Kapitel 38 - Unser Geheimnis
Noch 21 Tage bis zum 8ten Elementarkrieg
Firey gefiel es gar nicht, zu spät zu sein. Es passte nicht in das Bild hinein, welches sie gerne von sich portraitieren wollte: das Bild einer guten Wächterin - einer Wächterin, die ihre Pflichten erfüllte und mehr oder weniger den Idealen gerecht wurde. Zu diesem Bild trug es nicht gerade positiv bei, wenn sie zu spät kommen würde - auch wenn es "nur" eine Kriegssitzung unter den Elementarwächtern war und Green es ihr sicherlich verzeihen würde, wenn sie zu spät kam. Aber sie wusste, wer sie wieder schief von der Seite ansehen würde und Firey musste zugeben, dass sie dankend auf Kairas Seitenblick verzichten konnte.
Warum nur hatte sie verschlafen! Das passierte ihr doch normalerweise nicht; das gesamte letzte Jahr war sie pünktlich aus ihrem Bett gesprungen, zwar nicht immer mit vollem Elan und aufgetankten Batterien, aber wenigstens war sie aufgestanden und pünktlich zum Morgentraining erschienen.
Firey kam in der großen Halle an, dort wo die vier Verbindungsgänge sich unter der Obhut des großen, steinernen Engels kreuzten, welcher auch an diesem Morgen das Hologramm der Erde in seinen Händen hielt und jeden vorbeigehenden Wächter daran erinnerte, dass in 21 Tagen der Krieg beginnen würde.
Die Feuerwächterin blieb stehen und sah eben diese Anzeige an; starrte auf die beinahe drohend wirkende, rote Zahl, als würde sie verschwinden, wenn sie sie nur lange genug anstarren würde. Unaufhaltbar und unheilschwanger schritt die Zeit voran: das erste Datum, der zweite September, war ereignislos vorübergegangen: so ereignislos wie ein möglicher Kriegsbeginn sein konnte, denn es war ein furchtbar anstrengender Tag für die Nerven der Allgemeinheit gewesen und als der Morgen des dritten Septembers anbrach, hatte Firey sich so erschöpft gefühlt, als hätte sie 48 Stunden lang nur trainiert, obwohl sie alle nichts anderes getan hatten, als aufmerksam auf der Lauer zu liegen. Eine stille Bereitschaft hatte sich an diesem Tag über das Wächtertum gesenkt und obwohl diese im Endeffekt nichts als Zeitverschwendung gewesen war, hatte sie doch deutlich gezeigt, dass das Wächtertum bereit war, den neuen Krieg in Empfang zu nehmen.
Der Krieg war nicht am zweiten September angefangen, daher zählte der Countdown des Engels weiterhin abwärts und Firey erinnerte sich auf einmal vage daran, dass sie einen merkwürdigen Traum gehabt hatte. Wahrscheinlich hatte sie es eben diesem Traum zu verdanken, dass sie nicht pünktlich aus dem Bett gestiegen war, dachte sie maulend.
Sie konnte sich nicht an den Traum erinnern, nur wusste sie, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Krieg zu tun hatte - wie so ungefähr alles in ihrem Kopf. Eigentlich sollte sie sich Gedanken darüber machen, was sie tun würde, wenn sie zufällig Silver über den Weg laufen würde; so zufällig wie es auf einem Schlachtfeld nun einmal möglich war und was sie ihm eigentlich sagen würde beziehungsweise was sie fragen würde. Für diese Fragen blieb allerdings nicht viel Platz; nur ab und zu huschte dieser Gedanke vorbei und versuchte einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, doch die Angst vor dem Krieg hatte sich sehr gut in ihrem Kopf und Sein platziert.
Firey schüttelte den Kopf, klatschte sich mit den flachen Handflächen gegen die Wangen und wandte ihren Blick vom Countdown ab, um ihren Weg fortzusetzen. Während sie die Treppen hochstieg, um zum dritten Stock zu gelangen, fragte sie sich mit einem flauen Gefühl im Magen, ob sie die einzige war, die sich Gedanken machte. Aber sie konnte doch unmöglich die Einzige sein? Man hing doch irgendwie an seinem Leben und ein Krieg brachte dieses unweigerlich in Gefahr - das war doch angsteinflößend? Oder waren die anderen Elementarwächter einfach so gut, dass sie ihr Leben nicht in Gefahr sahen? Dies traf jedenfalls auf Azuma zu... für ihn schien das alles nur ein großes Spiel zu sein.
Vielleicht war das die gesündere Variante mit dem Countdown umzugehen. Er hatte mit Sicherheit keine Alpträume. Er freute sich wahrscheinlich eher!
Firey blieb stehen, als ihr der folgende Satz durch den Kopf schoss: wenn man vom Teufel spricht - der Erdwächter war plötzlich auf der Treppe zu sehen.
"Azuma!" Der Erdwächter blieb auf dem Treppenabsatz stehen, welchen er gerade noch erklimmen wollte und sah über die Schulter zurück. Als er Firey erblickte, welche schnellen Schrittes auf ihn zu steuerte, grinste er und fragte sie, warum sie denn ebenfalls zu spät dran war.
"Ich habe verschlafen", antwortete Firey mit einem unsicheren Lächeln, während sie weitergingen.
"Das passiert dir doch sonst nicht." Die Angesprochene wählte, das Thema zu wechseln; Azuma war gewiss der Letzte, dem sie beichten wollte, dass sie wahrscheinlich die einzige Feuerwächterin - ausgerechnet sie als Feuerwächterin - war, die Angst hatte.
"Und was machst du hier? Die Sitzung hat vor 30 Minuten begonnen."
"Oh, ich komme direkt von einer Nachtschicht. War noch gar nicht in meinem Zimmer", antwortete der Erdwächter mit stolzer Brust, denn sein Spionageauftrag in der Dämonenwelt gefiel ihm wahrlich unheimlich gut. In den vergangen Wochen war er bereits mehr als 10 Mal dort gewesen und Firey, sowie andere die Azuma kannten, wunderten sich insgeheim, dass diese 10 Besuche ohne Zwischenfälle vonstattengegangen waren. Firey wüsste zu gerne mehr über diese Besuche, immerhin war ihr die Dämonenwelt komplett fremd außer den paar Abbildungen, die sie während des Unterrichts in ihren Büchern sehen konnte. Azuma schien die Welt zu gefallen; leider gefiel ihm seine Aufgabe und die damit verbundenen Verpflichtungen aber auch zu sehr, denn ihm war eine Schweigepflicht auferlegt worden und daher hatte er Firey absolut nichts von seinem Aufenthalt erzählt, obwohl sie ihn mit Fragen löcherte. Daher kannte die Feuerwächterin die Ergebnisse der Spionageaktionen auch nicht, und wusste ebenso wenig, wie er und der Offizier des Schutzes, Minare, genau vorgingen. Das einzige, was Firey wusste, war, dass sie offensichtlich bei den Missionen in der Dämonenwelt bereits einige nützliche Informationen zusammengetragen hatten.
"Mit anderen Worten - du kommst direkt aus der Dämonenwelt", entgegnete Firey und sie bemerkte selbst, dass ihre Stimme dabei nicht besonders neutral klang. Auch Azuma bemerkte es grinsend:
"Du kannst es wohl gar nicht abwarten, dass der Krieg anfängt, was?"
"Oh ja", antwortete die Feuerwächterin säuerlich:
"Die Spannung ist kaum auszuhalten!" Eine Halbwahrheit, um genau zu sein. Denn wenn sich die Angst kurz beiseiteschob, war sie wirklich gespannt. Nicht gespannt im Sinne davon, dass sie sich auf diese neue Welt freute oder dergleichen, sondern eher wegen dem Verlangen, Silver endlich irgendwie wiederzusehen und endlich Klarheit zu erlangen.
Mehr als ein Jahr hatte sie nun bereits mit der Ungewissheit zu kämpfen und es machte sie wahnsinnig. Auf der einen Seite war die kleine, überaus naive und dumme Flamme, die ihr einreden wollte, dass noch nicht alle Hoffnung verloren war, dass es einen Grund gab und zur gleichen Zeit auch einen Grund dafür, dass sie alle vielleicht doch irgendwie noch ein "Happy End" erlangen konnten: sie alle, inklusive Green, die unbewusst aktiv dazu beitrug, dass eben diese kleine Flamme immer wieder aufs Neue im Keim erstickte. Es genügte, Green nur anzusehen, in jenen Momenten, wo sie sich unbeobachtet fühlte, denn dies waren jene Momente, wo ihre tief verborgene Traurigkeit für einen kurzen Augenblick ausbrach; nicht in Form von Tränen - nur ihre Augen drifteten ab, irgendwohin, wo niemand ihr folgen konnte, denn niemand besaß einen Schlüssel für diese Welt.
Ob Firey den Schlüssel in der Dämonenwelt finden würde?
Die Mundwinkel der Feuerwächterin zuckten sarkastisch - wann sollte sie denn suchen gehen? Nachdem sie ihre eigene Haut gerettet hatte - oder davor? Es würde schwer werden, irgendwie auf die Suche nach der Wahrheit zu gehen, ohne zu desertieren und das war Yuukis Gebiet - ein Gebiet von welchem Firey sich fernhalten wollte. Das passte noch weniger in ihr Wächterbild als eine Verspätung.
Dass Zuspätkommen ebenfalls nicht die beste Idee war, bekam Firey (und auch Azuma, doch ihn kümmerte es nicht) deutlich zu spüren, als sie den Konferenzraum betraten: Kairas Blick sprach Bände. Firey entschuldigte sich für die Verspätung und setzte sich auf ihren Platz neben Tinami und Ilang, wo sie ihren Blick sofort auf die Tafel richtete. Das Thema der heutigen Sitzung war nicht schwer zu erraten; dank der Informationen, die Azuma und Minare zusammengetragen hatten, hatten sie jetzt genug, um einen Vortrag über die verschiedenen Fürsten halten zu können, beziehungsweise um bestimmen zu können, wie groß die jeweiligen Horden waren.
Nach der kurzen Unterbrechung Fireys und Azumas fuhr Grey mit dem Vortrag fort, während Green Firey einen flüchtigen, aber doch neugierigen Blick zuwarf, der so viel bedeute wie "Was ist los?", denn natürlich wunderte sie sich auch über das Verhalten Fireys.
Was los war, konnte und wollte Firey auch ihrer besten Freundin nicht erzählen - gerade ihr nicht. Sie machte sich schon genug Gedanken, da musste sie sich nicht auch noch welche um Firey machen und das würde sie unweigerlich, wenn sie wüsste, wie große Angst die Feuerwächterin hatte und Green würde erst recht an die Decke gehen, wenn sie wüsste, was Firey sich in der Dämonenwelt vorgenommen hatte.
"...Das Gebiet Ri-Ils ist aktuell das drittgrößte Gebiet in der Dämonenwelt nach Lerous und Lacrimosas. Die Horde Ri-Ils ist zwar kleiner als die Lacrimosas, gehört aber zu den Gefährlichsten, denn sie ist seit jeher eine der Horden, die am besten organisiert und trainiert ist. Laut den aktuellsten Zahlen besteht seine Horde aus um die 4300, wovon 73% männliche Dämonen sind. Ri-Il selbst ist alles andere als zu unterschätzen und ein direkter Zweikampf sollte vermieden werden. Er ist ein reinrassiger Incubus und hält seit 1887 die Position als schnellster Dämon." Während Grey fortfuhr, bemerkte Firey aus den Augenwinkeln heraus, wie Pink alles andere als zuhörte. Sie kramte eine Thermosflasche aus ihrer Tasche hervor, die offensichtlich mit heißem Kakao gefüllt war, welcher verlockend dampfte, als sie ihn in eine Tasse füllte, welche sie ebenfalls dabei gehabt hatte.
Pink hatte es zwar nicht bemerkt, aber ihre gesamten Kollegen sahen sie nun an, mitsamt Grey, der seinen Vortrag unterbrochen hatte, um geduldig darauf zu warten, bis Pink fertig war. Alle schienen das gleiche zu denken und auch Firey machte sich plötzlich weniger Sorgen um sich selbst, als um Pink - wie sollte sie sich im Krieg bewähren, wenn sie nicht einmal in der Lage war, sich bei einem Vortrag zu konzentrieren?
Grey jedoch blieb ruhig, während Kaira wieder einmal mit den Augen himmelte. Freundlich lächelnd bedankte er sich bei Pink, als sie verkündete, dass sie fertig wäre und dass der Kakao ganz toll wäre.
"Gut, dann machen wir weiter mit dem nächsten Fürsten und damit auch mit dem viertgrößten Gebiet; dem von Lycram. Die Gebiete wie auch die Horden von Ri-Il und Lycram sind in etwa gleich groß. So besteht Lycrams Horde aus zirka 4000 Dämonen, welche allerdings nicht so eine große Gefahr ausmachen wie die von Ri-Il, da die Organisation..." Genau wie knapp eine Minute zuvor wurde Grey wieder einmal von Pink unterbrochen und wieder war der Kakao daran schuld, denn die mit ihm gefüllte Tasse war auf den Tisch gefallen und der dampfende Kakao verbreitete sich auf dem verzierten Tisch aus - doch das war nicht das, was die Aufmerksamkeit der Elementarwächter auf sich zog; es war Pink selbst.
Sie stand plötzlich aufrecht und starrte die Tafel an, wo man das Aktenbild von Lycram sehen konnte mitsamt der Daten, die sie über ihn verfügten. Einen kurzen Augenblick zeigte sich ihr Gesichtsausdruck verwirrt, während sie das Bild ansah, doch plötzlich schien etwas in ihr aufzukeimen - ein Bewusstsein; ein Bewusstsein, welches ihr deutlich Angst einjagte, denn von einem Moment auf den anderen schrumpften die Pupillen ihrer Augen und waren nicht größer als kleine Stecknadeln.
"Pink, was ist los?", fragte Ilang behutsam und da sie diejenige war, die neben ihr saß, stand sie auf und legte die Hand auf die Schulter der kleinen Schutzwächterin. Eine Berührung, welche Pink zusammenfahren ließ und rasselnd zog sie die Luft ein - und ehe sich jemand versah, stürzte sie schreiend Hals über Kopf aus dem Konferenzsaal.
Die Übriggebliebenen sahen ihr verwirrt hinterher als sie den Gang herunter rannte, bis die Tür wieder ins Schloss fiel.
"Ob der Kakao zu heiß war?", fragte Azuma überflüssigerweise, doch sein Einwand wurde überhört. Green warf Grey einen fragenden Blick zu, doch dieser zuckte verwirrt mit den Schultern und schien sich Pinks Verhalten genauso wenig erklären zu können wie die anderen.
"Ich werd mich darum kümmern", verkündete Green und ohne, dass jemand Einwände erheben konnte, rannte die Hikari Pink auch schon hinterher.
Pink wusste nicht, warum sie rannte oder welches Ziel sie hatte; sie rannte einfach. Obwohl "rennen" wohl die falsche Bezeichnung war, denn sie lief kopflos, stolperte immer mal wieder über ihre eigenen Füße, nur um sich kurz vor dem Sturz wieder fangen zu können und weiter zu laufen. Es glich eher einer Flucht, obwohl sie nicht wusste und auch nicht darüber nachdachte, wovor sie floh. Irgendetwas in ihrem Körper sagte ihr, sie sollte laufen, also gehorchte sie dieser Stimme und rannte. Sie kannte diese Stimme nicht, wollte sie nicht kennen und wollte noch weniger wissen, woher sie kam.
Völlig aus der Puste kam sie im Garten an, wo der Morgentau noch das grüne Gras benässte - doch das kümmerte Pink nicht, als ihre Beine sie nicht länger tragen konnten und sie sich an einem Baum abstützen musste, um Halt zu finden. Lange konnte der Baum ihr nicht als Stütze dienen, ehe sie an diesem herunterrutschte und sich ins feuchte Gras sinken ließ.
Sich zusammenkauernd und den Kopf gegen den Baum lehnend, fing sie leise an zu weinen, ohne zu wissen, warum.
Lange kullerten die Tränen jedoch nicht von ihren Wangen herunter, ehe sie für einen kurzen Augenblick zum Stillstand kamen, denn ein Schatten tauchte über ihr auf und mit verweintem Gesichtchen hob sie den Kopf. Der Schatten gehörte Daichi, welcher sich über sie gebeugt hatte und dessen Gesicht sich sofort besorgt zeigte, als er sah, dass Pink weinte.
"D-Daichi...", stammelte Pink hervor und vergaß zum ersten Mal das "-kun", welches sie seinem Namen normal immer anhängen würde und obwohl die Situation gänzlich unpassend dafür war, ließ dies Daichis Wangen erröten.
"Pink-san, was hast du?", fragte er das weinende Mädchen behutsam. Pink wandte sich von ihm ab, sah ins Gras. Sie wollte ihm gerne antworten, doch wusste sie nicht, was sie ihm hätte sagen sollen.
Zu einer Antwort kam sie auch nicht, denn im gleichen Moment, in dem sie den Mund öffnete, um ihm die Wahrheit zu sagen - dass sie nicht wusste, was los war - tauchte Green in der Terrassentür auf.
"Pink! Pink, was machst du denn..." Ihre Stimme klang eher besorgt als vorwurfsvoll und kaum, dass sie bei Pink angekommen war, welche wieder zu weinen angefangen hatte, als sie Green gesehen hatte, tat sie das, was Daichi sich nicht getraut hatte: sie nahm ihre Cousine ohne Umschweife in die Arme und drückte sie an sich.
Als hätte Pink nur darauf gewartet, schlag sie auch ihre kleinen Arme um Green und die Hikari spürte, wie sich Pinks Finger in den blauen Stoff ihres Kleides krallten, als hätte sie Angst, jemand würde sie von Green mit Gewalt trennen wollen. Daichi blieb neben ihnen stehen, weiterhin besorgt, doch zur selben Zeit froh und frustriert darüber, wie beschützt sich Pink in Greens Umarmung fühlte.
"Pink, was ist denn los? Hast du vielleicht Angst?" Pink hatte nach wie vor keine Ahnung, aber diesen Vorschlag fand sie gut und daher nickte sie.
"I-Ich will nicht... ich will nicht weg... ich will nicht..."
"Willst du nicht in den Krieg ziehen, Pink? Ist es das?" Wieder nickte Pink, hielt die Worte nun aber in sich verborgen. Ja, sie hatte Angst vor dem Krieg... aber diese Stimme... diese fremde Stimme in ihr... sie war nicht zufrieden mit der Antwort. Aber Pink war damit zufrieden. Denn sie wollte nicht wissen, was die Antwort war, die die Stimme zufriedenstellte.
Nach Pinks Davonlaufen war die Sitzung vertagt worden und die Elementarwächter hatten sich ihren eigentlichen Aufgaben zugewandt, obwohl sie sich alle über das Verhalten Pinks wunderten - alle bis auf einen, den interessierte es nämlich nicht. Alles was ihn interessierte war, wie er auf dem schnellsten Weg in sein Gemach fand, damit er sich endlich aufs Ohr hauen konnte.
Azuma war daher eher dankbar dafür, dass Pink die Sitzung verkürzt hatte und genauso dankbar war er, als er in seinem Gemach ankam, welches vor Sauberkeit blitzte und funkelte: scheinbar war der Tempelwächter, welcher für diese Etage zuständig war, bereits mit der Arbeit fertig.
Zufrieden seufzte Azuma, während er seine schwarzen Stiefel auszog und sie achtlos in die Ecke des Zimmers beförderte; sich nicht darum scherend, wie viele Flecken dies auf dem weißen Teppich hinterließ. Wozu gab es Tempelwächter? Die mussten doch auch was zu arbeiten haben!
Er trank seinen dänischen Kakao, welcher extra für ihn besorgt wurde, mit einem Schluck aus und stellte die leere Flasche zurück auf den Tisch, um sich zufrieden dem Bett zuzuwenden, auf welches er sich setzte. Gerade als er sich ein bisschen zurücklehnte und sich der Uniform entledigen wollte, sprang er wie von einer Hummel gestochen wieder auf: in seinem Bett lag bereits jemand!
Dieser Jemand hatte noch nicht bemerkt, dass er entdeckt worden war und schlief weiterhin den Schlaf eines Helden. Man musste kein Profi sein, um zu bemerken, dass es sich bei dem Besucher um einen Tempelwächter handelte; seine etwas längeren, aber doch recht ungepflegten goldenen Haare und seine blaue Uniform mit dem Wappen der Tempelwächter darauf verrieten ihn. Doch er sah ein wenig anders aus als andere Tempelwächter, doch Azuma konnte nicht klar definieren was es war, das ihn anders machte - vielleicht die Tatsache, dass er in seinem Bett schlief?!
Eine Tatsache, die Azuma nicht zulassen würde und die er gewiss nicht tolerierte. Ohne zu Zögern trat er gegen den Rücken des Schlafenden und erwartete eigentlich, dass dieser pfeilschnell emporschießen würde, doch er wachte eher langsam und gemächlich auf, als wäre dies sein eigenes Bett. Langsam richtete er sich auf, kratzte sich im Haar und sah Azuma eine ganze Weile stumm an, ehe er sagte:
"Guten Morgen..."
"Das ist mein Bett", antwortete Azuma irritiert und wurde noch ärgerlicher als ihm auffiel, dass dieser verdammte Diener einen verdammten Kopf größer war als er. Ha, dachte Azuma sich, aber dafür konnte er ihm befehlen, im Staub vor ihm zu kriechen, wenn er dazu Lust hatte! Und dann brachte ihm der Kopf extra auch nichts mehr!
Dass der Tempelwächter doch recht fehl am Platze war, wurde ihm wohl langsam auch bewusst, denn sein Gesicht verlor an Farbe.
"Aber, du - ich meine Ihr - seid normalerweise nie so früh wieder da!"
"Ach!", entgegnete Azuma grinsend, als ihm auffiel, dass der Tempelwächter langsam nervös wurde.
"Das ist ja interessant! Das hier ist also eine Gewohnheit von dir!" Der Erdwächter stand auf und schritt zu seinem Schreibtisch, während der Tempelwächter ebenfalls aus dem Bett sprang - mit bösen Vorahnungen. Besonders als Azuma mit einem triumphierenden, ja fast schon boshaften Grinsen, nach seinem Namen verlangte, damit er ihn melden konnte.
"Oh, bitte nicht! Ich bin gerade erst versetzt worden; die Chefin wird mich umbringen!"
"Umso besser, umso besser!", antwortete Azuma, nahm einen Stift, ein Stück Papier, lehnte sich an den Tisch und setzte zum Schreiben an:
"Wenn ich also um deinen Namen bitten darf, Speichellecker." Der Tempelwächter beschloss, dass es keinen Sinn hatte: er hatte es nicht mit einem Wächter zu tun, mit dem sich reden ließ und seufzend buchstabierte er seinen Namen:
"F, A, I, L." Azuma nickte und begann zu schreiben:
"F,A... warte mal." Mit erhobenen Augenbrauen sah er wieder auf:
"Verarsch mich nicht. Du heißt nicht "Fail"."
"Heiße ich auch nicht. Ihr spricht es falsch aus. Es wird FA - Pause - IL ausgesprochen."
"Kannst du kein Englisch?"
"Wenn ich Menschensprachen könnte, wäre ich nicht in der Putzabteilung. Also nein, warum?" Der Angesprochene schwieg eine Weile, sah sich den geschriebenen Namen noch einmal an und musste ein Lachen zurückhalten - wie konnte man nur so heißen! Aber er entschied sich dazu, ihm nicht zu sagen, dass sein Name auf Englisch "Fehlschlag" bedeutete. Wenn er sich diesen Fail genauer ansah, mit seinem verzottelten, blonden Haar - straßenköterblond! - welches zu einem Zopf zusammengebunden war, und das mehr schlecht als recht, mit Bartstoppeln und einer roten Krawatte, die kaum zusammengebunden war... doch, der Name war passend. Er war wirklich ein Fehlschlag.
"Also, Fail..."
"Ihr vergesst die Pause." Azuma grinste breit, nicht im Sinn habend, den Namen mit der Aussprache eines Wächters auszusprechen und fuhr ebenso hämisch fort:
"Ich werde deiner Chefin Bericht erstatten - vielleicht bekomm ich denn ja endlich einen eigenen Tempelwächter, der mir rund um die Uhr dienen kann, haha! Det ville være så sej! " Da Fail für sich sowieso keine Hoffnung mehr sah, antwortete er schnippisch:
"Das werdet Ihr nicht bekommen. Zwar seid Ihr ein Elementarwächter, aber alleinstehend - und daran wird sich so schnell auch nichts ändern, denn Eure Angebetete ist in einen anderen verliebt."
"Jaja, laber du nur - was?" Plötzlich war das Interesse daran, dass Fail so schnell wie möglich zum Kartoffelschälen verdammt wurde, verflogen. Etwas was Fail offensichtlich bemerkte, denn er grinste, als ihm so plötzlich der Ball zugeworfen wurde.
"Ja, wusstet Ihr das denn nicht? Sie hat jemanden, der irgendwo auf sie wartet, nachdem sie sich so sehr sehnt, dass sie jeden Tag in ihrer Pause ein Bild von ihm ansieht." Azumas Augen verengten sich skeptisch, als er antwortete:
"Reden wir hier über dasselbe Mädchen?"
"Natürlich. Wir reden von Firey-sama, der Elementarwächterin des Feuers, alias Hinako Minazaii-sama." Azuma schien nicht zu gefallen, dass Fail dies wusste, denn sein Missfallen konnte man deutlich aus seiner Stimme entnehmen:
"Woher weißt du das?" Kaum merklich zuckte Fail mit den Schultern und antwortete:
"Wir Tempelwächter sind immer gut informiert. Ich bin für die Wäsche der vierten und fünften Etage zuständig, also kenne ich jeden Wächter, der auf diesen Etagen wohnt. Aber keine Sorge! Ich mag lästern nicht... naja, es ist eher so, dass andere Tempelwächter mich nicht genug mögen, um mit mir zu lästern..." Er seufzte, doch klang nicht besonders betrübt über diese Tatsache und selbst wenn, dann hätte Azuma sich nicht darum geschert, als er antwortete:
"Kein Wunder. Du bist ja auch Fail." Der Name schien ihn wieder zu erheitern, denn er grinste wieder erfreut über die Peinlichkeit des Namens, der nur ihm zuteilwurde.
"Ihr sprecht meinen Namen weiterhin falsch aus."
"Nein, ich spreche ihn genau richtig aus."
"Darf ich jetzt endlich gehen? Die Chefin wird mich sicherlich zum Kartoffelschälen verdonnern und das sind eine Menge Kartoffeln, wenn Ihr versteht, was ich meine..."
"Nö, tue ich nicht, aber ich bin ja auch kein Diener. Ich bin ein Elementarwächter. Obendrein erster Rang!" Unbemerkt verdrehte Fail die Augen und wollte gerade noch einmal darauf hinweisen, dass er gerne gehen würde, als ihn Azuma nach einem kurzen Schweigen unterbrach:
"Okay, meinen eigenen Speichellecker kann ich wohl erst einmal nicht bekommen, aber meinen eigenen Spion vielleicht. Lust auf einen Handel?"
Shaginai war der Meinung, dass kein Wächter mehr als nötig über die gemeinsamen Trainingsstunden zwischen Green und ihm erfahren sollte; schon gar nicht über dessen genauen Inhalt. Der Grund dafür war Green schleierhaft: eine Weile hatte sie gedacht, er wollte nicht, dass jemand erfuhr, wie hart er sie trainierte, aber in Wahrheit hatte es weniger etwas mit seinem Image zu tun als mit ihrem: er war der Meinung, dass es eine Schande war, dass eine 18-Jährige Hikari überhaupt noch Training benötigte; die meisten wären in diesem Alter bereits in der Lage, selbst zu unterrichten!
Aber sie war ja auch Yogosu, was erwarte man denn.
Wie oft hatte sie diesen Satz nicht in den vergangenen Monaten gehört? Zusammen mit einem mürrischen Achselzucken oder einem herablassenden Verziehen der Mundwinkel.
Bevor Shaginai diesen Satz oder eine Abwandlung dessen sagen konnte, fing Green von sich aus ein Gespräch an, obwohl sie nach wie vor aus der Puste war und ihr Herz ihr bis zum Hals pochte.
Sie waren, wie so oft, in der Menschenwelt; an einem abgelegenen Ort, den er ausgesucht hatte, ohne ihr zu sagen, wo sie waren oder auf welchem Kontinent sie sich befanden. Ihn interessierte deren genaue Position auch gar nicht; Hauptsache, es waren keine Menschen in der Nähe. Sie befanden sich in einer kahlen, mit tiefgrauen Wolken verhangenen Klippenlandschaft, welche eine bedrohliche Aura innehatte. Ab und zu wurden die beiden Hikaris von einem kurzen, regnerischen Schauer genässt und es war kalt; doch nicht so kalt, dass es Green abgelenkt hatte. Und selbst wenn er von ihrem Manko gewusst hätte, so hätte er darauf gewiss keine Rücksicht genommen. Doch Green hatte es wohlwissend für sich behalten und sie war froh darüber, dass es in keiner Akte niedergeschrieben war.
Green hatte sich der Erschöpfung hingegeben und sich gegen einen Felsen gelehnt, wo sie sich nach mehreren Atemzügen hinsetzte, ohne auf seinen finsteren Blick zu achten, der ihr sagte, dass sie mal wieder zu schnell außer Atem geraten war.
"Ich möchte mit dir über Pink sprechen." Skeptisch hob er die Augenbrauen, doch sagte nichts dazu, was Green als eine Aufforderung dafür sah, fortzufahren, auch wenn sie ihm ansah, dass ihm das plötzliche Thema nicht gefiel:
"Ich möchte gerne wissen, was genau mit Pink geschehen ist. Damals, als sie in Henel war... und wie es ihr gelungen ist, zu mir zu kommen."
"Warum interessiert dich das auf einmal?", fragte ihr Großvater argwöhnisch. Sein Widerwille diesem Thema gegenüber war nicht zu überhören, doch Green hatte nicht im Sinn, sich deswegen von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen. Denn obwohl er dieses Thema mied, würde er ihm nie offensichtlich ausweichen, denn dies wäre ein Zeichen von Schwäche - und das war eine Charaktereigenschaft, die Shaginai gewiss nicht beschrieb.
"Pink wollte nie darüber reden oder sie konnte es einfach nicht. Ich habe das akzeptiert. Aber heute hat sie sich äußerst merkwürdig verhalten und ich denke, dass es etwas damit zu tun haben könnte. Deshalb möchte ich es gerne wissen, damit ich Pink besser verstehen kann."
"Du wirst nicht mehr verstehen, wenn ich dir das erzähle, was wir damals in Erfahrung gebracht haben. Die Informationen sind mangelhaft und unzureichend." Green sah auf, als er dies sagte und antwortete mit fester Stimme:
"Ich möchte es wenigstens versuchen." Ihr Großvater seufzte, während er sein Schwert zurück in dessen Scheide gleiten ließ, um sich daraufhin mit der nun freien Hand an einen Felsen zu lehnen.
"Zum Ausgang des siebten Elementarkrieges war Violet dazu gezwungen, mit den neuen Elementarwächtern zu fliehen, damit diese nicht von damals berüchtigten Attentätern getötet werden konnten. Es war geplant, dass sie zusammen mit den Kindern nach dem Ende des Krieges zurückkehren sollte - doch aus irgendeinem Grund, der uns leider nicht bekannt ist, tat sie das nicht. Die Auren von Kindern sind schwach und nur in seltenen Fällen auffindbar, doch auch Violets Aura war wie vom Erdboden verschluckt. Es war sicher, dass sie nicht gestorben waren, denn die Elemente hausten weiterhin in den Kindern und in Violet. Eine weiträumige Suche war eingeleitet worden, doch niemand wusste, wohin Violet mit den Kindern geflohen war oder wo ihre Flucht angefangen hatte. Erst nach fünf Jahren erhielten wir die erste Information: Violet hatte die beiden Elementarwächter der Natur bei einer Familie in China abgesetzt und diese wiederrum hatten Wächter ausfindig machen können. Sie konnten uns nicht sagen, wohin Violet geflohen war, doch sie konnten uns berichten, dass sie von einem Dämon verfolgt worden waren." An diesem Punkt unterbrach Green Shaginais Erzählung:
"Aber wenn sie von einem Dämon verfolgt worden war, warum hat sie dann nicht auch Tinami, Kaira und Azura bei dieser Menschenfamilie gelassen? Wäre das nicht sicherer gewesen?"
"Ich nehme an, das hätte sie auch am liebsten getan. Doch das lag wohl kaum im Interesse der Familie, in einem Land, wo die Bewohner bevorteilt werden, die nur ein Kind besitzen. Zwei Kinder lag noch im Bereich des Möglichen - aber sicherlich nicht fünf." Green nickte und Shaginai fuhr fort, als wäre er nicht unterbrochen worden:
"Anhand von Pinks Alter und der Tatsache, dass sie kein Halbwächter ist, haben wir herausgefunden, dass Violet, nachdem sie die Naturwächter abgegeben hatte, in der darauffolgenden Zeit wohl bei einem dieser Wächter unterkam, die sich dafür entschlossen haben, ihren Wurzeln zu entsagen, um stattdessen in der Menschenwelt ein langweiliges Dasein zu fristen." Shaginai schwieg mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck, welcher Green deutlich sagte, dass er diesen Wächter ganz gewiss nicht als seinen Schwiegersohn akzeptierte. Green wollte ihren Großvater gerade über weitere Informationen über diesen geheimnisvollen Wächter bitten, als Shaginai von selbst fort fuhr:
"Es war offensichtlich, dass es einer jener Wächter war, die sich absolut für die Menschen entschieden hatten, denn auch in dieser Zeit nahm Violet nicht mit uns Kontakt auf. Die Vermutung liegt nahe, dass der Vater Pinks von dem Dämon umgebracht worden ist, denn wie wir später herausfanden, war in dessen menschlicher Akte von einem "unerklärlichen Mord" die Rede. Violet wurde wohl dazu gezwungen, schwanger zu fliehen, denn Pink kam erst 8 Monate später zur Welt. Nach diesem Ereignis mangelt es uns an Informationen.
Erst 1995, vier Jahre, nachdem Pink geboren wurde, fanden wir Violet." Green, die sich während der gesamten Erzählung nicht gerührt hatte, ja, nicht einmal wagte zu blinzeln, bemerkte ein Gefühl auf Shaginais starren Gesichtszügen. Es war nur eine kurze Regung, die sich über sein Gesicht ergoss und obwohl es nur sehr kurz zu sehen war, war Green sich sicher, dass der Anblick der gefolterten Violet schrecklich gewesen sein musste.
"Von den Kindern fehlte jede Spur. Wir nahmen an, dass ihnen die Flucht gelungen war, wir nahmen an, dass Pink bei ihnen war. Aber das war sie nicht, wie wir im Jahre 2000 herausfanden, als es den drei Elementarwächtern gelungen war, mit Sanctu Ele'saces Kontakt aufzunehmen - durch die Offiziere, welche sie durch Zufall bei einem Dämonenangriff fanden. Das überaus merkwürdige war, dass sie behaupteten, dass wir Hikari ihnen bereits 1998 eine Nachricht haben zukommen lassen, worin wir angeblich schrieben, dass die Elementarwächterin des Klimas ein Glöckchen anfertigen sollte, für eine Lichterbin, die wir tot glaubten." Durchdringend sah er Green an und die Botschaft war nicht zu übersehen.
"Wir glaubten, es wäre ein Wink Hikari-kami-samas, dass wir bald einen neuen Lichterben begrüßen konnten, immerhin warteten wir ja vergeblich darauf, dass das Element sich einen neuen Wirt suchte, aber mittlerweile kann man sich ja denken, wer diesen ominösen Brief schrieb und dir eine Waffe machen ließ...." Auch Green verstand sie und war sich wieder einmal bewusst, dass sie Inceres danken musste. Denn es stand außer Frage, dass er seine kleinen Kinderfingerchen im Spiel gehabt hatte beim Bau ihrer Waffe.
"Und was ist jetzt mit Pink?", fragte Green schnell, denn sie wollte nicht, dass das Thema bei ihr und ihrer Unreinheit hängen blieb, immerhin war es ja eines von Shaginais Lieblingsbeschäftigungen, diese anzukreiden.
"Da der Dämon die Verfolgung nicht weiter fortgesetzt hatte, war es klar, dass von Anfang an Violet und Pink das Ziel jenes Dämons gewesen waren - aus nachvollziehbaren Gründen: die Dämonen sind keine Spezialisten auf dem Gebiet der Bannkreise und genauso wenig Wissen haben sie über die jeweiligen Elemente. Offensichtlich waren sie im Glauben, dass sie den Bannkreis brechen könnten, wenn sie das Element des Schutzes manipulieren würden."
Einen kurzen Augenblick schwieg er, ehe er fortfuhr:
"Als wir Pink im Jahre 2005 fanden, war sie in einem unzurechenbaren Zustand. Zwar hatte sie sämtliche Erinnerungen verloren und konnte uns so keinerlei Informationen geben, doch an ihrem Körper befanden sich Rückstände von diversen Versuchen der verschiedensten Art und ihr Element war nicht intakt, was leicht bei jungen Wächtern auftreten kann, wenn sie ihr Element zu oft falsch einsetzen." Green schluckte und obwohl sie immer noch ihren Großvater ansah, sah sie wieder Pink vor sich - damals, als sie zu ihr gekommen war. Ein kleines, strahlendes Mädchen, nichts anderes als ein Kind, doch so komplett anders, wenn sie von ihrer Vergangenheit sprach...
"Das kann nicht sein", purzelten die Worte plötzlich aus ihrem Mund heraus, ehe sie ihren Gedanken beendet hatte; Worte, die Shaginai dazu brachten, irritiert die Augenbraue zu heben, wovon Green sich nicht aufhalten ließ und sich nun entschlossen aufrichtete:
"Pink hat mir davon erzählt! Damals, als wir uns gerade erst kennen gelernt haben, das muss 2005 gewesen sein... sie hat mir erzählt, dass die Dämonen Untersuchungen an ihr durchgeführt hatten und darüber hinaus hat sie mir gesagt, sie könne sich nur nicht mehr daran erinnern, was vor ihrem Aufenthalt geschehen ist! Das heißt doch aber, dass sie nicht komplett alles vergessen hat; sie weiß es noch! Deshalb wollte sie mir auch nicht alles erzählen, weil sie nicht darüber reden wollte!" Shaginai unterbrach sie brüsk:
"Du musst dich irren. Ihr Erinnerungsvermögen war stark beschädigt; sie konnte sich nicht einmal an ihren eigenen Namen erinnern."
"Unmöglich! Sie hat sich vorgestellt, sie hat mir erzählt, dass sie Pink heißt! Und sie hat mir auch von ihrer Flucht erzählt und dass sie unbedingt zu mir wollte-"
"Warte - sie hat was?!" Die beiden sahen sich einen Augenblick lang an, Green nach wie vor noch vollkommen verwirrt, während Shaginai irgendetwas klar zu werden schien und er sie deshalb noch einmal fragte, ob sie sich sicher war, dass Pink ihr erzählt hatte, wie sie geflohen war.
"Ja, das bin ich. Sie sagte mir, dass das Siegel schwächer geworden wäre und dass es ihr deswegen gelungen war, zu fliehen."
"Verstehe." Danke, dachte Green, sie verstand nach wie vor nichts, doch ihr Großvater schien nicht im Sinn zu haben, es ihr zu erzählen. Er löste sich vom Felsen und ging rastlos auf und ab, in Gedanken verloren; Gedanken, welche Green zu gerne erfahren würde. Gerade, als sie nachfragen wollte, kam Shaginai ihr zuvor:
"Pink darf unter keinen Umständen am Krieg teilnehmen." Umgehend klappte der Mund der unreinen Hikari auf und zuerst bekam sie nur ein gestammeltes "Warum" heraus, bis sie sich soweit sammeln konnte, dass sie einen vernünftigen Satz formen konnte:
"Ich bin ja auch der Meinung, dass sie geschont werden sollte, aber komplett ausschließen?"
"Ja, komplett ausschließen. Sie darf auch unter keinen Umständen an den Kriegssitzungen teilnehmen."
"Könntest du mir bitte mal erklären warum? Du tust ja fast so, als wäre sie ein Spion!" Langsam drehte sich Shaginai zu ihr herum und sagte ernst:
"Vielleicht ist sie das." Empört über diesen Satz öffnete Green den Mund, um dagegen an zu reden, doch Shaginai kam ihr zuvor.
"Es gibt mehrere Fakten, die dafür sprechen. Wie gelingt es einem 14-jährigen Mädchen nach 6 Jahren Gefangenschaft, ohne Erinnerungen, mit solchen Verletzungen, einem unbalancierten Element, zu fliehen? Diese Frage hat uns bereits damals beschäftigt und der Verdacht lag nahe, dass sie mit Wissen und Wollen freigelassen wurde. Doch wir fanden keine Rückstände von manipulierender Magie oder ähnliche Anzeichen von Manipulation. Dennoch beschlossen wir, dass wir sie lieber unter Beobachtung halten sollten. Nach zwei Wochen floh sie auch von uns. Sie entwendete dein Glöckchen und kaum drei Stunden später war sie auch schon bei dir. Wir unternahmen nichts um sie zurück zu holen, denn es schien, dass die Nähe des Elementes des Lichtes ihrer Gesundheit gut tat. " Er seufzte verärgert und es war deutlich, dass er diese Entscheidung nun bereute:
"Ihre Flucht zu dir war auch nicht unnormal: sie hatte ihre Erinnerungen verloren und ohne diese beruhten ihre Entscheidungen auf Instinkten; diese wiederrum beruhen auf dem Element, welches sich immer vom Licht angezogen fühlt, egal, ob es nun versiegelt ist oder nicht, wie es in deinem Fall nun einmal war."
"Ja, aber Großvater, das spricht doch für Pink! Pink machte mich doch erst zu einer Hikari, ohne sie wäre ich es nie geworden! Wenn sie von einem Dämon manipuliert worden wäre, dann..." Greens Worte blieben ihr im Halse hängen und Shaginai sah ihr an, dass auch sie es verstand. Ihre Kehle wurde plötzlich trocken und es schmerzte, die folgenden Worte zu sagen:
"Sag mir nicht, es ist wegen dem... Auftrag?"
"Reine Spekulation. Aber es könnte eine Möglichkeit sein."
Ein bekanntes Gefühl brodelte in Green auf, ein Gefühl, welches sie nicht einordnen konnte und obwohl dieses Gefühl keinen Namen besaß, schnürte es ihr die Kehle zu und ließ sie nach Luft schnappen. Etwas worauf Shaginai absolut keine Rücksicht nahm, auch nicht, dass Green sich erst einmal an der Klippe abstützen musste. Ohne auf ihre Reaktion zu achten, fuhr er fort:
"Aber da ist noch mehr an Pinks Flucht aus Henel, was als verdächtigt eingestuft werden kann. Du sagtest mir, dass sie dir erzählt hat, dass sie nur fliehen konnte, weil der Bannkreis schwächer wird. Doch der Bannkreis ist zu keinem Zeitpunkt schwächer geworden. Es ist wahr, dass wir eine Zeit lang annahmen, dass die Effektivität des Bannkreises nachlassen würde, doch das war, bevor die Untersuchungen ergaben, dass das vermehrte Auftauchen der Dämonen daher kommt, dass es Halbdämonen möglich ist, den Bannkreis zu überwinden. Mit anderen Worten: Pink wurde mit Wissen und Wollen mit falschen Informationen gefüttert. Wahrscheinlich wurden ihr unwahre Erinnerungen eingepflanzt, damit sie selbst an die Richtigkeit ihrer Flucht glauben sollte. Alles, was sie dir also erzählt hat, könnte unwahr sein." Green war nicht gewillt, dies einfach so hinzunehmen und obwohl das Gefühl sich langsam und brodelnd in ihrem gesamten Körper ausbreitete, löste sie sich von der Klippe und kämpfte trotzig dagegen an:
"Du hast mir doch aber gerade eben erzählt, dass ihr keine Rückstände von Magie in ihrem Körper gefunden habt! Das bedeutet doch, dass Pink unschuldig ist..."
"Nein, das bedeutet genau das Gegenteil." Ein sarkastisches Lächeln breitete sich auf Shaginai aus, im gleichen Moment, wo er den Kopf schüttelte und ihr sagte:
"Plötzlich ergibt alles Sinn ... wie ironisch, dass wir es niemals herausgefunden hätten, wenn deine Hinrichtung ausgeführt worden wäre."
"Das ist doch jetzt vollkommen egal! Ich will..." Doch Shaginai schlug ihre Proteste entzwei, als er sich entschlossen an sie wandte und ihr sagte, dass das Training für heute beendet war und dass Green sich bereit halten sollte für die Entscheidung der Hikari, denn er würde sofort ins Jenseits zurückkehren und eine Kriegsversammlung einberufen.
Im gleichen Moment, wo er dies sagte und sich offensichtlich bereits dazu bereit machte, seine Worte in die Tat umzusetzen, spürte Green, wie sich das brodelnde Gefühl in ein schwarzes Loch verwandelte und sie einzunehmen drohte.
Doch das würde sie nicht zulassen.
Sie würde nicht wieder in ein schwarzes Loch zurückfallen, dass würde sie nicht!
"Nein! Geh nicht, erzähl mir zuerst was so klar auf der Hand liegt und was ich nicht sehen kann!" Green hatte sich seinen Arm geschnappt und umklammerte ihn mit beiden Händen. Empört sah er seine Enkelin an, doch gerade als er sich aus ihrer Umklammerung befreien wollte, setzte Green wieder an:
"Ich will auch verstehen. Bitte, Großvater, erklär es mir!"
"Eine erbärmliche Hikari bist du, Yogosu!" Er riss sich aus ihren Griff frei und während er fortfuhr, strich er sich die Falten an seinem Ärmel wieder glatt:
"Nicht nur, dass du flehst, du besitzt auch selbst nicht genug Wissen, um das Offensichtliche zu sehen!" Green hatte dazu nichts zu sagen. Sie schämte sich nicht dafür, dass sie ihn angefleht hatte; sie würde es wieder tun, wenn es sein müsste, wenn es um die Personen ging, die ihr am Herzen lagen.
"Also gut, ich werde es dir erklären, aber hör genau zu, damit du keine überflüssigen Fragen stellen musst: Es gibt eine einzige Dämonenrasse, welche nicht auf die Verbotenen Künste zurückgreifen muss, um manipulierende Magie anzuwenden und obendrein ist deren Art der Magie nicht nachzuweisen, was sie im Krieg sehr gefährlich macht: die Incubi und welch ein Zufall, der Lehrmeister der Halbdämonen, die dich so wunderbar erfolgreich an der Nase herum geführt haben, ist ein Incubus! Daher konnten wir nichts finden und wenn wir Pinks gesamtes Gehirn auf den Kopf gestellt hätten! Du wirst sicherlich einsehen, dass diese beiden Puzzleteile nur allzu gut zusammen passen: zwei Halbdämonen, die dich beschützen und eine Wächterin, die dein Element aktiviert und dich zu einer Hikari macht und sich ebenfalls in deiner Nähe befindet.
Der Auftrag mag beendet sein, doch es nicht gesichert, dass Ri-Il Pink nicht weiterhin kontrollieren kann, ganz gleich, ob Pink nun im Tempel lebt oder nicht - und wenn er nur Informationen erhalten kann. Bereits dies wäre eine Gefahrenquelle, welche wir ausmerzen müssen!"
"Aber, Großvater, du willst Pink ja wohl nicht hinrichten lassen!?"
Die beiden Hikari sahen sich gegenseitig an, in die hellen und dunklen Augen des jeweils anderen, Green sich so hart auf die Lippen beißend, dass es schmerzte. Doch die Zeit der Stille war weitaus schlimmer als dieser Schmerz.
"Nein - nicht, wenn es sich vermeiden lässt." Vor Erleichterung ließ sich Green beinahe auf die Knie sinken, doch sie hielt sich am Felsen fest, welcher sie davor bewahrte.
"Ich werde jetzt ins Jenseits zurückkehren. Halte dich bereit für den Entschluss."
"Nein! Ich will mit; lass mich an der Versammlung teilnehmen."
"Kommt nicht in Frage!" Er schüttelte den Kopf und Green sah sofort, dass es keinen Nutzen hatte, weiter zu fragen:
"Es reicht, wenn ein Hikari von seinen Gefühlen geblendet ist."
Noch 20 Tage bis zum 8ten Elementarkrieg
Keine zehn Stunden später, kurz nach dem gemeinsamen Frühstück der Elementarwächter, kehrte Shaginai wieder aus dem Jenseits zurück und zusammen mit ihm der Entschluss, wie es nun mit Pink weitergehen sollte. Green, die wie versprochen niemandem von der Sache erzählt hatte, war überaus überrascht über den Entschluss, denn sie hatte bereits mit dem Schlimmsten gerechnet. Da sie in der vergangenen Nacht nicht hatte schlafen können, hatte sie sich mit Büchern beschäftigt; mit Büchern, die allesamt Dämonie, den Fachbegriff für Besessenheit, als Thema hatten; ein alt bekanntes und schwerwiegendes Thema, wie Green schnell herausfand. Dämonie, dessen Ursprung in den Verbotenen Künsten lag, konnte nachgewiesen und auch durch eine Läuterung geheilt werden. Da die Dämonie, die von Incubi ausging, nicht nachgewiesen werden konnte, war kaum zu beurteilen, ob man sie heilen konnte oder nicht. Einige Wächter wiesen nach einer Läuterung nie wieder irgendwelche Anzeichen von Dämonie auf, andere waren durch eine Läuterung nicht verändert. Mittlerweile hatte man herausgefunden, dass die einzige sichere Heilung die eigene Stärke war; man musste stark genug sein, selbst die fremdeinwirkende Magie niederzukämpfen.
Und da diese fremdeinwirkende Magie von Ri-Il stammte, hatte Green wenig Hoffnung, dass es Pink gelingen würde, diese Dämonie zu bekämpfen.
Doch ihre schlimmen Befürchtungen schienen nicht bewahrheitet zu werden, wie sich herausstellte, als sie Pink zusammen mit Säil und ihrer Tochter sah, draußen im Garten, gut fünfzig Meter von der Terrasse entfernt, auf welcher Shaginai und Green nun standen und den drei Schutzwächtern zusahen, wie sie miteinander sprachen. Die Erklärung für dieses Bild, gab Shaginai ihr erst jetzt, wo sie draußen in der frühen Herbstsonne standen, beide die Sonnenstrahlen dankend aufnehmend:
"Ich habe dafür argumentiert, Pink als "labil" und damit "unzurechnungsfähig" einstufen zu lassen." Fragend wandte Green sich von dem Bild der Schutzwächter ab und sah ihren Großvater an, der sie nicht ansah; sein Blick war weiterhin auf die drei gerichtet.
"Und was bringt das?"
"Einer unzurechnungsfähigen Wächterin ist es nicht erlaubt, am Krieg teilzunehmen. Sie ist bis aufs Weitere ausgeschlossen." Green wusste nicht, wie sie diese Informationen einstufen sollte. Was bedeute das? War das der erste Schritt in Richtung Pinks Hinrichtung? Und was hatte Säil mit dem Ganzen zu tun?
"Der Grund für diese Einstufung ist der, dass Pink zurückgebliebene Züge aufweist und nicht die geeignete Reife besitzt, um an einem Elementarkrieg teilzunehmen." Green nickte und im gleichen Moment, wo sie dies tat, verstand sie, was Shaginai getan hatte und erschrocken weiteten sich ihre Augen. Überrascht wirbelte sie zu ihrem Großvater und sagte:
"Du hast gelogen?!" Als sie dies sagte, hätte sie schwören können, dass Shaginai rot geworden wäre, wenn er es noch konnte, denn peinlich berührt antwortete er:
"Nein, ich habe einen Teil der Wahrheit für mich behalten, oder willst du etwa leugnen, dass Pink ein kindliches Verhalten aufweist?"
"Vor mir musst du dich gewiss nicht rechtfertigen, Großvater", entgegnete Green mit einem Grinsen, was ihn dazu brachte, genervt das Gesicht zu verziehen:
"Wirf mich nicht in die gleiche Sparte wie dich, Yogosu!", sagte Shaginai und machte eine genervte Handbewegung, als könnte er damit den Vorwurf von sich schieben und mit einer ebenso genervten Stimme erklärte er:
"Es ist ein Faktum, dass Pink zurückgebliebene Züge aufweist und damit als labil eingestuft werden kann und somit kann man ihr die Teilnahme an einem Krieg nicht zumuten." Einen kurzen Moment schwieg er, ehe er leise hinzufügte:
"... Ich habe allerdings die neuen Erkenntnisse verschwiegen." Er sagte nichts mehr, doch der Grund für sein Handeln hing in der Luft und lauerte nur darauf, ausgesprochen zu werden. Doch das musste er nicht; Green verstand es auch ohne dass Shaginai es aussprach: wie sollte er seiner geliebten Tochter jemals wieder unter die Augen treten können, wenn er ihre Tochter, für die sie sich geopfert hatte, hinrichten lassen würde? Es freute Green, dass er sich dafür entschieden hatte, es erleichterte sie. In diesem Moment dachte sie nicht an die Ironie, die sich mit dieser Situation verband; dass weder White noch Green wichtig genug für ihn gewesen waren, um solch eine Entscheidung zu treffen.
"Ich habe es in die Wege geleitet, dass Säil von nun an als ihre Lehrerin fungiert. Als private Lehrerin muss sie regelmäßig Berichte schreiben und ständig ein Auge auf Pink haben. Sie selbst hat keine Ahnung, dass Pink mehr ist als eine etwas kindliche Schülerin... was auch so bleiben soll." Green war dennoch nicht ganz wohl bei dem Gedanken; das ungute Gefühl hatte sich ihrer bemächtigt und schien nicht im Sinn zu haben, von ihr abzuklingen.
"Wenn sie es aber dennoch herausfindet? Ich habe gehört, dass Säil ein ziemliches Lästermaul ist; für sich behalten wird sie das auf jeden Fall nicht."
"Ich bezweifle, dass sie es von sich aus herausfinden wird. Du, als ihre Cousine, hast mehr als zwei Jahre gebraucht, um überhaupt auf die Idee zu kommen, Verdacht zu schöpfen; ohne mein Extrawissen hättest du dieses Bewusstsein niemals erlangt." Die nächste Frage bahnte sich bereits ihren Weg, doch Shaginai schien diese Frage in ihrem Gesicht ablesen zu können, denn er sagte:
"Ich glaube auch nicht, dass Säils Leben in Gefahr ist. Genauso wenig wie alle anderen es wissen, wird auch Ri-Il nicht den wahren Hintergrund von Pinks neuer Lehrerin erahnen können. Da er weiterhin im Glauben ist, dass er nicht aufgeflogen ist, gibt es für ihn keinen Grund, sein passives Verhalten aufzugeben, um aktiv zu werden; erst recht nicht, um eine nutzlose Schutzwächterin umzubringen." Green wurde bei dem Gedanken ganz schlecht, denn sie verstand den strengen Blick Shaginais sehr wohl, der auf ihr ruhte, dessen Bedeutung klar verständlich war; dass eher eine Hikari wie sie aufpassen sollte.
Seitdem sie im Tempel lebte, hatte sie Pink unzählige Male ins Bett gebracht oder wenn es die Zeit zuließ, hatten sie zusammen auf Greens großen Bett gesessen und Kekse gegessen... sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich hinter Pinks heiterer Miene etwas anderes verstecken sollte als bloße kindliche Freude.
Auch jetzt, wo Pink mit der kleinen Tochter Säils spielte, die kleinen Händen des Kindes in ihrer Hand haltend und dabei unschuldig strahlend, wie eine kleine aufgehende Sonne, weigerte sich Green, die Wahrheit zu glauben - von Pink sollte eine Gefahr ausgehen? Pink war nicht die, die sie zu sein schien? Sie war eine Bedrohung?
"Ich... kann das nicht glauben."
"Noch haben wir auch keine Beweise. Es wäre also verfrüht, in Panik zu geraten. Ich sage lediglich, dass wir mit überaus großer Vorsicht die Informationen sortieren sollten, die Pink erhält." Als Shaginai dies sagte, wandte sich seine Enkelin wieder zu ihm, mit einem zweifelhaften Ausdruck in den Augen; ein Ausdruck, der ihm sagte, dass sie die Wahrheit nicht hören wollte, die Wahrheit, die sich hinter ihrer nächsten Frage verbarg:
"Und wenn wir Beweise haben...?"
"Dann ist es unsere Pflicht, das Wächtertum vor dieser Gefahr zu bewahren."
Pink entdeckte Green nun neben einem Hikari, den sie selbstverständlich nicht kannte und daher galt ihr Winken auch nur ihrer Cousine, als sie auf die Füße sprang und ihr zuwinkte. Green zwang sich zu einem Lächeln, als sie sich dazu aufmachte, ihr entgegen zu gehen. Doch ihr Unterfangen wurde unterbrochen, als sie die mächtige Hand ihres Großvaters auf ihrer Schulter spürte. Erstaunt wirbelte sie herum, nur um dieses Gefühl mit Ernsthaftigkeit erwidert zu bekommen:
"Wage es nicht zu vergessen, dass dies unser Geheimnis bleibt." Er löste die Hand von ihrer Schulter und kaum, dass Pink die Treppenstufen erreicht hatte, löste deren Großvater sich in kleine Lichtpartikel auf, welchen Pink keine Beachtung schenkte, als sie sich Green stürmisch um den Hals warf, um sich an sie zu drücken. Green war versucht, ganz natürlich diese Umarmung zu erwidern, doch sie hatte das Gefühl, dass ihre Glieder steif waren. Zum Glück trat Säil neben die beiden Cousinen und sorgte unbewusst dafür, dass Greens Verhalten nicht weiter auffiel. Während Pink sie los ließ, verbeugte sich Säil vor Green, zusammen mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm, welches die Wächter um sie herum mit großen, grünen Augen beäugte.
"Guten Morgen, Hikari-sama."
"Ja, guten Morgen", kaum, dass Green dies gesagt hatte, unterbrach sie Pink auch schon und mit strahlendem Gesicht verkündete sie, wie froh sie darüber war, nicht mehr an den langweiligen Kriegskonferenzen teilnehmen zu müssen und auch, dass sie erst einmal nicht in den Krieg ziehen müsse:
"Aber ich werde ganz, ganz, ganz stark an euch denken! Damit euch nichts passieren kann und ihr alle heil nach Hause kommt!" Green konnte nicht sagen, wie überzeugend ihr Lächeln war, als sie Pink vergewisserte, dass ihnen ja mit dieser Unterstützung absolut gar nichts passieren konnte.
Sie wollte nicht glauben, dass die Gefühle Pinks, ihres ersten Familienmitglied, der ersten Wächterin, die sie getroffen hatte, die sie in diese Welt brachte... genauso unecht waren wie... Silvers und Blues.
Sie wollte es nicht glauben.
Doch sie hatte diesen Fehler bereits einmal gemacht.
Firey gefiel es gar nicht, zu spät zu sein. Es passte nicht in das Bild hinein, welches sie gerne von sich portraitieren wollte: das Bild einer guten Wächterin - einer Wächterin, die ihre Pflichten erfüllte und mehr oder weniger den Idealen gerecht wurde. Zu diesem Bild trug es nicht gerade positiv bei, wenn sie zu spät kommen würde - auch wenn es "nur" eine Kriegssitzung unter den Elementarwächtern war und Green es ihr sicherlich verzeihen würde, wenn sie zu spät kam. Aber sie wusste, wer sie wieder schief von der Seite ansehen würde und Firey musste zugeben, dass sie dankend auf Kairas Seitenblick verzichten konnte.
Warum nur hatte sie verschlafen! Das passierte ihr doch normalerweise nicht; das gesamte letzte Jahr war sie pünktlich aus ihrem Bett gesprungen, zwar nicht immer mit vollem Elan und aufgetankten Batterien, aber wenigstens war sie aufgestanden und pünktlich zum Morgentraining erschienen.
Firey kam in der großen Halle an, dort wo die vier Verbindungsgänge sich unter der Obhut des großen, steinernen Engels kreuzten, welcher auch an diesem Morgen das Hologramm der Erde in seinen Händen hielt und jeden vorbeigehenden Wächter daran erinnerte, dass in 21 Tagen der Krieg beginnen würde.
Die Feuerwächterin blieb stehen und sah eben diese Anzeige an; starrte auf die beinahe drohend wirkende, rote Zahl, als würde sie verschwinden, wenn sie sie nur lange genug anstarren würde. Unaufhaltbar und unheilschwanger schritt die Zeit voran: das erste Datum, der zweite September, war ereignislos vorübergegangen: so ereignislos wie ein möglicher Kriegsbeginn sein konnte, denn es war ein furchtbar anstrengender Tag für die Nerven der Allgemeinheit gewesen und als der Morgen des dritten Septembers anbrach, hatte Firey sich so erschöpft gefühlt, als hätte sie 48 Stunden lang nur trainiert, obwohl sie alle nichts anderes getan hatten, als aufmerksam auf der Lauer zu liegen. Eine stille Bereitschaft hatte sich an diesem Tag über das Wächtertum gesenkt und obwohl diese im Endeffekt nichts als Zeitverschwendung gewesen war, hatte sie doch deutlich gezeigt, dass das Wächtertum bereit war, den neuen Krieg in Empfang zu nehmen.
Der Krieg war nicht am zweiten September angefangen, daher zählte der Countdown des Engels weiterhin abwärts und Firey erinnerte sich auf einmal vage daran, dass sie einen merkwürdigen Traum gehabt hatte. Wahrscheinlich hatte sie es eben diesem Traum zu verdanken, dass sie nicht pünktlich aus dem Bett gestiegen war, dachte sie maulend.
Sie konnte sich nicht an den Traum erinnern, nur wusste sie, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Krieg zu tun hatte - wie so ungefähr alles in ihrem Kopf. Eigentlich sollte sie sich Gedanken darüber machen, was sie tun würde, wenn sie zufällig Silver über den Weg laufen würde; so zufällig wie es auf einem Schlachtfeld nun einmal möglich war und was sie ihm eigentlich sagen würde beziehungsweise was sie fragen würde. Für diese Fragen blieb allerdings nicht viel Platz; nur ab und zu huschte dieser Gedanke vorbei und versuchte einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, doch die Angst vor dem Krieg hatte sich sehr gut in ihrem Kopf und Sein platziert.
Firey schüttelte den Kopf, klatschte sich mit den flachen Handflächen gegen die Wangen und wandte ihren Blick vom Countdown ab, um ihren Weg fortzusetzen. Während sie die Treppen hochstieg, um zum dritten Stock zu gelangen, fragte sie sich mit einem flauen Gefühl im Magen, ob sie die einzige war, die sich Gedanken machte. Aber sie konnte doch unmöglich die Einzige sein? Man hing doch irgendwie an seinem Leben und ein Krieg brachte dieses unweigerlich in Gefahr - das war doch angsteinflößend? Oder waren die anderen Elementarwächter einfach so gut, dass sie ihr Leben nicht in Gefahr sahen? Dies traf jedenfalls auf Azuma zu... für ihn schien das alles nur ein großes Spiel zu sein.
Vielleicht war das die gesündere Variante mit dem Countdown umzugehen. Er hatte mit Sicherheit keine Alpträume. Er freute sich wahrscheinlich eher!
Firey blieb stehen, als ihr der folgende Satz durch den Kopf schoss: wenn man vom Teufel spricht - der Erdwächter war plötzlich auf der Treppe zu sehen.
"Azuma!" Der Erdwächter blieb auf dem Treppenabsatz stehen, welchen er gerade noch erklimmen wollte und sah über die Schulter zurück. Als er Firey erblickte, welche schnellen Schrittes auf ihn zu steuerte, grinste er und fragte sie, warum sie denn ebenfalls zu spät dran war.
"Ich habe verschlafen", antwortete Firey mit einem unsicheren Lächeln, während sie weitergingen.
"Das passiert dir doch sonst nicht." Die Angesprochene wählte, das Thema zu wechseln; Azuma war gewiss der Letzte, dem sie beichten wollte, dass sie wahrscheinlich die einzige Feuerwächterin - ausgerechnet sie als Feuerwächterin - war, die Angst hatte.
"Und was machst du hier? Die Sitzung hat vor 30 Minuten begonnen."
"Oh, ich komme direkt von einer Nachtschicht. War noch gar nicht in meinem Zimmer", antwortete der Erdwächter mit stolzer Brust, denn sein Spionageauftrag in der Dämonenwelt gefiel ihm wahrlich unheimlich gut. In den vergangen Wochen war er bereits mehr als 10 Mal dort gewesen und Firey, sowie andere die Azuma kannten, wunderten sich insgeheim, dass diese 10 Besuche ohne Zwischenfälle vonstattengegangen waren. Firey wüsste zu gerne mehr über diese Besuche, immerhin war ihr die Dämonenwelt komplett fremd außer den paar Abbildungen, die sie während des Unterrichts in ihren Büchern sehen konnte. Azuma schien die Welt zu gefallen; leider gefiel ihm seine Aufgabe und die damit verbundenen Verpflichtungen aber auch zu sehr, denn ihm war eine Schweigepflicht auferlegt worden und daher hatte er Firey absolut nichts von seinem Aufenthalt erzählt, obwohl sie ihn mit Fragen löcherte. Daher kannte die Feuerwächterin die Ergebnisse der Spionageaktionen auch nicht, und wusste ebenso wenig, wie er und der Offizier des Schutzes, Minare, genau vorgingen. Das einzige, was Firey wusste, war, dass sie offensichtlich bei den Missionen in der Dämonenwelt bereits einige nützliche Informationen zusammengetragen hatten.
"Mit anderen Worten - du kommst direkt aus der Dämonenwelt", entgegnete Firey und sie bemerkte selbst, dass ihre Stimme dabei nicht besonders neutral klang. Auch Azuma bemerkte es grinsend:
"Du kannst es wohl gar nicht abwarten, dass der Krieg anfängt, was?"
"Oh ja", antwortete die Feuerwächterin säuerlich:
"Die Spannung ist kaum auszuhalten!" Eine Halbwahrheit, um genau zu sein. Denn wenn sich die Angst kurz beiseiteschob, war sie wirklich gespannt. Nicht gespannt im Sinne davon, dass sie sich auf diese neue Welt freute oder dergleichen, sondern eher wegen dem Verlangen, Silver endlich irgendwie wiederzusehen und endlich Klarheit zu erlangen.
Mehr als ein Jahr hatte sie nun bereits mit der Ungewissheit zu kämpfen und es machte sie wahnsinnig. Auf der einen Seite war die kleine, überaus naive und dumme Flamme, die ihr einreden wollte, dass noch nicht alle Hoffnung verloren war, dass es einen Grund gab und zur gleichen Zeit auch einen Grund dafür, dass sie alle vielleicht doch irgendwie noch ein "Happy End" erlangen konnten: sie alle, inklusive Green, die unbewusst aktiv dazu beitrug, dass eben diese kleine Flamme immer wieder aufs Neue im Keim erstickte. Es genügte, Green nur anzusehen, in jenen Momenten, wo sie sich unbeobachtet fühlte, denn dies waren jene Momente, wo ihre tief verborgene Traurigkeit für einen kurzen Augenblick ausbrach; nicht in Form von Tränen - nur ihre Augen drifteten ab, irgendwohin, wo niemand ihr folgen konnte, denn niemand besaß einen Schlüssel für diese Welt.
Ob Firey den Schlüssel in der Dämonenwelt finden würde?
Die Mundwinkel der Feuerwächterin zuckten sarkastisch - wann sollte sie denn suchen gehen? Nachdem sie ihre eigene Haut gerettet hatte - oder davor? Es würde schwer werden, irgendwie auf die Suche nach der Wahrheit zu gehen, ohne zu desertieren und das war Yuukis Gebiet - ein Gebiet von welchem Firey sich fernhalten wollte. Das passte noch weniger in ihr Wächterbild als eine Verspätung.
Dass Zuspätkommen ebenfalls nicht die beste Idee war, bekam Firey (und auch Azuma, doch ihn kümmerte es nicht) deutlich zu spüren, als sie den Konferenzraum betraten: Kairas Blick sprach Bände. Firey entschuldigte sich für die Verspätung und setzte sich auf ihren Platz neben Tinami und Ilang, wo sie ihren Blick sofort auf die Tafel richtete. Das Thema der heutigen Sitzung war nicht schwer zu erraten; dank der Informationen, die Azuma und Minare zusammengetragen hatten, hatten sie jetzt genug, um einen Vortrag über die verschiedenen Fürsten halten zu können, beziehungsweise um bestimmen zu können, wie groß die jeweiligen Horden waren.
Nach der kurzen Unterbrechung Fireys und Azumas fuhr Grey mit dem Vortrag fort, während Green Firey einen flüchtigen, aber doch neugierigen Blick zuwarf, der so viel bedeute wie "Was ist los?", denn natürlich wunderte sie sich auch über das Verhalten Fireys.
Was los war, konnte und wollte Firey auch ihrer besten Freundin nicht erzählen - gerade ihr nicht. Sie machte sich schon genug Gedanken, da musste sie sich nicht auch noch welche um Firey machen und das würde sie unweigerlich, wenn sie wüsste, wie große Angst die Feuerwächterin hatte und Green würde erst recht an die Decke gehen, wenn sie wüsste, was Firey sich in der Dämonenwelt vorgenommen hatte.
"...Das Gebiet Ri-Ils ist aktuell das drittgrößte Gebiet in der Dämonenwelt nach Lerous und Lacrimosas. Die Horde Ri-Ils ist zwar kleiner als die Lacrimosas, gehört aber zu den Gefährlichsten, denn sie ist seit jeher eine der Horden, die am besten organisiert und trainiert ist. Laut den aktuellsten Zahlen besteht seine Horde aus um die 4300, wovon 73% männliche Dämonen sind. Ri-Il selbst ist alles andere als zu unterschätzen und ein direkter Zweikampf sollte vermieden werden. Er ist ein reinrassiger Incubus und hält seit 1887 die Position als schnellster Dämon." Während Grey fortfuhr, bemerkte Firey aus den Augenwinkeln heraus, wie Pink alles andere als zuhörte. Sie kramte eine Thermosflasche aus ihrer Tasche hervor, die offensichtlich mit heißem Kakao gefüllt war, welcher verlockend dampfte, als sie ihn in eine Tasse füllte, welche sie ebenfalls dabei gehabt hatte.
Pink hatte es zwar nicht bemerkt, aber ihre gesamten Kollegen sahen sie nun an, mitsamt Grey, der seinen Vortrag unterbrochen hatte, um geduldig darauf zu warten, bis Pink fertig war. Alle schienen das gleiche zu denken und auch Firey machte sich plötzlich weniger Sorgen um sich selbst, als um Pink - wie sollte sie sich im Krieg bewähren, wenn sie nicht einmal in der Lage war, sich bei einem Vortrag zu konzentrieren?
Grey jedoch blieb ruhig, während Kaira wieder einmal mit den Augen himmelte. Freundlich lächelnd bedankte er sich bei Pink, als sie verkündete, dass sie fertig wäre und dass der Kakao ganz toll wäre.
"Gut, dann machen wir weiter mit dem nächsten Fürsten und damit auch mit dem viertgrößten Gebiet; dem von Lycram. Die Gebiete wie auch die Horden von Ri-Il und Lycram sind in etwa gleich groß. So besteht Lycrams Horde aus zirka 4000 Dämonen, welche allerdings nicht so eine große Gefahr ausmachen wie die von Ri-Il, da die Organisation..." Genau wie knapp eine Minute zuvor wurde Grey wieder einmal von Pink unterbrochen und wieder war der Kakao daran schuld, denn die mit ihm gefüllte Tasse war auf den Tisch gefallen und der dampfende Kakao verbreitete sich auf dem verzierten Tisch aus - doch das war nicht das, was die Aufmerksamkeit der Elementarwächter auf sich zog; es war Pink selbst.
Sie stand plötzlich aufrecht und starrte die Tafel an, wo man das Aktenbild von Lycram sehen konnte mitsamt der Daten, die sie über ihn verfügten. Einen kurzen Augenblick zeigte sich ihr Gesichtsausdruck verwirrt, während sie das Bild ansah, doch plötzlich schien etwas in ihr aufzukeimen - ein Bewusstsein; ein Bewusstsein, welches ihr deutlich Angst einjagte, denn von einem Moment auf den anderen schrumpften die Pupillen ihrer Augen und waren nicht größer als kleine Stecknadeln.
"Pink, was ist los?", fragte Ilang behutsam und da sie diejenige war, die neben ihr saß, stand sie auf und legte die Hand auf die Schulter der kleinen Schutzwächterin. Eine Berührung, welche Pink zusammenfahren ließ und rasselnd zog sie die Luft ein - und ehe sich jemand versah, stürzte sie schreiend Hals über Kopf aus dem Konferenzsaal.
Die Übriggebliebenen sahen ihr verwirrt hinterher als sie den Gang herunter rannte, bis die Tür wieder ins Schloss fiel.
"Ob der Kakao zu heiß war?", fragte Azuma überflüssigerweise, doch sein Einwand wurde überhört. Green warf Grey einen fragenden Blick zu, doch dieser zuckte verwirrt mit den Schultern und schien sich Pinks Verhalten genauso wenig erklären zu können wie die anderen.
"Ich werd mich darum kümmern", verkündete Green und ohne, dass jemand Einwände erheben konnte, rannte die Hikari Pink auch schon hinterher.
Pink wusste nicht, warum sie rannte oder welches Ziel sie hatte; sie rannte einfach. Obwohl "rennen" wohl die falsche Bezeichnung war, denn sie lief kopflos, stolperte immer mal wieder über ihre eigenen Füße, nur um sich kurz vor dem Sturz wieder fangen zu können und weiter zu laufen. Es glich eher einer Flucht, obwohl sie nicht wusste und auch nicht darüber nachdachte, wovor sie floh. Irgendetwas in ihrem Körper sagte ihr, sie sollte laufen, also gehorchte sie dieser Stimme und rannte. Sie kannte diese Stimme nicht, wollte sie nicht kennen und wollte noch weniger wissen, woher sie kam.
Völlig aus der Puste kam sie im Garten an, wo der Morgentau noch das grüne Gras benässte - doch das kümmerte Pink nicht, als ihre Beine sie nicht länger tragen konnten und sie sich an einem Baum abstützen musste, um Halt zu finden. Lange konnte der Baum ihr nicht als Stütze dienen, ehe sie an diesem herunterrutschte und sich ins feuchte Gras sinken ließ.
Sich zusammenkauernd und den Kopf gegen den Baum lehnend, fing sie leise an zu weinen, ohne zu wissen, warum.
Lange kullerten die Tränen jedoch nicht von ihren Wangen herunter, ehe sie für einen kurzen Augenblick zum Stillstand kamen, denn ein Schatten tauchte über ihr auf und mit verweintem Gesichtchen hob sie den Kopf. Der Schatten gehörte Daichi, welcher sich über sie gebeugt hatte und dessen Gesicht sich sofort besorgt zeigte, als er sah, dass Pink weinte.
"D-Daichi...", stammelte Pink hervor und vergaß zum ersten Mal das "-kun", welches sie seinem Namen normal immer anhängen würde und obwohl die Situation gänzlich unpassend dafür war, ließ dies Daichis Wangen erröten.
"Pink-san, was hast du?", fragte er das weinende Mädchen behutsam. Pink wandte sich von ihm ab, sah ins Gras. Sie wollte ihm gerne antworten, doch wusste sie nicht, was sie ihm hätte sagen sollen.
Zu einer Antwort kam sie auch nicht, denn im gleichen Moment, in dem sie den Mund öffnete, um ihm die Wahrheit zu sagen - dass sie nicht wusste, was los war - tauchte Green in der Terrassentür auf.
"Pink! Pink, was machst du denn..." Ihre Stimme klang eher besorgt als vorwurfsvoll und kaum, dass sie bei Pink angekommen war, welche wieder zu weinen angefangen hatte, als sie Green gesehen hatte, tat sie das, was Daichi sich nicht getraut hatte: sie nahm ihre Cousine ohne Umschweife in die Arme und drückte sie an sich.
Als hätte Pink nur darauf gewartet, schlag sie auch ihre kleinen Arme um Green und die Hikari spürte, wie sich Pinks Finger in den blauen Stoff ihres Kleides krallten, als hätte sie Angst, jemand würde sie von Green mit Gewalt trennen wollen. Daichi blieb neben ihnen stehen, weiterhin besorgt, doch zur selben Zeit froh und frustriert darüber, wie beschützt sich Pink in Greens Umarmung fühlte.
"Pink, was ist denn los? Hast du vielleicht Angst?" Pink hatte nach wie vor keine Ahnung, aber diesen Vorschlag fand sie gut und daher nickte sie.
"I-Ich will nicht... ich will nicht weg... ich will nicht..."
"Willst du nicht in den Krieg ziehen, Pink? Ist es das?" Wieder nickte Pink, hielt die Worte nun aber in sich verborgen. Ja, sie hatte Angst vor dem Krieg... aber diese Stimme... diese fremde Stimme in ihr... sie war nicht zufrieden mit der Antwort. Aber Pink war damit zufrieden. Denn sie wollte nicht wissen, was die Antwort war, die die Stimme zufriedenstellte.
Nach Pinks Davonlaufen war die Sitzung vertagt worden und die Elementarwächter hatten sich ihren eigentlichen Aufgaben zugewandt, obwohl sie sich alle über das Verhalten Pinks wunderten - alle bis auf einen, den interessierte es nämlich nicht. Alles was ihn interessierte war, wie er auf dem schnellsten Weg in sein Gemach fand, damit er sich endlich aufs Ohr hauen konnte.
Azuma war daher eher dankbar dafür, dass Pink die Sitzung verkürzt hatte und genauso dankbar war er, als er in seinem Gemach ankam, welches vor Sauberkeit blitzte und funkelte: scheinbar war der Tempelwächter, welcher für diese Etage zuständig war, bereits mit der Arbeit fertig.
Zufrieden seufzte Azuma, während er seine schwarzen Stiefel auszog und sie achtlos in die Ecke des Zimmers beförderte; sich nicht darum scherend, wie viele Flecken dies auf dem weißen Teppich hinterließ. Wozu gab es Tempelwächter? Die mussten doch auch was zu arbeiten haben!
Er trank seinen dänischen Kakao, welcher extra für ihn besorgt wurde, mit einem Schluck aus und stellte die leere Flasche zurück auf den Tisch, um sich zufrieden dem Bett zuzuwenden, auf welches er sich setzte. Gerade als er sich ein bisschen zurücklehnte und sich der Uniform entledigen wollte, sprang er wie von einer Hummel gestochen wieder auf: in seinem Bett lag bereits jemand!
Dieser Jemand hatte noch nicht bemerkt, dass er entdeckt worden war und schlief weiterhin den Schlaf eines Helden. Man musste kein Profi sein, um zu bemerken, dass es sich bei dem Besucher um einen Tempelwächter handelte; seine etwas längeren, aber doch recht ungepflegten goldenen Haare und seine blaue Uniform mit dem Wappen der Tempelwächter darauf verrieten ihn. Doch er sah ein wenig anders aus als andere Tempelwächter, doch Azuma konnte nicht klar definieren was es war, das ihn anders machte - vielleicht die Tatsache, dass er in seinem Bett schlief?!
Eine Tatsache, die Azuma nicht zulassen würde und die er gewiss nicht tolerierte. Ohne zu Zögern trat er gegen den Rücken des Schlafenden und erwartete eigentlich, dass dieser pfeilschnell emporschießen würde, doch er wachte eher langsam und gemächlich auf, als wäre dies sein eigenes Bett. Langsam richtete er sich auf, kratzte sich im Haar und sah Azuma eine ganze Weile stumm an, ehe er sagte:
"Guten Morgen..."
"Das ist mein Bett", antwortete Azuma irritiert und wurde noch ärgerlicher als ihm auffiel, dass dieser verdammte Diener einen verdammten Kopf größer war als er. Ha, dachte Azuma sich, aber dafür konnte er ihm befehlen, im Staub vor ihm zu kriechen, wenn er dazu Lust hatte! Und dann brachte ihm der Kopf extra auch nichts mehr!
Dass der Tempelwächter doch recht fehl am Platze war, wurde ihm wohl langsam auch bewusst, denn sein Gesicht verlor an Farbe.
"Aber, du - ich meine Ihr - seid normalerweise nie so früh wieder da!"
"Ach!", entgegnete Azuma grinsend, als ihm auffiel, dass der Tempelwächter langsam nervös wurde.
"Das ist ja interessant! Das hier ist also eine Gewohnheit von dir!" Der Erdwächter stand auf und schritt zu seinem Schreibtisch, während der Tempelwächter ebenfalls aus dem Bett sprang - mit bösen Vorahnungen. Besonders als Azuma mit einem triumphierenden, ja fast schon boshaften Grinsen, nach seinem Namen verlangte, damit er ihn melden konnte.
"Oh, bitte nicht! Ich bin gerade erst versetzt worden; die Chefin wird mich umbringen!"
"Umso besser, umso besser!", antwortete Azuma, nahm einen Stift, ein Stück Papier, lehnte sich an den Tisch und setzte zum Schreiben an:
"Wenn ich also um deinen Namen bitten darf, Speichellecker." Der Tempelwächter beschloss, dass es keinen Sinn hatte: er hatte es nicht mit einem Wächter zu tun, mit dem sich reden ließ und seufzend buchstabierte er seinen Namen:
"F, A, I, L." Azuma nickte und begann zu schreiben:
"F,A... warte mal." Mit erhobenen Augenbrauen sah er wieder auf:
"Verarsch mich nicht. Du heißt nicht "Fail"."
"Heiße ich auch nicht. Ihr spricht es falsch aus. Es wird FA - Pause - IL ausgesprochen."
"Kannst du kein Englisch?"
"Wenn ich Menschensprachen könnte, wäre ich nicht in der Putzabteilung. Also nein, warum?" Der Angesprochene schwieg eine Weile, sah sich den geschriebenen Namen noch einmal an und musste ein Lachen zurückhalten - wie konnte man nur so heißen! Aber er entschied sich dazu, ihm nicht zu sagen, dass sein Name auf Englisch "Fehlschlag" bedeutete. Wenn er sich diesen Fail genauer ansah, mit seinem verzottelten, blonden Haar - straßenköterblond! - welches zu einem Zopf zusammengebunden war, und das mehr schlecht als recht, mit Bartstoppeln und einer roten Krawatte, die kaum zusammengebunden war... doch, der Name war passend. Er war wirklich ein Fehlschlag.
"Also, Fail..."
"Ihr vergesst die Pause." Azuma grinste breit, nicht im Sinn habend, den Namen mit der Aussprache eines Wächters auszusprechen und fuhr ebenso hämisch fort:
"Ich werde deiner Chefin Bericht erstatten - vielleicht bekomm ich denn ja endlich einen eigenen Tempelwächter, der mir rund um die Uhr dienen kann, haha! Det ville være så sej! " Da Fail für sich sowieso keine Hoffnung mehr sah, antwortete er schnippisch:
"Das werdet Ihr nicht bekommen. Zwar seid Ihr ein Elementarwächter, aber alleinstehend - und daran wird sich so schnell auch nichts ändern, denn Eure Angebetete ist in einen anderen verliebt."
"Jaja, laber du nur - was?" Plötzlich war das Interesse daran, dass Fail so schnell wie möglich zum Kartoffelschälen verdammt wurde, verflogen. Etwas was Fail offensichtlich bemerkte, denn er grinste, als ihm so plötzlich der Ball zugeworfen wurde.
"Ja, wusstet Ihr das denn nicht? Sie hat jemanden, der irgendwo auf sie wartet, nachdem sie sich so sehr sehnt, dass sie jeden Tag in ihrer Pause ein Bild von ihm ansieht." Azumas Augen verengten sich skeptisch, als er antwortete:
"Reden wir hier über dasselbe Mädchen?"
"Natürlich. Wir reden von Firey-sama, der Elementarwächterin des Feuers, alias Hinako Minazaii-sama." Azuma schien nicht zu gefallen, dass Fail dies wusste, denn sein Missfallen konnte man deutlich aus seiner Stimme entnehmen:
"Woher weißt du das?" Kaum merklich zuckte Fail mit den Schultern und antwortete:
"Wir Tempelwächter sind immer gut informiert. Ich bin für die Wäsche der vierten und fünften Etage zuständig, also kenne ich jeden Wächter, der auf diesen Etagen wohnt. Aber keine Sorge! Ich mag lästern nicht... naja, es ist eher so, dass andere Tempelwächter mich nicht genug mögen, um mit mir zu lästern..." Er seufzte, doch klang nicht besonders betrübt über diese Tatsache und selbst wenn, dann hätte Azuma sich nicht darum geschert, als er antwortete:
"Kein Wunder. Du bist ja auch Fail." Der Name schien ihn wieder zu erheitern, denn er grinste wieder erfreut über die Peinlichkeit des Namens, der nur ihm zuteilwurde.
"Ihr sprecht meinen Namen weiterhin falsch aus."
"Nein, ich spreche ihn genau richtig aus."
"Darf ich jetzt endlich gehen? Die Chefin wird mich sicherlich zum Kartoffelschälen verdonnern und das sind eine Menge Kartoffeln, wenn Ihr versteht, was ich meine..."
"Nö, tue ich nicht, aber ich bin ja auch kein Diener. Ich bin ein Elementarwächter. Obendrein erster Rang!" Unbemerkt verdrehte Fail die Augen und wollte gerade noch einmal darauf hinweisen, dass er gerne gehen würde, als ihn Azuma nach einem kurzen Schweigen unterbrach:
"Okay, meinen eigenen Speichellecker kann ich wohl erst einmal nicht bekommen, aber meinen eigenen Spion vielleicht. Lust auf einen Handel?"
Shaginai war der Meinung, dass kein Wächter mehr als nötig über die gemeinsamen Trainingsstunden zwischen Green und ihm erfahren sollte; schon gar nicht über dessen genauen Inhalt. Der Grund dafür war Green schleierhaft: eine Weile hatte sie gedacht, er wollte nicht, dass jemand erfuhr, wie hart er sie trainierte, aber in Wahrheit hatte es weniger etwas mit seinem Image zu tun als mit ihrem: er war der Meinung, dass es eine Schande war, dass eine 18-Jährige Hikari überhaupt noch Training benötigte; die meisten wären in diesem Alter bereits in der Lage, selbst zu unterrichten!
Aber sie war ja auch Yogosu, was erwarte man denn.
Wie oft hatte sie diesen Satz nicht in den vergangenen Monaten gehört? Zusammen mit einem mürrischen Achselzucken oder einem herablassenden Verziehen der Mundwinkel.
Bevor Shaginai diesen Satz oder eine Abwandlung dessen sagen konnte, fing Green von sich aus ein Gespräch an, obwohl sie nach wie vor aus der Puste war und ihr Herz ihr bis zum Hals pochte.
Sie waren, wie so oft, in der Menschenwelt; an einem abgelegenen Ort, den er ausgesucht hatte, ohne ihr zu sagen, wo sie waren oder auf welchem Kontinent sie sich befanden. Ihn interessierte deren genaue Position auch gar nicht; Hauptsache, es waren keine Menschen in der Nähe. Sie befanden sich in einer kahlen, mit tiefgrauen Wolken verhangenen Klippenlandschaft, welche eine bedrohliche Aura innehatte. Ab und zu wurden die beiden Hikaris von einem kurzen, regnerischen Schauer genässt und es war kalt; doch nicht so kalt, dass es Green abgelenkt hatte. Und selbst wenn er von ihrem Manko gewusst hätte, so hätte er darauf gewiss keine Rücksicht genommen. Doch Green hatte es wohlwissend für sich behalten und sie war froh darüber, dass es in keiner Akte niedergeschrieben war.
Green hatte sich der Erschöpfung hingegeben und sich gegen einen Felsen gelehnt, wo sie sich nach mehreren Atemzügen hinsetzte, ohne auf seinen finsteren Blick zu achten, der ihr sagte, dass sie mal wieder zu schnell außer Atem geraten war.
"Ich möchte mit dir über Pink sprechen." Skeptisch hob er die Augenbrauen, doch sagte nichts dazu, was Green als eine Aufforderung dafür sah, fortzufahren, auch wenn sie ihm ansah, dass ihm das plötzliche Thema nicht gefiel:
"Ich möchte gerne wissen, was genau mit Pink geschehen ist. Damals, als sie in Henel war... und wie es ihr gelungen ist, zu mir zu kommen."
"Warum interessiert dich das auf einmal?", fragte ihr Großvater argwöhnisch. Sein Widerwille diesem Thema gegenüber war nicht zu überhören, doch Green hatte nicht im Sinn, sich deswegen von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen. Denn obwohl er dieses Thema mied, würde er ihm nie offensichtlich ausweichen, denn dies wäre ein Zeichen von Schwäche - und das war eine Charaktereigenschaft, die Shaginai gewiss nicht beschrieb.
"Pink wollte nie darüber reden oder sie konnte es einfach nicht. Ich habe das akzeptiert. Aber heute hat sie sich äußerst merkwürdig verhalten und ich denke, dass es etwas damit zu tun haben könnte. Deshalb möchte ich es gerne wissen, damit ich Pink besser verstehen kann."
"Du wirst nicht mehr verstehen, wenn ich dir das erzähle, was wir damals in Erfahrung gebracht haben. Die Informationen sind mangelhaft und unzureichend." Green sah auf, als er dies sagte und antwortete mit fester Stimme:
"Ich möchte es wenigstens versuchen." Ihr Großvater seufzte, während er sein Schwert zurück in dessen Scheide gleiten ließ, um sich daraufhin mit der nun freien Hand an einen Felsen zu lehnen.
"Zum Ausgang des siebten Elementarkrieges war Violet dazu gezwungen, mit den neuen Elementarwächtern zu fliehen, damit diese nicht von damals berüchtigten Attentätern getötet werden konnten. Es war geplant, dass sie zusammen mit den Kindern nach dem Ende des Krieges zurückkehren sollte - doch aus irgendeinem Grund, der uns leider nicht bekannt ist, tat sie das nicht. Die Auren von Kindern sind schwach und nur in seltenen Fällen auffindbar, doch auch Violets Aura war wie vom Erdboden verschluckt. Es war sicher, dass sie nicht gestorben waren, denn die Elemente hausten weiterhin in den Kindern und in Violet. Eine weiträumige Suche war eingeleitet worden, doch niemand wusste, wohin Violet mit den Kindern geflohen war oder wo ihre Flucht angefangen hatte. Erst nach fünf Jahren erhielten wir die erste Information: Violet hatte die beiden Elementarwächter der Natur bei einer Familie in China abgesetzt und diese wiederrum hatten Wächter ausfindig machen können. Sie konnten uns nicht sagen, wohin Violet geflohen war, doch sie konnten uns berichten, dass sie von einem Dämon verfolgt worden waren." An diesem Punkt unterbrach Green Shaginais Erzählung:
"Aber wenn sie von einem Dämon verfolgt worden war, warum hat sie dann nicht auch Tinami, Kaira und Azura bei dieser Menschenfamilie gelassen? Wäre das nicht sicherer gewesen?"
"Ich nehme an, das hätte sie auch am liebsten getan. Doch das lag wohl kaum im Interesse der Familie, in einem Land, wo die Bewohner bevorteilt werden, die nur ein Kind besitzen. Zwei Kinder lag noch im Bereich des Möglichen - aber sicherlich nicht fünf." Green nickte und Shaginai fuhr fort, als wäre er nicht unterbrochen worden:
"Anhand von Pinks Alter und der Tatsache, dass sie kein Halbwächter ist, haben wir herausgefunden, dass Violet, nachdem sie die Naturwächter abgegeben hatte, in der darauffolgenden Zeit wohl bei einem dieser Wächter unterkam, die sich dafür entschlossen haben, ihren Wurzeln zu entsagen, um stattdessen in der Menschenwelt ein langweiliges Dasein zu fristen." Shaginai schwieg mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck, welcher Green deutlich sagte, dass er diesen Wächter ganz gewiss nicht als seinen Schwiegersohn akzeptierte. Green wollte ihren Großvater gerade über weitere Informationen über diesen geheimnisvollen Wächter bitten, als Shaginai von selbst fort fuhr:
"Es war offensichtlich, dass es einer jener Wächter war, die sich absolut für die Menschen entschieden hatten, denn auch in dieser Zeit nahm Violet nicht mit uns Kontakt auf. Die Vermutung liegt nahe, dass der Vater Pinks von dem Dämon umgebracht worden ist, denn wie wir später herausfanden, war in dessen menschlicher Akte von einem "unerklärlichen Mord" die Rede. Violet wurde wohl dazu gezwungen, schwanger zu fliehen, denn Pink kam erst 8 Monate später zur Welt. Nach diesem Ereignis mangelt es uns an Informationen.
Erst 1995, vier Jahre, nachdem Pink geboren wurde, fanden wir Violet." Green, die sich während der gesamten Erzählung nicht gerührt hatte, ja, nicht einmal wagte zu blinzeln, bemerkte ein Gefühl auf Shaginais starren Gesichtszügen. Es war nur eine kurze Regung, die sich über sein Gesicht ergoss und obwohl es nur sehr kurz zu sehen war, war Green sich sicher, dass der Anblick der gefolterten Violet schrecklich gewesen sein musste.
"Von den Kindern fehlte jede Spur. Wir nahmen an, dass ihnen die Flucht gelungen war, wir nahmen an, dass Pink bei ihnen war. Aber das war sie nicht, wie wir im Jahre 2000 herausfanden, als es den drei Elementarwächtern gelungen war, mit Sanctu Ele'saces Kontakt aufzunehmen - durch die Offiziere, welche sie durch Zufall bei einem Dämonenangriff fanden. Das überaus merkwürdige war, dass sie behaupteten, dass wir Hikari ihnen bereits 1998 eine Nachricht haben zukommen lassen, worin wir angeblich schrieben, dass die Elementarwächterin des Klimas ein Glöckchen anfertigen sollte, für eine Lichterbin, die wir tot glaubten." Durchdringend sah er Green an und die Botschaft war nicht zu übersehen.
"Wir glaubten, es wäre ein Wink Hikari-kami-samas, dass wir bald einen neuen Lichterben begrüßen konnten, immerhin warteten wir ja vergeblich darauf, dass das Element sich einen neuen Wirt suchte, aber mittlerweile kann man sich ja denken, wer diesen ominösen Brief schrieb und dir eine Waffe machen ließ...." Auch Green verstand sie und war sich wieder einmal bewusst, dass sie Inceres danken musste. Denn es stand außer Frage, dass er seine kleinen Kinderfingerchen im Spiel gehabt hatte beim Bau ihrer Waffe.
"Und was ist jetzt mit Pink?", fragte Green schnell, denn sie wollte nicht, dass das Thema bei ihr und ihrer Unreinheit hängen blieb, immerhin war es ja eines von Shaginais Lieblingsbeschäftigungen, diese anzukreiden.
"Da der Dämon die Verfolgung nicht weiter fortgesetzt hatte, war es klar, dass von Anfang an Violet und Pink das Ziel jenes Dämons gewesen waren - aus nachvollziehbaren Gründen: die Dämonen sind keine Spezialisten auf dem Gebiet der Bannkreise und genauso wenig Wissen haben sie über die jeweiligen Elemente. Offensichtlich waren sie im Glauben, dass sie den Bannkreis brechen könnten, wenn sie das Element des Schutzes manipulieren würden."
Einen kurzen Augenblick schwieg er, ehe er fortfuhr:
"Als wir Pink im Jahre 2005 fanden, war sie in einem unzurechenbaren Zustand. Zwar hatte sie sämtliche Erinnerungen verloren und konnte uns so keinerlei Informationen geben, doch an ihrem Körper befanden sich Rückstände von diversen Versuchen der verschiedensten Art und ihr Element war nicht intakt, was leicht bei jungen Wächtern auftreten kann, wenn sie ihr Element zu oft falsch einsetzen." Green schluckte und obwohl sie immer noch ihren Großvater ansah, sah sie wieder Pink vor sich - damals, als sie zu ihr gekommen war. Ein kleines, strahlendes Mädchen, nichts anderes als ein Kind, doch so komplett anders, wenn sie von ihrer Vergangenheit sprach...
"Das kann nicht sein", purzelten die Worte plötzlich aus ihrem Mund heraus, ehe sie ihren Gedanken beendet hatte; Worte, die Shaginai dazu brachten, irritiert die Augenbraue zu heben, wovon Green sich nicht aufhalten ließ und sich nun entschlossen aufrichtete:
"Pink hat mir davon erzählt! Damals, als wir uns gerade erst kennen gelernt haben, das muss 2005 gewesen sein... sie hat mir erzählt, dass die Dämonen Untersuchungen an ihr durchgeführt hatten und darüber hinaus hat sie mir gesagt, sie könne sich nur nicht mehr daran erinnern, was vor ihrem Aufenthalt geschehen ist! Das heißt doch aber, dass sie nicht komplett alles vergessen hat; sie weiß es noch! Deshalb wollte sie mir auch nicht alles erzählen, weil sie nicht darüber reden wollte!" Shaginai unterbrach sie brüsk:
"Du musst dich irren. Ihr Erinnerungsvermögen war stark beschädigt; sie konnte sich nicht einmal an ihren eigenen Namen erinnern."
"Unmöglich! Sie hat sich vorgestellt, sie hat mir erzählt, dass sie Pink heißt! Und sie hat mir auch von ihrer Flucht erzählt und dass sie unbedingt zu mir wollte-"
"Warte - sie hat was?!" Die beiden sahen sich einen Augenblick lang an, Green nach wie vor noch vollkommen verwirrt, während Shaginai irgendetwas klar zu werden schien und er sie deshalb noch einmal fragte, ob sie sich sicher war, dass Pink ihr erzählt hatte, wie sie geflohen war.
"Ja, das bin ich. Sie sagte mir, dass das Siegel schwächer geworden wäre und dass es ihr deswegen gelungen war, zu fliehen."
"Verstehe." Danke, dachte Green, sie verstand nach wie vor nichts, doch ihr Großvater schien nicht im Sinn zu haben, es ihr zu erzählen. Er löste sich vom Felsen und ging rastlos auf und ab, in Gedanken verloren; Gedanken, welche Green zu gerne erfahren würde. Gerade, als sie nachfragen wollte, kam Shaginai ihr zuvor:
"Pink darf unter keinen Umständen am Krieg teilnehmen." Umgehend klappte der Mund der unreinen Hikari auf und zuerst bekam sie nur ein gestammeltes "Warum" heraus, bis sie sich soweit sammeln konnte, dass sie einen vernünftigen Satz formen konnte:
"Ich bin ja auch der Meinung, dass sie geschont werden sollte, aber komplett ausschließen?"
"Ja, komplett ausschließen. Sie darf auch unter keinen Umständen an den Kriegssitzungen teilnehmen."
"Könntest du mir bitte mal erklären warum? Du tust ja fast so, als wäre sie ein Spion!" Langsam drehte sich Shaginai zu ihr herum und sagte ernst:
"Vielleicht ist sie das." Empört über diesen Satz öffnete Green den Mund, um dagegen an zu reden, doch Shaginai kam ihr zuvor.
"Es gibt mehrere Fakten, die dafür sprechen. Wie gelingt es einem 14-jährigen Mädchen nach 6 Jahren Gefangenschaft, ohne Erinnerungen, mit solchen Verletzungen, einem unbalancierten Element, zu fliehen? Diese Frage hat uns bereits damals beschäftigt und der Verdacht lag nahe, dass sie mit Wissen und Wollen freigelassen wurde. Doch wir fanden keine Rückstände von manipulierender Magie oder ähnliche Anzeichen von Manipulation. Dennoch beschlossen wir, dass wir sie lieber unter Beobachtung halten sollten. Nach zwei Wochen floh sie auch von uns. Sie entwendete dein Glöckchen und kaum drei Stunden später war sie auch schon bei dir. Wir unternahmen nichts um sie zurück zu holen, denn es schien, dass die Nähe des Elementes des Lichtes ihrer Gesundheit gut tat. " Er seufzte verärgert und es war deutlich, dass er diese Entscheidung nun bereute:
"Ihre Flucht zu dir war auch nicht unnormal: sie hatte ihre Erinnerungen verloren und ohne diese beruhten ihre Entscheidungen auf Instinkten; diese wiederrum beruhen auf dem Element, welches sich immer vom Licht angezogen fühlt, egal, ob es nun versiegelt ist oder nicht, wie es in deinem Fall nun einmal war."
"Ja, aber Großvater, das spricht doch für Pink! Pink machte mich doch erst zu einer Hikari, ohne sie wäre ich es nie geworden! Wenn sie von einem Dämon manipuliert worden wäre, dann..." Greens Worte blieben ihr im Halse hängen und Shaginai sah ihr an, dass auch sie es verstand. Ihre Kehle wurde plötzlich trocken und es schmerzte, die folgenden Worte zu sagen:
"Sag mir nicht, es ist wegen dem... Auftrag?"
"Reine Spekulation. Aber es könnte eine Möglichkeit sein."
Ein bekanntes Gefühl brodelte in Green auf, ein Gefühl, welches sie nicht einordnen konnte und obwohl dieses Gefühl keinen Namen besaß, schnürte es ihr die Kehle zu und ließ sie nach Luft schnappen. Etwas worauf Shaginai absolut keine Rücksicht nahm, auch nicht, dass Green sich erst einmal an der Klippe abstützen musste. Ohne auf ihre Reaktion zu achten, fuhr er fort:
"Aber da ist noch mehr an Pinks Flucht aus Henel, was als verdächtigt eingestuft werden kann. Du sagtest mir, dass sie dir erzählt hat, dass sie nur fliehen konnte, weil der Bannkreis schwächer wird. Doch der Bannkreis ist zu keinem Zeitpunkt schwächer geworden. Es ist wahr, dass wir eine Zeit lang annahmen, dass die Effektivität des Bannkreises nachlassen würde, doch das war, bevor die Untersuchungen ergaben, dass das vermehrte Auftauchen der Dämonen daher kommt, dass es Halbdämonen möglich ist, den Bannkreis zu überwinden. Mit anderen Worten: Pink wurde mit Wissen und Wollen mit falschen Informationen gefüttert. Wahrscheinlich wurden ihr unwahre Erinnerungen eingepflanzt, damit sie selbst an die Richtigkeit ihrer Flucht glauben sollte. Alles, was sie dir also erzählt hat, könnte unwahr sein." Green war nicht gewillt, dies einfach so hinzunehmen und obwohl das Gefühl sich langsam und brodelnd in ihrem gesamten Körper ausbreitete, löste sie sich von der Klippe und kämpfte trotzig dagegen an:
"Du hast mir doch aber gerade eben erzählt, dass ihr keine Rückstände von Magie in ihrem Körper gefunden habt! Das bedeutet doch, dass Pink unschuldig ist..."
"Nein, das bedeutet genau das Gegenteil." Ein sarkastisches Lächeln breitete sich auf Shaginai aus, im gleichen Moment, wo er den Kopf schüttelte und ihr sagte:
"Plötzlich ergibt alles Sinn ... wie ironisch, dass wir es niemals herausgefunden hätten, wenn deine Hinrichtung ausgeführt worden wäre."
"Das ist doch jetzt vollkommen egal! Ich will..." Doch Shaginai schlug ihre Proteste entzwei, als er sich entschlossen an sie wandte und ihr sagte, dass das Training für heute beendet war und dass Green sich bereit halten sollte für die Entscheidung der Hikari, denn er würde sofort ins Jenseits zurückkehren und eine Kriegsversammlung einberufen.
Im gleichen Moment, wo er dies sagte und sich offensichtlich bereits dazu bereit machte, seine Worte in die Tat umzusetzen, spürte Green, wie sich das brodelnde Gefühl in ein schwarzes Loch verwandelte und sie einzunehmen drohte.
Doch das würde sie nicht zulassen.
Sie würde nicht wieder in ein schwarzes Loch zurückfallen, dass würde sie nicht!
"Nein! Geh nicht, erzähl mir zuerst was so klar auf der Hand liegt und was ich nicht sehen kann!" Green hatte sich seinen Arm geschnappt und umklammerte ihn mit beiden Händen. Empört sah er seine Enkelin an, doch gerade als er sich aus ihrer Umklammerung befreien wollte, setzte Green wieder an:
"Ich will auch verstehen. Bitte, Großvater, erklär es mir!"
"Eine erbärmliche Hikari bist du, Yogosu!" Er riss sich aus ihren Griff frei und während er fortfuhr, strich er sich die Falten an seinem Ärmel wieder glatt:
"Nicht nur, dass du flehst, du besitzt auch selbst nicht genug Wissen, um das Offensichtliche zu sehen!" Green hatte dazu nichts zu sagen. Sie schämte sich nicht dafür, dass sie ihn angefleht hatte; sie würde es wieder tun, wenn es sein müsste, wenn es um die Personen ging, die ihr am Herzen lagen.
"Also gut, ich werde es dir erklären, aber hör genau zu, damit du keine überflüssigen Fragen stellen musst: Es gibt eine einzige Dämonenrasse, welche nicht auf die Verbotenen Künste zurückgreifen muss, um manipulierende Magie anzuwenden und obendrein ist deren Art der Magie nicht nachzuweisen, was sie im Krieg sehr gefährlich macht: die Incubi und welch ein Zufall, der Lehrmeister der Halbdämonen, die dich so wunderbar erfolgreich an der Nase herum geführt haben, ist ein Incubus! Daher konnten wir nichts finden und wenn wir Pinks gesamtes Gehirn auf den Kopf gestellt hätten! Du wirst sicherlich einsehen, dass diese beiden Puzzleteile nur allzu gut zusammen passen: zwei Halbdämonen, die dich beschützen und eine Wächterin, die dein Element aktiviert und dich zu einer Hikari macht und sich ebenfalls in deiner Nähe befindet.
Der Auftrag mag beendet sein, doch es nicht gesichert, dass Ri-Il Pink nicht weiterhin kontrollieren kann, ganz gleich, ob Pink nun im Tempel lebt oder nicht - und wenn er nur Informationen erhalten kann. Bereits dies wäre eine Gefahrenquelle, welche wir ausmerzen müssen!"
"Aber, Großvater, du willst Pink ja wohl nicht hinrichten lassen!?"
Die beiden Hikari sahen sich gegenseitig an, in die hellen und dunklen Augen des jeweils anderen, Green sich so hart auf die Lippen beißend, dass es schmerzte. Doch die Zeit der Stille war weitaus schlimmer als dieser Schmerz.
"Nein - nicht, wenn es sich vermeiden lässt." Vor Erleichterung ließ sich Green beinahe auf die Knie sinken, doch sie hielt sich am Felsen fest, welcher sie davor bewahrte.
"Ich werde jetzt ins Jenseits zurückkehren. Halte dich bereit für den Entschluss."
"Nein! Ich will mit; lass mich an der Versammlung teilnehmen."
"Kommt nicht in Frage!" Er schüttelte den Kopf und Green sah sofort, dass es keinen Nutzen hatte, weiter zu fragen:
"Es reicht, wenn ein Hikari von seinen Gefühlen geblendet ist."
Noch 20 Tage bis zum 8ten Elementarkrieg
Keine zehn Stunden später, kurz nach dem gemeinsamen Frühstück der Elementarwächter, kehrte Shaginai wieder aus dem Jenseits zurück und zusammen mit ihm der Entschluss, wie es nun mit Pink weitergehen sollte. Green, die wie versprochen niemandem von der Sache erzählt hatte, war überaus überrascht über den Entschluss, denn sie hatte bereits mit dem Schlimmsten gerechnet. Da sie in der vergangenen Nacht nicht hatte schlafen können, hatte sie sich mit Büchern beschäftigt; mit Büchern, die allesamt Dämonie, den Fachbegriff für Besessenheit, als Thema hatten; ein alt bekanntes und schwerwiegendes Thema, wie Green schnell herausfand. Dämonie, dessen Ursprung in den Verbotenen Künsten lag, konnte nachgewiesen und auch durch eine Läuterung geheilt werden. Da die Dämonie, die von Incubi ausging, nicht nachgewiesen werden konnte, war kaum zu beurteilen, ob man sie heilen konnte oder nicht. Einige Wächter wiesen nach einer Läuterung nie wieder irgendwelche Anzeichen von Dämonie auf, andere waren durch eine Läuterung nicht verändert. Mittlerweile hatte man herausgefunden, dass die einzige sichere Heilung die eigene Stärke war; man musste stark genug sein, selbst die fremdeinwirkende Magie niederzukämpfen.
Und da diese fremdeinwirkende Magie von Ri-Il stammte, hatte Green wenig Hoffnung, dass es Pink gelingen würde, diese Dämonie zu bekämpfen.
Doch ihre schlimmen Befürchtungen schienen nicht bewahrheitet zu werden, wie sich herausstellte, als sie Pink zusammen mit Säil und ihrer Tochter sah, draußen im Garten, gut fünfzig Meter von der Terrasse entfernt, auf welcher Shaginai und Green nun standen und den drei Schutzwächtern zusahen, wie sie miteinander sprachen. Die Erklärung für dieses Bild, gab Shaginai ihr erst jetzt, wo sie draußen in der frühen Herbstsonne standen, beide die Sonnenstrahlen dankend aufnehmend:
"Ich habe dafür argumentiert, Pink als "labil" und damit "unzurechnungsfähig" einstufen zu lassen." Fragend wandte Green sich von dem Bild der Schutzwächter ab und sah ihren Großvater an, der sie nicht ansah; sein Blick war weiterhin auf die drei gerichtet.
"Und was bringt das?"
"Einer unzurechnungsfähigen Wächterin ist es nicht erlaubt, am Krieg teilzunehmen. Sie ist bis aufs Weitere ausgeschlossen." Green wusste nicht, wie sie diese Informationen einstufen sollte. Was bedeute das? War das der erste Schritt in Richtung Pinks Hinrichtung? Und was hatte Säil mit dem Ganzen zu tun?
"Der Grund für diese Einstufung ist der, dass Pink zurückgebliebene Züge aufweist und nicht die geeignete Reife besitzt, um an einem Elementarkrieg teilzunehmen." Green nickte und im gleichen Moment, wo sie dies tat, verstand sie, was Shaginai getan hatte und erschrocken weiteten sich ihre Augen. Überrascht wirbelte sie zu ihrem Großvater und sagte:
"Du hast gelogen?!" Als sie dies sagte, hätte sie schwören können, dass Shaginai rot geworden wäre, wenn er es noch konnte, denn peinlich berührt antwortete er:
"Nein, ich habe einen Teil der Wahrheit für mich behalten, oder willst du etwa leugnen, dass Pink ein kindliches Verhalten aufweist?"
"Vor mir musst du dich gewiss nicht rechtfertigen, Großvater", entgegnete Green mit einem Grinsen, was ihn dazu brachte, genervt das Gesicht zu verziehen:
"Wirf mich nicht in die gleiche Sparte wie dich, Yogosu!", sagte Shaginai und machte eine genervte Handbewegung, als könnte er damit den Vorwurf von sich schieben und mit einer ebenso genervten Stimme erklärte er:
"Es ist ein Faktum, dass Pink zurückgebliebene Züge aufweist und damit als labil eingestuft werden kann und somit kann man ihr die Teilnahme an einem Krieg nicht zumuten." Einen kurzen Moment schwieg er, ehe er leise hinzufügte:
"... Ich habe allerdings die neuen Erkenntnisse verschwiegen." Er sagte nichts mehr, doch der Grund für sein Handeln hing in der Luft und lauerte nur darauf, ausgesprochen zu werden. Doch das musste er nicht; Green verstand es auch ohne dass Shaginai es aussprach: wie sollte er seiner geliebten Tochter jemals wieder unter die Augen treten können, wenn er ihre Tochter, für die sie sich geopfert hatte, hinrichten lassen würde? Es freute Green, dass er sich dafür entschieden hatte, es erleichterte sie. In diesem Moment dachte sie nicht an die Ironie, die sich mit dieser Situation verband; dass weder White noch Green wichtig genug für ihn gewesen waren, um solch eine Entscheidung zu treffen.
"Ich habe es in die Wege geleitet, dass Säil von nun an als ihre Lehrerin fungiert. Als private Lehrerin muss sie regelmäßig Berichte schreiben und ständig ein Auge auf Pink haben. Sie selbst hat keine Ahnung, dass Pink mehr ist als eine etwas kindliche Schülerin... was auch so bleiben soll." Green war dennoch nicht ganz wohl bei dem Gedanken; das ungute Gefühl hatte sich ihrer bemächtigt und schien nicht im Sinn zu haben, von ihr abzuklingen.
"Wenn sie es aber dennoch herausfindet? Ich habe gehört, dass Säil ein ziemliches Lästermaul ist; für sich behalten wird sie das auf jeden Fall nicht."
"Ich bezweifle, dass sie es von sich aus herausfinden wird. Du, als ihre Cousine, hast mehr als zwei Jahre gebraucht, um überhaupt auf die Idee zu kommen, Verdacht zu schöpfen; ohne mein Extrawissen hättest du dieses Bewusstsein niemals erlangt." Die nächste Frage bahnte sich bereits ihren Weg, doch Shaginai schien diese Frage in ihrem Gesicht ablesen zu können, denn er sagte:
"Ich glaube auch nicht, dass Säils Leben in Gefahr ist. Genauso wenig wie alle anderen es wissen, wird auch Ri-Il nicht den wahren Hintergrund von Pinks neuer Lehrerin erahnen können. Da er weiterhin im Glauben ist, dass er nicht aufgeflogen ist, gibt es für ihn keinen Grund, sein passives Verhalten aufzugeben, um aktiv zu werden; erst recht nicht, um eine nutzlose Schutzwächterin umzubringen." Green wurde bei dem Gedanken ganz schlecht, denn sie verstand den strengen Blick Shaginais sehr wohl, der auf ihr ruhte, dessen Bedeutung klar verständlich war; dass eher eine Hikari wie sie aufpassen sollte.
Seitdem sie im Tempel lebte, hatte sie Pink unzählige Male ins Bett gebracht oder wenn es die Zeit zuließ, hatten sie zusammen auf Greens großen Bett gesessen und Kekse gegessen... sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich hinter Pinks heiterer Miene etwas anderes verstecken sollte als bloße kindliche Freude.
Auch jetzt, wo Pink mit der kleinen Tochter Säils spielte, die kleinen Händen des Kindes in ihrer Hand haltend und dabei unschuldig strahlend, wie eine kleine aufgehende Sonne, weigerte sich Green, die Wahrheit zu glauben - von Pink sollte eine Gefahr ausgehen? Pink war nicht die, die sie zu sein schien? Sie war eine Bedrohung?
"Ich... kann das nicht glauben."
"Noch haben wir auch keine Beweise. Es wäre also verfrüht, in Panik zu geraten. Ich sage lediglich, dass wir mit überaus großer Vorsicht die Informationen sortieren sollten, die Pink erhält." Als Shaginai dies sagte, wandte sich seine Enkelin wieder zu ihm, mit einem zweifelhaften Ausdruck in den Augen; ein Ausdruck, der ihm sagte, dass sie die Wahrheit nicht hören wollte, die Wahrheit, die sich hinter ihrer nächsten Frage verbarg:
"Und wenn wir Beweise haben...?"
"Dann ist es unsere Pflicht, das Wächtertum vor dieser Gefahr zu bewahren."
Pink entdeckte Green nun neben einem Hikari, den sie selbstverständlich nicht kannte und daher galt ihr Winken auch nur ihrer Cousine, als sie auf die Füße sprang und ihr zuwinkte. Green zwang sich zu einem Lächeln, als sie sich dazu aufmachte, ihr entgegen zu gehen. Doch ihr Unterfangen wurde unterbrochen, als sie die mächtige Hand ihres Großvaters auf ihrer Schulter spürte. Erstaunt wirbelte sie herum, nur um dieses Gefühl mit Ernsthaftigkeit erwidert zu bekommen:
"Wage es nicht zu vergessen, dass dies unser Geheimnis bleibt." Er löste die Hand von ihrer Schulter und kaum, dass Pink die Treppenstufen erreicht hatte, löste deren Großvater sich in kleine Lichtpartikel auf, welchen Pink keine Beachtung schenkte, als sie sich Green stürmisch um den Hals warf, um sich an sie zu drücken. Green war versucht, ganz natürlich diese Umarmung zu erwidern, doch sie hatte das Gefühl, dass ihre Glieder steif waren. Zum Glück trat Säil neben die beiden Cousinen und sorgte unbewusst dafür, dass Greens Verhalten nicht weiter auffiel. Während Pink sie los ließ, verbeugte sich Säil vor Green, zusammen mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm, welches die Wächter um sie herum mit großen, grünen Augen beäugte.
"Guten Morgen, Hikari-sama."
"Ja, guten Morgen", kaum, dass Green dies gesagt hatte, unterbrach sie Pink auch schon und mit strahlendem Gesicht verkündete sie, wie froh sie darüber war, nicht mehr an den langweiligen Kriegskonferenzen teilnehmen zu müssen und auch, dass sie erst einmal nicht in den Krieg ziehen müsse:
"Aber ich werde ganz, ganz, ganz stark an euch denken! Damit euch nichts passieren kann und ihr alle heil nach Hause kommt!" Green konnte nicht sagen, wie überzeugend ihr Lächeln war, als sie Pink vergewisserte, dass ihnen ja mit dieser Unterstützung absolut gar nichts passieren konnte.
Sie wollte nicht glauben, dass die Gefühle Pinks, ihres ersten Familienmitglied, der ersten Wächterin, die sie getroffen hatte, die sie in diese Welt brachte... genauso unecht waren wie... Silvers und Blues.
Sie wollte es nicht glauben.
Doch sie hatte diesen Fehler bereits einmal gemacht.