Kapitel 97 - Das Leiden der Elementlosen
"Die Suche nach meiner Mutter stellte sich in dieser enthusiastischen Menge von Wächtern und Dämonen als sehr schwierig heraus."
"Du nennst Hikari-kami-sama deine Mutter?"
"Ja. Wir mochten es, uns als Familie zu sehen, obwohl uns natürlich bewusst war, dass uns kein biologisches Band aneinanderband. Damals erwärmte sich mein Herz noch, wenn ich Hikaru meine Schwester nannte. Das tut es heute nicht mehr."
Es waren wirklich sehr viele Wächter und Dämonen unterwegs in den Straßen... von Brocken-Nell? Es war eine hübsche, in braun gehaltene Stadt, gelegen in einem Tal, eingebettet von vielen hohen Bergen. Die Sonne war eben untergegangen und das letzte Licht der Sonnenstrahlen malte den Himmel und die Schleierwolken in einem sachten Lila und es wurde langsam dunkel, doch das Leben war erblüht auf den schmalen Pfaden der Stadt. Die kleinen Schlangenpfade, auf denen sich die Menge um Stände und tummelte, wurden hell von vielen, vielen Fackeln erleuchtet und Musik und gute Laune hing in der Luft.
"Das ist eine florierende Stadt am Rande unserer Grenzen. Brocken-Nell. Wir befinden uns hier auf der Seite der Dämonen. Hier wurde damals sehr viel Erz gewonnen und auch die Duelle ausgetragen. Es war eine sehr lebendige, frohe Stadt..."
Es war so ungewohnt für Green, so viele Wächter und Dämonen friedlich auf einem Haufen zu sehen... Dämonen und Wächter, die miteinander sprachen, die sich austauschten, miteinander handelten, Freundschaft schlossen, ineinander verliebt waren, Kinder hatten... es hinterließ ein melancholisches Gefühl von Leere. Vielleicht weil sie wusste, dass sie sich vor zwei Jahren noch über diesen ungewohnten Anblick gefreut hätte, jetzt aber nicht so recht wusste, was sie damit anfangen sollte. Es war einfach befremdlich. Dieser Anblick und das Gefühl der Leere in ihr, die das alles plötzlich nicht sehen wollte, sich aber auch nicht von den lächelnden Gesichtern abwenden konnte, von den tanzenden Wesen... das Bild einer Welt, die schon längst nicht mehr existierte und vielleicht auch nie hätte existieren sollen.
Von Weitem beobachtete Green, wie die leuchtende Gestalt von Light sich durch die Menge schlängelte, aber immer wieder aufgehalten wurde von Dämonen oder Wächtern, die mit ihm sprechen wollten - er war damals schon genauso beliebt wie sie es einst in der Vergangenheit von Silence gesehen hatte, wo Dämonen mit ihm hatten Karten spielen wollen.
"Das erinnert mich an etwas... es erinnert mich an damals, als du mit Silence in dem alten Lerenien-Sei nach Youma gesucht hast. Da seid ihr auch durch die Menge geirrt. Die Stimmung..." Green versuchte sich genau daran zu erinnern:
"Sie war irgendwie... ähnlich. Alle hatten gute Laune, aber es hing Unheil in der Luft."
"Ein interessanter Vergleich. Ja... als ich Silence, vollkommen eingenommen von ihrer Sorge um Youma, hinterhergerannt bin, musste ich auch an diesen Moment zurückdenken. Aber wie du siehst, bleibe ich jetzt stehen, weil ich die Suche nach Hikaru und Mutter aufgebe. Als ich viele, viele Jahre später nach Youma suchte, sagte ich mir, dass ich nicht aufhören würde, dass ich nicht umdrehen würde. Diese eine Lektion hatte ich gelernt."
Light ging tatsächlich zurück zu Luzifer, der immer noch dort stand, wo die anderen ihn verlassen hatten; nur war er nicht mehr allein. Ein hoch gewachsener, ebenfalls gehörnter Dämon mit sehr auffälligem Goldschmuck an den Händen und um den sehr kräftigen Hals hatte sich zu ihm gesellt, um ihm in einem scheinbar sehr hitzigen Gespräch mit drei Wächtern zur Seite zu stehen. Er war höher als die Wächter und auch höher als Luzifer, aber eher von einem groben Äußeren, doch seine enganliegende Kleidung war sehr auffällig dekoriert, anders als die der Wächter, die eher simpel gekleidet waren; besonders die Person, mit der er sprach, sah sehr... unbeeindruckend aus. Sie war in ein langes, braunes Gewand gehüllt mit nur einer hölzernen Brosche als Akzent. Vom Aussehen her zu urteilen würde Green behaupten, dass zwei von ihnen Erdwächter waren... die Frau im Bunde sah aus wie eine Feuerwächterin.
"Der Dämon an Luzifers Seite ist einer von denen, die ihr heute Teufel nennt: Mammon. Nicht gerade der Umgänglichste von ihnen, wenn ich ehrlich bin... ich hatte nie einen besonders guten Draht zu ihm. Tsuchi, der Gott der Erde, ist die Person ihm gegenüber; er wird begleitet von seinem fünften Sohn und dessen Frau. Sie streiten sich... mal wieder."
Es war wirklich unverkennbar, dass sie ein hitziges Gespräch führten. Selbst Lights plötzliches Auftauchen brachte es nicht zu einer Abkühlung - im Gegenteil, sie beachteten ihn gar nicht, eine Sache, die ebenfalls ungewohnt war für Green: Immerhin bekam sie als Hikari stets sofort sämtliche Aufmerksamkeit. Aber die drei Wächter nahmen von Lights Anwesenheit gar keine Notiz; nur Luzifer sah ihn fragend an, sich wahrscheinlich darüber wundernd, warum er zurückgekehrt war, wo er doch nach seiner Mutter und Hikaru hatte suchen wollen.
"... uns ein solches Angebot zu unterbreiten ist eine maßlose Beleidigung. Ihr erzürnt die Anordnung dieser Welt!"
"Den Einzigen, den wir erzürnen...", begann Mammon, Tsuchi dabei herausfordernd fixierend mit seinen roten Augen:
"... seid doch Ihr, weil unsere Schaffungen Eure Eifersucht schüren!"
""Eifersucht"?! Wie könnt Ihr es wagen meinem Vater, dem Gott der Erde..."
"Was ist denn das Problem?" Es war für Lights sanfte Stimme unmöglich, Gehör zu finden; aber da Luzifer ihn von Anfang an beachtet hatte, nutzte er nun gekonnt die Gelegenheit, um den Streit unterbrechen:
"Nun, Light-san, Ihr wart doch nach der Renovierung bereits im Schloss von Lerenien-Sei?"
"Ohja, in der letzten Woche war ich dort. Der neue Fußboden des Thronsaals ist wunderschön geworden."
"Vielen Dank, Light-san. Der Stein aus den hiesigen Stollen wurden von Bruder Mammon geschliffen und zu diesem Glanz gebracht..." Mammon nickte stolz über die Worte seines Bruders, welcher mit seiner ruhigen Stimme fortfuhr:
"Das ist Marmor."
"Nein, eine Beleidigung ist das! Eine gehaltlose, sinnfreie Beleidigung." Light konnte dem offensichtlich genauso wenig folgen wie Green. Was konnte denn an Marmor eine Beleidigung sein? Der gesamte Tempel war aus Marmor!
"Weshalb erzürnt dich das so, Tsuchi? Ich fand, dass es sehr edel wirkte." Das Reden mit Light schien den Gott und seine beiden Begleiter ein wenig zu entspannen, auch wenn es ihnen nicht zu gefallen schien, dass Light von dem Fußboden der Dämonen angetan war. Über was für Dinge man sich aufregen konnte...
"Der Gott der Erde ist nur angesäuert, weil er nicht auf dieselbe Idee kam", warf Mammon ein und konnte sich ein überlegenes Grinsen nicht verkneifen, auch wenn er sich dafür einen vorwurfsvollen Blick von Luzifer einhandelte.
"Ich bin deswegen "angesäuert", weil euer sogenannter "Marmor" ein respektloses Erzeugnis ist. Dieses Gestein besitzt keine Vorteile anderer, herkömmlicher Steinarten; er dient lediglich der Befriedigung der Eitelkeit. Er ist sogar poröser als anderes Gestein. Wie man alleine auf die Idee kommt, daraus Fußböden zu machen, ist mir schleierhaft. Auf so eine Idee können auch nur Dämonen kommen, die nicht im Einklang mit den Elementen sind. Aber wie sollten sie auch!" Da tauchte sogar auf Luzifers feinen Gesichtszügen kurz eine Spur Ärgernis auf; aber trotzdem hinderte er seinen Mitdämonen daran, gegenanzuargumentieren, was Tsuchi zu gefallen schien - waren die Erdwächter etwa schon immer streitsüchtig gewesen?
"Ohne uns hättet ihr kein Wasser; ohne uns hättet ihr keine Wälder, ihr hättet kein Feuer und ohne mich hättet ihr kein Gestein, um es mit euren infanalen Ideen zu vergewaltigen! Also zügelt euren Hochmut." Einen kurzen Augenblick dachte Green, dass es zu einer Eskalation kommen würde - in ihrer Zeit wären auf jeden Fall schon einige Köpfe gerollt - aber offensichtlich waren die Dämonen der damaligen Zeit mit größerer Vernunft gesegnet als heute - und sie hatten Light, der sich sofort bei den beiden Teufeln entschuldigte, sobald Tsuchi und seine Familie ihnen mit erhobenem Haupt den Rücken zugekehrt hatten.
"Entschuldigt bitte seine Worte; ihr wisst ja, er ist sehr konservativ." Mammon schnaubte verächtlich und sein Schmuck klirrte auffällig und wütend:
"Ich bleibe dabei, dass er einfach nur eifersüchtig ist, weil er nicht selbst auf die Idee gekommen ist, den scheinbar so "sinnlosen" Marmor richtig zu nutzen." Light versuchte, die Stimmung durch ein unbeschwertes Lachen aufzulockern:
"Haha, ja, vielleicht, das will ich gar nicht ausschließen." Aber Luzifer ließ sich nicht erheitern. Ein Schatten verdunkelte sein Gesicht und seine goldenen Augen leuchteten in einem matten, dunklen Glanz; ein schwermütiger Anblick.
"Tsuchi-sama behält jedoch Recht. Wir erheben Anspruch auf etwas, das nicht uns gehört und mit dem wir niemals verbunden sein werden."
"Du lässt es fast so klingen als wären wir abhängig von ihnen! Soll ich deiner Meinung nach jedes Mal auf die Knie fallen, wenn ich den Hammer benutze?" Luzifer antwortete seinem Bruder nicht, aber gerade durch sein Schweigen machte er deutlich, dass er genau das impliziert hatte.
Aber da kam Light und sein Lächeln und seine Worte berührten Green in einem Grad, den sie nicht länger für möglich geglaubt hatte. War doch noch irgendwo in ihr Naivität vorhanden?
"Nein, niemand ist kreativer als ihr und wie viel haben wir nicht schon von euch gelernt! Wir arbeiten gemeinsam und zusammen und mit unseren jeweiligen Ressourcen und Qualitäten schaffen wir unsere Welt." Auch die beiden Dämonen blieben von Lights ehrlichen Worten nicht unberührt; der schwermütige Schatten war aus Luzifers Gesicht verschwunden - stattdessen sah er jedoch schnell wieder ernst drein, denn wie aus dem Nichts tauchte plötzlich sein Herrscher auf.
"Wie schön du das gesagt hast, Light-kun!", trällerte dieser, den Arm um Lights Schulter gelegt und den neben ihm sehr klein wirkenden Lichtgott an seine Seite drückend, der sofort versuchte sich höflich, aber bestimmt aus dieser freundschaftlichen Geste zu befreien. Green musste ein wenig schmunzeln, denn die Gesichtsausdrücke von Luzifer und Light ähnelten sich in diesem Moment sehr, während Mammon sich ehrfürchtig vor seinem Herrscher verbeugte.
"Ihr seid aber überraschend schnell zurück, mein Gebieter", bemerkte Luzifer mit erhobenen Augenbrauen, der sich, im Gegensatz zu Mammon, nicht verneigte, sondern tadelnd die Arme über der Brust verschränkt hatte.
"Wieso, gab ja auch nicht so viel zu besprechen, wenn man einfach rot wird und schweigt!" Luzifers Augenbrauen zuckten gefährlich und er wollte schon mit dem skeptischen Nachfragen beginnen, als er bemerkte, dass Light zusammenfuhr. Der namenlose Dämonenherrscher hatte es auch bemerkt, aber als er ihn schon fragen wollte, unterbrach Mammon ihn; offensichtlich war er neugierig und sein Herrscher hatte nichts dagegen, seine Neugierde zu befriedigen.
"Aaaaach, ich habe einem gewissen kleinen Mauerblümchen beigebracht, dass ich eher an anderen Charaktereigenschaften Interesse finde als an schüchterner Niedlichkeit... nicht wahr, Luzifer? ... Luzifeeer?" Aber Luzifer hörte ihm nicht zu, was ihn zum Schmollen brachte: Luzifer beobachtete weiterhin Light, der die Straße hinaufsah und ungewöhnlich ernst aussah. Luzifer fragte ihn nicht, aber Green tat es:
"Was hattest du, Light?"
"Was für ein Mauerblümchen denn, mein Gebieter?"
"Ich spürte eine starke Gefühlsregung; du kennst es auch. Alle unsere Nachkommen haben es selbst erfahren. Wie das Licht auf unsere Gefühle reagiert; wie unsere Gefühle es zum Erstrahlen und zum Wanken bringt. Hikaru und ich waren sehr eng mit unserer Mutter verbunden; bei besonders starken Gefühlen waren wir in der Lage, sie über unser gemeinsames Element zu vernehmen... wie Ringe auf der Wasseroberfläche. Dies war ein solcher Moment; nur, dass es mich dieses Mal überkam wie eine Welle. Das war nur ein einziges Mal zuvor geschehen und damals hat es unser Band mehr verändert, als jedes ausgetauschte Wort..."
"Oh, das errätst du nie."
"... und zwar in dem Moment, als meine Mutter sich in den Herrscher der Dämonen verliebt hatte und Hikaru begann, sie zu hassen."
Das weiße Wasser ließ Firey keine Ruhe. Sie hatte auch noch am folgenden Tag nichts davon getrunken; stattdessen löste sie nun den Deckel von der Plastikflasche, die Fail und Azuma ihr gegeben hatten, um sich aus dieser einen Schluck Wasser zu genehmigen, nachdem sie gerade ihr Morgentraining abgeschlossen hatte und sich mit dem Handtuch den Schweiß von der Stirn wischte.
"Ihr seid abgelenkt, Firey-sama." Ja, das konnte man wirklich so sagen: Die Zielscheibe und die Pfeile, die alle nicht in die rote Mitte getroffen hatten, untermauerten ihre Ablenkung deutlich.
"Entschuldigt bitte, Sensei..." Verstohlen warf Firey einen Blick zu Ignes herüber, der sich Notizen in seinem Notizblock machte. Auch er hatte, wie alle anderen Wächter natürlich, das Wasser getrunken; sie sah es in seinen Augen. Es war nicht so, dass sie fern oder leer wirkten, so wie Azuma es hatte klingen lassen - sie wirkten ruhiger als normal, als gäbe es nichts, was sie aus der Ruhe bringen konnte. Aber ab und zu sah sie bei ihm, wie auch bei den anderen Wächtern, ein kurzes Aufleuchten; als würde die Pupille selbst kurz blau, die Farbe seines Elementes, werden. Das gleiche hatte sie auch an diesem Morgen an Yuuki beobachten können und bei ihm war es noch auffälliger, denn er hatte normal braune Augen und nun war ihr, als würden sie immer mal wieder, für kurze Augenblicke, purpur werden.
Aber Firey konnte sich Azumas Eindruck, dass sie besessen wirkten, nicht anschließen. Ignes hatte Azuma getadelt wie er es sonst auch immer tat, Yuuki hatte herumgealbert und auch die anderen Wächter gingen ihren Gewohnheiten und Pflichten nach, wie sie es sonst immer taten... sie wirkten einfach ruhiger. Als wären sie alle im Einklang miteinander, was dadurch bestärkt wurde, dass Firey den Eindruck hatte, dass seit dem Beginn der Weihe weniger gesprochen wurde. Als wären keine Worte nötig, um sich zu verständigen.
"Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, Firey-sama. Ich verstehe, dass Ihr Euch Sorgen um Hikari-sama macht, aber das müsst Ihr nicht. Sie ist in der Obhut des Lichtes." Firey versuchte zu lächeln, aber beruhigen tat es sie nicht. Sie war einfach zu angespannt und die Tatsache, dass ihre Narben immer noch höllisch schmerzten und ihr nicht viel Schlaf gegönnt hatten, machte das Ganze auch nicht besser.
"Wie ich sehe hältst du dich lieber an Wasser-Wasser, huh, Fireyskat?", flüsterte Azuma ihr zu, nachdem Firey sich zu ihm auf die Bank gesetzt hatte, nachdem Ignes nun Yuuki aufgerufen hatte und sich die Trainingsarena nun Yuukis Element anpasste.
Firey deutete nur ein Nicken an, denn sie war sich nicht ganz sicher, ob sie das Richtige tat, denn was hatte sie mehr als ein ungutes Gefühl? Es gab keine konkreten Anzeichen darauf, dass das Wasser - oder die Weihe im Allgemeinen - irgendwie Unheil bringen würde. Als sie im Labor von Karou ohnmächtig geworden war und sie das erste Mal eine Verbindung zu ihrem Element aufgebaut hatte... das war ein schönes Gefühl gewesen. Angenehm, warm - ein Gefühl von "Zuhause", "Zusammengehörigkeit", eine "Einheit".
Sie warf einen Seitenblick zu einer Wasserkaraffe, in die das weiße Wasser gefüllt war - solche Karaffen standen überall im Reich der Wächter verteilt und wurden regelmäßig von den Tempelwächtern neu aufgefüllt, damit die arbeitenden Wächter nie lange Durst leiden mussten. Sie waren Firey nie sonderlich aufgefallen, aber jetzt hatte sie das Gefühl, sie würden sich ihr aufdrängen. Aber warum? Woher kam ihr ungutes Gefühl, wenn sie doch eigentlich gerne mit dem Element verbunden sein wollte? Warum biss sie auf den Deckel einer Wasserflasche, die in der Menschenwelt hergestellt worden war, statt sich ein Glas mit dem weißen Wasser zu füllen und es zu trinken? Ignes hatte ihr beigebracht, dass sie auf ihr Bauchgefühl hören sollte, weil das die kleine Stimme ihres Elementes war - aber diese Vorstellung erklärte ihr Gefühl nicht. Als sie mit ihrem Element hatte sprechen können, da hatten sie ihr gesagt, dass sie sie sehen würde, wenn Green die Weihe durchführen würde... und sie hatten nicht negativ von der Prozedur gesprochen.
Und was für Konsequenzen hatte es, wenn sie es bis zur Weihe nicht getrunken hatte? Azuma hatte es zwar einmal getrunken, aber bei ihm hatte es nicht die gleiche Wirkung erzielt wie bei den anderen Wächtern - Fail vermutete, dass sie beide mehr trinken mussten, weil sie "menschliche Wächter" waren. Boykottierten sie die Weihe womöglich noch ohne es zu wollen? Warum gab es nur so wenig Quellen über die Weihe... warum gab es niemanden, den man fragen könnte?
"Fireyskahaaaat?" Firey schreckte hoch, als sie bemerkte, dass sie Azuma ziemlich lange angeschwiegen hatte, anstatt ihm eine Antwort zu geben - doch noch bevor sie sich entschuldigen konnte, wurden sie beide von Ignes' lobenden Worten an Yuuki abgelenkt - und davon, dass Azuma ihn natürlich necken musste, ganz ungeachtet, ob seine Werte sich verbessert hatten.
... vielleicht machte sie sich einfach zu viele Gedanken.
Es war unverkennbar, dass Silver langsam nervös wurde. Am Anfang war er einfach nur verdattert gewesen, ganz so, als könne er nicht verstehen, dass er es war, der soeben von Ri-Il zum Assistenten befördert worden war. Dann kam die Freude - und jetzt, wo es langsam so weit war, dass er wirklich etwas tun sollte, kam die Nervosität.
"Das wird schon. Das wird schon. Ich soll ja nur in punkto Schnelligkeit und Ausweichen aushelfen - das kann ich! Und ich sehe gut aus!" Selbst Rui wusste nicht, was ihm sein fabelhaftes Aussehen für einen Vorteil bringen sollte beim Unterrichten von fünfzig hauptsächlich männlichen Dämonen. Natürlich sah Silver fabelhaft aus, aber das war doch völlig... unerheblich? Aber Rui bejahte natürlich einfach alles lächelnd und mit schwankenden Zöpfen, um Silver jetzt nicht noch weiter zu verunsichern, dabei einen Blick auf eine Armbanduhr werfend, die sie in ihrer Tasche hatte, statt sie um ihr Handgelenk zu tragen. Die Armbanduhr richtete sich nach der momentanen Zeit in Tokio, damit sie ihr Treffen mit Sho nicht verpassen würden; wenn das Treffen denn überhaupt noch stattfinden konnte. Es würde sehr knapp werden.
"Aber das wird schon, das wird schon! Ich bin ja schnell, haha!" Rui beeilte sich ihrem angebeteten Rotschopf da natürlich Recht zu geben, aber sie verstummte schnell, denn sie hatten das Ende der Treppe erreicht, an welcher Darius bereits im Schein der roten Lampions auf seinen neuen "Kollegen" wartete und ihm mit seinem Blick sofort deutlich machte, wie viel er dagegen hatte, Silver so zu nennen.
Denn Silver war nicht der Einzige, der die Beförderung nicht glauben konnte. Darius konnte genauso wenig begreifen, dass Ri-Il solch eine Entscheidung getroffen hatte. Immer wieder musste er sich selbst sagen, dass Silver nur ein Assistent war. Nichts anderes als das... und Ausweichen konnte er tatsächlich erstaunlich gut, aber er war viel zu unerfahren, viel zu kindisch, um irgendjemandem irgendetwas beizubringen.
"Bereit, Kleiner?", lautete seine erste, sehr schneidende Frage, die Silver mit Selbstbewusstsein konterte:
"Aber sowas von!" Diese selbstbewusste Antwort verschlechterte Darius' Laune:
"Du hingst immer nur an Ri-Ils Rockzipfel; wurdest verwöhnt von seinem Einzelunterricht! Die Horde kennst du gar nicht! Du kennst nicht mal die Namen von 20 Hordenmitgliedern, geschweige denn alle!" Was er auf jeden Fall tat!
"Das muss ich ja auch nicht. Ich punkte einfach mit meiner..." Rui glaubte für einen kurzen Moment, dass Silver in seiner versteckten Nervosität wieder sein Aussehen hervorheben würde, aber zum Glück tat er das nicht:
"... außergewöhnlichen Schnelligke-" Von der wollte Darius sich wohl selbst überzeugen, denn ohne jede Vorwarnung erfolgte ein seitlicher Fußtritt seinerseits, dem Silver tatsächlich mit einem galanten Sprung ausweichen konnte. Zwar hätte er dabei beinahe die nun hin und her schwankende Laterne getroffen, aber sein erfolgreiches Ausweichen und das missvergnügte Gesicht Darius' war Balsam für Silvers Selbstwertgefühl.
"Ha! Ich sagte doch, ich bin schne-" Ein Faustschlag mitten ins Gesicht brachte seine Überheblichkeit schnell zum Versiegen und stöhnend hielt er sich die Hand vor die nun blutende Nase, Darius finster anfunkelnd, ohne auf Rui zu achten, die natürlich sofort bestürzt an seine Seite gestürzt war, als hätte Darius ihn schwer verletzt.
"Sie hätten Silver-sama die Nase brechen können!" Darius schnaubte verächtlich, beachtete ihre Worte ansonsten allerdings nicht und richtete sich direkt an Silver:
"Unser Fürst und Meister hat dir eine große Ehre erwiesen - also nimm es ernst! Rumalbern wie ein unreifer Jungdämon kannst du in der hintersten Reihe der Horde, aber nicht an ihrer Spitze!" Silver wischte sich das Blut von der schmerzenden Nase, grummelte irgendetwas, wagte es aber nicht zu widersprechen - immerhin wollte er auch, dass Ri-Il stolz auf ihn sein konnte und seine Entscheidung nicht bereute.
"Hör gut zu, Bursche." Darius beugte sich vor und seine kleinen Augen bohrten sich in Silvers:
"Du hältst dich bedeckt, hast du mich verstanden? Ich will kein albernes Angeben von dir sehen - eigentlich will ich gar nichts von dir sehen! Du bleibst hinter mir und versuchst zu lernen, haben wir uns verstanden?"
"Nein." Bei dieser frechen, direkten Antwort schien Darius sofort rotzusehen und auch Rui war verblüfft über diese Dreistigkeit, aber Silver kam zuerst zu Wort:
"Du hast mir nicht gesagt, was ich denn lernen soll", konterte er kühn und Darius türmte sich wieder auf - zu Ruis Überraschung sah er jedoch nicht länger so aus, als würde er Silver nun endgültig die Nase brechen wollen.
"Die Horde. Das ist es, was du lernen musst. Du musst sie kennenlernen. Jedes Mitglied. Ihre Namen, ihre Stärken und ganz besonders ihre Schwächen. Bevor du das nicht kannst, wirst du keinen einzigen Mucks von dir geben!" Silver wollte etwas antworten - denn das klang alles andere als spannend! - aber er schwieg und schluckte seine Beschwerde herunter.
"Und jetzt beweise, dass Ri-Il-sama sich nicht in dir getäuscht hat!"
Alle Elementarwächter bis auf Firey und Azuma hatten das weiße Wasser getrunken und als sie vor dem Abendessen zu einer Konferenz zusammenfanden, bemerkte Firey auch in ihren Augen das kurze Aufleuchten ihrer Elementfarbe und dieselbe eigenartige Ruhe. Unter den gegebenen Umständen war Firey eigentlich verwundert, dass überhaupt eine Konferenz abgehalten wurde, aber der Tagesablauf ging natürlich weiter - ob Green sich nun im Turm der Reinheit befand oder nicht. Es kam ihr immer noch irgendwie komisch vor, dass sie Shitaya dort stehen sah, wo sonst immer Grey oder Green gestanden hatten... er war ohne Zweifel in seinem Element, aber dennoch. Irgendwie wirkte nicht nur seine Position, sondern auch seine Anwesenheit - wie die von Saiyon - immer noch befremdlich. Als wären sie Fremdkörper. Aber beide ließen sich nicht in ihrer Professionalität beirren.
Firey würde gerne mit Saiyon, welcher neben ihr saß, über Green sprechen; er war immerhin die letzte Person, die sie gesehen hatte - war sie irgendwie anders gewesen? War sie auch nervös gewesen? Aber es gab keine Gelegenheit für ein solches Gespräch, denn die versammelten Elementarwächter sahen alle auf je einen kleinen magisch erzeugten Bildschirm vor ihnen, der verschiedene Videoaufnahmen zeigte. Nicht etwa von dem momentanen Krieg, sondern von dem letzten Elementarkrieg, wo sie das Elementarwächterteam vor ihnen kämpfen sahen.
"Wie wir sehen können ist das erfolgreiche Durchführen der Weihe nicht nur für unsere Hikari und das Wächtertum von beträchtlicher Wichtigkeit - sondern auch für unseren zukünftigen Kampfstil", ertönte Shitayas Stimme von der Spitze des Tisches, die Videoübertragung kommentierend. Firey wusste allerdings nicht genau, was er damit meinte - sie war wie immer absolut überwältigt von dem Können Hireys. Wie schnell er war; wie präzise jeder Schuss war... und während er mit der einen Hand einen Pfeil aus dem Köcher zog, verbrannte er mit der anderen die Dämonen, die ihn hatten angreifen wollen. Er war einfach wahnsinnig talentiert.
"Ich verstehe, was Sie meinen, Shitaya-san", antwortete Kaira und ließ Firey sich dumm vorkommen, denn sie verstand absolut nicht, weshalb Shitaya ihnen diese Aufzeichnungen zeigte oder was sie mit der Weihe zu tun hatten.
"Es scheint so, als würden sie Dämonen bemerken, die sie sonst aus dem toten Winkel heraus angegriffen hätten."
"Stimmt", pflichtete Yuuki seiner Halbschwester bei und Firey bemerkte, dass er sich dafür nicht einmal einen Seitenblick ihrerseits einhandelte:
"Als hätten sie Augen im Nacken." Shitaya stimmte dem zu und nachdem er eine schnelle Handbewegung über einen Kontrollbildschirm zu seiner Rechten gemacht hatte, tauchte eine andere Übertragung vor ihnen auf, die dieses Mal auch Ton hatte.
"Es ist unglaublich", hörten sie Mizuno, die vorangegangene Elementarwächterin des Wassers, sagen. Sie war wegen des Kampfes außer Atem, aber sie schien überaus freudig erregt zu sein:
"Ich habe die Stimme meines Elementes noch nie so klar hören können! Seitdem wir geweiht worden sind, ist es... ist es... ach, ich kann es gar nicht beschreiben, es ist schwer in Worte zu fassen, wenn man es nicht erlebt... nicht fühlen kann... es ist..." Firey bemerkte, dass ihr Herz sich beschleunigte und zu ihrer Linken spürte sie auch eine Erregung in Azura - kein Wunder, immerhin war es ihre Mutter...
"... als wären sie bei mir. Meine Vorfahren, mein... Vater... als würden sie mir beistehen." Für einen kurzen Augenblick war Mizuno zu ergriffen, um fortfahren zu können und es wirkte so, als wären ihre Augen glasig geworden, aber sie gab ihren Gefühlen nicht nach:
"...ich bin so froh, eine Elementarwächterin zu sein und dieses Glück erfahren zu können. Ich bin so dankbar, wahrhaftig... dankbar." Firey hatte keine Verwandten, die irgendwie mit dem Element des Feuers verbunden waren - anders sah es da natürlich mit ihren Mitstreitern aus und als sie dies hörten, hatte sich kurz eine beklommene Ruhe über sie gesenkt - die Aussicht, mit ihren Vorfahren, ihren verstorbenen Familienmitgliedern in Kontakt treten zu können, machte sie für einen Augenblick alle gleich ergriffen. Sogar die sonst so harte Kaira schien diese Neuigkeit zu berühren. Außer Azuma; dieser gähnte einfach nur, aber Firey war froh, dass er keinen respektlosen Kommentar äußerte.
"Es gibt leider keine konkreten Informationen...", begann Shitaya nach einem kurzen Schweigen, woraufhin sie wieder zu ihm sahen:
"... und es scheint auch bei jedem anders ausgeprägt zu sein, aber es sieht so aus, als würden unsere Vorfahren uns, sobald wir geweiht wurden, im Kampf unterstützen."
"Wovon ist das abhängig?", fragte Ilang, die sich ansonsten eher zurückhielt. Allgemein war sie sehr schweigsam geworden, auch schon bevor die Weihe angefangen hatte, aber wer konnte ihr das verübeln...
"Nun, das kann ich leider nicht sagen. Ich mutmaße, dass es damit zusammenhängt, wie stark unsere Bindung zu unserem Element im Vorfeld ist. Aber, wie gesagt, das ist nur eine Vermutung. Es ist ein sehr heikles Thema, weshalb nicht viel Forschung betrieben wurde, um diese Fragen zu beantworten."
"Warum eigentlich?", unterbrach Azuma Shitayas Erklärung - und da sah Firey es wieder. Dieses Mal sogar sehr deutlich; Shitayas grüne Augen leuchteten türkis, als er Azuma durchbohrte, was sogar ihn für einen kurzen Moment einschüchterte:
"Weil es verboten ist. Es ist eine heilige Zeremonie und als eine solche ist jegliche Forschung entweihend und verunreinigend." Niemand kommentierte Shitayas kalte Antwort oder das Aufleuchten seiner Augen und als wäre nichts geschehen wandte er sich dem eigentlichen Thema wieder zu. Nur Firey und Azuma warfen sich nervöse Blicke zu.
"Wir werden es bald erfahren." Ilang nickte und Shitaya wechselte das Thema:
"Es gibt allerdings etwas Konkretes." Wieder sausten seine Finger über den Bildschirm zu seiner Rechten und ein neues Video tauchte auf den Bildschirmen der Elementarwächter auf. Wieder waren es die Elementarwächter Whites im Kampf; nach einigen Sekunden von bewegtem Bildmaterial pausierte Shitaya das Video.
"Seht ihr das weiße Aufleuchten um unsere Vorfahren herum?" Zustimmendes Gemurmel ertönte und er ließ das Video weiter laufen, womit sie erstaunt feststellen konnten, dass:
"Ihre Wunden heilen!", entfuhr es Azura erstaunt.
"In der Tat, das tun sie. Die Weihe schmiedet ein unsichtbares Band zwischen uns und unserer Hikari; ein ausbaufähiges Band, doch bei erfolgreichem Training ist es tatsächlich möglich, dass unsere Hikari uns - obwohl wir uns nicht in ihrer unmittelbaren Nähe befinden - heilen kann. Das war natürlich..." Shitaya schmunzelte:
"... für die Elementarwächter White-samas ein sehr großer Vorteil in Anbetracht von White-samas schier unerschöpflicher Lichtmagie." Sie sprachen es nicht aus, aber ihnen war allen klar, dass sie nicht den gleichen Vorteil haben würden bei einer Hikari wie Green, deren Lichtreserven eher gering waren.
"Um die Möglichkeiten dieses Bandes zu testen und die Fähigkeiten auszubauen, wurden in der Woche nach der Weihe sechs Trainingseinheiten pro Tag festgelegt, beginnend nach dem gemeinsamen Frühstück." Firey erwartete, dass irgendjemand stöhnen würde, doch niemand äußerte Unzufriedenheit; nur Azuma himmelte genervt mit den Augen.
Shitaya ging noch einmal seine Liste durch, ob er an alles gedacht hatte, ehe er die Konferenz für beendet erklärte und alle in ihre jeweiligen Richtungen verschwanden. Saiyon verabschiedete sich von seinem Bruder, welcher sich zu Säil aufmachte, die er zusammen mit Pink draußen im grünen Gras der Tempelanlage vorfand.
Noch bevor er bei ihnen angekommen war, hatte seine Frau ihn bemerkt und sofort steuerte sie auf ihn zu, deren Tochter mit Pink spielend zurücklassend.
Sie hauchte einen Kuss auf seine linke, dann seine rechte Wange, doch zog sich nicht zurück:
"Ich glaube, du hast recht mit deinem Dämonie-Verdacht, Schatz."
Shitaya spielte weiterhin den lächelnden Ehemann und nahm sie in die Arme, womit er ihrem Ohr nahe war:
"Ist es dann sicher, sie mit Shiya alleine zu lassen?"
"Welcher Dämon auch immer von ihr Besitz ergriffen hat, so ist er nicht dumm. Er zeigt sich nicht und überlässt ihr die Kontrolle... aber Pink-chan weiß es. Sie spürt es und versucht darauf aufmerksam zu machen. Aber der Dämon verhindert es immer wieder. Pech für ihn, dass ich so lange in der Dämonie-Abteilung gearbeitet habe."
"Wenn er so schlau ist, was hat ihn verraten? Du hast mir doch bis heute nicht glauben wollen." Sie lösten sich voneinander und trotz ihrem sehr ernsten Gesprächsthema lächelten sie sich verliebt an wie immer:
"Pink-chan trinkt und trinkt und trinkt, aber sie kann das heilige Wasser nicht in ihrem Körper behalten. Sie übergibt sich."
"Aber mit einem Dämon in unserer Mitte bedeutet das..." Jetzt schwand das Lächeln beider:
"Ja. Die Weihe könnte scheitern."
"Du nennst Hikari-kami-sama deine Mutter?"
"Ja. Wir mochten es, uns als Familie zu sehen, obwohl uns natürlich bewusst war, dass uns kein biologisches Band aneinanderband. Damals erwärmte sich mein Herz noch, wenn ich Hikaru meine Schwester nannte. Das tut es heute nicht mehr."
Es waren wirklich sehr viele Wächter und Dämonen unterwegs in den Straßen... von Brocken-Nell? Es war eine hübsche, in braun gehaltene Stadt, gelegen in einem Tal, eingebettet von vielen hohen Bergen. Die Sonne war eben untergegangen und das letzte Licht der Sonnenstrahlen malte den Himmel und die Schleierwolken in einem sachten Lila und es wurde langsam dunkel, doch das Leben war erblüht auf den schmalen Pfaden der Stadt. Die kleinen Schlangenpfade, auf denen sich die Menge um Stände und tummelte, wurden hell von vielen, vielen Fackeln erleuchtet und Musik und gute Laune hing in der Luft.
"Das ist eine florierende Stadt am Rande unserer Grenzen. Brocken-Nell. Wir befinden uns hier auf der Seite der Dämonen. Hier wurde damals sehr viel Erz gewonnen und auch die Duelle ausgetragen. Es war eine sehr lebendige, frohe Stadt..."
Es war so ungewohnt für Green, so viele Wächter und Dämonen friedlich auf einem Haufen zu sehen... Dämonen und Wächter, die miteinander sprachen, die sich austauschten, miteinander handelten, Freundschaft schlossen, ineinander verliebt waren, Kinder hatten... es hinterließ ein melancholisches Gefühl von Leere. Vielleicht weil sie wusste, dass sie sich vor zwei Jahren noch über diesen ungewohnten Anblick gefreut hätte, jetzt aber nicht so recht wusste, was sie damit anfangen sollte. Es war einfach befremdlich. Dieser Anblick und das Gefühl der Leere in ihr, die das alles plötzlich nicht sehen wollte, sich aber auch nicht von den lächelnden Gesichtern abwenden konnte, von den tanzenden Wesen... das Bild einer Welt, die schon längst nicht mehr existierte und vielleicht auch nie hätte existieren sollen.
Von Weitem beobachtete Green, wie die leuchtende Gestalt von Light sich durch die Menge schlängelte, aber immer wieder aufgehalten wurde von Dämonen oder Wächtern, die mit ihm sprechen wollten - er war damals schon genauso beliebt wie sie es einst in der Vergangenheit von Silence gesehen hatte, wo Dämonen mit ihm hatten Karten spielen wollen.
"Das erinnert mich an etwas... es erinnert mich an damals, als du mit Silence in dem alten Lerenien-Sei nach Youma gesucht hast. Da seid ihr auch durch die Menge geirrt. Die Stimmung..." Green versuchte sich genau daran zu erinnern:
"Sie war irgendwie... ähnlich. Alle hatten gute Laune, aber es hing Unheil in der Luft."
"Ein interessanter Vergleich. Ja... als ich Silence, vollkommen eingenommen von ihrer Sorge um Youma, hinterhergerannt bin, musste ich auch an diesen Moment zurückdenken. Aber wie du siehst, bleibe ich jetzt stehen, weil ich die Suche nach Hikaru und Mutter aufgebe. Als ich viele, viele Jahre später nach Youma suchte, sagte ich mir, dass ich nicht aufhören würde, dass ich nicht umdrehen würde. Diese eine Lektion hatte ich gelernt."
Light ging tatsächlich zurück zu Luzifer, der immer noch dort stand, wo die anderen ihn verlassen hatten; nur war er nicht mehr allein. Ein hoch gewachsener, ebenfalls gehörnter Dämon mit sehr auffälligem Goldschmuck an den Händen und um den sehr kräftigen Hals hatte sich zu ihm gesellt, um ihm in einem scheinbar sehr hitzigen Gespräch mit drei Wächtern zur Seite zu stehen. Er war höher als die Wächter und auch höher als Luzifer, aber eher von einem groben Äußeren, doch seine enganliegende Kleidung war sehr auffällig dekoriert, anders als die der Wächter, die eher simpel gekleidet waren; besonders die Person, mit der er sprach, sah sehr... unbeeindruckend aus. Sie war in ein langes, braunes Gewand gehüllt mit nur einer hölzernen Brosche als Akzent. Vom Aussehen her zu urteilen würde Green behaupten, dass zwei von ihnen Erdwächter waren... die Frau im Bunde sah aus wie eine Feuerwächterin.
"Der Dämon an Luzifers Seite ist einer von denen, die ihr heute Teufel nennt: Mammon. Nicht gerade der Umgänglichste von ihnen, wenn ich ehrlich bin... ich hatte nie einen besonders guten Draht zu ihm. Tsuchi, der Gott der Erde, ist die Person ihm gegenüber; er wird begleitet von seinem fünften Sohn und dessen Frau. Sie streiten sich... mal wieder."
Es war wirklich unverkennbar, dass sie ein hitziges Gespräch führten. Selbst Lights plötzliches Auftauchen brachte es nicht zu einer Abkühlung - im Gegenteil, sie beachteten ihn gar nicht, eine Sache, die ebenfalls ungewohnt war für Green: Immerhin bekam sie als Hikari stets sofort sämtliche Aufmerksamkeit. Aber die drei Wächter nahmen von Lights Anwesenheit gar keine Notiz; nur Luzifer sah ihn fragend an, sich wahrscheinlich darüber wundernd, warum er zurückgekehrt war, wo er doch nach seiner Mutter und Hikaru hatte suchen wollen.
"... uns ein solches Angebot zu unterbreiten ist eine maßlose Beleidigung. Ihr erzürnt die Anordnung dieser Welt!"
"Den Einzigen, den wir erzürnen...", begann Mammon, Tsuchi dabei herausfordernd fixierend mit seinen roten Augen:
"... seid doch Ihr, weil unsere Schaffungen Eure Eifersucht schüren!"
""Eifersucht"?! Wie könnt Ihr es wagen meinem Vater, dem Gott der Erde..."
"Was ist denn das Problem?" Es war für Lights sanfte Stimme unmöglich, Gehör zu finden; aber da Luzifer ihn von Anfang an beachtet hatte, nutzte er nun gekonnt die Gelegenheit, um den Streit unterbrechen:
"Nun, Light-san, Ihr wart doch nach der Renovierung bereits im Schloss von Lerenien-Sei?"
"Ohja, in der letzten Woche war ich dort. Der neue Fußboden des Thronsaals ist wunderschön geworden."
"Vielen Dank, Light-san. Der Stein aus den hiesigen Stollen wurden von Bruder Mammon geschliffen und zu diesem Glanz gebracht..." Mammon nickte stolz über die Worte seines Bruders, welcher mit seiner ruhigen Stimme fortfuhr:
"Das ist Marmor."
"Nein, eine Beleidigung ist das! Eine gehaltlose, sinnfreie Beleidigung." Light konnte dem offensichtlich genauso wenig folgen wie Green. Was konnte denn an Marmor eine Beleidigung sein? Der gesamte Tempel war aus Marmor!
"Weshalb erzürnt dich das so, Tsuchi? Ich fand, dass es sehr edel wirkte." Das Reden mit Light schien den Gott und seine beiden Begleiter ein wenig zu entspannen, auch wenn es ihnen nicht zu gefallen schien, dass Light von dem Fußboden der Dämonen angetan war. Über was für Dinge man sich aufregen konnte...
"Der Gott der Erde ist nur angesäuert, weil er nicht auf dieselbe Idee kam", warf Mammon ein und konnte sich ein überlegenes Grinsen nicht verkneifen, auch wenn er sich dafür einen vorwurfsvollen Blick von Luzifer einhandelte.
"Ich bin deswegen "angesäuert", weil euer sogenannter "Marmor" ein respektloses Erzeugnis ist. Dieses Gestein besitzt keine Vorteile anderer, herkömmlicher Steinarten; er dient lediglich der Befriedigung der Eitelkeit. Er ist sogar poröser als anderes Gestein. Wie man alleine auf die Idee kommt, daraus Fußböden zu machen, ist mir schleierhaft. Auf so eine Idee können auch nur Dämonen kommen, die nicht im Einklang mit den Elementen sind. Aber wie sollten sie auch!" Da tauchte sogar auf Luzifers feinen Gesichtszügen kurz eine Spur Ärgernis auf; aber trotzdem hinderte er seinen Mitdämonen daran, gegenanzuargumentieren, was Tsuchi zu gefallen schien - waren die Erdwächter etwa schon immer streitsüchtig gewesen?
"Ohne uns hättet ihr kein Wasser; ohne uns hättet ihr keine Wälder, ihr hättet kein Feuer und ohne mich hättet ihr kein Gestein, um es mit euren infanalen Ideen zu vergewaltigen! Also zügelt euren Hochmut." Einen kurzen Augenblick dachte Green, dass es zu einer Eskalation kommen würde - in ihrer Zeit wären auf jeden Fall schon einige Köpfe gerollt - aber offensichtlich waren die Dämonen der damaligen Zeit mit größerer Vernunft gesegnet als heute - und sie hatten Light, der sich sofort bei den beiden Teufeln entschuldigte, sobald Tsuchi und seine Familie ihnen mit erhobenem Haupt den Rücken zugekehrt hatten.
"Entschuldigt bitte seine Worte; ihr wisst ja, er ist sehr konservativ." Mammon schnaubte verächtlich und sein Schmuck klirrte auffällig und wütend:
"Ich bleibe dabei, dass er einfach nur eifersüchtig ist, weil er nicht selbst auf die Idee gekommen ist, den scheinbar so "sinnlosen" Marmor richtig zu nutzen." Light versuchte, die Stimmung durch ein unbeschwertes Lachen aufzulockern:
"Haha, ja, vielleicht, das will ich gar nicht ausschließen." Aber Luzifer ließ sich nicht erheitern. Ein Schatten verdunkelte sein Gesicht und seine goldenen Augen leuchteten in einem matten, dunklen Glanz; ein schwermütiger Anblick.
"Tsuchi-sama behält jedoch Recht. Wir erheben Anspruch auf etwas, das nicht uns gehört und mit dem wir niemals verbunden sein werden."
"Du lässt es fast so klingen als wären wir abhängig von ihnen! Soll ich deiner Meinung nach jedes Mal auf die Knie fallen, wenn ich den Hammer benutze?" Luzifer antwortete seinem Bruder nicht, aber gerade durch sein Schweigen machte er deutlich, dass er genau das impliziert hatte.
Aber da kam Light und sein Lächeln und seine Worte berührten Green in einem Grad, den sie nicht länger für möglich geglaubt hatte. War doch noch irgendwo in ihr Naivität vorhanden?
"Nein, niemand ist kreativer als ihr und wie viel haben wir nicht schon von euch gelernt! Wir arbeiten gemeinsam und zusammen und mit unseren jeweiligen Ressourcen und Qualitäten schaffen wir unsere Welt." Auch die beiden Dämonen blieben von Lights ehrlichen Worten nicht unberührt; der schwermütige Schatten war aus Luzifers Gesicht verschwunden - stattdessen sah er jedoch schnell wieder ernst drein, denn wie aus dem Nichts tauchte plötzlich sein Herrscher auf.
"Wie schön du das gesagt hast, Light-kun!", trällerte dieser, den Arm um Lights Schulter gelegt und den neben ihm sehr klein wirkenden Lichtgott an seine Seite drückend, der sofort versuchte sich höflich, aber bestimmt aus dieser freundschaftlichen Geste zu befreien. Green musste ein wenig schmunzeln, denn die Gesichtsausdrücke von Luzifer und Light ähnelten sich in diesem Moment sehr, während Mammon sich ehrfürchtig vor seinem Herrscher verbeugte.
"Ihr seid aber überraschend schnell zurück, mein Gebieter", bemerkte Luzifer mit erhobenen Augenbrauen, der sich, im Gegensatz zu Mammon, nicht verneigte, sondern tadelnd die Arme über der Brust verschränkt hatte.
"Wieso, gab ja auch nicht so viel zu besprechen, wenn man einfach rot wird und schweigt!" Luzifers Augenbrauen zuckten gefährlich und er wollte schon mit dem skeptischen Nachfragen beginnen, als er bemerkte, dass Light zusammenfuhr. Der namenlose Dämonenherrscher hatte es auch bemerkt, aber als er ihn schon fragen wollte, unterbrach Mammon ihn; offensichtlich war er neugierig und sein Herrscher hatte nichts dagegen, seine Neugierde zu befriedigen.
"Aaaaach, ich habe einem gewissen kleinen Mauerblümchen beigebracht, dass ich eher an anderen Charaktereigenschaften Interesse finde als an schüchterner Niedlichkeit... nicht wahr, Luzifer? ... Luzifeeer?" Aber Luzifer hörte ihm nicht zu, was ihn zum Schmollen brachte: Luzifer beobachtete weiterhin Light, der die Straße hinaufsah und ungewöhnlich ernst aussah. Luzifer fragte ihn nicht, aber Green tat es:
"Was hattest du, Light?"
"Was für ein Mauerblümchen denn, mein Gebieter?"
"Ich spürte eine starke Gefühlsregung; du kennst es auch. Alle unsere Nachkommen haben es selbst erfahren. Wie das Licht auf unsere Gefühle reagiert; wie unsere Gefühle es zum Erstrahlen und zum Wanken bringt. Hikaru und ich waren sehr eng mit unserer Mutter verbunden; bei besonders starken Gefühlen waren wir in der Lage, sie über unser gemeinsames Element zu vernehmen... wie Ringe auf der Wasseroberfläche. Dies war ein solcher Moment; nur, dass es mich dieses Mal überkam wie eine Welle. Das war nur ein einziges Mal zuvor geschehen und damals hat es unser Band mehr verändert, als jedes ausgetauschte Wort..."
"Oh, das errätst du nie."
"... und zwar in dem Moment, als meine Mutter sich in den Herrscher der Dämonen verliebt hatte und Hikaru begann, sie zu hassen."
Das weiße Wasser ließ Firey keine Ruhe. Sie hatte auch noch am folgenden Tag nichts davon getrunken; stattdessen löste sie nun den Deckel von der Plastikflasche, die Fail und Azuma ihr gegeben hatten, um sich aus dieser einen Schluck Wasser zu genehmigen, nachdem sie gerade ihr Morgentraining abgeschlossen hatte und sich mit dem Handtuch den Schweiß von der Stirn wischte.
"Ihr seid abgelenkt, Firey-sama." Ja, das konnte man wirklich so sagen: Die Zielscheibe und die Pfeile, die alle nicht in die rote Mitte getroffen hatten, untermauerten ihre Ablenkung deutlich.
"Entschuldigt bitte, Sensei..." Verstohlen warf Firey einen Blick zu Ignes herüber, der sich Notizen in seinem Notizblock machte. Auch er hatte, wie alle anderen Wächter natürlich, das Wasser getrunken; sie sah es in seinen Augen. Es war nicht so, dass sie fern oder leer wirkten, so wie Azuma es hatte klingen lassen - sie wirkten ruhiger als normal, als gäbe es nichts, was sie aus der Ruhe bringen konnte. Aber ab und zu sah sie bei ihm, wie auch bei den anderen Wächtern, ein kurzes Aufleuchten; als würde die Pupille selbst kurz blau, die Farbe seines Elementes, werden. Das gleiche hatte sie auch an diesem Morgen an Yuuki beobachten können und bei ihm war es noch auffälliger, denn er hatte normal braune Augen und nun war ihr, als würden sie immer mal wieder, für kurze Augenblicke, purpur werden.
Aber Firey konnte sich Azumas Eindruck, dass sie besessen wirkten, nicht anschließen. Ignes hatte Azuma getadelt wie er es sonst auch immer tat, Yuuki hatte herumgealbert und auch die anderen Wächter gingen ihren Gewohnheiten und Pflichten nach, wie sie es sonst immer taten... sie wirkten einfach ruhiger. Als wären sie alle im Einklang miteinander, was dadurch bestärkt wurde, dass Firey den Eindruck hatte, dass seit dem Beginn der Weihe weniger gesprochen wurde. Als wären keine Worte nötig, um sich zu verständigen.
"Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, Firey-sama. Ich verstehe, dass Ihr Euch Sorgen um Hikari-sama macht, aber das müsst Ihr nicht. Sie ist in der Obhut des Lichtes." Firey versuchte zu lächeln, aber beruhigen tat es sie nicht. Sie war einfach zu angespannt und die Tatsache, dass ihre Narben immer noch höllisch schmerzten und ihr nicht viel Schlaf gegönnt hatten, machte das Ganze auch nicht besser.
"Wie ich sehe hältst du dich lieber an Wasser-Wasser, huh, Fireyskat?", flüsterte Azuma ihr zu, nachdem Firey sich zu ihm auf die Bank gesetzt hatte, nachdem Ignes nun Yuuki aufgerufen hatte und sich die Trainingsarena nun Yuukis Element anpasste.
Firey deutete nur ein Nicken an, denn sie war sich nicht ganz sicher, ob sie das Richtige tat, denn was hatte sie mehr als ein ungutes Gefühl? Es gab keine konkreten Anzeichen darauf, dass das Wasser - oder die Weihe im Allgemeinen - irgendwie Unheil bringen würde. Als sie im Labor von Karou ohnmächtig geworden war und sie das erste Mal eine Verbindung zu ihrem Element aufgebaut hatte... das war ein schönes Gefühl gewesen. Angenehm, warm - ein Gefühl von "Zuhause", "Zusammengehörigkeit", eine "Einheit".
Sie warf einen Seitenblick zu einer Wasserkaraffe, in die das weiße Wasser gefüllt war - solche Karaffen standen überall im Reich der Wächter verteilt und wurden regelmäßig von den Tempelwächtern neu aufgefüllt, damit die arbeitenden Wächter nie lange Durst leiden mussten. Sie waren Firey nie sonderlich aufgefallen, aber jetzt hatte sie das Gefühl, sie würden sich ihr aufdrängen. Aber warum? Woher kam ihr ungutes Gefühl, wenn sie doch eigentlich gerne mit dem Element verbunden sein wollte? Warum biss sie auf den Deckel einer Wasserflasche, die in der Menschenwelt hergestellt worden war, statt sich ein Glas mit dem weißen Wasser zu füllen und es zu trinken? Ignes hatte ihr beigebracht, dass sie auf ihr Bauchgefühl hören sollte, weil das die kleine Stimme ihres Elementes war - aber diese Vorstellung erklärte ihr Gefühl nicht. Als sie mit ihrem Element hatte sprechen können, da hatten sie ihr gesagt, dass sie sie sehen würde, wenn Green die Weihe durchführen würde... und sie hatten nicht negativ von der Prozedur gesprochen.
Und was für Konsequenzen hatte es, wenn sie es bis zur Weihe nicht getrunken hatte? Azuma hatte es zwar einmal getrunken, aber bei ihm hatte es nicht die gleiche Wirkung erzielt wie bei den anderen Wächtern - Fail vermutete, dass sie beide mehr trinken mussten, weil sie "menschliche Wächter" waren. Boykottierten sie die Weihe womöglich noch ohne es zu wollen? Warum gab es nur so wenig Quellen über die Weihe... warum gab es niemanden, den man fragen könnte?
"Fireyskahaaaat?" Firey schreckte hoch, als sie bemerkte, dass sie Azuma ziemlich lange angeschwiegen hatte, anstatt ihm eine Antwort zu geben - doch noch bevor sie sich entschuldigen konnte, wurden sie beide von Ignes' lobenden Worten an Yuuki abgelenkt - und davon, dass Azuma ihn natürlich necken musste, ganz ungeachtet, ob seine Werte sich verbessert hatten.
... vielleicht machte sie sich einfach zu viele Gedanken.
Es war unverkennbar, dass Silver langsam nervös wurde. Am Anfang war er einfach nur verdattert gewesen, ganz so, als könne er nicht verstehen, dass er es war, der soeben von Ri-Il zum Assistenten befördert worden war. Dann kam die Freude - und jetzt, wo es langsam so weit war, dass er wirklich etwas tun sollte, kam die Nervosität.
"Das wird schon. Das wird schon. Ich soll ja nur in punkto Schnelligkeit und Ausweichen aushelfen - das kann ich! Und ich sehe gut aus!" Selbst Rui wusste nicht, was ihm sein fabelhaftes Aussehen für einen Vorteil bringen sollte beim Unterrichten von fünfzig hauptsächlich männlichen Dämonen. Natürlich sah Silver fabelhaft aus, aber das war doch völlig... unerheblich? Aber Rui bejahte natürlich einfach alles lächelnd und mit schwankenden Zöpfen, um Silver jetzt nicht noch weiter zu verunsichern, dabei einen Blick auf eine Armbanduhr werfend, die sie in ihrer Tasche hatte, statt sie um ihr Handgelenk zu tragen. Die Armbanduhr richtete sich nach der momentanen Zeit in Tokio, damit sie ihr Treffen mit Sho nicht verpassen würden; wenn das Treffen denn überhaupt noch stattfinden konnte. Es würde sehr knapp werden.
"Aber das wird schon, das wird schon! Ich bin ja schnell, haha!" Rui beeilte sich ihrem angebeteten Rotschopf da natürlich Recht zu geben, aber sie verstummte schnell, denn sie hatten das Ende der Treppe erreicht, an welcher Darius bereits im Schein der roten Lampions auf seinen neuen "Kollegen" wartete und ihm mit seinem Blick sofort deutlich machte, wie viel er dagegen hatte, Silver so zu nennen.
Denn Silver war nicht der Einzige, der die Beförderung nicht glauben konnte. Darius konnte genauso wenig begreifen, dass Ri-Il solch eine Entscheidung getroffen hatte. Immer wieder musste er sich selbst sagen, dass Silver nur ein Assistent war. Nichts anderes als das... und Ausweichen konnte er tatsächlich erstaunlich gut, aber er war viel zu unerfahren, viel zu kindisch, um irgendjemandem irgendetwas beizubringen.
"Bereit, Kleiner?", lautete seine erste, sehr schneidende Frage, die Silver mit Selbstbewusstsein konterte:
"Aber sowas von!" Diese selbstbewusste Antwort verschlechterte Darius' Laune:
"Du hingst immer nur an Ri-Ils Rockzipfel; wurdest verwöhnt von seinem Einzelunterricht! Die Horde kennst du gar nicht! Du kennst nicht mal die Namen von 20 Hordenmitgliedern, geschweige denn alle!" Was er auf jeden Fall tat!
"Das muss ich ja auch nicht. Ich punkte einfach mit meiner..." Rui glaubte für einen kurzen Moment, dass Silver in seiner versteckten Nervosität wieder sein Aussehen hervorheben würde, aber zum Glück tat er das nicht:
"... außergewöhnlichen Schnelligke-" Von der wollte Darius sich wohl selbst überzeugen, denn ohne jede Vorwarnung erfolgte ein seitlicher Fußtritt seinerseits, dem Silver tatsächlich mit einem galanten Sprung ausweichen konnte. Zwar hätte er dabei beinahe die nun hin und her schwankende Laterne getroffen, aber sein erfolgreiches Ausweichen und das missvergnügte Gesicht Darius' war Balsam für Silvers Selbstwertgefühl.
"Ha! Ich sagte doch, ich bin schne-" Ein Faustschlag mitten ins Gesicht brachte seine Überheblichkeit schnell zum Versiegen und stöhnend hielt er sich die Hand vor die nun blutende Nase, Darius finster anfunkelnd, ohne auf Rui zu achten, die natürlich sofort bestürzt an seine Seite gestürzt war, als hätte Darius ihn schwer verletzt.
"Sie hätten Silver-sama die Nase brechen können!" Darius schnaubte verächtlich, beachtete ihre Worte ansonsten allerdings nicht und richtete sich direkt an Silver:
"Unser Fürst und Meister hat dir eine große Ehre erwiesen - also nimm es ernst! Rumalbern wie ein unreifer Jungdämon kannst du in der hintersten Reihe der Horde, aber nicht an ihrer Spitze!" Silver wischte sich das Blut von der schmerzenden Nase, grummelte irgendetwas, wagte es aber nicht zu widersprechen - immerhin wollte er auch, dass Ri-Il stolz auf ihn sein konnte und seine Entscheidung nicht bereute.
"Hör gut zu, Bursche." Darius beugte sich vor und seine kleinen Augen bohrten sich in Silvers:
"Du hältst dich bedeckt, hast du mich verstanden? Ich will kein albernes Angeben von dir sehen - eigentlich will ich gar nichts von dir sehen! Du bleibst hinter mir und versuchst zu lernen, haben wir uns verstanden?"
"Nein." Bei dieser frechen, direkten Antwort schien Darius sofort rotzusehen und auch Rui war verblüfft über diese Dreistigkeit, aber Silver kam zuerst zu Wort:
"Du hast mir nicht gesagt, was ich denn lernen soll", konterte er kühn und Darius türmte sich wieder auf - zu Ruis Überraschung sah er jedoch nicht länger so aus, als würde er Silver nun endgültig die Nase brechen wollen.
"Die Horde. Das ist es, was du lernen musst. Du musst sie kennenlernen. Jedes Mitglied. Ihre Namen, ihre Stärken und ganz besonders ihre Schwächen. Bevor du das nicht kannst, wirst du keinen einzigen Mucks von dir geben!" Silver wollte etwas antworten - denn das klang alles andere als spannend! - aber er schwieg und schluckte seine Beschwerde herunter.
"Und jetzt beweise, dass Ri-Il-sama sich nicht in dir getäuscht hat!"
Alle Elementarwächter bis auf Firey und Azuma hatten das weiße Wasser getrunken und als sie vor dem Abendessen zu einer Konferenz zusammenfanden, bemerkte Firey auch in ihren Augen das kurze Aufleuchten ihrer Elementfarbe und dieselbe eigenartige Ruhe. Unter den gegebenen Umständen war Firey eigentlich verwundert, dass überhaupt eine Konferenz abgehalten wurde, aber der Tagesablauf ging natürlich weiter - ob Green sich nun im Turm der Reinheit befand oder nicht. Es kam ihr immer noch irgendwie komisch vor, dass sie Shitaya dort stehen sah, wo sonst immer Grey oder Green gestanden hatten... er war ohne Zweifel in seinem Element, aber dennoch. Irgendwie wirkte nicht nur seine Position, sondern auch seine Anwesenheit - wie die von Saiyon - immer noch befremdlich. Als wären sie Fremdkörper. Aber beide ließen sich nicht in ihrer Professionalität beirren.
Firey würde gerne mit Saiyon, welcher neben ihr saß, über Green sprechen; er war immerhin die letzte Person, die sie gesehen hatte - war sie irgendwie anders gewesen? War sie auch nervös gewesen? Aber es gab keine Gelegenheit für ein solches Gespräch, denn die versammelten Elementarwächter sahen alle auf je einen kleinen magisch erzeugten Bildschirm vor ihnen, der verschiedene Videoaufnahmen zeigte. Nicht etwa von dem momentanen Krieg, sondern von dem letzten Elementarkrieg, wo sie das Elementarwächterteam vor ihnen kämpfen sahen.
"Wie wir sehen können ist das erfolgreiche Durchführen der Weihe nicht nur für unsere Hikari und das Wächtertum von beträchtlicher Wichtigkeit - sondern auch für unseren zukünftigen Kampfstil", ertönte Shitayas Stimme von der Spitze des Tisches, die Videoübertragung kommentierend. Firey wusste allerdings nicht genau, was er damit meinte - sie war wie immer absolut überwältigt von dem Können Hireys. Wie schnell er war; wie präzise jeder Schuss war... und während er mit der einen Hand einen Pfeil aus dem Köcher zog, verbrannte er mit der anderen die Dämonen, die ihn hatten angreifen wollen. Er war einfach wahnsinnig talentiert.
"Ich verstehe, was Sie meinen, Shitaya-san", antwortete Kaira und ließ Firey sich dumm vorkommen, denn sie verstand absolut nicht, weshalb Shitaya ihnen diese Aufzeichnungen zeigte oder was sie mit der Weihe zu tun hatten.
"Es scheint so, als würden sie Dämonen bemerken, die sie sonst aus dem toten Winkel heraus angegriffen hätten."
"Stimmt", pflichtete Yuuki seiner Halbschwester bei und Firey bemerkte, dass er sich dafür nicht einmal einen Seitenblick ihrerseits einhandelte:
"Als hätten sie Augen im Nacken." Shitaya stimmte dem zu und nachdem er eine schnelle Handbewegung über einen Kontrollbildschirm zu seiner Rechten gemacht hatte, tauchte eine andere Übertragung vor ihnen auf, die dieses Mal auch Ton hatte.
"Es ist unglaublich", hörten sie Mizuno, die vorangegangene Elementarwächterin des Wassers, sagen. Sie war wegen des Kampfes außer Atem, aber sie schien überaus freudig erregt zu sein:
"Ich habe die Stimme meines Elementes noch nie so klar hören können! Seitdem wir geweiht worden sind, ist es... ist es... ach, ich kann es gar nicht beschreiben, es ist schwer in Worte zu fassen, wenn man es nicht erlebt... nicht fühlen kann... es ist..." Firey bemerkte, dass ihr Herz sich beschleunigte und zu ihrer Linken spürte sie auch eine Erregung in Azura - kein Wunder, immerhin war es ihre Mutter...
"... als wären sie bei mir. Meine Vorfahren, mein... Vater... als würden sie mir beistehen." Für einen kurzen Augenblick war Mizuno zu ergriffen, um fortfahren zu können und es wirkte so, als wären ihre Augen glasig geworden, aber sie gab ihren Gefühlen nicht nach:
"...ich bin so froh, eine Elementarwächterin zu sein und dieses Glück erfahren zu können. Ich bin so dankbar, wahrhaftig... dankbar." Firey hatte keine Verwandten, die irgendwie mit dem Element des Feuers verbunden waren - anders sah es da natürlich mit ihren Mitstreitern aus und als sie dies hörten, hatte sich kurz eine beklommene Ruhe über sie gesenkt - die Aussicht, mit ihren Vorfahren, ihren verstorbenen Familienmitgliedern in Kontakt treten zu können, machte sie für einen Augenblick alle gleich ergriffen. Sogar die sonst so harte Kaira schien diese Neuigkeit zu berühren. Außer Azuma; dieser gähnte einfach nur, aber Firey war froh, dass er keinen respektlosen Kommentar äußerte.
"Es gibt leider keine konkreten Informationen...", begann Shitaya nach einem kurzen Schweigen, woraufhin sie wieder zu ihm sahen:
"... und es scheint auch bei jedem anders ausgeprägt zu sein, aber es sieht so aus, als würden unsere Vorfahren uns, sobald wir geweiht wurden, im Kampf unterstützen."
"Wovon ist das abhängig?", fragte Ilang, die sich ansonsten eher zurückhielt. Allgemein war sie sehr schweigsam geworden, auch schon bevor die Weihe angefangen hatte, aber wer konnte ihr das verübeln...
"Nun, das kann ich leider nicht sagen. Ich mutmaße, dass es damit zusammenhängt, wie stark unsere Bindung zu unserem Element im Vorfeld ist. Aber, wie gesagt, das ist nur eine Vermutung. Es ist ein sehr heikles Thema, weshalb nicht viel Forschung betrieben wurde, um diese Fragen zu beantworten."
"Warum eigentlich?", unterbrach Azuma Shitayas Erklärung - und da sah Firey es wieder. Dieses Mal sogar sehr deutlich; Shitayas grüne Augen leuchteten türkis, als er Azuma durchbohrte, was sogar ihn für einen kurzen Moment einschüchterte:
"Weil es verboten ist. Es ist eine heilige Zeremonie und als eine solche ist jegliche Forschung entweihend und verunreinigend." Niemand kommentierte Shitayas kalte Antwort oder das Aufleuchten seiner Augen und als wäre nichts geschehen wandte er sich dem eigentlichen Thema wieder zu. Nur Firey und Azuma warfen sich nervöse Blicke zu.
"Wir werden es bald erfahren." Ilang nickte und Shitaya wechselte das Thema:
"Es gibt allerdings etwas Konkretes." Wieder sausten seine Finger über den Bildschirm zu seiner Rechten und ein neues Video tauchte auf den Bildschirmen der Elementarwächter auf. Wieder waren es die Elementarwächter Whites im Kampf; nach einigen Sekunden von bewegtem Bildmaterial pausierte Shitaya das Video.
"Seht ihr das weiße Aufleuchten um unsere Vorfahren herum?" Zustimmendes Gemurmel ertönte und er ließ das Video weiter laufen, womit sie erstaunt feststellen konnten, dass:
"Ihre Wunden heilen!", entfuhr es Azura erstaunt.
"In der Tat, das tun sie. Die Weihe schmiedet ein unsichtbares Band zwischen uns und unserer Hikari; ein ausbaufähiges Band, doch bei erfolgreichem Training ist es tatsächlich möglich, dass unsere Hikari uns - obwohl wir uns nicht in ihrer unmittelbaren Nähe befinden - heilen kann. Das war natürlich..." Shitaya schmunzelte:
"... für die Elementarwächter White-samas ein sehr großer Vorteil in Anbetracht von White-samas schier unerschöpflicher Lichtmagie." Sie sprachen es nicht aus, aber ihnen war allen klar, dass sie nicht den gleichen Vorteil haben würden bei einer Hikari wie Green, deren Lichtreserven eher gering waren.
"Um die Möglichkeiten dieses Bandes zu testen und die Fähigkeiten auszubauen, wurden in der Woche nach der Weihe sechs Trainingseinheiten pro Tag festgelegt, beginnend nach dem gemeinsamen Frühstück." Firey erwartete, dass irgendjemand stöhnen würde, doch niemand äußerte Unzufriedenheit; nur Azuma himmelte genervt mit den Augen.
Shitaya ging noch einmal seine Liste durch, ob er an alles gedacht hatte, ehe er die Konferenz für beendet erklärte und alle in ihre jeweiligen Richtungen verschwanden. Saiyon verabschiedete sich von seinem Bruder, welcher sich zu Säil aufmachte, die er zusammen mit Pink draußen im grünen Gras der Tempelanlage vorfand.
Noch bevor er bei ihnen angekommen war, hatte seine Frau ihn bemerkt und sofort steuerte sie auf ihn zu, deren Tochter mit Pink spielend zurücklassend.
Sie hauchte einen Kuss auf seine linke, dann seine rechte Wange, doch zog sich nicht zurück:
"Ich glaube, du hast recht mit deinem Dämonie-Verdacht, Schatz."
Shitaya spielte weiterhin den lächelnden Ehemann und nahm sie in die Arme, womit er ihrem Ohr nahe war:
"Ist es dann sicher, sie mit Shiya alleine zu lassen?"
"Welcher Dämon auch immer von ihr Besitz ergriffen hat, so ist er nicht dumm. Er zeigt sich nicht und überlässt ihr die Kontrolle... aber Pink-chan weiß es. Sie spürt es und versucht darauf aufmerksam zu machen. Aber der Dämon verhindert es immer wieder. Pech für ihn, dass ich so lange in der Dämonie-Abteilung gearbeitet habe."
"Wenn er so schlau ist, was hat ihn verraten? Du hast mir doch bis heute nicht glauben wollen." Sie lösten sich voneinander und trotz ihrem sehr ernsten Gesprächsthema lächelten sie sich verliebt an wie immer:
"Pink-chan trinkt und trinkt und trinkt, aber sie kann das heilige Wasser nicht in ihrem Körper behalten. Sie übergibt sich."
"Aber mit einem Dämon in unserer Mitte bedeutet das..." Jetzt schwand das Lächeln beider:
"Ja. Die Weihe könnte scheitern."