Kapitel 106 - Der Elementschlüssel
Greens Lächeln schwand. Jetzt wurde es... ernst. Es war eigenartig - oder nicht? - aber sie wusste genau, was sie tun musste und welche Worte sie sagen sollte. Sie sah sich nicht nach Ryô und Itzumi herum, um von ihnen Hinweise zu erhalten, sondern wusste ganz von selbst, was der nächste Schritt war. Die beiden Tempelwächter waren noch da; sie waren hinter Green am Tor stehen geblieben und würden diesem finalen Schritt der Weihe beiwohnen. Doch leiten würden sie sie nicht mehr - das war nun Greens Aufgabe.
"Das Licht dankt Euch für Euer Hiersein." Ihre Stimme klang anders: Es war immer noch ihre Stimme, doch sie klang kräftiger, wie sie an den Wänden widerhallte und die große Halle erfüllte, als sprächen zwei Greens gleichzeitig.
"Es dankt Euch für Euren Beistand, Eure Treue, Euren Mut und die Opfer, die Ihr erbringen musstet." Niemand antwortete ihr, niemand rührte sich. Alle ihre Elementarwächter hielten den Kopf gesenkt, als sie diese alten Worte hörten, die schon so oft in dieser Halle gesagt worden waren und die sie nicht nur mit ihren Ohren hören konnten, sondern auch mit dem Herzen. Nur durch Pink ging ein Zittern; die anderen Wächter waren gänzlich ruhig, im Einklang, denn ihre Herzen schlugen gleich.
"Kein Opfer soll vergebens sein." Und wie aus einem Munde wiederholten alle Elementarwächter diese Worte:
"Kein Opfer soll vergebens sein."
"Denn wir werden das Licht und den Frieden bringen." Wieder wurden diese Worte mit zwölf Stimmen wiederholt.
"Wir sind heute hier, um unseren Schwur zu erneuern und vor den Göttern Zeugnis abzulegen für die Stärke unserer Seelen und die Hingabe für unser Element. Wir sind hier, um von den Göttern gesegnet zu werden, damit wir ihren Kampf zu Ende führen können. Für die Hoffnung auf Frieden!"
"Für die Hoffnung auf Frieden!"
"Um der Dunkelheit, der Boshaftigkeit und der Unreinheit zu trotzen!" Green streckte beide Hände aus, während die Worte wiederholt wurden:
"Wir werden kämpfen!" Und ihre Elementarwächter komplettierten den Satz:
"Bis in alle Ewigkeit!" Der Boden unter ihren Füßen leuchtete auf, als hätte er ihre Worte vernommen und als wäre dieses Strahlen seine Antwort. Zuerst leuchtete das Podest Greens und wie Wasser lief das Licht durch die Rillen der Verzierungen, herab auf den Boden, nachdem es das gesamte Podest in Weiß gehüllt hatte und breitete sich aus zu den Podesten der Elementarwächter, wo das Lichtwasser sich verfärbte, um in ihrer jeweiligen Elementfarbe zu erstrahlen. Ein wahrer Regenbogen aus Farben erleuchtete die Düsternis der Halle, als wäre eine vielfarbige Sonne just in diesem Moment am Himmel erschienen.
Als wäre das Licht Wind erhoben sich Greens zwei Zöpfe über ihr, als sie die Hand über ihrem Kopf langsam erhob. Hinter ihr ertönte der Klang der Glöckchen, als die beiden Tempelwächter das spitze Ende ihrer Sonnenstäbe auf dem steinernen Boden niederprallen ließen und damit eine auftosende Melodie erschufen, die wie ein Trommelschlag klang - ein Trommelschlag, der in ihrem Herzen widerhallte, als ihre Brust zu leuchten anfing und ihr Glöckchen sich von dieser erhob.
"Leite mich und führe uns zu den Göttern, oh Licht!" Es machte Green nicht nervös, ihr Glöckchen vor sich schweben zu sehen; es war mehr, als würde sie kurz einen guten Freund sehen, ehe das Strahlen zunahm und es über ihrem Kopf schwebte, um da - Greens Augen weiteten sich, als sie vom Strahlen gebadet wurde - die Form zu verändern. Zuerst sah sie ihren wohlbekannten Stab, mit dem sie so viele Kämpfe schon ausgefochten hatte, auch gegen sich selbst. Er hatte sie durch die Dunkelheit und die Einsamkeit begleitet und war Trost in der Trauer gewesen... Die Sonnenstäbe Itzumis und Ryôs schlugen noch einmal auf den Boden... und nun war es Zeit, "Lebewohl" zu sagen.
Der Stab drehte sich erst langsam um sich selbst, dann machte er einen hastigen Überschlag, der sich in Greens Augen widergespielte, die nicht blinzeln konnte, denn sie musste diesem Prozess beiwohnen, mit jeder Faser ihres Seins. Er drehte sich noch einmal und noch einmal und mit jeder Drehung wurde er länger. Die Flügel legten sich eng an den langen Stab heran, die schwarzen Ornamente fielen von ihm, die Leisten, die sie im Kampf immer so viel gebraucht hatte, lösten sich auf und zurück blieb ein vier Meter langer, simpler Stab aus pursten Goldlicht. Nein, es war kein Stab, der vor Green schwebte und darauf wartete von ihr geführt zu werden.
Es war ein Schlüssel.
Ein langer, goldener Schlüssel aus klarstem Licht mit deutlichen Verzweigungen an dessen Ende, eines für jedes Element... und das Schlüsselloch befand sich genau vor Green im Podest.
Green lächelte als sie die Hände nach dem Schlüsselstab ausstreckte. Er fühlte sich... warm und überaus angenehm an in ihren Händen, als hätte er, nein, sie beide nur darauf gewartet auf diese Art vereint zu werden.
"Erhebt Euch", sprach Green, deren Haare über ihrem Kopf im sanften Wind wirbelten.
"Und lauscht der Stimme Eures Elementes!"
Mit diesen Worten, die feierlich von den Glocken Itzumis und Ryôs begleitet wurden, versenkte Green den Schlüssel ins Schlüsselloch und drehte ihn.
"Ist das nicht einfach nur mag-ni-fique?" Blue fand das, was er sah, absolut nicht wunderbar. Er würde es eher besorgniserregend nennen und scheinbar war er da nicht der einzige:
"Warum klingst du so begeistert, wenn die Hikari geweiht und wahrscheinlich stärker wird?" Youmas Augen verengten sich skeptisch, während er sich Mühe gab, seine Haare aus dem Gesicht zu schieben. Von Nocturn folgte eine abwertende Handbewegung in die Richtung Youmas und Blues, dessen Besorgnis ihm wohl ins Gesicht geschrieben stand.
"Ihr habt beide keinen Sinn für Schönheit!"
"A-Also... i-ich... ich finde es tre-tres ... belle."
"Merci, Feullé." Nocturn schloss die Augen und tätschelte den Kopf seiner Tochter, die bei ihm auf dem Arm hockte und sich an seiner Schulter festhielt, als könne sie nicht selbst fliegen.
"Wenigstens eine hier hat Augen, die Schönheit erkennen können." Nocturn hob seine Augen wieder zum Himmel und ganz egal wie ernst Blue und Youma waren, sie folgten seinem Blick - immerhin sah man nicht alle Tage einen erleuchteten Himmel; leuchtend und strahlend in den Farben der Elementarwächter, wie bunte Nordlichter, die über den Himmel glitten. Ein einzigartiges Magieschauspiel, welches Nocturn genauso wenig wie die Wächter hatte verpassen wollen. Zu oft hatte er davon gelesen oder gehört in den Gedanken der Wächter, hatte er gesagt - es war Zeit, es selbst zu sehen, wenn auch aus sicherer Entfernung.
"Sie sind nur mit einem magischen Auge zu sehen", erklärte Nocturn gerade, als ein leuchtender, roter Streifen über ihren Köpfen vorbeizog.
"Die Menschen können es weder sehen noch spüren."
"Sind es Magie- oder Lichtströme?", fragte Blue, den Kopf wieder senkend und Nocturn ansehend, der seinen Blick allerdings nicht erwiderte. Es war auch Youma, der ihm antwortete - abwertend wie jedes Wort, welches er an ihn richtete, als wäre jeder Satz von Blue für ihn nervig und jedes Wort, das er wiederum an ihn richtete, pure Zeitverschwendung.
"Spürst du es etwa nicht? Es sind Lichtströme."
"Das sind sie in der Tat", ergänzte Nocturn:
"Es sind Reflektionen. Erschaffen von der großen Elementkraft, die sich in diesem Moment auf Sanctu Ele’Saces bündelt. Wir sehen so gesagt ihr Widerspiegeln. Eine größere Menge Magie wird man wohl kaum in so konzentrierter Kraft irgendwo sonst finden... So stark, dass sogar wir es über dem Himmel von Frankreich sehen können, obwohl wir so weit weg sind von Sanctu Ele’Saces. Hach, wie gerne wäre ich nicht jetzt dort und würde zusammen mit dem Wächtern singen!"
"Was für ein abstruser Gedankengang." Youma hob die Augenbrauen:
"Es ist nicht verwunderlich, dass du von manch einem Dämon als Verräter angesehen wirst." So manch Dämon hätten diese Worte wohl beleidigt, aber Nocturn nicht - seine Augen strahlten immer noch vor Begeisterung:
"Nun sag mir nicht, dass du es nicht auch spüren kannst! Diesen Drang!" Ergriffen legte Nocturn seine freie Hand über sein Herz und sprach theatralisch weiter:
"Diesen Drang dort zu sein und vereint mit den Wächtern zu singen, du, der doch sogar ein Element besitzt! Ich spüre den Drang so deutlich in mir, als wäre es mein Herz selbst, das..." Blue hörte nicht länger zu, denn er war bei Nocturns Erklärung hängengeblieben und ein Gedanke ging ihm nicht mehr aus dem Kopf: Green war inmitten dieses gigantischen Magiestroms? Wusste sie, wie sie diesen zu lenken hatte? So eine große Menge an Magie... sie bedurfte großer Verantwortung.
Denn sicherlich...
Blue kniff die Augen zusammen und öffnete sie gequält dreinblickend, als er in die Richtung sah, wo Sanctu Ele’Saces lag.
... verbarg eine solch große Menge an Magie auch große Gefahren.
Ihre Tante hatte sie belogen.
Pink war alleine.
Sie war ganz... ganz... alleine, an einem Ort, wo sie nicht sein wollte; einem Ort, der ihr wehtat bis in ihr Innerstes. Es war dunkel und es war kalt und überall, wo sie sich hinbewegte, waren Dornen, die sich in sie hineinbohrten, wenn sie auch nur einen Schritt machte. Sie war in einem endlosen... Dornenwald gefangen, dabei... dabei war es gerade noch so schön gewesen. Greens Worte hatten in ihr so viel Wärme geweckt und sie hatte für einen Moment lang keine Angst mehr gehabt. Alles war schön, alles war gut, wenn sie in Greens Nähe war. Aber Green war hier nicht, das wusste Pink. Sie brauchte nicht nach ihr rufen. Sie brauchte nicht den Mund öffnen, um es zu versuchen. Da war nur das kühle, rosa Wasser zu ihren Füßen und die tausend Dornen, alle spitz wie Nadeln.
Pink wollte sich nicht bewegen, aber sie traute sich auch nicht einfach nur stehenzubleiben. Irgendetwas war da. Irgendetwas hinter ihr, irgendetwas, was sie haben wollte. Etwas Schreckliches... etwas Schreckliches, wovor sie große Angst hatte, so große Angst, dass die Dornen stumpf erschienen. Sie musste weiter, sie musste sich durch sie durchkämpfen, sie musste weg... ganz, ganz weit weg...
Doch die Dornen waren nicht stumpf; sie wollten sich in Pink hineinbohren, in ihre arme, geschwächte Seele und Pink hielt inne, als sie die Dornen an ihrer Haut spürte - eben vor dieser, kurz davor sich hineinzubohren.
"Au..." Ihr kleines, zaghaftes "Au" verschluckte Pink sofort wieder, als sie etwas hinter sich spürte und dieses Mal drehte sie sich herum, getrieben von Panik... aber die Panik verflog auf einmal, als sie ihr "Hello Kitty"-Plüschtier inmitten einer Dornenlichtung sah. Ihre Angst war verschwunden und auch sämtliche Gedanken. Pink fragte sich nicht, warum die Dornen für Hello-Kitty-kun Platz machten, warum sie überall wuchsen, nur nicht um ihr treues, geliebtes Plüschtier herum. Es war ihr egal - sie sah ein bekanntes Gesicht. Sie fühlte sich in Sicherheit. Hello-Kitty-kun war immer für sie da gewesen, immer in ihrer Nähe. Wenn sie Albträume gehabt hatte, dann hatte er dafür gesorgt, dass Pink nicht schrie, denn er hatte sie getröstet. Mit ihm war sie nie alleine gewesen. Zum Glück war er auch hier!
Mit einem erleichterten Lächeln versuchte Pink sich aus den Dornen herauszuwinden, welche sich nun auch nicht mehr bewegten und wollte zu ihrem Plüschtier gelangen, welches sie mit seinen kugelrunden, schwarzen Augen anlächelte. Sie streckte die Hand aus, um endlich wieder mit ihm vereint zu sein, als sie warme Hände auf ihrer Schulter spürte.
"Tu das nicht, Pink." Pink, überrascht, aber nicht alarmiert, sah empor und sah eine fremde Frau hinter ihr stehen, die auch ihre Hände auf ihre Schulter gelegt hatte. Sie kannte sie nicht. Sie hatte sie noch nie gesehen, aber sie jagte ihr keine Angst ein. Sie sah nett aus und hatte ein warmes Lächeln, als kenne sie Pink sehr gut. Langes, hell-violettes Haar und ein simples, weites Kleid... sie leuchtete von Innen. Sie war tot, so viel wusste Pink, so viel spürte Pink.
"Ich bin deine Großmutter. Isari." Pink formte diesen unbekannten Namen mit den Lippen nach, ohne die Silben auszusprechen.
"Ich habe eine Großmutter?", fragte Pink immer noch mit großen, verwunderten Augen.
"Das hast du natürlich, auch wenn ich vor deiner Geburt verstarb. Shaginai hat mir aufgetragen, dir zur Seite zu stehen und dich zu beschützen, damit du nicht alleine bist." Isari schmunzelte:
"Das hätte er aber gar nicht tun brauchen, denn natürlich bin ich bei dir. Dein Element ist bei..." Sie wollte ihrer Enkelin gerade über den Kopf streicheln, als Pink sich abrupt loswandte.
"Das ist gelogen! Hello-Kitty-kun..." Pink drehte sich zu ihrem wartenden Plüschtier herum:
"... ist der einzige, der bei mir ist, wenn ich alleine bin! Er ist immer bei mir!" Isaris Blick wurde ernster und sie fixierte die Plüschkatze, als wäre es ihr Erzfeind, aber Pink fuhr fort:
"Mein Großvater..." Ihre Stimme zitterte, als Pink dieses Wort sagte und Isari sah wieder ihre Enkelin an.
"... ist ein unheimlicher Mann! Ich mag ihn nicht; er macht mir Angst. Hello-Kitty-kun hat mir noch nie Angst gemacht!" Pink schämte sich ein wenig, dass sie diese Worte gesagt hatte, denn sie wusste, dass Green langsam anfing, deren Großvater zu mögen, aber sie hatte nicht gelogen. Er war unheimlich. Er war beängstigend. Pink mochte nicht da sein, wenn er da war und sie sehen konnte. Seine Augen waren genauso spitz wie diese Dornen.
Ein Seufzen weckte Pink aus ihren Gedanken und sie sah, wie Isari mit den Augen himmelte.
"Er macht sogar Kindern Angst...! Seiner eigenen Enkelin." Sie schüttelte den Kopf:
"Unverbesserlich, dieser Mann." Pink wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie war verwirrt: war Isari etwa böse auf sie?
"Er sollte sich schämen, dass er mehr Angst verbreitet als ein Dämon." Pink blinzelte verwirrt:
"Ein Dämon?" Isari sah sie eine Weile an, ehe sie sich in die Hocke begab, um mit Pink auf einer Höhe zu sein. Sie hatte gar keine Angst vor den Dornen, dachte Pink. Aber vielleicht weil sie schon tot war... das machte vieles einfacher...
"Hast du Angst vor mir, Pink?" Pink überraschte diese Frage, aber sie gab ihr nicht sofort eine Antwort. Hatte sie Angst vor ihr...? Sie sah so lieb aus und ihre Augen stachen nicht... nur ihre Stimme klang komisch, als würden viele Personen auf einmal sprechen. Aber Angst hatte sie vor ihr nicht und deshalb schüttelte sie den Kopf.
"Gib mir mal deine Hände, mein Mädchen." Huh? Wo hatte Pink das schonmal gehört?
"Ich möchte dir etwas zeigen." Pink folgte der Aufforderung ohne darauf zu achten, dass die Dornen um sie herum dichter wurden, als wären sie plötzlich beunruhigt.
"Etwas Schönes?", fragte Pink und Isari lächelte:
"Etwas sehr Schönes. Das Schönste, was es gibt." Noch während sie dies sagte, begannen Pinks Handflächen rosa zu leuchten und die Augen der kleinen Hogo weiteten sich.
"Weißt du, was das ist, Pink?, flüsterte Isari, während sie ihren Handrücken streichelte.
"Meine... Magie."
"Das stimmt. Hier ist sie rein und klar und deutlich zu sehen..." Isari sah in Pinks Augen.
"Aber du hast Schwierigkeiten damit, sie draußen anzuwenden, nicht wahr?" Gequält sah Pink zur Seite.
"Nur... wenn ich jemanden beschützen will... dann spür ich sie." Sanft schloss Isari Pinks Finger und hielt sie in ihrer Hand, ihr fest in die Augen sehend.
"Du bist ein sehr liebes Kind, Pink, aber du musst auch an deinen eigenen Schutz denken. Das ist sehr wichtig, denn nur wenn man auf sich selbst Acht gibt, kann man die schützen, die man liebt." Sie lächelte ihre Enkelin an:
"Du musst keine Angst mehr haben, denn deine Magie, wir, sind bei dir. Du musst keine Angst vor Shaginai haben - welcher gar nicht so böse ist, wie er aussieht - und auch nicht vor den Schatten, auch wenn du dich vor diesen in Acht nehmen musst." Pink hatte es nicht bemerkt, aber das Wasser unter ihren Füßen hatte zu leuchten angefangen, genau wie Isaris Augen - und ihre eigenen. Das pinke Licht erfasste auch die Dornen, arbeitete sich an diesen hoch und tauchte den Dornenwald in ein leuchtendes, pinkes Meer. Es war so schön! Pinks Augen begannen zu strahlen; ihr gesamtes Gesicht hellte auf - so schön!
"Siehst du, Pink? Ich habe dir doch gesagt, dass ich dir das Schönste zeige."
"Und? Habe ich es dir nicht gesagt, kleine Flamme?" Firey konnte nichts anderes als lächeln, als Hirey ihr wie ein stolzer Vater gegenüberstand und sie anlächelte - das kleine, verschmitzte Grinsen, das seine Worte begleitete, ließ ihn jedoch eher wie einen großen Bruder wirken. Sie hatte sich immer einen großen Bruder gewünscht...
"Du brauchtest nie Angst zu haben." Firey nickte und die Angst, die sie vorher noch in sich gespürt hatte, kam ihr vor wie ein Traum, was... surreal war, denn sie flog gerade mit nackten Füßen über einer rotleuchtenden Wasseroberfläche, irgendwo in einer hellen, warmen, magischen Zwischensphäre in ihrem Element - und dies war gewiss kein Traum. Das hier, Hirey, das Wasser und sie, es war alles real und... und es war schön hier zu sein. Es war schön Hirey zu sehen, mit ihm vereint zu sein, seine Stimme dieses Mal - anders als damals in Karous Labor - mit einem Körper zu hören und zu sehen. Sie fühlte sich so verbunden mit ihm... mit ihm und ihrem Element. Es war so schön, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb.
"Es..." Firey musste schlucken, um ihrer Gefühle Herr zu werden.
"... es... ist so schön dich zu sehen. Jetzt... richtig. Ich hatte ziemliche Angst vor dir, als du... einfach so aufgetaucht bist im Tempel." Hirey grinste und warf seine feurigen Haare hinter sich.
"Ich wollte dir ja auch zugegeben einen Schrecken einjagen, es steht immerhin..." Das Grinsen verschwand:
"... ein schwieriger Kampf bevor." Auch das Lächeln Fireys war dahin.
"Gegen Karou?" Eine Welle glitt über die Wasseroberfläche und schob den Dampf des heißen Wassers davon, als würde deren Element von einem Raunen erfüllt werden.
"Gegen jeden Dämon." Ein Stich jagte durch Fireys Herz und sie schob den Gedanken an Silver beiseite, biss sich auf die Lippen und hoffte, dass Hirey nicht in ihr Herz hineinblicken konnte.
"Aber es wird der letzte sein. Der letzte Krieg... jeder tote Kamerad, jedes tote Kind, jeder Kampf. Nur hierfür." Fireys Augen weiteten sich - verstand sie das richtig? Meinte er... der letzte Kampf? Der letzte Krieg? Ja, sie verstand ihn scheinbar richtig, denn als Hirey empor sah, bestätigte er ihren Gedanken:
"Mit der Weihe deiner Hikari wird es eingeläutet... die Glut wird entfacht werden. Das hätte wohl niemand gedacht... Aber sie ist immerhin White-samas Tochter." Wieder tauchte ein Grinsen auf Hireys Gesicht auf, aber es sah weniger erfreut aus als vorher und wieder fragte Firey sich, ob er spüren konnte, wie sehr sich ihr Innerstes zusammenzog.
"Und White-sama hat mehr Wunder vollbracht als ich zählen kann." Er senkte den Kopf wieder und sah Firey erwartungsvoll an:
"Ist es nicht ein Grund zur Freude?" Es war nicht gut, dass er ihr diese Frage stellte. Firey wollte Hirey nicht anlügen und sie wusste auch nicht, ob sie das konnte. Würde er hier nicht jede Lüge durchschauen? Stand ihr die Wahrheit nicht ohnehin ins Gesicht geschrieben?
"Du hast zu viel Mitgefühl, kleine Flamme... Du solltest achtsam mit diesem Mitgefühl umgehen", sagte Hirey nachsichtig und etwas mitleidig.
"Ich will nicht, dass dir etwas passiert."
"Ich werde auf mich Acht geben." Hirey schmunzelte und nahm einen Schritt auf sie zu, womit sie sich nun gegenüberstanden und Firey bemerkte erst da, dass er gar nicht so viel größer war als sie.
"Nein, wir werden auf dich Acht geben."
"Ich werde euch auch in Zukunft sehen können?"
"Nein", lachte Hirey und legte plötzlich grinsend seine Stirn gegen Fireys:
"Wir ruhen. Wir sind tot. Wir sind Vergangenheit und du die Gegenwart. Aber du wirst uns spüren können - und wir werden immer bei dir sein und dein Feuer zum Entfachen bringen."
Da war wieder der Sturm, der in Saiyons Herzen wehte. Auch die graue Wasseroberfläche war aufgewirbelt und die Wolken - jedenfalls glaubte er, dass es Wolken waren - zogen ebenfalls unruhige Kreise über ihm. Sein Element... war in Aufruhr, doch es war keine freudige Erwartung, es war eine Beunruhigung, eine Vorahnung... und er spürte Trauer. War es, weil dessen letzter Elementarwächter so gewaltsam aus dem Leben gerissen worden war? Litt deren gesamtes Element mit ihm?
Saiyon drehte sich herum, doch er sah nichts anderes außer graue Wellen und Wolken. Seine Haare wirbelten um ihn herum, versperrten ihm kurzzeitig die Sicht, bis er sich die Haare wieder aus dem Gesicht geschoben hatte. Was wurde von ihm erwartet...? Sollte er den Wind stillen? Das konnte er nicht. Er glaubte nicht, dass das irgendjemand konnte. Immerhin... fiel Saiyon ein, war es nicht nur der letzte Elementarwächter des Windes, der unter so dramatischen Umständen ermordet worden war, sondern auch sein Vorgänger... Greys Vater. Sie waren nicht einfach nur gefallen wie die Kaze vor ihnen. Sie waren hingerichtet und von Boshaftigkeit aus dem Leben gerissen worden. Das gesamte Element litt. Es war zerrissen worden, nicht mehr im Einklang. Der Wind schrie und der Himmel weinte...
Und jetzt war da Saiyon, der Träger dieses verletzten Elementes. Er wollte es heilen, aber er wusste nicht... wie. Er hatte ja sogar die Waffe entgegengenommen, die von diesen beiden Elementarwächtern getragen worden war und sie getötet hatte. Vielleicht hatte Green doch Recht gehabt... Nein. Nein, Saiyon glaubte an seine Entscheidung. Er hatte das richtige getan, als er die Windklinge entgegengenommen hatte. Auch die Windklinge musste reingewaschen werden, von ihrem Fluch befreit werden.
Und es lag an Saiyon, dies zu...
Er war nicht mehr alleine und noch bevor er sich herumdrehte und sich wieder die Haare aus dem Gesicht wischte, wusste er, wer vor ihm stand, auch noch ehe dieser seine Stimme erhob, die mit dem Wind zu ihm getragen wurde:
"Ich hoffe, ich enttäusche dich nicht zu sehr."
Es war Grey.
"Das Licht dankt Euch für Euer Hiersein." Ihre Stimme klang anders: Es war immer noch ihre Stimme, doch sie klang kräftiger, wie sie an den Wänden widerhallte und die große Halle erfüllte, als sprächen zwei Greens gleichzeitig.
"Es dankt Euch für Euren Beistand, Eure Treue, Euren Mut und die Opfer, die Ihr erbringen musstet." Niemand antwortete ihr, niemand rührte sich. Alle ihre Elementarwächter hielten den Kopf gesenkt, als sie diese alten Worte hörten, die schon so oft in dieser Halle gesagt worden waren und die sie nicht nur mit ihren Ohren hören konnten, sondern auch mit dem Herzen. Nur durch Pink ging ein Zittern; die anderen Wächter waren gänzlich ruhig, im Einklang, denn ihre Herzen schlugen gleich.
"Kein Opfer soll vergebens sein." Und wie aus einem Munde wiederholten alle Elementarwächter diese Worte:
"Kein Opfer soll vergebens sein."
"Denn wir werden das Licht und den Frieden bringen." Wieder wurden diese Worte mit zwölf Stimmen wiederholt.
"Wir sind heute hier, um unseren Schwur zu erneuern und vor den Göttern Zeugnis abzulegen für die Stärke unserer Seelen und die Hingabe für unser Element. Wir sind hier, um von den Göttern gesegnet zu werden, damit wir ihren Kampf zu Ende führen können. Für die Hoffnung auf Frieden!"
"Für die Hoffnung auf Frieden!"
"Um der Dunkelheit, der Boshaftigkeit und der Unreinheit zu trotzen!" Green streckte beide Hände aus, während die Worte wiederholt wurden:
"Wir werden kämpfen!" Und ihre Elementarwächter komplettierten den Satz:
"Bis in alle Ewigkeit!" Der Boden unter ihren Füßen leuchtete auf, als hätte er ihre Worte vernommen und als wäre dieses Strahlen seine Antwort. Zuerst leuchtete das Podest Greens und wie Wasser lief das Licht durch die Rillen der Verzierungen, herab auf den Boden, nachdem es das gesamte Podest in Weiß gehüllt hatte und breitete sich aus zu den Podesten der Elementarwächter, wo das Lichtwasser sich verfärbte, um in ihrer jeweiligen Elementfarbe zu erstrahlen. Ein wahrer Regenbogen aus Farben erleuchtete die Düsternis der Halle, als wäre eine vielfarbige Sonne just in diesem Moment am Himmel erschienen.
Als wäre das Licht Wind erhoben sich Greens zwei Zöpfe über ihr, als sie die Hand über ihrem Kopf langsam erhob. Hinter ihr ertönte der Klang der Glöckchen, als die beiden Tempelwächter das spitze Ende ihrer Sonnenstäbe auf dem steinernen Boden niederprallen ließen und damit eine auftosende Melodie erschufen, die wie ein Trommelschlag klang - ein Trommelschlag, der in ihrem Herzen widerhallte, als ihre Brust zu leuchten anfing und ihr Glöckchen sich von dieser erhob.
"Leite mich und führe uns zu den Göttern, oh Licht!" Es machte Green nicht nervös, ihr Glöckchen vor sich schweben zu sehen; es war mehr, als würde sie kurz einen guten Freund sehen, ehe das Strahlen zunahm und es über ihrem Kopf schwebte, um da - Greens Augen weiteten sich, als sie vom Strahlen gebadet wurde - die Form zu verändern. Zuerst sah sie ihren wohlbekannten Stab, mit dem sie so viele Kämpfe schon ausgefochten hatte, auch gegen sich selbst. Er hatte sie durch die Dunkelheit und die Einsamkeit begleitet und war Trost in der Trauer gewesen... Die Sonnenstäbe Itzumis und Ryôs schlugen noch einmal auf den Boden... und nun war es Zeit, "Lebewohl" zu sagen.
Der Stab drehte sich erst langsam um sich selbst, dann machte er einen hastigen Überschlag, der sich in Greens Augen widergespielte, die nicht blinzeln konnte, denn sie musste diesem Prozess beiwohnen, mit jeder Faser ihres Seins. Er drehte sich noch einmal und noch einmal und mit jeder Drehung wurde er länger. Die Flügel legten sich eng an den langen Stab heran, die schwarzen Ornamente fielen von ihm, die Leisten, die sie im Kampf immer so viel gebraucht hatte, lösten sich auf und zurück blieb ein vier Meter langer, simpler Stab aus pursten Goldlicht. Nein, es war kein Stab, der vor Green schwebte und darauf wartete von ihr geführt zu werden.
Es war ein Schlüssel.
Ein langer, goldener Schlüssel aus klarstem Licht mit deutlichen Verzweigungen an dessen Ende, eines für jedes Element... und das Schlüsselloch befand sich genau vor Green im Podest.
Green lächelte als sie die Hände nach dem Schlüsselstab ausstreckte. Er fühlte sich... warm und überaus angenehm an in ihren Händen, als hätte er, nein, sie beide nur darauf gewartet auf diese Art vereint zu werden.
"Erhebt Euch", sprach Green, deren Haare über ihrem Kopf im sanften Wind wirbelten.
"Und lauscht der Stimme Eures Elementes!"
Mit diesen Worten, die feierlich von den Glocken Itzumis und Ryôs begleitet wurden, versenkte Green den Schlüssel ins Schlüsselloch und drehte ihn.
"Ist das nicht einfach nur mag-ni-fique?" Blue fand das, was er sah, absolut nicht wunderbar. Er würde es eher besorgniserregend nennen und scheinbar war er da nicht der einzige:
"Warum klingst du so begeistert, wenn die Hikari geweiht und wahrscheinlich stärker wird?" Youmas Augen verengten sich skeptisch, während er sich Mühe gab, seine Haare aus dem Gesicht zu schieben. Von Nocturn folgte eine abwertende Handbewegung in die Richtung Youmas und Blues, dessen Besorgnis ihm wohl ins Gesicht geschrieben stand.
"Ihr habt beide keinen Sinn für Schönheit!"
"A-Also... i-ich... ich finde es tre-tres ... belle."
"Merci, Feullé." Nocturn schloss die Augen und tätschelte den Kopf seiner Tochter, die bei ihm auf dem Arm hockte und sich an seiner Schulter festhielt, als könne sie nicht selbst fliegen.
"Wenigstens eine hier hat Augen, die Schönheit erkennen können." Nocturn hob seine Augen wieder zum Himmel und ganz egal wie ernst Blue und Youma waren, sie folgten seinem Blick - immerhin sah man nicht alle Tage einen erleuchteten Himmel; leuchtend und strahlend in den Farben der Elementarwächter, wie bunte Nordlichter, die über den Himmel glitten. Ein einzigartiges Magieschauspiel, welches Nocturn genauso wenig wie die Wächter hatte verpassen wollen. Zu oft hatte er davon gelesen oder gehört in den Gedanken der Wächter, hatte er gesagt - es war Zeit, es selbst zu sehen, wenn auch aus sicherer Entfernung.
"Sie sind nur mit einem magischen Auge zu sehen", erklärte Nocturn gerade, als ein leuchtender, roter Streifen über ihren Köpfen vorbeizog.
"Die Menschen können es weder sehen noch spüren."
"Sind es Magie- oder Lichtströme?", fragte Blue, den Kopf wieder senkend und Nocturn ansehend, der seinen Blick allerdings nicht erwiderte. Es war auch Youma, der ihm antwortete - abwertend wie jedes Wort, welches er an ihn richtete, als wäre jeder Satz von Blue für ihn nervig und jedes Wort, das er wiederum an ihn richtete, pure Zeitverschwendung.
"Spürst du es etwa nicht? Es sind Lichtströme."
"Das sind sie in der Tat", ergänzte Nocturn:
"Es sind Reflektionen. Erschaffen von der großen Elementkraft, die sich in diesem Moment auf Sanctu Ele’Saces bündelt. Wir sehen so gesagt ihr Widerspiegeln. Eine größere Menge Magie wird man wohl kaum in so konzentrierter Kraft irgendwo sonst finden... So stark, dass sogar wir es über dem Himmel von Frankreich sehen können, obwohl wir so weit weg sind von Sanctu Ele’Saces. Hach, wie gerne wäre ich nicht jetzt dort und würde zusammen mit dem Wächtern singen!"
"Was für ein abstruser Gedankengang." Youma hob die Augenbrauen:
"Es ist nicht verwunderlich, dass du von manch einem Dämon als Verräter angesehen wirst." So manch Dämon hätten diese Worte wohl beleidigt, aber Nocturn nicht - seine Augen strahlten immer noch vor Begeisterung:
"Nun sag mir nicht, dass du es nicht auch spüren kannst! Diesen Drang!" Ergriffen legte Nocturn seine freie Hand über sein Herz und sprach theatralisch weiter:
"Diesen Drang dort zu sein und vereint mit den Wächtern zu singen, du, der doch sogar ein Element besitzt! Ich spüre den Drang so deutlich in mir, als wäre es mein Herz selbst, das..." Blue hörte nicht länger zu, denn er war bei Nocturns Erklärung hängengeblieben und ein Gedanke ging ihm nicht mehr aus dem Kopf: Green war inmitten dieses gigantischen Magiestroms? Wusste sie, wie sie diesen zu lenken hatte? So eine große Menge an Magie... sie bedurfte großer Verantwortung.
Denn sicherlich...
Blue kniff die Augen zusammen und öffnete sie gequält dreinblickend, als er in die Richtung sah, wo Sanctu Ele’Saces lag.
... verbarg eine solch große Menge an Magie auch große Gefahren.
Ihre Tante hatte sie belogen.
Pink war alleine.
Sie war ganz... ganz... alleine, an einem Ort, wo sie nicht sein wollte; einem Ort, der ihr wehtat bis in ihr Innerstes. Es war dunkel und es war kalt und überall, wo sie sich hinbewegte, waren Dornen, die sich in sie hineinbohrten, wenn sie auch nur einen Schritt machte. Sie war in einem endlosen... Dornenwald gefangen, dabei... dabei war es gerade noch so schön gewesen. Greens Worte hatten in ihr so viel Wärme geweckt und sie hatte für einen Moment lang keine Angst mehr gehabt. Alles war schön, alles war gut, wenn sie in Greens Nähe war. Aber Green war hier nicht, das wusste Pink. Sie brauchte nicht nach ihr rufen. Sie brauchte nicht den Mund öffnen, um es zu versuchen. Da war nur das kühle, rosa Wasser zu ihren Füßen und die tausend Dornen, alle spitz wie Nadeln.
Pink wollte sich nicht bewegen, aber sie traute sich auch nicht einfach nur stehenzubleiben. Irgendetwas war da. Irgendetwas hinter ihr, irgendetwas, was sie haben wollte. Etwas Schreckliches... etwas Schreckliches, wovor sie große Angst hatte, so große Angst, dass die Dornen stumpf erschienen. Sie musste weiter, sie musste sich durch sie durchkämpfen, sie musste weg... ganz, ganz weit weg...
Doch die Dornen waren nicht stumpf; sie wollten sich in Pink hineinbohren, in ihre arme, geschwächte Seele und Pink hielt inne, als sie die Dornen an ihrer Haut spürte - eben vor dieser, kurz davor sich hineinzubohren.
"Au..." Ihr kleines, zaghaftes "Au" verschluckte Pink sofort wieder, als sie etwas hinter sich spürte und dieses Mal drehte sie sich herum, getrieben von Panik... aber die Panik verflog auf einmal, als sie ihr "Hello Kitty"-Plüschtier inmitten einer Dornenlichtung sah. Ihre Angst war verschwunden und auch sämtliche Gedanken. Pink fragte sich nicht, warum die Dornen für Hello-Kitty-kun Platz machten, warum sie überall wuchsen, nur nicht um ihr treues, geliebtes Plüschtier herum. Es war ihr egal - sie sah ein bekanntes Gesicht. Sie fühlte sich in Sicherheit. Hello-Kitty-kun war immer für sie da gewesen, immer in ihrer Nähe. Wenn sie Albträume gehabt hatte, dann hatte er dafür gesorgt, dass Pink nicht schrie, denn er hatte sie getröstet. Mit ihm war sie nie alleine gewesen. Zum Glück war er auch hier!
Mit einem erleichterten Lächeln versuchte Pink sich aus den Dornen herauszuwinden, welche sich nun auch nicht mehr bewegten und wollte zu ihrem Plüschtier gelangen, welches sie mit seinen kugelrunden, schwarzen Augen anlächelte. Sie streckte die Hand aus, um endlich wieder mit ihm vereint zu sein, als sie warme Hände auf ihrer Schulter spürte.
"Tu das nicht, Pink." Pink, überrascht, aber nicht alarmiert, sah empor und sah eine fremde Frau hinter ihr stehen, die auch ihre Hände auf ihre Schulter gelegt hatte. Sie kannte sie nicht. Sie hatte sie noch nie gesehen, aber sie jagte ihr keine Angst ein. Sie sah nett aus und hatte ein warmes Lächeln, als kenne sie Pink sehr gut. Langes, hell-violettes Haar und ein simples, weites Kleid... sie leuchtete von Innen. Sie war tot, so viel wusste Pink, so viel spürte Pink.
"Ich bin deine Großmutter. Isari." Pink formte diesen unbekannten Namen mit den Lippen nach, ohne die Silben auszusprechen.
"Ich habe eine Großmutter?", fragte Pink immer noch mit großen, verwunderten Augen.
"Das hast du natürlich, auch wenn ich vor deiner Geburt verstarb. Shaginai hat mir aufgetragen, dir zur Seite zu stehen und dich zu beschützen, damit du nicht alleine bist." Isari schmunzelte:
"Das hätte er aber gar nicht tun brauchen, denn natürlich bin ich bei dir. Dein Element ist bei..." Sie wollte ihrer Enkelin gerade über den Kopf streicheln, als Pink sich abrupt loswandte.
"Das ist gelogen! Hello-Kitty-kun..." Pink drehte sich zu ihrem wartenden Plüschtier herum:
"... ist der einzige, der bei mir ist, wenn ich alleine bin! Er ist immer bei mir!" Isaris Blick wurde ernster und sie fixierte die Plüschkatze, als wäre es ihr Erzfeind, aber Pink fuhr fort:
"Mein Großvater..." Ihre Stimme zitterte, als Pink dieses Wort sagte und Isari sah wieder ihre Enkelin an.
"... ist ein unheimlicher Mann! Ich mag ihn nicht; er macht mir Angst. Hello-Kitty-kun hat mir noch nie Angst gemacht!" Pink schämte sich ein wenig, dass sie diese Worte gesagt hatte, denn sie wusste, dass Green langsam anfing, deren Großvater zu mögen, aber sie hatte nicht gelogen. Er war unheimlich. Er war beängstigend. Pink mochte nicht da sein, wenn er da war und sie sehen konnte. Seine Augen waren genauso spitz wie diese Dornen.
Ein Seufzen weckte Pink aus ihren Gedanken und sie sah, wie Isari mit den Augen himmelte.
"Er macht sogar Kindern Angst...! Seiner eigenen Enkelin." Sie schüttelte den Kopf:
"Unverbesserlich, dieser Mann." Pink wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie war verwirrt: war Isari etwa böse auf sie?
"Er sollte sich schämen, dass er mehr Angst verbreitet als ein Dämon." Pink blinzelte verwirrt:
"Ein Dämon?" Isari sah sie eine Weile an, ehe sie sich in die Hocke begab, um mit Pink auf einer Höhe zu sein. Sie hatte gar keine Angst vor den Dornen, dachte Pink. Aber vielleicht weil sie schon tot war... das machte vieles einfacher...
"Hast du Angst vor mir, Pink?" Pink überraschte diese Frage, aber sie gab ihr nicht sofort eine Antwort. Hatte sie Angst vor ihr...? Sie sah so lieb aus und ihre Augen stachen nicht... nur ihre Stimme klang komisch, als würden viele Personen auf einmal sprechen. Aber Angst hatte sie vor ihr nicht und deshalb schüttelte sie den Kopf.
"Gib mir mal deine Hände, mein Mädchen." Huh? Wo hatte Pink das schonmal gehört?
"Ich möchte dir etwas zeigen." Pink folgte der Aufforderung ohne darauf zu achten, dass die Dornen um sie herum dichter wurden, als wären sie plötzlich beunruhigt.
"Etwas Schönes?", fragte Pink und Isari lächelte:
"Etwas sehr Schönes. Das Schönste, was es gibt." Noch während sie dies sagte, begannen Pinks Handflächen rosa zu leuchten und die Augen der kleinen Hogo weiteten sich.
"Weißt du, was das ist, Pink?, flüsterte Isari, während sie ihren Handrücken streichelte.
"Meine... Magie."
"Das stimmt. Hier ist sie rein und klar und deutlich zu sehen..." Isari sah in Pinks Augen.
"Aber du hast Schwierigkeiten damit, sie draußen anzuwenden, nicht wahr?" Gequält sah Pink zur Seite.
"Nur... wenn ich jemanden beschützen will... dann spür ich sie." Sanft schloss Isari Pinks Finger und hielt sie in ihrer Hand, ihr fest in die Augen sehend.
"Du bist ein sehr liebes Kind, Pink, aber du musst auch an deinen eigenen Schutz denken. Das ist sehr wichtig, denn nur wenn man auf sich selbst Acht gibt, kann man die schützen, die man liebt." Sie lächelte ihre Enkelin an:
"Du musst keine Angst mehr haben, denn deine Magie, wir, sind bei dir. Du musst keine Angst vor Shaginai haben - welcher gar nicht so böse ist, wie er aussieht - und auch nicht vor den Schatten, auch wenn du dich vor diesen in Acht nehmen musst." Pink hatte es nicht bemerkt, aber das Wasser unter ihren Füßen hatte zu leuchten angefangen, genau wie Isaris Augen - und ihre eigenen. Das pinke Licht erfasste auch die Dornen, arbeitete sich an diesen hoch und tauchte den Dornenwald in ein leuchtendes, pinkes Meer. Es war so schön! Pinks Augen begannen zu strahlen; ihr gesamtes Gesicht hellte auf - so schön!
"Siehst du, Pink? Ich habe dir doch gesagt, dass ich dir das Schönste zeige."
"Und? Habe ich es dir nicht gesagt, kleine Flamme?" Firey konnte nichts anderes als lächeln, als Hirey ihr wie ein stolzer Vater gegenüberstand und sie anlächelte - das kleine, verschmitzte Grinsen, das seine Worte begleitete, ließ ihn jedoch eher wie einen großen Bruder wirken. Sie hatte sich immer einen großen Bruder gewünscht...
"Du brauchtest nie Angst zu haben." Firey nickte und die Angst, die sie vorher noch in sich gespürt hatte, kam ihr vor wie ein Traum, was... surreal war, denn sie flog gerade mit nackten Füßen über einer rotleuchtenden Wasseroberfläche, irgendwo in einer hellen, warmen, magischen Zwischensphäre in ihrem Element - und dies war gewiss kein Traum. Das hier, Hirey, das Wasser und sie, es war alles real und... und es war schön hier zu sein. Es war schön Hirey zu sehen, mit ihm vereint zu sein, seine Stimme dieses Mal - anders als damals in Karous Labor - mit einem Körper zu hören und zu sehen. Sie fühlte sich so verbunden mit ihm... mit ihm und ihrem Element. Es war so schön, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb.
"Es..." Firey musste schlucken, um ihrer Gefühle Herr zu werden.
"... es... ist so schön dich zu sehen. Jetzt... richtig. Ich hatte ziemliche Angst vor dir, als du... einfach so aufgetaucht bist im Tempel." Hirey grinste und warf seine feurigen Haare hinter sich.
"Ich wollte dir ja auch zugegeben einen Schrecken einjagen, es steht immerhin..." Das Grinsen verschwand:
"... ein schwieriger Kampf bevor." Auch das Lächeln Fireys war dahin.
"Gegen Karou?" Eine Welle glitt über die Wasseroberfläche und schob den Dampf des heißen Wassers davon, als würde deren Element von einem Raunen erfüllt werden.
"Gegen jeden Dämon." Ein Stich jagte durch Fireys Herz und sie schob den Gedanken an Silver beiseite, biss sich auf die Lippen und hoffte, dass Hirey nicht in ihr Herz hineinblicken konnte.
"Aber es wird der letzte sein. Der letzte Krieg... jeder tote Kamerad, jedes tote Kind, jeder Kampf. Nur hierfür." Fireys Augen weiteten sich - verstand sie das richtig? Meinte er... der letzte Kampf? Der letzte Krieg? Ja, sie verstand ihn scheinbar richtig, denn als Hirey empor sah, bestätigte er ihren Gedanken:
"Mit der Weihe deiner Hikari wird es eingeläutet... die Glut wird entfacht werden. Das hätte wohl niemand gedacht... Aber sie ist immerhin White-samas Tochter." Wieder tauchte ein Grinsen auf Hireys Gesicht auf, aber es sah weniger erfreut aus als vorher und wieder fragte Firey sich, ob er spüren konnte, wie sehr sich ihr Innerstes zusammenzog.
"Und White-sama hat mehr Wunder vollbracht als ich zählen kann." Er senkte den Kopf wieder und sah Firey erwartungsvoll an:
"Ist es nicht ein Grund zur Freude?" Es war nicht gut, dass er ihr diese Frage stellte. Firey wollte Hirey nicht anlügen und sie wusste auch nicht, ob sie das konnte. Würde er hier nicht jede Lüge durchschauen? Stand ihr die Wahrheit nicht ohnehin ins Gesicht geschrieben?
"Du hast zu viel Mitgefühl, kleine Flamme... Du solltest achtsam mit diesem Mitgefühl umgehen", sagte Hirey nachsichtig und etwas mitleidig.
"Ich will nicht, dass dir etwas passiert."
"Ich werde auf mich Acht geben." Hirey schmunzelte und nahm einen Schritt auf sie zu, womit sie sich nun gegenüberstanden und Firey bemerkte erst da, dass er gar nicht so viel größer war als sie.
"Nein, wir werden auf dich Acht geben."
"Ich werde euch auch in Zukunft sehen können?"
"Nein", lachte Hirey und legte plötzlich grinsend seine Stirn gegen Fireys:
"Wir ruhen. Wir sind tot. Wir sind Vergangenheit und du die Gegenwart. Aber du wirst uns spüren können - und wir werden immer bei dir sein und dein Feuer zum Entfachen bringen."
Da war wieder der Sturm, der in Saiyons Herzen wehte. Auch die graue Wasseroberfläche war aufgewirbelt und die Wolken - jedenfalls glaubte er, dass es Wolken waren - zogen ebenfalls unruhige Kreise über ihm. Sein Element... war in Aufruhr, doch es war keine freudige Erwartung, es war eine Beunruhigung, eine Vorahnung... und er spürte Trauer. War es, weil dessen letzter Elementarwächter so gewaltsam aus dem Leben gerissen worden war? Litt deren gesamtes Element mit ihm?
Saiyon drehte sich herum, doch er sah nichts anderes außer graue Wellen und Wolken. Seine Haare wirbelten um ihn herum, versperrten ihm kurzzeitig die Sicht, bis er sich die Haare wieder aus dem Gesicht geschoben hatte. Was wurde von ihm erwartet...? Sollte er den Wind stillen? Das konnte er nicht. Er glaubte nicht, dass das irgendjemand konnte. Immerhin... fiel Saiyon ein, war es nicht nur der letzte Elementarwächter des Windes, der unter so dramatischen Umständen ermordet worden war, sondern auch sein Vorgänger... Greys Vater. Sie waren nicht einfach nur gefallen wie die Kaze vor ihnen. Sie waren hingerichtet und von Boshaftigkeit aus dem Leben gerissen worden. Das gesamte Element litt. Es war zerrissen worden, nicht mehr im Einklang. Der Wind schrie und der Himmel weinte...
Und jetzt war da Saiyon, der Träger dieses verletzten Elementes. Er wollte es heilen, aber er wusste nicht... wie. Er hatte ja sogar die Waffe entgegengenommen, die von diesen beiden Elementarwächtern getragen worden war und sie getötet hatte. Vielleicht hatte Green doch Recht gehabt... Nein. Nein, Saiyon glaubte an seine Entscheidung. Er hatte das richtige getan, als er die Windklinge entgegengenommen hatte. Auch die Windklinge musste reingewaschen werden, von ihrem Fluch befreit werden.
Und es lag an Saiyon, dies zu...
Er war nicht mehr alleine und noch bevor er sich herumdrehte und sich wieder die Haare aus dem Gesicht wischte, wusste er, wer vor ihm stand, auch noch ehe dieser seine Stimme erhob, die mit dem Wind zu ihm getragen wurde:
"Ich hoffe, ich enttäusche dich nicht zu sehr."
Es war Grey.