sollte, was Ri-Il sagte - und somit verließ Silver den Festsaal, doch nicht ohne seinerseits noch einen besorgten Blick zurück an Blue zu senden, der das ganze tatsächlich absolut nicht verstand und sich in seiner Position mehr als ohnmächtig fühlte.
Während des kleinen Zwiegesprächs waren die anderen Fürsten bereits mit dem eigentlichen Gespräch fortgefahren. Der Einzige, der offensichtlich das Interesse an Greens Fähigkeiten verloren hatte, war Lycram, welcher, ohne etwas zu sagen, dem Gespräch von Ri-Il und seinen Schülern gefolgt war und förmlich aufschreckte, als Ri-Il seinen Blick bemerkte und ihn neckisch mit seinem halbgefüllten Rotweinglas grüßte, als wäre ihm nicht klar, dass Lycram gelauscht hatte. Lycrams Reaktion war eine, die ganz in Übereinstimmung mit seiner Natur war: rot vor Zorn werden und daraufhin versuchen, diese Zornesröte in einem großen Becher Absinth zu ertrinken.
Youma zeigte sich weiterhin unzufrieden und da war er nicht der Einzige: Karou, fernab des Festsaals in Begleitung von der sich langweilenden Nathiel, war ebenfalls alles andere als zufrieden über den Verlauf des Abendmahls. Schritt Eins war ohne weitere Probleme geglückt, doch anders sah es mit Schritt Zwei aus - und zu allem Überfluss war dieser der weitaus Wichtigere.
"Wollen Sie etwas?" Genervt, aber mit monotonem Blick, wandte Karou sich von seinen Bildschirmen ab, die alle verschiedene Aufnahmen des Festsaals zeigten und sah, wie Nathiel ihm einen Löffel mit Tomatensuppe hinhielt, welche sie vor dem Beginn des Abendmahls entwendet hatte.
"Nein, danke", erwiderte er gespielt höflich, woraufhin Nathiel erwiderte, dass er nicht wisse, was gut wäre. Doch, das wisse er schon, dachte er sich und nahm den Verlauf nun selbst in die Hand, indem er sich mittels ein paar Tasten mit Lerou in Verbindung setzte.
Erschrocken fuhr dieser auf einem der Bildschirme zusammen: offensichtlich hatte er vergessen, dass er ein kleines Kommunikationsgerät für Notfälle am Ohr hatte und warf dabei fast seinen übergroßen Kelch um. Karou himmelte entnervt mit den Augen, während Nathiel essend vor sich hin kicherte, denn natürlich war ihr klar, dass Karou eigentlich vorgehabt hatte, mit Lerou zu sprechen, ohne Aufsehen zu erregen. Doch da Lerou so dermaßen zusammengefahren war, hatten sich nun alle Fürsten zu ihm gewandt.
Karou ließ sich jedoch nicht von seinem Vorhaben abbringen und übermittelte Lerou die geplanten Worte - die gewünschte Wirkung folgte auch sofort; auf einige Dinge konnte man sich eben doch verlassen.
Lerou sprang von seinem Thron auf, wobei Luzil herunterfiel, die vorher noch auf seiner Schulter gesessen hatte, welche allerdings keine Beachtung erhielt, denn diese bekam nun ganz alleine Youma, als Lerou angreifend auf den überrumpelten Halbdämon zeigte und bellend verkündete:
"Verschwinde sofort aus meinem Lerenien-Sei, du Wächter!"
"Na, Sie wollen ihn ja schnell wieder loswerden." Einen Moment lang fragte Karou sich, ob er sich verhört hatte, als Nathiel dies sagte - oder hatte er wirklich eine Spur Ärgernis in ihren Worten gehört, als er das Mikrofon wieder ausschaltete? Wenn ja, dann war das ein unglaublich befriedigendes Gefühl.
"Wieso? Hatten Sie denn noch etwas mit dem Halbwächter vor?" Nathiel warf die leere Schüssel achtlos auf den Boden, wo sie in tausend Scherben zersprang, doch sie antwortete ruhig:
"Sie brauchen sich gar nicht solche Mühe zu machen und die Fürsten gegen ihn aufbringen. Mein kleiner Junge wird ihn sowieso umbringen."
"Was macht Sie da so sicher?", antwortete Karou, ohne auf die vielen Scherben zu seinen Füßen einzugehen:
"Ich kenne doch meinen Jungen. Besser als jeder andere. Er tötet jeden."
"Hallo."
Etwas anderes wusste Green nicht zu sagen, nachdem sie an der Tür zur Behausung der Doceres, mit anderen Worten ihrer neuen Familie, klopfte und ihr auch sofort die Tür geöffnet wurde - und das auch noch von ihrem... Verlobten. Er strahlte übers ganze Gesicht, welches rot wurde als er Green sah; er brachte nicht mal eine Begrüßung heraus, weshalb sie sich nun schweigend anstarrten, während die Hikari verzweifelt versuchte, sein Lächeln genauso strahlend zu erwidern. Sie konnte allerdings nur darüber mutmaßen, ob ihr das gelang.
Zum Glück mussten sie sich nicht lange peinlich anschweigen, bis Shitaya ebenfalls in der Tür erschien und Green prompt hereinzog. Green war vorher noch nie in einer Tempelwohnung für Familien gewesen und war überrascht, wie geräumig sie war. Sie befand sich in dem wohl größten Raum der Wohnung, welche von der warmen Wintersonne durch das große Fenster am Ende des ovalen Raumes erleuchtet wurde. Ein paar kleine Stufen führten herunter in die eigentliche Stube, wo ein großer Tisch stand, welcher offensichtlich gerade von der Tempelwächterin der Familie gedeckt wurde. Fünf weitere Türen konnte Green ausmachen, doch sie waren alle geschlossen, so dass Green keinen Blick hinein erhaschen konnte. Auffallend war, dass die Wohnung, obwohl sie ein Teil des Tempels war, überaus privat angehaucht war: die Möblierung war eine andere als im Rest des Tempels und der Boden war nicht wie sonst aus Marmor, sondern mit einem hellblauen Teppichboden ausgelegt, auf welchem Kinderspielzeug verteilt war. An den Wänden hingen keine aufgetakelten Gemälde von irgendwelchen Hikari, sondern Photographien der Familie und, wie Green sofort bemerkte, viele verschiedene Auszeichnungen, die alle Shitayas Namen trugen. Allerdings hingen diese nicht für sich, sondern waren vermischt mit den Fotografien und den ersten Zeichnungen seiner Tochter, als wären diese Erinnerungsstücke ebenfalls Auszeichnungen.
Shitaya wandte sich nun hastig an Green, während Saiyon sich neben Green stellte, als wären sie schon Mann und Frau.
"Ich fühle mich außerordentlich geehrt, Euch in unserem Heim begrüßen zu dürfen, Hikari-sama! Entschuldigt die Unordnung." Green wusste nicht, was er meinte: außer dem Spielzeug sah sie kaum Unordnung.
"Ich glaube, Sie müssen das Suffix nicht länger benutzen: immerhin bin ich ja nun bald Ihre Schwägerin." Es war nicht Shitaya, welcher zuerst reagierte, sondern Saiyon, der die Bedeutung hinter Greens Worte natürlich verstand:
"Bedeutet das..." Wieder war Green versucht, ein strahlendes Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern, als sie das versiegelte Dokument vorzeigte.
"Ja, genau das bedeutet es. Unsere Hochzeit ist abgesegnet word-" Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment wurde sie bereits stürmisch von Saiyon in die erfreuten Arme geschlossen. Einen Augenblick wusste Green nicht, wie sie reagieren sollte; es war sehr lange her, dass sie auf diese Art von jemandem umarmt worden war. Der Letzte war... Sibe- nein! Nicht jetzt, nicht hier. Lächel, Green, lächel und leg die Arme um ihn. Er ist dein Verlobter. Du wirst ihn bald heiraten...
Doch sie kam nicht dazu, ihre gedachten Taten umzusetzen, denn Saiyon schien seine Freude über deren baldige Heirat nicht zurückhalten zu können - mit den Händen unter ihren Armen hob er sie auf einmal hoch und wirbelte sie lachend im Kreis.
"Hab ich nicht gesagt, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst, Saiyon-kun?", ertönte nun eine Frauenstimme, welche zu Säil gehörte, die den Balkon zusammen mit ihrem Kind auf dem Arm verlassen hatte, um an der heiteren Stimmung ihrer Familie teilzunehmen.
Anstatt Green sofort loszulassen, hielt er bloß inne, ließ sie jedoch nicht herunter, sondern drückte sie nach wie vor an sich, als fürchtete er, sie würde verschwinden, sobald sie den Boden berührte.
"Ich freu mich so für euch. Willkommen in der Familie, Hika... Ich meine natürlich Green", fuhr Säil weiterhin fort; offensichtlich hatte sie das Gespräch von Shitaya und Green gehört. Dieser gesellte sich nun neben seine Frau, im gleichen Moment wie Saiyon Green endlich herunterließ. Ihre Hände ließ er jedoch nicht los - und Green durchzuckte es wie ein Pfeil, als sie spürte, wie er seine Finger mit den ihren verband.
Nein!
Sie beeilte sich, diese Bindung wieder zu lösen, doch da sie nicht wollte, dass Saiyon Verdacht schöpfte, nahm sie stattdessen einfach seine Hand und umfasste diese mit ihrer. Um den Verdacht, dass etwas nicht in Ordnung war, weiter zu zerstreuen, drückte sie seine Hand sogar noch fester.
Sie mochte ihn immerhin.
Aber er sollte nicht noch einmal auf die Idee kommen, das mit ihrer Hand zu machen. Er war nicht... Gary. Auch wenn seine vertrauensvollen dunkelgrünen Augen ihr das immer wieder aufs Neue unbewusst vorzuspielen versuchten.
"Willst du nicht heute Abend bei uns essen?", fragte Shitaya und unterbrach damit Greens Gedankengänge mit einem freundlichen Lächeln. Er wartete gar nicht auf ihre Antwort, ehe er sich schon an seine Tempelwächterin wandte, um sie zu bitten, für eine Person mehr den Tisch zu decken. Green wollte ihn gerade darauf hinweisen, dass sie eigentlich mit ihren Elementarwächtern zu Abend aß, als ein Klopfen an der Tür ertönte.
"Herein?", fragte Shitaya sichtlich verwundert; scheinbar hatte er niemanden erwartet und war auch recht überrascht, als eine, für Green fremde, Tempelwächterin in der Tür erschien - sie konnte nicht wissen, dass es die Tempelwächterin Ukarios war.
Nachdem sie sich tief verbeugt hatte, teilte sie ihre Nachricht mit:
"Ukario-sama wünscht, Sie beide zu sehen", während sie dies sagte, sah sie sowohl Saiyon als auch Shitaya an, die ihr ruhiges Lächeln verwirrt erwiderten.
"Aber wir hatten doch erst eine Korrespondenz?" Die Tempelwächterin deutete ein verwirrtes Schulterzucken an und entgegnete:
"Ich kenne das Thema leider nicht." Warum wirkte diese Tempelwächterin um einiges offener und netter als Itzumi, musste sich Green sofort fragen - war sie denn die Einzige, die mit so einer steifen Tempelwächterin bestraft worden war?
Wenn man vom Teufel sprach: plötzlich stand eben diese ebenfalls in der Tür.
"Was willst du denn hier?", fragte Green etwas unwirscher als sie es beabsichtigt hatte, nachdem auch Itzumi sich verbeugt hatte. Itzumi tat so als wäre sie verwirrt, doch Green kannte sie gut genug, um zu erkennen, dass ihre Verwirrung nur aufgesetzt war.
"Aber Hikari-sama, ich bin nur hier, um die Habseligkeiten Saiyon-samas zu packen. Immerhin ist die Hochzeit nun besiegelt und daher wird Euer Geweihter natürlich von heute an mit Euch das Gemach teilen." Und das Bett - wie Green deutlich hinter der gespielten Freundlichkeit Itzumis herauslas, die sich diebisch darüber freute, dass Green darüber nicht begeistert war.
"Ich habe Euer neues Gemach bereits fertig ausgestattet."
"Neues Gemach? Ich soll umziehen?", fragte Green alles andere als begeistert, während Saiyon hochrot geworden war und plötzlich nervös zu werden schien. Das würde bei Green auch noch eintreten - momentan war sie allerdings noch zu wütend auf Itzumi, denn sie wusste, dass es sicherlich auch bis zum nächsten Tag hätte warten können und dass ihre ach so gewissenhafte Tempelwächterin sich sicher mit einem schadenfrohen Grinsen extra beeilt hatte.
"Aber natürlich", antwortete Itzumi monoton, doch Green hörte als einzige deutlich die Schadenfreude heraus, als sie fortfuhr:
"Euer Gemach war doch gar nicht für solch ein junges Paar ausgelegt." Green schwieg, denn sie fürchtete, dass, wenn sie den Mund aufmachen würde, ihr Widerwille deutlich zu hören sein würde. Stattdessen fluchte sie in Gedanken und wollte ihrer fleißigen Tempelwächterin den Hals umdrehen. Doch dazu kam sie nicht, denn das Räuspern von Ukarios Tempelwächterin stahl die Aufmerksamkeit:
"Ich gratuliere vielmals, doch muss ich darauf hinweisen, dass mein Herr noch andere Termine hat. Ich würde Sie bitten, ihn nicht warten zu lassen." Sowohl Shitaya als auch Saiyon schienen das Treffen mit Ukario vergessen zu haben bei der Vorstellung, dass der jüngere Bruder heute die trauten Arme der Familie verlassen sollte.
"Bevor Ihr geht, möchte ich Euch jedoch noch darum bitten, dass Ihr mir mitteilt, welches Zimmer das Eure ist, Saiyon-sama", bat Itzumi und fügte hinzu, dass sie dann die persönlichen Habseligkeiten zusammenpacken würde.
Es war jedoch nicht Saiyon, der ihr antwortete, sondern Säil, denn ihre weibliche Intuition hatte ihr deutlich mitgeteilt, dass Saiyon nun andere Probleme hatte als seine Habseligkeiten: er sah Green an und diese erwiderte seine großen Augen. Sie waren beide nervös. Denn sie wussten, was dies bedeutete.
"Ich..." Saiyon schluckte, offensichtlich schämte er sich für seine Nervosität und festigte daher seine Stimme:
"...werde nach dem Gespräch mit Ukario-sama da sein." Ohne auf eine Antwort von Green zu warten, wandte er sich an Itzumi, um zu erfahren, um welches Gemach es sich handelte. Doch Green war noch nicht fertig:
"Ah, das passt gut, denn ich muss auch noch mit meinem Großvater trainieren... Abendtraining. Es könnte spät werden." Und wieder machte Itzumi ihr einen Strich durch die Rechnung:
"Das erinnert mich daran, dass ich Euch von Eurem geehrten Großvater ausrichten soll, dass das Training heute Abend ausfällt. Ihr könnt Euch also gleich auf Euer neues Gemach begeben. Wenn Ihr es wünscht, bringe ich Euch hin." Hatte sich denn die ganze Welt gegen sie verschworen?! Die einzigen, die ihr jetzt noch helfen konnten, die das Unvermeidliche fürs Erste aufhalten konnten, waren ironischerweise die Dämonen - und zum ersten Mal flehte Green darum, dass sie doch bitte in dieser Nacht angreifen mochten. Eine Schlacht! Schnell!
Nocturn amüsierte sich königlich über die vielen Gedanken, die ihm zuflogen, doch kommentierte sie nicht; er begnügte sich damit, breit zu grinsen, auch als einige begannen, sich über die Kombination von Youma und Nocturn zu wundern. Was hatte es mit dieser auf sich? Wer war der Fremde?
"Und wie ich sehe, sind zufällig auch noch zwei Plätze frei!", rief Nocturn erfreut und begann auch schon, auf die zwei leeren Plätze schräg gegenüber der beiden Halbdämonenbrüder zuzusteuern, die ihn mindestens ebenso ungläubig anstarrten wie die anderen Anwesenden.
"Ihr müsst euch keine Umstände machen, einen dritten Stuhl zu holen für meine Tochter - ich nehme sie einfach auf den Schoß." Keiner reagierte darauf und es hätte auch niemand irgendwelche Anstalten gemacht, einen dritten Stuhl heranzuholen für das kleine, zitternde Mädchen, das sich an Nocturns Hand klammerte und halb hinter ihm verborgen war.
Während Nocturn sich setzte und wie angekündigt die errötende Feullé auf seinen Schoß setzte, warfen sich die Fürsten einige vielsagende Blicke zu, die Nocturn zwar entgingen, Youma aber missvergnügt bemerkte, als er sich steif ebenfalls setzte, jedoch nicht im Sinn hatte, das Essen irgendwie anzurühren. Stattdessen ließ er einen unauffälligen Blick über die versammelten Mitglieder der Hohen schweifen: was für ein eigentümlich zusammengewürfelter Haufen Individuen - genauso zufällig zusammengewürfelt wie das Geschirr des Tisches! Unterschiedlicher könnten die Anwesenden wahrlich nicht aussehen; rechts neben ihm saß ein Dämon, der nur aus Gas zu bestehen schien und dessen Augen er nicht klar ausmachen konnte, weshalb er ihn nicht sonderlich lange ansah, während auf der anderen Seite des Tisches ein Dämon saß, der mehr einer übergroßen Kugel glich; links neben diesem eigenartigen Dämon war ein Fürst von kolossaler Größe mit einer monströsen linken Körperhälfte, den er ebenfalls nicht länger als nötig ansehen wollte, denn wenn er vorgehabt hätte, irgendetwas zu sich zu nehmen, dann hätte ihm dieser Dämon definitiv den Appetit verdorben. Dank seines eigenartigen Körpers war er nicht in der Lage, Messer und Gabel zu benutzen, weshalb das Essen um ihn herum eher Matsch glich. Schräg gegenüber von ihm erkannte Youma Lycram aus Teris Erzählungen, der ihn überaus feindlich anstarrte.
Ihm gefiel die gesamte Situation nicht und er teilte Nocturns gute Laune nicht, welcher die Situation wohl nach wie vor amüsant fand - Youma fand sie eher bedrohlich, viel eher mit einem Schlachtfeld zu vergleichen als mit einem Fest... Egal wie stark sie beide waren, so hatten sie keine Chance, wenn die Fürsten sie alle auf einmal angreifen würden. Darüber hinaus hatte Youma sowieso eher das Verlangen, Nocturn selbst anzugreifen, anstatt sich kämpfend an seine Seite zu stellen. Diese kindische Unüberlegtheit war ja nicht zum Aushalten!
Und wo war der eigentliche Gastgeber, Karou? Hatte er das Ganze doch nicht inszeniert, um ihn aus der Reserve zu locken? Was war der eigentliche Hintergrund von diesem Abendmahl?
Darüber schien sich Nocturn keinerlei Gedanken zu machen; fröhlich füllte er Speisen auf den Teller, allerdings nicht für sich selbst, sondern für Feullé - und beschwerte sich genau wie Lerou darüber, dass es keinen Kuchen mehr gab.
"Komplett meine Meinung! Das ist einfach zu schlecht." Kaum hatte der König dies gesagt und damit unbewusst das bedrohliche Eis zum Brechen gebracht, lehnte sich nun Chernobog vor und fragte misstrauisch:
"Wer hat dich eigentlich eingeladen? Ich dachte, das wäre ein Fest für die Hohen?" Youma kannte den Fürsten nicht und musterte ihn neugierig - wenigstens diesen Vorteil brachte dieses Theater; er sah nun endlich alle Fürsten. Der Dämon, der diese Frage gestellt hatte, sah jünger aus als die anderen und es schien Youma, als würde eine Aura der Unerfahrenheit ihn umgeben. Er musste sich sein Gesicht merken, damit er Nocturn später über ihn ausfragen konnte; ebenmäßig geschnittene, schwarze Haare, die ihm kurz über die Schulter fielen und die Hälfte seines Gesichtes und damit auch sein linkes Auge verbargen; das sichtbare, rote Auge musterte Nocturn und Youma allerdings schon skeptisch genug. Sein Aussehen war relativ unspektakulär, aber seine Aura machte Youma stutzig - er konnte jedoch nicht sagen, was genau es war, doch irgendetwas störte ihn.
"Ich habe, genau wie ihr, wie ich doch annehme, eine Einladung erhalten und bin dieser natürlich höflich nachgegangen", fuhr Nocturn unterdessen fort, während er Feullé fütterte, als wäre sie wirklich noch ein kleines Kind, welches nicht selbst in der Lage war, zu essen.
Auf Nocturns Antwort hin blickten einige umgehend zu Lerou, der die plötzliche Aufmerksamkeit verwirrt erwiderte. Blue allerdings interessierte es herzlich wenig, wer Nocturn eingeladen hatte. Eine gänzlich andere Frage beschäftigte ihn um einiges mehr: War das wirklich der Dämon, von dem ihr Vater so geschwärmt hatte und um den sich so viele Gerüchte rankten? Irgendwie konnte Blue sich dies nur schwer vorstellen, obwohl er eine ungewisse Nervosität in sich spürte, welche er nicht so ganz verstehen wollte.
Auch Silver schenkte der eigentlichen Debatte keinerlei Aufmerksamkeit: er hatte sich in Litauen also doch nicht geirrt, als er für einen kurzen Moment geglaubt hatte, Nocturn gesehen zu haben. Er hatte es Blue erzählen wollen, doch keine Gelegenheit dafür gefunden... aber was hatte Nocturn in Litauen zu suchen gehabt? War er es dann auch gewesen, der ihn zurück in die Dämonenwelt gebracht hatte? Warum sollte er?
Auch Lycram schien sich - auf jeden Fall momentan - nicht für die Frage zu interessieren, wer Nocturn eingeladen hatte: provokativ lehnte er sich in dem verschnörkelten Stuhl zurück und zischte, mit dem goldenen Messer auf Youma zeigend:
"Ach und du findest es auch besonders höflich, so einen Halbling mitzuschleppen? Nach Lerenien-Sei? Zu einem Fest der Hohen?!" Er warf einen verächtlichen Blick in Richtung von Silver und Blue und fuhr ebenso missbilligend fort:
"Zwei von dieser Sorte sind eindeutig genug!" Gaossou, welcher fünf Stühle weiter rechts saß, fand Youmas Anwesenheit auch viel bedeutsamer als Nocturns, denn diese machte ihn nervös: wie zur Hölle war es möglich, dass er überhaupt noch am Leben war? Er hatte ihn doch in Lacrimosas Gebiet verschwinden sehen, wie also konnte er als Mann so putzmunter hier aufkreuzen? Lycram machte einen Fehler, wenn er sich mit ihm anlegte; bemerkte er seine Aura denn nicht? Spürte er denn nicht, wie anders sie war und dass dieses Anderssein nichts mit seinem Dasein als Halbdämon zu tun hatte? In sieben Teufels Namen! Warum hatte er sich nur zu diesem Abendessen überreden lassen! Er hätte hinter seiner Mauer bleiben sollen... Wenn er sich klammheimlich aus dem Staub machen würde, würde es auffallen... oder?
Nocturn, welcher immerhin bereits selbst erfahren hatte, dass Youma nicht besonders gerne auf sein Halbdämonendasein angesprochen wurde, war überrascht, wie ruhig Youma blieb; nach wie vor in seinem Stuhl zurückgelehnt, die Arme über der Brust verschränkt, antwortete er:
"Ich bitte Sie darum, mich nicht mit ordinären Halbdämonen zu vergleichen, obwohl ich nicht leugnen kann, dass ich ebenfalls das Blut zweier Rassen in mir trage. Ich denke, Sie und alle anderen, die an meinen Fähigkeiten zweifeln, werden sobald eines Besseren belehrt."
"Bin ich der Einzige, der gerade kotzen könnte?" Youma überraschte diese Reaktion offensichtlich; anders als Nocturn, der mit einer solchen bereits gerechnet hatte und eine ähnliche Meinung auch bei den anderen Fürsten lesen konnte - zwar war Youmas Dämonisch noch nicht besonders ausgereift, doch seine Art zu sprechen war geprägt von einer immensen Arroganz und Überheblichkeit. Er sprach unheimlich geschwollen, als würde er mit jedem Wort seinen Gesprächspartner für dumm verkaufen wollen.
Scheinbar hatte man auch erstmals die Lust verloren mit Youma reden zu wollen, denn man wandte sich nun wieder Nocturn zu:
"Wo waren Sie eigentlich in den letzten 19 Jahren, Nocturn-san?", war es Azzazello, der dies fragte; eine Frage, auf die Nocturn schon eine Weile gewartet hatte, dass sie nun auch wirklich gestellt werden würde, doch bevor er antworten konnte, stellte Azzazello noch eine Frage, die, so wusste Nocturn dank seiner Fähigkeiten, doch hoffentlich Lycram von seiner Wut gegen Youma ablenken sollte:
"Und viel wichtiger ist die folgende Frage: Warum tauchen Sie gerade jetzt wieder auf? Ist es wegen den Unruhen in unserer Welt? Haben Sie nun doch vor, eine politische Machtposition einzunehmen?" Sobald die Worte "politische Machtposition" gefallen waren, bemerkte Nocturn, dass Youma sich versteifte. Zwar sagte er nichts und seine Gedanken waren auch für den Flötenspieler nicht zugänglich, doch es war deutlich in seinem Gesicht zu sehen, dass er es nicht witzig fand, dass Nocturn diese Frage gestellt bekam. Doch Nocturn reagierte komplett anders als er es geglaubt hatte:
"Mir ist zu Ohren gekommen, dass die momentane Hikari uns Dämonen heilen kann... Es fällt mir schwer zu glauben, dass so eine Hikari so etwas vollbringen kann."
Nocturn musste sich stark zurückhalten, um nicht zu lachen, als er bemerkte, dass das geschah, was er erhofft hatte: zwar hatte er die beiden Halbdämonenbrüder nicht direkt im Blick, doch aus dem Augenwinkel war ihm nicht entgangen, dass sowohl Silver als auch Blue aufsahen, als er dieses Thema nun endlich anriss. Während Silver ihn unverhohlen erschrocken anstarrte, hatte Blue seinen Fehler schon bemerkt und sah wieder sein Essen an, als ginge ihn das Ganze nichts an. Doch was Nocturn noch viel mehr gefiel war die Tatsache, dass er nun auch Ri-Ils Aufmerksamkeit hatte - was auch Lycram bemerkte, denn ihm entging nicht, dass Ri-Il plötzlich die Augen geöffnet hatte. Obwohl der Fürst vom einen Moment auf den anderen von einer bedrohlichen Aura umgeben war, lächelte er Nocturn entspannt an, was dieser versuchte zu erwidern, doch eine leichte Wut spielte unter der Oberfläche seines Lächelns.
"Kaum weilen Sie wieder unter den Lebenden und schon so gut informiert."
"Ich fühle mich geehrt, ein solches Kompliment von einem Meister der Informationen zu erhalten. Aber gegen Sie sind meine Künste wohl überaus bescheiden." Youma warf einen ernsten, aber auch fragenden Blick zu Nocturn, doch dieser bemerkte seinen Blick gar nicht, denn er und Ri-Il starrten sich in die dämonischen Augen des jeweils anderen und Youma sah deutlich, dass Nocturn weitaus weniger gelassen war, als er tat, denn, verborgen von der Tischkante, klammerte er Feullé an sich, welche so gut es ging versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, um Nocturns unterdrückte Wut nicht bloßzustellen.
Doch ganz plötzlich, so abrupt als wäre plötzlich ein Faden auseinandergerissen, wandte Nocturn sich grinsend von Ri-Il ab - und Youma hätte schwören können, dass er Ri-Il kurz hatte nicken sehen. Was ging hier vor sich?
"Und?", fragte Nocturn, völlig ahnungslos tuend:
"Wie wurde das mit der Hikari geregelt? Wird die Lichterbin und ihre Fähigkeit geteilt oder jagen wir sie und sehen, wer sie zuerst bekommt?"
Blue konnte es sich nicht erklären - aber irgendetwas sagte ihm, dass Nocturn dieses Thema nicht nur aus Interesse ansprach, sondern vor allen Dingen wegen Silver und ihm. Natürlich wusste Blue von den Gedankenlesefähigkeiten Nocturns und hatte daher sofort auf Japanisch gedacht statt in der Sprache der Dämonen; hatte er dennoch so schnell herausgefunden, welches falsche Spiel die beiden Brüder spielten? Aber wie? Blue warf einen Seitenblick zu seinem Bruder, welcher wieder ziemlich effektiv den Unbeeindruckten spielte, indem er weiter aß, als wären Nocturn und Youma nie im Saal aufgetaucht und als würde das Thema nicht zufällig seine ehemalige beste Freundin sein. Blue wusste nicht, in welcher Sprache Silver normalerweise dachte, aber er hoffte, dass er ebenso klug war wie sein Bruder und auf Japanisch dachte, denn Blue konnte sich nicht vorstellen, dass Nocturn dieser Sprache mächtig war. Wenn er es doch war, würde das Blues ungutes Gefühl erklären... Vielleicht stammte das Gefühl aber auch daher, dass es ihm überhaupt nicht gefiel, dass Green wie ein zu jagendes Vieh behandelt wurde.
Doch er musste sich zurückhalten, denn ihm war klar, dass Lycram, seitdem das Thema Green auf den Tisch gekommen war, immer wieder zu ihnen sah. Ganz offensichtlich hatte er sein Bestreben, Blue und Silver etwas anhängen zu wollen, nach wie vor nicht aufgegeben und Blue war auch klar, dass Lycram sie beide sicherlich verdächtigte, was den gegen ihn gerichteten Angriff beim Kriegsbeginn anging, obwohl es eigentlich jeder Fürst hätte sein können, der an Greens Fähigkeiten interessiert war - und das waren offensichtlich alle, wenn man einen Blick über die Fürsten schweifen ließ. Verständlicherweise: das Anti-Licht konnte sie zwar vor dem Tod durch Lichtintus bewahren, war aber - angeblich, denn Blue hatte seine Anwendung noch nie am eigenen Körper erlebt -mit solch heftigen Nebenwirkungen verbunden, dass sie trotzdem für mehrere Wochen ausgeschaltet sein konnten.
Etwas Ähnliches dachte Silver in diesem Moment ebenfalls, während er mit gespielter Ruhe sein blutiges Steak schnitt: Green konnte sie alle sofort komplett heilen und das in nur wenigen Minuten. Wenn er an die Heilungen zurückdachte, spürte er immer noch ihre wärmenden Hände und sah gleichzeitig auch ihr angestrengtes Gesicht. Zwar hatte sie sich nie beklagt, doch der Heilungsakt war sicherlich nicht leicht. Würde sie es überhaupt überleben, wenn sie einem der Fürsten in die Hände fiel? Würde er darauf Rücksicht nehmen, dass Green nicht am laufenden Band heilen konnte? Das abgeschnittene Stück Fleisch blieb ihm im Halse hängen, denn er kannte die Antwort.
"Und was interessiert dich, wie wir das mit der Hikari geregelt haben? Du bist kein Mitglied der Hohen, es geht dich also einen Scheißdreck an!" Die gleiche Frage - nur anders formuliert - stellte sich auch Youma mit langsam wachsender Wut. Warum interessierte Nocturn sich so brennend für das Schicksal der Hikari? Youma selbst hatte absolut null Interesse an ihr oder ihren angeblichen Fähigkeiten und er fand es überhaupt nicht witzig, dass Nocturn es zu haben schien. Er hatte überhaupt nichts anderes zu tun oder zu sagen als das, was sie besprochen hatten! Und das hatten sie gewiss nicht besprochen - er hatte Youma ja sogar verschwiegen, dass die Hikari solche Fähigkeiten besaß! - denn so etwas Dummes hätte Youma sofort unterbunden, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Sollte sie doch als Unterhaltung für die Fürsten dienen... was ging sie das an?
Anstatt sofort auf die Frage der Fürsten zu antworten, sah Nocturn sich gemütlich auf dem Festbankett um, als suche er nun etwas für sich, nachdem er Feullé abgehakt hatte.
"Es ist nur einfach so...", begann Nocturn, während er sich ein wenig vorlehnte, um das Essen besser überblicken zu können, dabei sämtliche, wütende Augenpaare ignorierend, die auf ihm lagen:
"...dass ich ebenfalls an ihr interessiert bin. Der Grund dafür ist ein anderer als eurer, aber er steht ihm leider im Weg..."
"Soll das eine Drohung sein?", fragte einer der Fürsten, den Nocturn nicht von seinem vorigen Leben her kannte, den er daher kurz ein wenig intensiver musterte und schnell herausfand, dass er zu den Dämonen gehörte, die ein großes Mundwerk besaßen, stets auf Provokation aus, immer einer der ersten, wenn es darum ging, eine Schlacht anzuzetteln - egal, ob gegen Wächter oder Dämonen - durchschnittlich intelligent, Probleme, mit Messer und Gabel umzugehen, daher nur Suppe essend... aber einen Namen fand Nocturn nicht heraus; die wenigsten dachten über ihren eigenen Namen nach, aber der Flötenspieler wusste natürlich, wie er diese Lücke umgehen konnte und wanderte flugs in die Gedanken eines anderen Hohen-Mitglieds - und fand ihn auch bei Lycram, der sich darüber aufregte, dass Markiar ihm mit dieser Frage zuvorgekommen war - und wenn Markiar mal wieder vorhatte, einen Krieg anzuzetteln, dann wäre Lycram einer Teilnahme gar nicht so abgeneigt.
Nocturn blieb angesichts der ausgesprochenen sowie der unausgesprochenen Drohung ruhig und spielte den gänzlich Überraschten:
"Aber nein! Ich würde es niemals wagen, die Hohen zu bedrohen, wie komme ich denn dazu. Ich bin doch nicht lebensmüde!" Er lachte unbeschwert, doch niemand stimmte ein: am allerwenigsten sein Partner, der es wählte, die Ironie in seinen Worten zu überhören, viel zu wütend war er wieder und am liebsten würde er Nocturn selbst den Kopf abreißen: was tat er denn?! Es war absolut nicht seine Intention, den Fürsten gleich beim ersten Treffen den Krieg zu erklären - vor allen Dingen nicht, wenn sie so eindeutig in der Überzahl waren. Aber wie sollte er das verhindern? Er konnte nicht versuchen, ihn in der Sprache der Wächter zurechtzuweisen, denn das würde wahrscheinlich genauso negativ enden wie eine Kriegserklärung an die Hohen, wenn sie so herausfanden, dass seine zweite Hälfte die eines Wächters war. Irgendwann würden sie es sowieso erfahren, aber nicht so und nicht jetzt.
"Ich dachte mir nur...", fuhr Nocturn weiterhin unbeeindruckt fort:
"...dass es wohl in unser aller Sinn ist, dass sie nicht wie ein Kalb in Stücke zerrissen wird." Kurz herrschte bedrohliches Schweigen: allerdings nur was das Reden betraf, denn die Worte Nocturns hatten ein wahres Feuer an Gedanken in Silvers und Blues Kopf entfacht. Gedanken, die von Sorge um Green geprägt waren und für einen Moment verfluchte Blue sich, dass er Greens Fähigkeit jemals preisgegeben hatte. War dieses Bankett die Eröffnung einer unbarmherzigen Jagd? Nein, die Jagd hatte bereits lange vorher begonnen, dachte Silver: sie hatte von dem Moment an begonnen, wo sein Bruder und er den Auftrag beendet und gewählt hatten, Green am Leben zu lassen. Die Jagd war bereits in vollem Gange: auf dem Schlachtfeld hatten sie Lycram noch aufhalten können und waren zum Glück auch nicht aufgeflogen, aber sie würden nicht immer auf dem gleichen Schlachtfeld wie Green sein. Das Glück im Unglück war nicht immer auf ihrer Seite!
"Apropos. Ich könnte eigentlich gut ein Stück vom Kalb haben", sagte Nocturn und unterbrach den Gedankengang der beiden Brüder jäh:
"Blacks Sohn, wärst du so gut?" Nocturn hatte wohl nicht bemerkt, dass Black zwei Söhne hatte und war - oder tat auf jeden Fall so - überrascht, als natürlich sowohl Blue als auch Silver aufsahen.
"Ah, entschuldigt, ich kenne eure Namen nicht. Doch ich meinte den Größeren von euch; immerhin steht das Kalb vor ihm." Zwar lächelte Nocturn höflich, dennoch war Blue förmlich zur Salzsäule erstarrt, als wäre das ruhige Lächeln voller Gefahr. Denn natürlich war Blue klar, dass es nicht um das Kalb ging, denn das könnte Nocturn auch mittels Magie zu sich beordern - etwas Anderes lag dahinter und Blue verspürte nicht die geringste Lust herauszufinden, was es war. Als Nocturn seine Hand ausstreckte, damit Blue ihm die Kalbskeulen reichen konnte, erwachte er aus seiner Starre und wollte der Bitte gerade zögernd nachgehen, als Ri-Ils Hand stattdessen plötzlich hervorschnellte und Nocturn statt Blue das Fleisch reichte.
Sichtlich überrascht blickten ihn Blue und Nocturn an. Der Letztere fand allerdings schnell wieder zurück zu seiner Rolle. Er bedankte sich mit einem falschen Lächeln bei dem Fürsten, welcher sich nun an Silver wandte, die Lautstärke des allgemeinen Getuschels geschickt nutzend:
"Silver-kun, ich hoffe, das Essen hat gemundet, denn ich muss dich darum bitten, wieder nach Hause zurückzukehren." Beide Brüder sahen ihn verblüfft an, was Ri-Il mit einem entschuldigenden Lächeln quittierte:
"Ich habe doch tatsächlich vergessen dafür zu sorgen, dass Mekare-chan abgeholt wird! Ihr wisst ja, dass sie sich nicht selbst teleportieren kann und genauso wisst ihr ja auch, wie wütend sie werden wird, wenn niemand sie nach abgeschlossenem Dienst abholt. Tust du mir den Gefallen, Silver-kun?" Immer noch zeigte sich nichts als Unverständnis auf dem Gesicht der beiden Halbdämonen, die er abwechselnd ansah, so dass Ri-Il fort fuhr:
"Mekare-chans Maid wird dir sagen können, wo sie sich aufhält. Mekare-chan freut sich sicherlich, wenn du sie abholen kommst!" Zögernd standen nun sowohl Blue und Silver auf, worüber sich Ri-Il offensichtlich wunderte.
"Blue, du kannst ruhig bleiben - du hast ja auch noch gar nichts gegessen!" Und wie um dies zu unterstreichen, legte er seine spitzen Finger auf die Schulter Blues, um ihn wieder zum Hinsetzen zu bewegen. Der Halbdämon folgte dieser Aufforderung sofort, doch nicht ohne einen Blick an Silver zu senden, der ihm sagte, dass er tun sollte, was Ri-Il sagte - und somit verließ Silver den Festsaal, doch nicht ohne seinerseits noch einen besorgten Blick zurück an Blue zu senden, der das ganze tatsächlich absolut nicht verstand und sich in seiner Position mehr als ohnmächtig fühlte.
Während des kleinen Zwiegesprächs waren die anderen Fürsten bereits mit dem eigentlichen Gespräch fortgefahren. Der Einzige, der offensichtlich das Interesse an Greens Fähigkeiten verloren hatte, war Lycram, welcher, ohne etwas zu sagen, dem Gespräch von Ri-Il und seinen Schülern gefolgt war und förmlich aufschreckte, als Ri-Il seinen Blick bemerkte und ihn neckisch mit seinem halbgefüllten Rotweinglas grüßte, als wäre ihm nicht klar, dass Lycram gelauscht hatte. Lycrams Reaktion war eine, die ganz in Übereinstimmung mit seiner Natur war: rot vor Zorn werden und daraufhin versuchen, diese Zornesröte in einem großen Becher Absinth zu ertrinken.
Youma zeigte sich weiterhin unzufrieden und da war er nicht der Einzige: Karou, fernab des Festsaals in Begleitung von der sich langweilenden Nathiel, war ebenfalls alles andere als zufrieden über den Verlauf des Abendmahls. Schritt Eins war ohne weitere Probleme geglückt, doch anders sah es mit Schritt Zwei aus - und zu allem Überfluss war dieser der weitaus Wichtigere.
"Wollen Sie etwas?" Genervt, aber mit monotonem Blick, wandte Karou sich von seinen Bildschirmen ab, die alle verschiedene Aufnahmen des Festsaals zeigten und sah, wie Nathiel ihm einen Löffel mit Tomatensuppe hinhielt, welche sie vor dem Beginn des Abendmahls entwendet hatte.
"Nein, danke", erwiderte er gespielt höflich, woraufhin Nathiel erwiderte, dass er nicht wisse, was gut wäre. Doch, das wisse er schon, dachte er sich und nahm den Verlauf nun selbst in die Hand, indem er sich mittels ein paar Tasten mit Lerou in Verbindung setzte.
Erschrocken fuhr dieser auf einem der Bildschirme zusammen: offensichtlich hatte er vergessen, dass er ein kleines Kommunikationsgerät für Notfälle am Ohr hatte und warf dabei fast seinen übergroßen Kelch um. Karou himmelte entnervt mit den Augen, während Nathiel essend vor sich hin kicherte, denn natürlich war ihr klar, dass Karou eigentlich vorgehabt hatte, mit Lerou zu sprechen, ohne Aufsehen zu erregen. Doch da Lerou so dermaßen zusammengefahren war, hatten sich nun alle Fürsten zu ihm gewandt.
Karou ließ sich jedoch nicht von seinem Vorhaben abbringen und übermittelte Lerou die geplanten Worte - die gewünschte Wirkung folgte auch sofort; auf einige Dinge konnte man sich eben doch verlassen.
Lerou sprang von seinem Thron auf, wobei Luzil herunterfiel, die vorher noch auf seiner Schulter gesessen hatte, welche allerdings keine Beachtung erhielt, denn diese bekam nun ganz alleine Youma, als Lerou angreifend auf den überrumpelten Halbdämon zeigte und bellend verkündete:
"Verschwinde sofort aus meinem Lerenien-Sei, du Wächter!"
"Na, Sie wollen ihn ja schnell wieder loswerden." Einen Moment lang fragte Karou sich, ob er sich verhört hatte, als Nathiel dies sagte - oder hatte er wirklich eine Spur Ärgernis in ihren Worten gehört, als er das Mikrofon wieder ausschaltete? Wenn ja, dann war das ein unglaublich befriedigendes Gefühl.
"Wieso? Hatten Sie denn noch etwas mit dem Halbwächter vor?" Nathiel warf die leere Schüssel achtlos auf den Boden, wo sie in tausend Scherben zersprang, doch sie antwortete ruhig:
"Sie brauchen sich gar nicht solche Mühe zu machen und die Fürsten gegen ihn aufbringen. Mein kleiner Junge wird ihn sowieso umbringen."
"Was macht Sie da so sicher?", antwortete Karou, ohne auf die vielen Scherben zu seinen Füßen einzugehen:
"Ich kenne doch meinen Jungen. Besser als jeder andere. Er tötet jeden."
"Hallo."
Etwas anderes wusste Green nicht zu sagen, nachdem sie an der Tür zur Behausung der Doceres, mit anderen Worten ihrer neuen Familie, klopfte und ihr auch sofort die Tür geöffnet wurde - und das auch noch von ihrem... Verlobten. Er strahlte übers ganze Gesicht, welches rot wurde als er Green sah; er brachte nicht mal eine Begrüßung heraus, weshalb sie sich nun schweigend anstarrten, während die Hikari verzweifelt versuchte, sein Lächeln genauso strahlend zu erwidern. Sie konnte allerdings nur darüber mutmaßen, ob ihr das gelang.
Zum Glück mussten sie sich nicht lange peinlich anschweigen, bis Shitaya ebenfalls in der Tür erschien und Green prompt hereinzog. Green war vorher noch nie in einer Tempelwohnung für Familien gewesen und war überrascht, wie geräumig sie war. Sie befand sich in dem wohl größten Raum der Wohnung, welche von der warmen Wintersonne durch das große Fenster am Ende des ovalen Raumes erleuchtet wurde. Ein paar kleine Stufen führten herunter in die eigentliche Stube, wo ein großer Tisch stand, welcher offensichtlich gerade von der Tempelwächterin der Familie gedeckt wurde. Fünf weitere Türen konnte Green ausmachen, doch sie waren alle geschlossen, so dass Green keinen Blick hinein erhaschen konnte. Auffallend war, dass die Wohnung, obwohl sie ein Teil des Tempels war, überaus privat angehaucht war: die Möblierung war eine andere als im Rest des Tempels und der Boden war nicht wie sonst aus Marmor, sondern mit einem hellblauen Teppichboden ausgelegt, auf welchem Kinderspielzeug verteilt war. An den Wänden hingen keine aufgetakelten Gemälde von irgendwelchen Hikari, sondern Photographien der Familie und, wie Green sofort bemerkte, viele verschiedene Auszeichnungen, die alle Shitayas Namen trugen. Allerdings hingen diese nicht für sich, sondern waren vermischt mit den Fotografien und den ersten Zeichnungen seiner Tochter, als wären diese Erinnerungsstücke ebenfalls Auszeichnungen.
Shitaya wandte sich nun hastig an Green, während Saiyon sich neben Green stellte, als wären sie schon Mann und Frau.
"Ich fühle mich außerordentlich geehrt, Euch in unserem Heim begrüßen zu dürfen, Hikari-sama! Entschuldigt die Unordnung." Green wusste nicht, was er meinte: außer dem Spielzeug sah sie kaum Unordnung.
"Ich glaube, Sie müssen das Suffix nicht länger benutzen: immerhin bin ich ja nun bald Ihre Schwägerin." Es war nicht Shitaya, welcher zuerst reagierte, sondern Saiyon, der die Bedeutung hinter Greens Worte natürlich verstand:
"Bedeutet das..." Wieder war Green versucht, ein strahlendes Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern, als sie das versiegelte Dokument vorzeigte.
"Ja, genau das bedeutet es. Unsere Hochzeit ist abgesegnet word-" Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment wurde sie bereits stürmisch von Saiyon in die erfreuten Arme geschlossen. Einen Augenblick wusste Green nicht, wie sie reagieren sollte; es war sehr lange her, dass sie auf diese Art von jemandem umarmt worden war. Der Letzte war... Sibe- nein! Nicht jetzt, nicht hier. Lächel, Green, lächel und leg die Arme um ihn. Er ist dein Verlobter. Du wirst ihn bald heiraten...
Doch sie kam nicht dazu, ihre gedachten Taten umzusetzen, denn Saiyon schien seine Freude über deren baldige Heirat nicht zurückhalten zu können - mit den Händen unter ihren Armen hob er sie auf einmal hoch und wirbelte sie lachend im Kreis.
"Hab ich nicht gesagt, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst, Saiyon-kun?", ertönte nun eine Frauenstimme, welche zu Säil gehörte, die den Balkon zusammen mit ihrem Kind auf dem Arm verlassen hatte, um an der heiteren Stimmung ihrer Familie teilzunehmen.
Anstatt Green sofort loszulassen, hielt er bloß inne, ließ sie jedoch nicht herunter, sondern drückte sie nach wie vor an sich, als fürchtete er, sie würde verschwinden, sobald sie den Boden berührte.
"Ich freu mich so für euch. Willkommen in der Familie, Hika... Ich meine natürlich Green", fuhr Säil weiterhin fort; offensichtlich hatte sie das Gespräch von Shitaya und Green gehört. Dieser gesellte sich nun neben seine Frau, im gleichen Moment wie Saiyon Green endlich herunterließ. Ihre Hände ließ er jedoch nicht los - und Green durchzuckte es wie ein Pfeil, als sie spürte, wie er seine Finger mit den ihren verband.
Nein!
Sie beeilte sich, diese Bindung wieder zu lösen, doch da sie nicht wollte, dass Saiyon Verdacht schöpfte, nahm sie stattdessen einfach seine Hand und umfasste diese mit ihrer. Um den Verdacht, dass etwas nicht in Ordnung war, weiter zu zerstreuen, drückte sie seine Hand sogar noch fester.
Sie mochte ihn immerhin.
Aber er sollte nicht noch einmal auf die Idee kommen, das mit ihrer Hand zu machen. Er war nicht... Gary. Auch wenn seine vertrauensvollen dunkelgrünen Augen ihr das immer wieder aufs Neue unbewusst vorzuspielen versuchten.
"Willst du nicht heute Abend bei uns essen?", fragte Shitaya und unterbrach damit Greens Gedankengänge mit einem freundlichen Lächeln. Er wartete gar nicht auf ihre Antwort, ehe er sich schon an seine Tempelwächterin wandte, um sie zu bitten, für eine Person mehr den Tisch zu decken. Green wollte ihn gerade darauf hinweisen, dass sie eigentlich mit ihren Elementarwächtern zu Abend aß, als ein Klopfen an der Tür ertönte.
"Herein?", fragte Shitaya sichtlich verwundert; scheinbar hatte er niemanden erwartet und war auch recht überrascht, als eine, für Green fremde, Tempelwächterin in der Tür erschien - sie konnte nicht wissen, dass es die Tempelwächterin Ukarios war.
Nachdem sie sich tief verbeugt hatte, teilte sie ihre Nachricht mit:
"Ukario-sama wünscht, Sie beide zu sehen", während sie dies sagte, sah sie sowohl Saiyon als auch Shitaya an, die ihr ruhiges Lächeln verwirrt erwiderten.
"Aber wir hatten doch erst eine Korrespondenz?" Die Tempelwächterin deutete ein verwirrtes Schulterzucken an und entgegnete:
"Ich kenne das Thema leider nicht." Warum wirkte diese Tempelwächterin um einiges offener und netter als Itzumi, musste sich Green sofort fragen - war sie denn die Einzige, die mit so einer steifen Tempelwächterin bestraft worden war?
Wenn man vom Teufel sprach: plötzlich stand eben diese ebenfalls in der Tür.
"Was willst du denn hier?", fragte Green etwas unwirscher als sie es beabsichtigt hatte, nachdem auch Itzumi sich verbeugt hatte. Itzumi tat so als wäre sie verwirrt, doch Green kannte sie gut genug, um zu erkennen, dass ihre Verwirrung nur aufgesetzt war.
"Aber Hikari-sama, ich bin nur hier, um die Habseligkeiten Saiyon-samas zu packen. Immerhin ist die Hochzeit nun besiegelt und daher wird Euer Geweihter natürlich von heute an mit Euch das Gemach teilen." Und das Bett - wie Green deutlich hinter der gespielten Freundlichkeit Itzumis herauslas, die sich diebisch darüber freute, dass Green darüber nicht begeistert war.
"Ich habe Euer neues Gemach bereits fertig ausgestattet."
"Neues Gemach? Ich soll umziehen?", fragte Green alles andere als begeistert, während Saiyon hochrot geworden war und plötzlich nervös zu werden schien. Das würde bei Green auch noch eintreten - momentan war sie allerdings noch zu wütend auf Itzumi, denn sie wusste, dass es sicherlich auch bis zum nächsten Tag hätte warten können und dass ihre ach so gewissenhafte Tempelwächterin sich sicher mit einem schadenfrohen Grinsen extra beeilt hatte.
"Aber natürlich", antwortete Itzumi monoton, doch Green hörte als einzige deutlich die Schadenfreude heraus, als sie fortfuhr:
"Euer Gemach war doch gar nicht für solch ein junges Paar ausgelegt." Green schwieg, denn sie fürchtete, dass, wenn sie den Mund aufmachen würde, ihr Widerwille deutlich zu hören sein würde. Stattdessen fluchte sie in Gedanken und wollte ihrer fleißigen Tempelwächterin den Hals umdrehen. Doch dazu kam sie nicht, denn das Räuspern von Ukarios Tempelwächterin stahl die Aufmerksamkeit:
"Ich gratuliere vielmals, doch muss ich darauf hinweisen, dass mein Herr noch andere Termine hat. Ich würde Sie bitten, ihn nicht warten zu lassen." Sowohl Shitaya als auch Saiyon schienen das Treffen mit Ukario vergessen zu haben bei der Vorstellung, dass der jüngere Bruder heute die trauten Arme der Familie verlassen sollte.
"Bevor Ihr geht, möchte ich Euch jedoch noch darum bitten, dass Ihr mir mitteilt, welches Zimmer das Eure ist, Saiyon-sama", bat Itzumi und fügte hinzu, dass sie dann die persönlichen Habseligkeiten zusammenpacken würde.
Es war jedoch nicht Saiyon, der ihr antwortete, sondern Säil, denn ihre weibliche Intuition hatte ihr deutlich mitgeteilt, dass Saiyon nun andere Probleme hatte als seine Habseligkeiten: er sah Green an und diese erwiderte seine großen Augen. Sie waren beide nervös. Denn sie wussten, was dies bedeutete.
"Ich..." Saiyon schluckte, offensichtlich schämte er sich für seine Nervosität und festigte daher seine Stimme:
"...werde nach dem Gespräch mit Ukario-sama da sein." Ohne auf eine Antwort von Green zu warten, wandte er sich an Itzumi, um zu erfahren, um welches Gemach es sich handelte. Doch Green war noch nicht fertig:
"Ah, das passt gut, denn ich muss auch noch mit meinem Großvater trainieren... Abendtraining. Es könnte spät werden." Und wieder machte Itzumi ihr einen Strich durch die Rechnung:
"Das erinnert mich daran, dass ich Euch von Eurem geehrten Großvater ausrichten soll, dass das Training heute Abend ausfällt. Ihr könnt Euch also gleich auf Euer neues Gemach begeben. Wenn Ihr es wünscht, bringe ich Euch hin." Hatte sich denn die ganze Welt gegen sie verschworen?! Die einzigen, die ihr jetzt noch helfen konnten, die das Unvermeidliche fürs Erste aufhalten konnten, waren ironischerweise die Dämonen - und zum ersten Mal flehte Green darum, dass sie doch bitte in dieser Nacht angreifen mochten. Eine Schlacht! Schnell!