Kapitel 35 - 31 Tage und 13 Nächte II
Scheppernd knallte das Diadem auf die Stufen der langen Treppe; ein Geräusch welches nicht viele hörten, da Luzils panischer Schrei so einnehmend war, dass kaum noch etwas anderes zu hören war. Fassungslos, mit Tränen in den Augen stand das relativ kleine Dämonenmädchen neben Lerous am Boden liegenden, reglosen Körper, ohne von irgendjemand vom Schreien abgehalten zu werden. Alle Anwesenden waren zu geschockt von dem was in der letzten Sekunde passiert war: die ersten, die handelten, waren Ri-Il und Karou. Der Erstere schob sofort Mekare und die beiden bestürzten Brüder hinter sich, während Karous Finger bereits über die Tastatur rasten um den Schuldigen zu finden.
Die Fragen, die sich viele in diesem Moment stellten, hatte er bereits beantwortet.
Die Frage, wie es möglich war, innerhalb von Lerenien-Sei jemanden mit einem geschossartigen Etwas zu attackieren, obwohl das Siegel der Fürsten um Lerenien-Sei alle Magieentladungen verhinderte, war überaus simpel zu beantworten. Es war keine Magie im Spiel gewesen, wie Karous Computer ihm sofort zeigte: es war eine ordinäre Schusswaffe der Menschen gewesen - eigentlich ein Delikt gegen jede Form von dämonischer Ehre, aber scheinbar war jemand ziemlich verzweifelt, oder besessen von dem Gedanken Lerou auszuschalten, gewesen.
Wer der Täter allerdings war, wusste Karou nicht. Noch nicht.
Auf die Frage, ob Lerou tot war, hatte er allerdings eine Antwort.
Doch anscheinend wollte der Herrscher diese selbst beantworten:
"Zur Hölle nochmal! Halt die Klappe!"
Sofort, als Luzil die Worte ihres geliebten Herrschers hörte, verstummte sie und ihre Tränen verwandelten sich in Freudentränen, als sie sah wie der Dämonenherrscher sich wieder aufrichtete, denn, wie Karou bereits wusste, war die Kugel, die für sein Herz bestimmt war, komplett danebengegangen: statt sein Herz zu durchbohren, hatte sie seine rechte Gesichtshälfte geschleift, wie auch das Diadem und hatte dieses von seinem Kopf gerissen.
Dem herunter laufendem Blut und dem fehlenden Diadem keine Beachtung schenkend, stemmte Lerou sein Bein auf die Brüstung des Balkons und schrie, ohne auf die Proteste seines Zwillings zu achten:
"Ihr wollt Aufwärmung, was?! Und ihr bekommt was ihr wollt!"
"Lerou! NICHT! Das ist DEINE EIGENE Horde!" Doch Karous Worte wurden komplett überhört und er konnte nichts tun, um den Dämonenherrscher davon abzuhalten, in die Menge hinunter zu springen und den ersten Dämon den er in seine wütenden Finger bekam, den Kopf auf den Boden zu schmettern.
Einige Sekunden glaubten die Fürsten ihren Augen und Ohren nicht zu trauen, während das Gebrüll unter ihnen anstieg: was passierte gerade? Was war geschehen? Was bedeutete dieser ganze Nonsens?
Doch diese Fragen paralysierten nicht alle Fürsten und ein Fürst mit feuerroten Haaren löste sich ihnen steuerte ebenfalls auf die Brüstung zu:
"Was gibt es Besseres, als eine kleine Prügelei!" Und schon war auch er in die sich nun bekämpfende Menge hinab gesprungen, woraufhin auch Lycram sich von den Fürsten lösen wollte, doch Azzazello hielt ihn auf, während mehr und mehr Fürsten sich beinahe begeistert in den Kampf stürzten: Lacrimosa vorne weg, mit dem Ausruf, dass sie jeden Mann umbringen würde, der ihr über den Weg kommen würde.
"Lycram, also, ich finde..."
"Sei kein Spielverderber!" Und schon riss er sich von dem Griff seines Halbzwillings los und sprang schon ebenfalls über die Brüstung, begleitet von einem erfreuten Ausruf, der deutlich machte, wie sehr ihm diese Situation erfreute.
Ratlos sah Azzazello ihm hinterher und bemerkte nicht, dass er nicht der einzige Bruder war, der sein jüngeres Familienmitglied aufhielt, denn Silver schien es den Fürsten nachmachen zu wollen, doch Blue hinderte ihn daran, mit dem logischen Einwand, dass er jawohl mitbekommen hatte, wie viele Fürsten sich in diese Prügelei geworfen hatten und Silver wohl kaum Lebensmüde war.
Blue hatte vollkommen Recht, denn die einzigen Fürsten, die sich nicht mit entzückter Begeisterung die Köpfe einschlugen, waren Azzazello und Ri-Il, die beide von der Brüstung aus das blutige Chaos unter ihnen betrachteten. Als Azzazello dies bemerkte, warf er einen Schielblick zu dem anderen Fürsten, wandte sich jedoch sofort wieder ab, als er bemerkte, dass Ri-Il ihn plötzlich ansah.
"Du kannst dich gerne ebenfalls an dieser wunderbaren Schlägerei beteiligen, Azzazello-kun. Ich bin der Letzte, der dich dafür verurteilt." Der Angesprochene wurde rot, denn er war ertappt worden.
"Es ist nur so... ich könnte auch gut eine... Abwechslung gebrauchen." Ri-Il machte eine einladende Bewegung in Richtung der Schlägerei und sagte:
"Viel Spaß! Ich bin sicher, deine Frau wird nichts davon erfahren." Azzazello wurde noch röter bei dem Gedanken, obwohl er nicht wusste, ob Rime sauer auf ihn sein würde, weil er sich in der Schlägerei beteiligt hatte, oder weil sie eifersüchtig war und es ebenfalls wollte.
In diesem Moment entschied er sich allerdings dafür nicht weiter darüber nachzudenken und nahm ebenfalls den Sprung in das Chaos.
Während Ri-Il Azzazello nachsah, was Silver ebenfalls mit einem fast schon sehnsüchtigen Blick tat, widmete Blue seine Aufmerksamkeit den drei Mädchen zu, die Lacrimosa mitgenommen hatte. Die zwei selbstbewussten jungen Frauen standen wie Salzsäulen an der Brüstung, ihrer Herrin dabei zusehend, wie sie die Männer... wegen ihrer Männlichkeit bestrafte. Diese waren es auch nicht, die Blue von dem Geschehen abgelenkt hatten, sondern das Mädchen, das Lycram Minuten vorher zum Sturz gebracht hatte, denn Blue war aufgefallen, dass das kleine Mädchen ihn bereits seit einer geraumen Zeit merkwürdig ansah. Sie stand einige Meter rechts von ihm und als Blue sie aus den Augenwinkeln beobachtete, kam er nicht drum herum ihre Haare zu bemerken, die unter ihrem gefütterten Mantel hervor lugten: es waren ungewöhnlich helle, blonde Haare für eine Dämonin.
Offensichtlich rang sie mit sich selbst, denn es war nicht zu übersehen, dass sie Blue ansprechen wollte. Immer wieder öffnete das kleine Mädchen den Mund, um es sich dann doch immer wieder anders zu überlegen. Dieses Verhalten weckte Blues Neugierde, doch gerade als er sich zu ihr herum drehen wollte, wandte das Mädchen sich auf dem Absatz herum und schritt mit unsicheren Schritten zurück zu ihren Kolleginnen.
Blue blieb keine Zeit sich über das merkwürdige Verhalten der Dämonin zu wundern, denn Ri-Ils Stimme hielt ihn davon ab:
"Ich denke, ich habe nicht zu wenig versprochen, als ich sagte, es würde lehrreich für euch werden, nicht wahr?" Blue sah zuerst Silver an, dem deutlich ins Gesicht geschrieben stand, dass er nicht wusste, was und ob er nun etwas von dieser Episode gelernt hatte. Eine Antwort erhielt deren Lehrmeister auch nicht, denn das wütende Zusammenklappen eines Fächers stahl sämtliche Aufmerksamkeit.
"Ri-Il, ich will wieder zurück! Sofort!", begann Mekare und verbarg ihre wütenden Lippen hinter ihrem Fächer ehe sie fortfuhr:
"Es ist mir hier definitiv zu dreckig."
"Gedulde dich noch ein wenig, Mekare. Ich denke, das Spektakel ist noch nicht vorbei."
Shaginai verstummte und sein Arm, welchen er gerade erhoben hatte, fiel wie ein Stein wieder herunter. Genauso erstarrt sah er Green an, die von ihrem Stuhl aufgesprungen war. Aus Intuition, nicht weil sie ein brauchbares Argument hatte.
"Ja, Yogosu? Bist du etwa dagegen?", fuhr Shaginai sie genervt an, was Green nicht gerade ermutigte. Ihre Beine vibrierten vor Nervosität und ihr Hals war auf einmal vollkommen trocken. Eigentlich war sie nicht gegen Shaginais Vorschlag, denn er war gut und brauchbar. So gesehen eine gute Strategie... aber Green konnte doch nicht zulassen, dass Firey als Anführer einer Streitmacht in die Dämonenwelt geschickt wurde! All die starken Dämonen, die Fürsten... Nein, das war vollkommen unmöglich.
Doch das war kein brauchbares Argument, absolut nicht. Sie brauchte ein auschlaggebendes Argument um gegen Shaginai bestehen zu können. Nein, im Prinzip musste sie den gesamten Rat auf ihre Seite bringen, wenn sie Firey davor bewahren wollte, in die Dämonenwelt entsendet zu werden. Green spürte wie sich beinahe ein schwarzes Loch unter sie auftat, denn das war unmöglich.
Nein, war es nicht. Sie brauchte nur ein wenig Zeit, denn White und Adir hatten Argumente gegen Shaginai gehabt, immerhin hatten sie versucht ihn davon abzubringen - und diese beiden Hikaris würden niemals etwas sagen ohne ihre Worte untermauern zu können. Wenn sie heraus bekam, wie diese Argumente aussahen, dann...
Green bemerkte wie ihr die Zeit davon lief, um sie herum breitete sich bereits Getuschel aus. Es war ein Wunder, dass Shaginai nicht bereits fortgefahren war, ohne seiner Enkelin weitere Beachtung zu schenken. Die unreine Hikari hatte den Kopf gesenkt um nicht in Versuchung zu geraten ihre Mutter hilfeflehend anzusehen. Ihr Blick wanderte über den Tisch, worauf sie ihre Hände abstützte, sie sah das Glas Wasser welches nur sie und Grey hatten, da sie die einzigen Lebenden war, sah das heilige Regelbuch, die Verzierungen des Tisches...
Das Regelbuch!
"Es...es verstößt gegen unsere Regeln!" Shaginais linkes Auge zuckte.
"...Wie bitte? Du belehrst mich über unsere Regeln?!" Doch Shaginais Widerspruch änderte nichts daran, dass Green ihre Entschlossenheit zurück gewonnen hatte, da sie sich wieder an ein Gespräch erinnerte, welches sie vor langer Zeit mit angehört hatte...
"Ich kann euch Beide einfach nicht verstehen! Ist es nicht unsere Aufgabe den Frieden zu sichern?! Dafür müssen wir halt über dieses Detail hinwegsehen. Wichtig ist, dass wir die Dämonen Ein für alle Mal vernichten!"
"Vater, ich kann nicht glauben was ich da höre. Was ist mit unseren Kodex "Erhebe deine Waffe nur wenn du angegriffen wirst"? Willst du das wirklich über Bord werfen? Das wird keinen Frieden bringen. Sondern das Gegenteil. Solange sie uns nicht direkt angreifen, haben wir keinen Grund es als Erstes zu tun. Wenn wir anfangen sie anzugreifen, begeben wir uns auf die gleiche Stufe wie sie."
Das dieses Gespräch, welches Green damals, als sie das Jenseits zum allerersten Mal besucht hatte, mit angehört hatte, nun retten würde, hätte sie nicht für möglich gehalten. Ihr selbst waren die Regeln absolut egal und sie sah absolut keinen Grund dafür, warum man deren Kriegsstrategie nicht auf Shaginais Vorschlag aufbauen sollte. Aber wenn dies Firey beschützen würde, dann war sie gewillt, so zu tun, als hätte sie plötzlich Gefallen an den Regeln gefunden. Ihr war klar, dass sie Firey nicht ewig würde beschützen können, dass sie so oder so auf das Schlachtfeld würde ziehen müssen - aber sie konnte wenigstens verhindern, dass Firey mit einer kleinen Streitmacht von rund 500 Wächtern in den Tod geschickt wurde.
""Erhebe deine Waffe nur wenn du angegriffen wirst", ist das nicht unser Kodex?! Steht in unserem Regelbuch nicht, dass wir den Frieden bewahren sollen, so lange es möglich ist und dass wir deshalb niemals unsere Waffen als Erstes erheben dürften?!" In Wirklichkeit hatte Green keine Ahnung, ob dies wirklich in dem Buch stand welches vor ihr lag. Sie hatte damals keine Ahnung gehabt und hatte es auch jetzt nicht. Aber Green war nicht umsonst die unreine Hikari, sie konnte lügen - und sie war gewillt ihre unreinen Fähigkeiten einzusetzen, wenn es um ihre Freunde ging!
"Dies würde keinen Frieden bringen! Dies würde nur das Gegenteil herbei führen!"
"Yogosu, jetzt reicht es!" Shaginai schlug mit der geballten Faust auf seine Tischplatte, nur um diese zu erheben und anklagend auf Green zu zeigen.
"Ich dulde keine weiteren Einwände von deiner unerfahrenen Seite aus! Deine Referenz zu den geheiligten Regeln mag wahr sein, doch eine Kriegserklärung ist genug Grund um anzugreifen! Damit ist diese Regel absolut nichtig..." Ein weiteres Mal fiel Shaginais Arm herunter, diesmal allerdings nicht durch Green, sondern durch etwas was er sah. Er sah es ehe Green es selbst bemerkte.
"Du hast ja einen richtigen Höhenflug, mein Schmetterling." Im gleichen Moment wo sie die bekannte Stimme ihres Gönners hörte, merkte sie auch, wie er seine Kinderarme um ihre Schultern schlang und sich kurz an sie drückte, ehe er seinen Kopf auf Greens legte, womit seine Füße frei in der Luft hingen, wobei seine Fußketten durch einen extra langen Rock verborgen blieben, so dass sie kein Hikari sehen konnte.
"Höre ich richtig, Hikari Kishitsu Kouhei Shinjitsu Shaginai, Sie wollen mal wieder die Regeln ändern?" Eine bedrückende Stille herrschte im Raum. Alle starrten Inceres an, der so ruhig an Green haftete, als wäre es ein Teetrinken und keine Kriegskonferenz. Die einen respektvoll, die anderen ehrfürchtig - aber alle irgendwo mit Angst. Besonders die beiden Hikari neben ihr waren ganz deutlich auf ihren Stuhl so weit von Inceres gerückt wie möglich.
Green mochte das nicht.
Warum mischte er sich ein? Sie hatte alles unter Kontrolle... naja fast alles, bis zu dem Moment wo Shaginai ihr verbat weiter zu reden. Bis zu diesem Punkt hatte sie sich doch gut geschlagen?
"Ich bin mir im Klaren, dass es nicht erlaubt ist, die Dämonen anzugreifen, solange sie uns nicht zuerst angreifen, Inceres-no-danna", sagte Shaginai, nach wie vor stehend, doch nicht mehr mit der gleichen Leidenschaft in der Stimme wie zuvor. Dennoch schien er nicht gewillt zu sein durch Inceres seine Pläne umwerfen zu lassen. Während er dies gesagt hatte, hatte sich Inceres von Greens Kopf gelöst und hatte sich stattdessen auf ihren Schoß gemütlich gemacht, welche nach wie vor nicht wusste, was sie von dem Benehmen ihres Gönners halten sollte.
"Ja, das ist richtig und soweit ich weiß, haben die Dämonen uns noch nicht angegriffen."
"Inceres-no-danna, bei allem Respekt... aber eine Kriegserklärung, versehen mit einer Galgenfrist? Gibt uns dies nicht die Berechtigung dies zu unseren Vorteil zunutzen um den ersten Schlag auszuführen, wenn es uns möglich ist? Wir würden einen Vorteil verspielen: einen Vorteil der Leben bewahren könnte - ist es da nicht angebracht, dieses kleine Detail zu... übersehen?" Nirgends war zustimmendes Gemurmel zu hören; sämtliche Hikaris hüllten sich in Schweigen und beobachteten das Geschehen genau. Adir und White sahen beider gleichermaßen missgestimmt aus, was Green verwunderte - waren es doch nicht die Regeln gewesen, die ihr Problem waren? Hatte sie doch das falsche Argument benutzt und Inceres unterstützte sie nun nur, weil er auf Greens Seite war - egal wie dumm sie sich anstellte? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen, immerhin hatte er mal gesagt, dass er zwar sehr an Green hang, aber dennoch eine Verantwortung zu tragen hatte und das Wächtertum nicht wegen ihr in Gefahr bringen würde.
Es schien Inceres wirklich um das Einhalten der Regeln zu gehen; wahrlich, Hikarus Sohn. Doch diesmal war Green nicht auf seiner Seite, sondern auf Shaginais und sie hatte das Bedürfnis ihm zuzustimmen, doch sie hielt den Drang zurück indem sie sich auf den Lippen biss - immerhin ging es um Fireys Wohl. Doch Shaginais Vorschlag war gut, würde ein Vorteil bringen im Krieg und damit wiederrum Leben verschonen... was sollte sie tun? Sie war gespalten zwischen Freundin und Hikari.
"Es liegt nicht an Ihnen die Regeln zu ändern. Es liegt an ihnen sie zu befolgen." Wahrscheinlich war Green die einzige, die die kleine Veränderung in Inceres' Tonfall bemerkte: eine winzig kleine Veränderung, die ihr allerdings für einen kurzen Moment Furcht einjagte, während Inceres ohne diese Betonung fort fuhr:
"Kein Umstand, absolut keiner, gibt uns die Berechtigung als erstes Blut zu vergießen. Wir verteidigen, sichern Leben; wir nehmen es nicht. Ich gebe daher Green absolut Recht; wenn wir das tun würden, würden wir genauso tief sinken wie unsere Feinde. Shaginai, Ihr..." Weiter kam er nicht, denn Green unterbrach ihn, nicht, indem sie dazwischen sprach, sondern indem sie ihre Hände über seinen Mund legte und ihn somit am Sprechen hinderte.
Über dies überrascht, ja fast schon geschockt, sah er über seine Schulter hinweg, doch Green drückte ihn an sich, löste die Hände von seinem Gesicht und beugte sich vor; die geschockten Blicke der Hikaris nicht beachtend, genauso wenig wie Inceres':
"Ich entschuldige mich dafür, dass ich Inceres unterbrechen muss, doch ich selbst hatte noch einiges zu dieser Sache zu sagen, ehe Shaginai mich unterbrach und ich bitte darum, dass ich die Chance erhalte auszusprechen!" Green war versucht sich ein Beispiel an ihren Großvater zu nehmen, was die Stimmlage anging; ernst, sicher und vor allen Dingen überzeugend. Ob ihr das gelang konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, doch wenigstens zitterte ihre Stimme nicht, obwohl sie sich bewusst war, dass sie von vielen hochgezogenen Augenbrauen begrüßt wurde. Doch sie musste es sagen, egal wie die Versammlung reagieren würde; vor allen Dingen Inceres.
Niemand sagte etwas, so, dass Green dies als ein "Ja" auffasste:
"Wie nun bereits ausführlich besprochen wurde, dürften wir nicht zuerst unsere Waffen erheben, doch den Vorteil, dass wir in der Lage sind das Siegel zu neutralisieren, sollten wir für etwas anderes nutzen, als unsere Waffen zu erheben! Da unsere Daten noch Lücken aufweisen, halte ich es für eine gute Idee, wenn wir diese Lücken erst einmal schließen, indem wir Spione nach Henel aussenden!" Kurzes, gedämpftes Gemurmel verbreitete sich im Saal, bis Hizashi sich langsam erhob, um ganz offensichtlich Green zuzustimmen:
"Informationen sind der Schlüssel für eine gute und effektive Kriegsstrategie und nun da wir eine offizielle Kriegserklärung haben, brauchen wir dies nicht mehr als Konsequenz fürchten, sollten unsere Spione entdeckt werden - und wie ich es bereits bei den vorangegangenen Ratsversammlungen angemerkt habe, ist diese Chance im Allgemeinen nicht besonders groß, dass unsere Späher entdeckt werden könnten, denn wir besitzen einen weiteren Vorteil gegenüber den Dämonen: wir haben die Ingnixe; ein Gegenstand, der die Aura des Wächters dauerhaft löscht, ohne dabei die Magie zu beeinträchtigen. Laut den Berichten der Kikou ist die Testphase vorbei und wir könnten diese kleinen Gegenstände der Massenproduktion freigeben. Einzelne Exemplare existieren bereits und mit einem solchen könnten wir einen unserer Halbwächter ausrüsten und diesen nach Henel aussenden." Er machte eine kurze Pause, schien darauf zu warten, dass jemand etwas dazu sagte, doch anscheinend gab es keine Einwände. Ehe er fortfuhr warf er einen kleinen, verstohlenen Blick in Richtung Inceres, nur um den Blick sofort wieder abzuwenden und fortzufahren:
"Ich denke dies ist die beste und intelligenteste Art unsere Kriegsstrategie einzuleiten. Vielleicht finden wir auf diesen Weg auch heraus wie die Dämonen vorhaben den Bannkreis zu brechen und können uns so besser darauf vorbereiten." Green atmete nach einigen Minuten erleichtert auf, als Hizashis Vorschlag angenommen wurde - Firey war erst einmal gerettet, wie sich herausstellte, nachdem die Hikaris beschlossen, dass die Wächter die zur Auswahl standen nur Wächter des ersten Ranges sein sollten, wozu Firey zum Glück nicht zählte. Als man Azumas Namen nannte, reagierte Green nicht darauf und hatte auch nicht im Sinn wieder schreiend aufzufahren. Nein, im Gegenteil sogar: sie stimmte zu, als man sie direkt fragte, ob sie ihn für eine geeignete Wahl hielt, immerhin war er erst seit einem Jahr ein Mitglied ihrer Gesellschaft und es wäre ja ihr Elementarwächterteam, sie wüsste dies also am Besten und aus erster Hand. Das tat sie und genau aus diesem Grund meinte sie, dass Azuma eine geeignete Wahl wäre, denn sie wusste von seinen großen Fortschritten und erst vor wenigen Tagen hatte Grey ihr alle Werte ihrer Elementarwächter gezeigt und auch was das anbelangte war der Erdwächter eine gute Wahl. Die Tatsache, dass er nicht gerade diszipliniert war, überging Green. Er würde sich jawohl den Gegebenheiten anpassen, wenn diese tödlich wären.
Während nun darüber debattiert wurde, welches Batallion man wann und wie anwenden sollte, konzentrierte Green sich lieber auf das Kind, welches steif wie ein Brett auf ihren Schoss saß und sich nicht rührte. Seit einigen Minuten schon hatte er sich um Schneidersitz hingesetzt und herzlich wenig darauf geachtet ob diese Stellung für Green unbequem war oder nicht. Welche Gefühle sich in seinem Gesicht abspiegelten, konnte sie nur erraten. Doch sie konnte sich gut vorstellen, dass er nicht am Lächeln war, denn er hatte stur die Arme über der Brust verschränkt und hatte sie, seitdem sie ihn unterbrochen hatte, noch kein einziges Mal wieder angesehen.
Dies ging noch weitere fünf Stunden so. Die Hikaris statuierten ein Exempel einer perfekten Kriegsversammlung und nach den fünf Stunden stand die Kriegsstrategie als ein perfektes Resultat von Demokratie und den Einflüssen der verschiedenen, kriegserprobten Hikaris, ohne noch ein weiteres Mal von Green oder Inceres unterbrochen zu werden. Im Stillen hatte Green sogar gehofft, Inceres möge nach der ersten Stunde verschwinden, doch das hatte er nicht getan. Stur und unbeweglich blieb er auf ihren Schoss hocken und nach den vergangenen fünf Stunden spürte die unreine Hikari, dass ihre Beine ihr und erst recht nicht Inceres, dafür dankten.
Nachdem vier Hikaris den Auftrag bekommen hatten sie mögen in innerhalb von vier Stunden die Kriegsrede fertig haben, die Green dann erhalten würde, um sie den Wächtern vorzulesen, stand Grey sofort auf und schlängelte sich durch seine weißen Familienmitglieder hindurch, auf die andere Seite des Saals, um mit Green zusammen noch einmal mit ihrer Mutter sprechen zu können. Doch kaum hatte er die rechten Tribünen erreicht, sah er bereits, dass er sich zu viel Zeit gelassen hatte: Green war nicht mehr da.
Green war bei Inceres. Er hatte sich zusammen mit ihr davon teleportiert, kaum, dass White die Versammlung abgeschlossen hatte. Die beiden blauäugigen Hikaris befanden sich in Inceres' privater Bibliothek, wo sich wie immer die Bücher bis an die Decke stapelten und kaum das Licht von den bemalten Gläsern hindurch ließ. Während Green an der großen Tür stehen blieb, war Inceres dabei sich einen Weg durch die Bücher zu bannen.
"Wo sind Ecui und Acui?", fragte Green, nachdem sie ihm begann zu folgen, im Versuch ihre Stimme so locker wie möglich klingen zu lassen, denn ihr war bewusst, dass er sauer war. Vielleicht sogar wütender, als sie ihn jemals kennen gelernt hatte.
"Nicht da. Sie sind auf Terra und holen mir neue Bücher."
"Achso." Sie druckste noch ein wenig herum, sich in Gedanken fragend ob sie darauf warten sollte bis er von selbst anfing, oder ob sie den ersten Schritt wagen sollte. Am Ende entschied sie sich für das Zweitere, denn Inceres schien nicht daran interessiert zu sein, das Gespräch zu beginnen:
"Inceres, ich kann verstehen, dass dir die Regeln wichtig sind, es sind immerhin die Regeln, die deine Mutter geschrieben hat, aber ganz ehrlich, diese Regel ist bescheuert und Shaginai hat Recht; wir sollten die Chance nutzen und angreifen." Inceres war stehen geblieben, doch drehte sich nicht zu ihr um, als er antwortete:
"Es wundert mich nicht, dass du das sagst. Ich habe dir nicht umsonst den Namen "Yogosu" gegeben." Diese Aussage schockte Green und sie spürte, wir ihr Gesicht sich versteifte, als er dies sagte. Es war nicht die Aussage an sich, die sie so aus den Angeln riss, denn sie hatte nichts dagegen unrein zu sein, es war eher die Tatsache, dass es Inceres war, der dies ankreidete.
Dieser schien sich allerdings eines Besseren zu besinnen, denn er sah über die Schulter zurück und in seinem entschuldigenden Blick war Reue zu erkennen.
"Es tut mir Leid, Green. Du weißt, ich meine das nicht beleidigend, es war nur... eine Feststellung. Du weißt, ich liebe dich trotzdem." Er lächelte mild und fügte leise hinzu:
"Vielleicht gerade deshalb."
"Du bist doppelmoralisch, Inceres", antwortete Green seufzend, während sie ihre behandschuhten Hände in ihre Hüfte stemmte und daraufhin ausführte:
"Auf der einen Seite predigst du davon, dass die Regeln unbedingt bewahrt werden müssen und auf der anderen Seite behauptest du, dass du mich liebst; ich, die doch sämtliche Regeln bricht...". Weiter kam sie nicht, denn sie unterbrach sich selbst, als sie den Gesichtsausdruck auf dem Gesicht von Inceres entdeckte, welcher von einem Moment auf den anderen gewechselt hatte, als Green dies gesagt hatte. Angst, ja fast schon Panik, gemischt mit Trauer, war plötzlich in seinem Gesicht zu sehen und in innerhalb von wenigen Sekunden stand er vor ihr, krallte sich in ihren Rock fest und sah mit eben dieser Mischung von Gefühlen zu der geschockten Hikari empor:
"Nein, das stimmt nicht! Ich behaupte es nicht, ich meine es... meine Gefühle für dich sind aufrichtig! Du bist doch die erste... die einzige die... die..." Inceres verschluckte sich an seinen Worten und ließ plötzlich den Kopf hängen. Gerade als Green sich aus ihrer Starre lösen wollte um Inceres an sich zu drücken, sagte er gedämpft:
"Du hast Recht. Ich bin doppelmoralisch." Kaum hatte er dies gesagt, wandte er sich wieder von ihr ab und erhob in Gehen den Arm zu seinem Gesicht und Green war sich Recht sicher, dass er sich Tränen wegwischte.
"Und ein Kind bin ich auch noch, obwohl ich schon so lange lebe. Ecui und Acui werden sauer sein..." Mit seinen Barfüßen stieg er einer Bücherleiter empor und setzte sich auf einen der vielen Bücherstapel, so, dass er auf einer Höhe mit Green war. Das eine Bein klemmte er sich unter das andere und kurz war der metallische Schrei seiner Eisenketten zu hören, bis sie sich beruhigten und wieder still herunter hangen.
"Aber lass mich bitte meinen Standpunkt erklären, mein Schmetterling, damit du mich wirklich verstehen kannst und vielleicht einsiehst, dass gerade diese Regel nicht so "bescheuert" ist, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint." Green nickte und setzte sich nun ebenfalls auf einen der Bücherstapel, denn sie hatte im Gefühl, dass dies länger dauern würde.
"Ich weiß, du hältst von meiner Mutter genauso wenig wie von den Regeln, die aus ihrer Hand stammen. Vielleicht siehst du diese sogar als boshaft an, als ungerecht; eine Einschränkung der individuellen Freiheit. Vielleicht magst du Recht haben, aber genau das ist der Hintergrund der Regeln, welche zu Zeiten geschrieben wurden, als der erste verzehrende Elementarkrieg stattgefunden hatte: Ein Krieg, kaum zu vergleichen mit den darauf folgenden. Zerstörung und Boshaft waren nie größer gewesen - auf beiden Seiten. Ja, ich sehe, dass du staunst, aber genau das ist das, was ich möchte, dass du verstehst, dass es nicht nur die Dämonen waren, die das Grauen über die Welt brachten und sie letztendlich in Schutt und Asche legten.
Nein, das waren sie beide. Im Krieg kann man kaum zwischen Dämonen und Wächter unterscheiden; im Krieg sind sie alle gleich. Beide töten, beide zerstören, beide bringen Unheil. Mutter, die immer von der Reinheit der Wächter besessen und überzeugt war, dass die Wächter die Rasse war, die Güte und Frieden über die Welt bringen würde, schockierte dies zutiefst und daher, schrieb sie die 233 Regeln, die den Wächter daran erinnern sollte, dass sie sich von den Dämonen unterscheiden und unterscheiden sollen. Überschreitung wurde nicht mit Tod oder Folter bestraft, sondern schlichtweg mit der Verweigerung ihrer Güte. Mit anderen Worten: sie heilte ihre Wächter nicht, die sich nicht an ihre Regeln hielten und beschützen tat sie sie ebenfalls nicht - und glaube mir, Green, sie war streng.
Obwohl sich die Konsequenzen über die Jahrhunderte verändert haben, zeigten die Regeln ihre gewünschte Wirkung. Seit Jahrhunderten sind die Regeln in jedem Wächter einzementiert, doch trotzdem... im Krieg werden sie dennoch oft vergessen. Zeige mir einen Wächter, der einen Dämon schmerzlos umbringt, wenn dieser dessen Sohn aufgespießt, dessen Tochter vergewaltigt und dessen Frau den Kopf abgerissen hat! Kein Wächter würde in einer solchen Situation daran denken, dass es er laut der Regel 41B dazu gezwungen ist dem Dämon einen schnellen Tod zu gewähren. Nein, das wäre nicht möglich, denn wir sind alle keine gefühlslosen Marionetten. Schau dir Hizashi an - ein Hikari! Musste mit ansehen wie sein Bruder zu Tode gequält wurde und wurde schlussendlich vors Kriegsgericht gestellt, weil er die Täter bis ans Ende von Henel verfolgte um sie am Lichtintus elendig und langsam verrecken zu lassen. Das einzige was ihn davor gerettet hat, nicht auf dem Schafott zu enden, denn das war damals die Strafe für das Überschreiten der Regeln gewesen, war sein enormes Wissen, welches zu kostbar war, um es auszulöschen.
Du siehst, Green... sobald die Kriegsfanfare ertönt, unterscheiden wir uns kaum von den Dämonen. Beständig bewegen wir uns auf einen hauchdünnen Grad, zwischen den Niveau, das wir angeblich haben, und dem der Dämonen. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Regeln bewahren, denn sie sind es, die diesen hauchdünnen Grad erschaffen haben und ihn sichern. Besonders die Regel, die heute so ausgiebig debattiert wurde, nämlich 9A, ist wichtig, denn sie macht uns nicht zum Täter, sondern zum Opfer - ja, ich sehe schon, dass du meinst, dass das kein Unterschied macht, aber glaube mir, im Endeffekt ist das ein großer Unterschied und besonders für Hikaru, war dieser feine Unterschied sehr wichtig. Die Regel sichert, dass wir von uns aus keinen Krieg anfangen; Dass unsere Waffenproduktion dennoch beständig aktiv ist und alle Wächter von Geburt an das Kämpfen gelehrt bekommen, ist dann wiederum was anderes... dient zur Verteidigung nicht wahr?
Um es simpel auszudrücken: das Einhalten dieser Regel macht uns zu den "Guten"." Inceres atmete tief durch, ehe er seinen Vortag mit einer Bitte abrundete:
"Green, ich weiß, dass du nichts von den Regeln hältst und ich respektiere deine Meinung, ebenso wie das dauernde Übertreten der Regeln. Doch ich bitte dich: animier nicht deine Wächter dazu es ebenfalls zu tun. Wenn du die Regeln brichst, dann tu es bitte, ohne, dass es so auffällig wirkt." Green nickte langsam und antwortete:
"Ich werde es versuchen. Doch, Inceres, versprechen kann ich dir nichts. Du weißt, dass ich nicht zu den "Guten" gehöre; ich habe nur den Platz des "Guten" eingenommen." Einen Moment schwiegen sie beide; sahen in die gleichen Augen, bis Inceres diese schloss und leise antwortete:
"... und ich hoffe, nein, ich bete dafür, dass du niemals diese Schwelle übertreten wirst." Green antwortete nicht.
Denn sie wusste, sie konnte es nicht versprechen.
Einige Stunden später hatte sich die Schlägerei der von Inceres als die "Bösen" Betitelten, in eine Trinkgelage verwandelt und das ziemlich viele Dämonen der "Aufwärmung" zum Opfer gefallen waren, interessierte in diesem Moment niemanden; wahrscheinlich war es nur der weit entfernte Karou, der überhaupt eine Zahl der Opfer besaß und sich immer noch am liebsten den Kopf gegen einen seiner Bildschirme rammen wollte, während seine Mitdämonen sich just in diesem Moment fürstlich betranken - die Fürsten miteinbegriffen. Ri-Il und seine "kleine Familie" waren trotz Mekares Proteste vor einigen Stunden nicht in ihr Gebiet zurückgekehrt und saßen nun inmitten dem unheimlich großen Festes, wo jeder der Anwesenden scheinbar vergessen hatte, was vor knapp drei Stunden geschehen war. Alles was sie noch wussten - und wissen wollten - war, dass bald ein neuer Krieg anfangen würde und sie damit endlich wieder Wächter töten konnten.
Die Jubelrufe über diese wundersame Nachricht waren unüberhörbar in der vollkommen überfüllten Bar, wo die Party sich sogar auf die Straßen ausgedehnt hatte. Die Wasserprobleme wurden in diesem Enthusiasmus komplett herunter gespült und auch Lerou schien vergessen zu haben, dass er vor drei Stunden angeschossen worden war und kümmerte sich auch nicht darum, dass einer der Dämonen, mit dem er gerade um die Wette trank sogar der gewesen sein könnte, der es auf sein Leben abgesehen hatte.
Blue war dieses Verhalten absolut unverständlich: nicht nur das von Lerou, sondern das von allen. Wie konnte man nur jetzt feiern, wo man sich gerade noch die Köpfe eingeschlagen hatte? Der Enthusiasmus an sich war ihm kein Rätsel: 18 Jahre eingesperrt zu sein in seiner eigenen Welt war eine lange Zeit, die Wasserprobleme könnten mit dem Brechen des Siegels gelöst werden... aber es gab doch noch viel zu viele Fragen die beantwortet werden mussten: Was hatte es mit Lerous Angabe auf sich? Wie würde der Bannkreis gebrochen werden? Ganz zu schweigen von Kriegsplänen, die Blue um einiges wichtiger erschienen, als sich darin zu konkurrieren wer am meisten trinken konnte.
Er selbst hatte nichts angerührt, denn er fürchtete die Wirkung des Alkohols und er hatte auch Silver davon abgehalten etwas zu trinken, da eindeutig zu viele Dämonen, zu viele Fürsten, an Ort und Stelle versammelt waren, als dass sie sich irgendeinen Ausrutscher erlauben konnten.
Kaum hatte Blue dies gedacht, tauchte auch schon Lycram an deren Tisch auf; ausgerüstet mit einer Flasche Absinth und wenn Blue nicht alles täuschte war das einer der Hochprozentigsten Getränke die man auftreiben konnte und als Lycram sein Fuß genau vor Ri-Il auf den Tisch platzierte, kam es dem Halbdämon auch so vor, dass der blauhaarige Fürst bereits einige von diesen Flaschen getrunken hatte; nicht zuletzt weil sein Zopf locker hing und er von Ri-Il erfahren hatte, dass Lycram pingelig darauf achtete, dass dieser aufrecht und fest gebunden saß:
"Du... Schweinehund von einem Hurensohn! Ich weiß... genau, was du vorhast! Ich bin dein Nachbar - ich sehe alles!" Obwohl Ri-Il auch schon einiges getrunken hatte, war er weit davon entfernt angetrunken zu sein und so hob er den Kopf fröhlich grinsend an, um seinen Gegenüber gelassen anzusehen als er antwortete:
"Lycylein, ich glaube dir tut der Absinth nicht gut. Dein Zopf sitzt ganz schief, das geht doch nicht. Soll ich ihn dir richten?" Ri-Il streckte bereits die Hände nach ihm aus, welche Lycram jedoch weg schlug.
"Fass mich nicht an, du... du... Arschloch du! Ich kann meinen Zopf selbst richten!" Der Angesprochene tat so, als würde er sich von Lycram bedroht fühlen und hob abwehrend die Hände vor sich, doch dieser war noch nicht fertig:
"Ich... kenne dich! Ich weiß, dass die Kriegserklärung von dir kommt! Daher auch diese... beschissene Zeitangabe... sowas Verwirrendes... kann nur von dir kommen!"
"Also Lycylein, ich weiß wirklich nicht, wovon du sprichst. Die Zeitangabe verwirrt mich genauso wie dich. Aber wenn wir alle unseren Rausch ausgeschlafen haben, können wir ja unseren geliebten König bei der nächsten Konferenz fragen, nicht wahr, Lycylein? Oh, ich sehe, da kommt dein Zwilling ja bereits angestürmt um dich ins Bett zu bringen." Und richtig, kaum, dass Ri-Il dies gesagt hatte, kam Azzazello herbei geeilt und legte seinen Arm um sein Familienmitglied, um ihn, unter Proteste, vom Tisch herunter zu bekommen. Kaum, dass Lycram wieder mit beiden Füßen auf den dreckigen Boden stand, schwankte er auch schon und wäre beinahe gefallen, hätte Azzazello ihn nicht gestützt und es wunderte Blue und Silver, dass Lycram diese Hilfe sogar annahm ohne zu protestieren.
Azzazello entschuldigte sich bei Ri-Il und wandte sich samt seinem Bruder herum, um Lycram wahrscheinlich in sein Gebiet zu bringen, doch bevor er dies in die Tat umsetzen konnte, raffte Lycram noch den letzten Rest seines klaren Verstandes zusammen und richtete sich noch einmal an Ri-Il:
"Ich krieg dich schon noch - wart's nur ab!" Ri-Il winkte ihm hinterher und wünschte ihm sogar eine Gute Nacht und kaum, dass die beiden blauhaarigen Zwillinge in der brüllenden Menge verschwunden waren, warf Blue einen Seitenblick auf seinen Lehrmeister, wo er nicht drum herum kam, für einen kurzen Moment ein schelmisches Lächeln auf dessen Gesicht zu bemerken, fast so, als würde er sagen wollen:
"Ich freu mich schon darauf."
Die Fragen, die sich viele in diesem Moment stellten, hatte er bereits beantwortet.
Die Frage, wie es möglich war, innerhalb von Lerenien-Sei jemanden mit einem geschossartigen Etwas zu attackieren, obwohl das Siegel der Fürsten um Lerenien-Sei alle Magieentladungen verhinderte, war überaus simpel zu beantworten. Es war keine Magie im Spiel gewesen, wie Karous Computer ihm sofort zeigte: es war eine ordinäre Schusswaffe der Menschen gewesen - eigentlich ein Delikt gegen jede Form von dämonischer Ehre, aber scheinbar war jemand ziemlich verzweifelt, oder besessen von dem Gedanken Lerou auszuschalten, gewesen.
Wer der Täter allerdings war, wusste Karou nicht. Noch nicht.
Auf die Frage, ob Lerou tot war, hatte er allerdings eine Antwort.
Doch anscheinend wollte der Herrscher diese selbst beantworten:
"Zur Hölle nochmal! Halt die Klappe!"
Sofort, als Luzil die Worte ihres geliebten Herrschers hörte, verstummte sie und ihre Tränen verwandelten sich in Freudentränen, als sie sah wie der Dämonenherrscher sich wieder aufrichtete, denn, wie Karou bereits wusste, war die Kugel, die für sein Herz bestimmt war, komplett danebengegangen: statt sein Herz zu durchbohren, hatte sie seine rechte Gesichtshälfte geschleift, wie auch das Diadem und hatte dieses von seinem Kopf gerissen.
Dem herunter laufendem Blut und dem fehlenden Diadem keine Beachtung schenkend, stemmte Lerou sein Bein auf die Brüstung des Balkons und schrie, ohne auf die Proteste seines Zwillings zu achten:
"Ihr wollt Aufwärmung, was?! Und ihr bekommt was ihr wollt!"
"Lerou! NICHT! Das ist DEINE EIGENE Horde!" Doch Karous Worte wurden komplett überhört und er konnte nichts tun, um den Dämonenherrscher davon abzuhalten, in die Menge hinunter zu springen und den ersten Dämon den er in seine wütenden Finger bekam, den Kopf auf den Boden zu schmettern.
Einige Sekunden glaubten die Fürsten ihren Augen und Ohren nicht zu trauen, während das Gebrüll unter ihnen anstieg: was passierte gerade? Was war geschehen? Was bedeutete dieser ganze Nonsens?
Doch diese Fragen paralysierten nicht alle Fürsten und ein Fürst mit feuerroten Haaren löste sich ihnen steuerte ebenfalls auf die Brüstung zu:
"Was gibt es Besseres, als eine kleine Prügelei!" Und schon war auch er in die sich nun bekämpfende Menge hinab gesprungen, woraufhin auch Lycram sich von den Fürsten lösen wollte, doch Azzazello hielt ihn auf, während mehr und mehr Fürsten sich beinahe begeistert in den Kampf stürzten: Lacrimosa vorne weg, mit dem Ausruf, dass sie jeden Mann umbringen würde, der ihr über den Weg kommen würde.
"Lycram, also, ich finde..."
"Sei kein Spielverderber!" Und schon riss er sich von dem Griff seines Halbzwillings los und sprang schon ebenfalls über die Brüstung, begleitet von einem erfreuten Ausruf, der deutlich machte, wie sehr ihm diese Situation erfreute.
Ratlos sah Azzazello ihm hinterher und bemerkte nicht, dass er nicht der einzige Bruder war, der sein jüngeres Familienmitglied aufhielt, denn Silver schien es den Fürsten nachmachen zu wollen, doch Blue hinderte ihn daran, mit dem logischen Einwand, dass er jawohl mitbekommen hatte, wie viele Fürsten sich in diese Prügelei geworfen hatten und Silver wohl kaum Lebensmüde war.
Blue hatte vollkommen Recht, denn die einzigen Fürsten, die sich nicht mit entzückter Begeisterung die Köpfe einschlugen, waren Azzazello und Ri-Il, die beide von der Brüstung aus das blutige Chaos unter ihnen betrachteten. Als Azzazello dies bemerkte, warf er einen Schielblick zu dem anderen Fürsten, wandte sich jedoch sofort wieder ab, als er bemerkte, dass Ri-Il ihn plötzlich ansah.
"Du kannst dich gerne ebenfalls an dieser wunderbaren Schlägerei beteiligen, Azzazello-kun. Ich bin der Letzte, der dich dafür verurteilt." Der Angesprochene wurde rot, denn er war ertappt worden.
"Es ist nur so... ich könnte auch gut eine... Abwechslung gebrauchen." Ri-Il machte eine einladende Bewegung in Richtung der Schlägerei und sagte:
"Viel Spaß! Ich bin sicher, deine Frau wird nichts davon erfahren." Azzazello wurde noch röter bei dem Gedanken, obwohl er nicht wusste, ob Rime sauer auf ihn sein würde, weil er sich in der Schlägerei beteiligt hatte, oder weil sie eifersüchtig war und es ebenfalls wollte.
In diesem Moment entschied er sich allerdings dafür nicht weiter darüber nachzudenken und nahm ebenfalls den Sprung in das Chaos.
Während Ri-Il Azzazello nachsah, was Silver ebenfalls mit einem fast schon sehnsüchtigen Blick tat, widmete Blue seine Aufmerksamkeit den drei Mädchen zu, die Lacrimosa mitgenommen hatte. Die zwei selbstbewussten jungen Frauen standen wie Salzsäulen an der Brüstung, ihrer Herrin dabei zusehend, wie sie die Männer... wegen ihrer Männlichkeit bestrafte. Diese waren es auch nicht, die Blue von dem Geschehen abgelenkt hatten, sondern das Mädchen, das Lycram Minuten vorher zum Sturz gebracht hatte, denn Blue war aufgefallen, dass das kleine Mädchen ihn bereits seit einer geraumen Zeit merkwürdig ansah. Sie stand einige Meter rechts von ihm und als Blue sie aus den Augenwinkeln beobachtete, kam er nicht drum herum ihre Haare zu bemerken, die unter ihrem gefütterten Mantel hervor lugten: es waren ungewöhnlich helle, blonde Haare für eine Dämonin.
Offensichtlich rang sie mit sich selbst, denn es war nicht zu übersehen, dass sie Blue ansprechen wollte. Immer wieder öffnete das kleine Mädchen den Mund, um es sich dann doch immer wieder anders zu überlegen. Dieses Verhalten weckte Blues Neugierde, doch gerade als er sich zu ihr herum drehen wollte, wandte das Mädchen sich auf dem Absatz herum und schritt mit unsicheren Schritten zurück zu ihren Kolleginnen.
Blue blieb keine Zeit sich über das merkwürdige Verhalten der Dämonin zu wundern, denn Ri-Ils Stimme hielt ihn davon ab:
"Ich denke, ich habe nicht zu wenig versprochen, als ich sagte, es würde lehrreich für euch werden, nicht wahr?" Blue sah zuerst Silver an, dem deutlich ins Gesicht geschrieben stand, dass er nicht wusste, was und ob er nun etwas von dieser Episode gelernt hatte. Eine Antwort erhielt deren Lehrmeister auch nicht, denn das wütende Zusammenklappen eines Fächers stahl sämtliche Aufmerksamkeit.
"Ri-Il, ich will wieder zurück! Sofort!", begann Mekare und verbarg ihre wütenden Lippen hinter ihrem Fächer ehe sie fortfuhr:
"Es ist mir hier definitiv zu dreckig."
"Gedulde dich noch ein wenig, Mekare. Ich denke, das Spektakel ist noch nicht vorbei."
Shaginai verstummte und sein Arm, welchen er gerade erhoben hatte, fiel wie ein Stein wieder herunter. Genauso erstarrt sah er Green an, die von ihrem Stuhl aufgesprungen war. Aus Intuition, nicht weil sie ein brauchbares Argument hatte.
"Ja, Yogosu? Bist du etwa dagegen?", fuhr Shaginai sie genervt an, was Green nicht gerade ermutigte. Ihre Beine vibrierten vor Nervosität und ihr Hals war auf einmal vollkommen trocken. Eigentlich war sie nicht gegen Shaginais Vorschlag, denn er war gut und brauchbar. So gesehen eine gute Strategie... aber Green konnte doch nicht zulassen, dass Firey als Anführer einer Streitmacht in die Dämonenwelt geschickt wurde! All die starken Dämonen, die Fürsten... Nein, das war vollkommen unmöglich.
Doch das war kein brauchbares Argument, absolut nicht. Sie brauchte ein auschlaggebendes Argument um gegen Shaginai bestehen zu können. Nein, im Prinzip musste sie den gesamten Rat auf ihre Seite bringen, wenn sie Firey davor bewahren wollte, in die Dämonenwelt entsendet zu werden. Green spürte wie sich beinahe ein schwarzes Loch unter sie auftat, denn das war unmöglich.
Nein, war es nicht. Sie brauchte nur ein wenig Zeit, denn White und Adir hatten Argumente gegen Shaginai gehabt, immerhin hatten sie versucht ihn davon abzubringen - und diese beiden Hikaris würden niemals etwas sagen ohne ihre Worte untermauern zu können. Wenn sie heraus bekam, wie diese Argumente aussahen, dann...
Green bemerkte wie ihr die Zeit davon lief, um sie herum breitete sich bereits Getuschel aus. Es war ein Wunder, dass Shaginai nicht bereits fortgefahren war, ohne seiner Enkelin weitere Beachtung zu schenken. Die unreine Hikari hatte den Kopf gesenkt um nicht in Versuchung zu geraten ihre Mutter hilfeflehend anzusehen. Ihr Blick wanderte über den Tisch, worauf sie ihre Hände abstützte, sie sah das Glas Wasser welches nur sie und Grey hatten, da sie die einzigen Lebenden war, sah das heilige Regelbuch, die Verzierungen des Tisches...
Das Regelbuch!
"Es...es verstößt gegen unsere Regeln!" Shaginais linkes Auge zuckte.
"...Wie bitte? Du belehrst mich über unsere Regeln?!" Doch Shaginais Widerspruch änderte nichts daran, dass Green ihre Entschlossenheit zurück gewonnen hatte, da sie sich wieder an ein Gespräch erinnerte, welches sie vor langer Zeit mit angehört hatte...
"Ich kann euch Beide einfach nicht verstehen! Ist es nicht unsere Aufgabe den Frieden zu sichern?! Dafür müssen wir halt über dieses Detail hinwegsehen. Wichtig ist, dass wir die Dämonen Ein für alle Mal vernichten!"
"Vater, ich kann nicht glauben was ich da höre. Was ist mit unseren Kodex "Erhebe deine Waffe nur wenn du angegriffen wirst"? Willst du das wirklich über Bord werfen? Das wird keinen Frieden bringen. Sondern das Gegenteil. Solange sie uns nicht direkt angreifen, haben wir keinen Grund es als Erstes zu tun. Wenn wir anfangen sie anzugreifen, begeben wir uns auf die gleiche Stufe wie sie."
Das dieses Gespräch, welches Green damals, als sie das Jenseits zum allerersten Mal besucht hatte, mit angehört hatte, nun retten würde, hätte sie nicht für möglich gehalten. Ihr selbst waren die Regeln absolut egal und sie sah absolut keinen Grund dafür, warum man deren Kriegsstrategie nicht auf Shaginais Vorschlag aufbauen sollte. Aber wenn dies Firey beschützen würde, dann war sie gewillt, so zu tun, als hätte sie plötzlich Gefallen an den Regeln gefunden. Ihr war klar, dass sie Firey nicht ewig würde beschützen können, dass sie so oder so auf das Schlachtfeld würde ziehen müssen - aber sie konnte wenigstens verhindern, dass Firey mit einer kleinen Streitmacht von rund 500 Wächtern in den Tod geschickt wurde.
""Erhebe deine Waffe nur wenn du angegriffen wirst", ist das nicht unser Kodex?! Steht in unserem Regelbuch nicht, dass wir den Frieden bewahren sollen, so lange es möglich ist und dass wir deshalb niemals unsere Waffen als Erstes erheben dürften?!" In Wirklichkeit hatte Green keine Ahnung, ob dies wirklich in dem Buch stand welches vor ihr lag. Sie hatte damals keine Ahnung gehabt und hatte es auch jetzt nicht. Aber Green war nicht umsonst die unreine Hikari, sie konnte lügen - und sie war gewillt ihre unreinen Fähigkeiten einzusetzen, wenn es um ihre Freunde ging!
"Dies würde keinen Frieden bringen! Dies würde nur das Gegenteil herbei führen!"
"Yogosu, jetzt reicht es!" Shaginai schlug mit der geballten Faust auf seine Tischplatte, nur um diese zu erheben und anklagend auf Green zu zeigen.
"Ich dulde keine weiteren Einwände von deiner unerfahrenen Seite aus! Deine Referenz zu den geheiligten Regeln mag wahr sein, doch eine Kriegserklärung ist genug Grund um anzugreifen! Damit ist diese Regel absolut nichtig..." Ein weiteres Mal fiel Shaginais Arm herunter, diesmal allerdings nicht durch Green, sondern durch etwas was er sah. Er sah es ehe Green es selbst bemerkte.
"Du hast ja einen richtigen Höhenflug, mein Schmetterling." Im gleichen Moment wo sie die bekannte Stimme ihres Gönners hörte, merkte sie auch, wie er seine Kinderarme um ihre Schultern schlang und sich kurz an sie drückte, ehe er seinen Kopf auf Greens legte, womit seine Füße frei in der Luft hingen, wobei seine Fußketten durch einen extra langen Rock verborgen blieben, so dass sie kein Hikari sehen konnte.
"Höre ich richtig, Hikari Kishitsu Kouhei Shinjitsu Shaginai, Sie wollen mal wieder die Regeln ändern?" Eine bedrückende Stille herrschte im Raum. Alle starrten Inceres an, der so ruhig an Green haftete, als wäre es ein Teetrinken und keine Kriegskonferenz. Die einen respektvoll, die anderen ehrfürchtig - aber alle irgendwo mit Angst. Besonders die beiden Hikari neben ihr waren ganz deutlich auf ihren Stuhl so weit von Inceres gerückt wie möglich.
Green mochte das nicht.
Warum mischte er sich ein? Sie hatte alles unter Kontrolle... naja fast alles, bis zu dem Moment wo Shaginai ihr verbat weiter zu reden. Bis zu diesem Punkt hatte sie sich doch gut geschlagen?
"Ich bin mir im Klaren, dass es nicht erlaubt ist, die Dämonen anzugreifen, solange sie uns nicht zuerst angreifen, Inceres-no-danna", sagte Shaginai, nach wie vor stehend, doch nicht mehr mit der gleichen Leidenschaft in der Stimme wie zuvor. Dennoch schien er nicht gewillt zu sein durch Inceres seine Pläne umwerfen zu lassen. Während er dies gesagt hatte, hatte sich Inceres von Greens Kopf gelöst und hatte sich stattdessen auf ihren Schoß gemütlich gemacht, welche nach wie vor nicht wusste, was sie von dem Benehmen ihres Gönners halten sollte.
"Ja, das ist richtig und soweit ich weiß, haben die Dämonen uns noch nicht angegriffen."
"Inceres-no-danna, bei allem Respekt... aber eine Kriegserklärung, versehen mit einer Galgenfrist? Gibt uns dies nicht die Berechtigung dies zu unseren Vorteil zunutzen um den ersten Schlag auszuführen, wenn es uns möglich ist? Wir würden einen Vorteil verspielen: einen Vorteil der Leben bewahren könnte - ist es da nicht angebracht, dieses kleine Detail zu... übersehen?" Nirgends war zustimmendes Gemurmel zu hören; sämtliche Hikaris hüllten sich in Schweigen und beobachteten das Geschehen genau. Adir und White sahen beider gleichermaßen missgestimmt aus, was Green verwunderte - waren es doch nicht die Regeln gewesen, die ihr Problem waren? Hatte sie doch das falsche Argument benutzt und Inceres unterstützte sie nun nur, weil er auf Greens Seite war - egal wie dumm sie sich anstellte? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen, immerhin hatte er mal gesagt, dass er zwar sehr an Green hang, aber dennoch eine Verantwortung zu tragen hatte und das Wächtertum nicht wegen ihr in Gefahr bringen würde.
Es schien Inceres wirklich um das Einhalten der Regeln zu gehen; wahrlich, Hikarus Sohn. Doch diesmal war Green nicht auf seiner Seite, sondern auf Shaginais und sie hatte das Bedürfnis ihm zuzustimmen, doch sie hielt den Drang zurück indem sie sich auf den Lippen biss - immerhin ging es um Fireys Wohl. Doch Shaginais Vorschlag war gut, würde ein Vorteil bringen im Krieg und damit wiederrum Leben verschonen... was sollte sie tun? Sie war gespalten zwischen Freundin und Hikari.
"Es liegt nicht an Ihnen die Regeln zu ändern. Es liegt an ihnen sie zu befolgen." Wahrscheinlich war Green die einzige, die die kleine Veränderung in Inceres' Tonfall bemerkte: eine winzig kleine Veränderung, die ihr allerdings für einen kurzen Moment Furcht einjagte, während Inceres ohne diese Betonung fort fuhr:
"Kein Umstand, absolut keiner, gibt uns die Berechtigung als erstes Blut zu vergießen. Wir verteidigen, sichern Leben; wir nehmen es nicht. Ich gebe daher Green absolut Recht; wenn wir das tun würden, würden wir genauso tief sinken wie unsere Feinde. Shaginai, Ihr..." Weiter kam er nicht, denn Green unterbrach ihn, nicht, indem sie dazwischen sprach, sondern indem sie ihre Hände über seinen Mund legte und ihn somit am Sprechen hinderte.
Über dies überrascht, ja fast schon geschockt, sah er über seine Schulter hinweg, doch Green drückte ihn an sich, löste die Hände von seinem Gesicht und beugte sich vor; die geschockten Blicke der Hikaris nicht beachtend, genauso wenig wie Inceres':
"Ich entschuldige mich dafür, dass ich Inceres unterbrechen muss, doch ich selbst hatte noch einiges zu dieser Sache zu sagen, ehe Shaginai mich unterbrach und ich bitte darum, dass ich die Chance erhalte auszusprechen!" Green war versucht sich ein Beispiel an ihren Großvater zu nehmen, was die Stimmlage anging; ernst, sicher und vor allen Dingen überzeugend. Ob ihr das gelang konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, doch wenigstens zitterte ihre Stimme nicht, obwohl sie sich bewusst war, dass sie von vielen hochgezogenen Augenbrauen begrüßt wurde. Doch sie musste es sagen, egal wie die Versammlung reagieren würde; vor allen Dingen Inceres.
Niemand sagte etwas, so, dass Green dies als ein "Ja" auffasste:
"Wie nun bereits ausführlich besprochen wurde, dürften wir nicht zuerst unsere Waffen erheben, doch den Vorteil, dass wir in der Lage sind das Siegel zu neutralisieren, sollten wir für etwas anderes nutzen, als unsere Waffen zu erheben! Da unsere Daten noch Lücken aufweisen, halte ich es für eine gute Idee, wenn wir diese Lücken erst einmal schließen, indem wir Spione nach Henel aussenden!" Kurzes, gedämpftes Gemurmel verbreitete sich im Saal, bis Hizashi sich langsam erhob, um ganz offensichtlich Green zuzustimmen:
"Informationen sind der Schlüssel für eine gute und effektive Kriegsstrategie und nun da wir eine offizielle Kriegserklärung haben, brauchen wir dies nicht mehr als Konsequenz fürchten, sollten unsere Spione entdeckt werden - und wie ich es bereits bei den vorangegangenen Ratsversammlungen angemerkt habe, ist diese Chance im Allgemeinen nicht besonders groß, dass unsere Späher entdeckt werden könnten, denn wir besitzen einen weiteren Vorteil gegenüber den Dämonen: wir haben die Ingnixe; ein Gegenstand, der die Aura des Wächters dauerhaft löscht, ohne dabei die Magie zu beeinträchtigen. Laut den Berichten der Kikou ist die Testphase vorbei und wir könnten diese kleinen Gegenstände der Massenproduktion freigeben. Einzelne Exemplare existieren bereits und mit einem solchen könnten wir einen unserer Halbwächter ausrüsten und diesen nach Henel aussenden." Er machte eine kurze Pause, schien darauf zu warten, dass jemand etwas dazu sagte, doch anscheinend gab es keine Einwände. Ehe er fortfuhr warf er einen kleinen, verstohlenen Blick in Richtung Inceres, nur um den Blick sofort wieder abzuwenden und fortzufahren:
"Ich denke dies ist die beste und intelligenteste Art unsere Kriegsstrategie einzuleiten. Vielleicht finden wir auf diesen Weg auch heraus wie die Dämonen vorhaben den Bannkreis zu brechen und können uns so besser darauf vorbereiten." Green atmete nach einigen Minuten erleichtert auf, als Hizashis Vorschlag angenommen wurde - Firey war erst einmal gerettet, wie sich herausstellte, nachdem die Hikaris beschlossen, dass die Wächter die zur Auswahl standen nur Wächter des ersten Ranges sein sollten, wozu Firey zum Glück nicht zählte. Als man Azumas Namen nannte, reagierte Green nicht darauf und hatte auch nicht im Sinn wieder schreiend aufzufahren. Nein, im Gegenteil sogar: sie stimmte zu, als man sie direkt fragte, ob sie ihn für eine geeignete Wahl hielt, immerhin war er erst seit einem Jahr ein Mitglied ihrer Gesellschaft und es wäre ja ihr Elementarwächterteam, sie wüsste dies also am Besten und aus erster Hand. Das tat sie und genau aus diesem Grund meinte sie, dass Azuma eine geeignete Wahl wäre, denn sie wusste von seinen großen Fortschritten und erst vor wenigen Tagen hatte Grey ihr alle Werte ihrer Elementarwächter gezeigt und auch was das anbelangte war der Erdwächter eine gute Wahl. Die Tatsache, dass er nicht gerade diszipliniert war, überging Green. Er würde sich jawohl den Gegebenheiten anpassen, wenn diese tödlich wären.
Während nun darüber debattiert wurde, welches Batallion man wann und wie anwenden sollte, konzentrierte Green sich lieber auf das Kind, welches steif wie ein Brett auf ihren Schoss saß und sich nicht rührte. Seit einigen Minuten schon hatte er sich um Schneidersitz hingesetzt und herzlich wenig darauf geachtet ob diese Stellung für Green unbequem war oder nicht. Welche Gefühle sich in seinem Gesicht abspiegelten, konnte sie nur erraten. Doch sie konnte sich gut vorstellen, dass er nicht am Lächeln war, denn er hatte stur die Arme über der Brust verschränkt und hatte sie, seitdem sie ihn unterbrochen hatte, noch kein einziges Mal wieder angesehen.
Dies ging noch weitere fünf Stunden so. Die Hikaris statuierten ein Exempel einer perfekten Kriegsversammlung und nach den fünf Stunden stand die Kriegsstrategie als ein perfektes Resultat von Demokratie und den Einflüssen der verschiedenen, kriegserprobten Hikaris, ohne noch ein weiteres Mal von Green oder Inceres unterbrochen zu werden. Im Stillen hatte Green sogar gehofft, Inceres möge nach der ersten Stunde verschwinden, doch das hatte er nicht getan. Stur und unbeweglich blieb er auf ihren Schoss hocken und nach den vergangenen fünf Stunden spürte die unreine Hikari, dass ihre Beine ihr und erst recht nicht Inceres, dafür dankten.
Nachdem vier Hikaris den Auftrag bekommen hatten sie mögen in innerhalb von vier Stunden die Kriegsrede fertig haben, die Green dann erhalten würde, um sie den Wächtern vorzulesen, stand Grey sofort auf und schlängelte sich durch seine weißen Familienmitglieder hindurch, auf die andere Seite des Saals, um mit Green zusammen noch einmal mit ihrer Mutter sprechen zu können. Doch kaum hatte er die rechten Tribünen erreicht, sah er bereits, dass er sich zu viel Zeit gelassen hatte: Green war nicht mehr da.
Green war bei Inceres. Er hatte sich zusammen mit ihr davon teleportiert, kaum, dass White die Versammlung abgeschlossen hatte. Die beiden blauäugigen Hikaris befanden sich in Inceres' privater Bibliothek, wo sich wie immer die Bücher bis an die Decke stapelten und kaum das Licht von den bemalten Gläsern hindurch ließ. Während Green an der großen Tür stehen blieb, war Inceres dabei sich einen Weg durch die Bücher zu bannen.
"Wo sind Ecui und Acui?", fragte Green, nachdem sie ihm begann zu folgen, im Versuch ihre Stimme so locker wie möglich klingen zu lassen, denn ihr war bewusst, dass er sauer war. Vielleicht sogar wütender, als sie ihn jemals kennen gelernt hatte.
"Nicht da. Sie sind auf Terra und holen mir neue Bücher."
"Achso." Sie druckste noch ein wenig herum, sich in Gedanken fragend ob sie darauf warten sollte bis er von selbst anfing, oder ob sie den ersten Schritt wagen sollte. Am Ende entschied sie sich für das Zweitere, denn Inceres schien nicht daran interessiert zu sein, das Gespräch zu beginnen:
"Inceres, ich kann verstehen, dass dir die Regeln wichtig sind, es sind immerhin die Regeln, die deine Mutter geschrieben hat, aber ganz ehrlich, diese Regel ist bescheuert und Shaginai hat Recht; wir sollten die Chance nutzen und angreifen." Inceres war stehen geblieben, doch drehte sich nicht zu ihr um, als er antwortete:
"Es wundert mich nicht, dass du das sagst. Ich habe dir nicht umsonst den Namen "Yogosu" gegeben." Diese Aussage schockte Green und sie spürte, wir ihr Gesicht sich versteifte, als er dies sagte. Es war nicht die Aussage an sich, die sie so aus den Angeln riss, denn sie hatte nichts dagegen unrein zu sein, es war eher die Tatsache, dass es Inceres war, der dies ankreidete.
Dieser schien sich allerdings eines Besseren zu besinnen, denn er sah über die Schulter zurück und in seinem entschuldigenden Blick war Reue zu erkennen.
"Es tut mir Leid, Green. Du weißt, ich meine das nicht beleidigend, es war nur... eine Feststellung. Du weißt, ich liebe dich trotzdem." Er lächelte mild und fügte leise hinzu:
"Vielleicht gerade deshalb."
"Du bist doppelmoralisch, Inceres", antwortete Green seufzend, während sie ihre behandschuhten Hände in ihre Hüfte stemmte und daraufhin ausführte:
"Auf der einen Seite predigst du davon, dass die Regeln unbedingt bewahrt werden müssen und auf der anderen Seite behauptest du, dass du mich liebst; ich, die doch sämtliche Regeln bricht...". Weiter kam sie nicht, denn sie unterbrach sich selbst, als sie den Gesichtsausdruck auf dem Gesicht von Inceres entdeckte, welcher von einem Moment auf den anderen gewechselt hatte, als Green dies gesagt hatte. Angst, ja fast schon Panik, gemischt mit Trauer, war plötzlich in seinem Gesicht zu sehen und in innerhalb von wenigen Sekunden stand er vor ihr, krallte sich in ihren Rock fest und sah mit eben dieser Mischung von Gefühlen zu der geschockten Hikari empor:
"Nein, das stimmt nicht! Ich behaupte es nicht, ich meine es... meine Gefühle für dich sind aufrichtig! Du bist doch die erste... die einzige die... die..." Inceres verschluckte sich an seinen Worten und ließ plötzlich den Kopf hängen. Gerade als Green sich aus ihrer Starre lösen wollte um Inceres an sich zu drücken, sagte er gedämpft:
"Du hast Recht. Ich bin doppelmoralisch." Kaum hatte er dies gesagt, wandte er sich wieder von ihr ab und erhob in Gehen den Arm zu seinem Gesicht und Green war sich Recht sicher, dass er sich Tränen wegwischte.
"Und ein Kind bin ich auch noch, obwohl ich schon so lange lebe. Ecui und Acui werden sauer sein..." Mit seinen Barfüßen stieg er einer Bücherleiter empor und setzte sich auf einen der vielen Bücherstapel, so, dass er auf einer Höhe mit Green war. Das eine Bein klemmte er sich unter das andere und kurz war der metallische Schrei seiner Eisenketten zu hören, bis sie sich beruhigten und wieder still herunter hangen.
"Aber lass mich bitte meinen Standpunkt erklären, mein Schmetterling, damit du mich wirklich verstehen kannst und vielleicht einsiehst, dass gerade diese Regel nicht so "bescheuert" ist, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint." Green nickte und setzte sich nun ebenfalls auf einen der Bücherstapel, denn sie hatte im Gefühl, dass dies länger dauern würde.
"Ich weiß, du hältst von meiner Mutter genauso wenig wie von den Regeln, die aus ihrer Hand stammen. Vielleicht siehst du diese sogar als boshaft an, als ungerecht; eine Einschränkung der individuellen Freiheit. Vielleicht magst du Recht haben, aber genau das ist der Hintergrund der Regeln, welche zu Zeiten geschrieben wurden, als der erste verzehrende Elementarkrieg stattgefunden hatte: Ein Krieg, kaum zu vergleichen mit den darauf folgenden. Zerstörung und Boshaft waren nie größer gewesen - auf beiden Seiten. Ja, ich sehe, dass du staunst, aber genau das ist das, was ich möchte, dass du verstehst, dass es nicht nur die Dämonen waren, die das Grauen über die Welt brachten und sie letztendlich in Schutt und Asche legten.
Nein, das waren sie beide. Im Krieg kann man kaum zwischen Dämonen und Wächter unterscheiden; im Krieg sind sie alle gleich. Beide töten, beide zerstören, beide bringen Unheil. Mutter, die immer von der Reinheit der Wächter besessen und überzeugt war, dass die Wächter die Rasse war, die Güte und Frieden über die Welt bringen würde, schockierte dies zutiefst und daher, schrieb sie die 233 Regeln, die den Wächter daran erinnern sollte, dass sie sich von den Dämonen unterscheiden und unterscheiden sollen. Überschreitung wurde nicht mit Tod oder Folter bestraft, sondern schlichtweg mit der Verweigerung ihrer Güte. Mit anderen Worten: sie heilte ihre Wächter nicht, die sich nicht an ihre Regeln hielten und beschützen tat sie sie ebenfalls nicht - und glaube mir, Green, sie war streng.
Obwohl sich die Konsequenzen über die Jahrhunderte verändert haben, zeigten die Regeln ihre gewünschte Wirkung. Seit Jahrhunderten sind die Regeln in jedem Wächter einzementiert, doch trotzdem... im Krieg werden sie dennoch oft vergessen. Zeige mir einen Wächter, der einen Dämon schmerzlos umbringt, wenn dieser dessen Sohn aufgespießt, dessen Tochter vergewaltigt und dessen Frau den Kopf abgerissen hat! Kein Wächter würde in einer solchen Situation daran denken, dass es er laut der Regel 41B dazu gezwungen ist dem Dämon einen schnellen Tod zu gewähren. Nein, das wäre nicht möglich, denn wir sind alle keine gefühlslosen Marionetten. Schau dir Hizashi an - ein Hikari! Musste mit ansehen wie sein Bruder zu Tode gequält wurde und wurde schlussendlich vors Kriegsgericht gestellt, weil er die Täter bis ans Ende von Henel verfolgte um sie am Lichtintus elendig und langsam verrecken zu lassen. Das einzige was ihn davor gerettet hat, nicht auf dem Schafott zu enden, denn das war damals die Strafe für das Überschreiten der Regeln gewesen, war sein enormes Wissen, welches zu kostbar war, um es auszulöschen.
Du siehst, Green... sobald die Kriegsfanfare ertönt, unterscheiden wir uns kaum von den Dämonen. Beständig bewegen wir uns auf einen hauchdünnen Grad, zwischen den Niveau, das wir angeblich haben, und dem der Dämonen. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Regeln bewahren, denn sie sind es, die diesen hauchdünnen Grad erschaffen haben und ihn sichern. Besonders die Regel, die heute so ausgiebig debattiert wurde, nämlich 9A, ist wichtig, denn sie macht uns nicht zum Täter, sondern zum Opfer - ja, ich sehe schon, dass du meinst, dass das kein Unterschied macht, aber glaube mir, im Endeffekt ist das ein großer Unterschied und besonders für Hikaru, war dieser feine Unterschied sehr wichtig. Die Regel sichert, dass wir von uns aus keinen Krieg anfangen; Dass unsere Waffenproduktion dennoch beständig aktiv ist und alle Wächter von Geburt an das Kämpfen gelehrt bekommen, ist dann wiederum was anderes... dient zur Verteidigung nicht wahr?
Um es simpel auszudrücken: das Einhalten dieser Regel macht uns zu den "Guten"." Inceres atmete tief durch, ehe er seinen Vortag mit einer Bitte abrundete:
"Green, ich weiß, dass du nichts von den Regeln hältst und ich respektiere deine Meinung, ebenso wie das dauernde Übertreten der Regeln. Doch ich bitte dich: animier nicht deine Wächter dazu es ebenfalls zu tun. Wenn du die Regeln brichst, dann tu es bitte, ohne, dass es so auffällig wirkt." Green nickte langsam und antwortete:
"Ich werde es versuchen. Doch, Inceres, versprechen kann ich dir nichts. Du weißt, dass ich nicht zu den "Guten" gehöre; ich habe nur den Platz des "Guten" eingenommen." Einen Moment schwiegen sie beide; sahen in die gleichen Augen, bis Inceres diese schloss und leise antwortete:
"... und ich hoffe, nein, ich bete dafür, dass du niemals diese Schwelle übertreten wirst." Green antwortete nicht.
Denn sie wusste, sie konnte es nicht versprechen.
Einige Stunden später hatte sich die Schlägerei der von Inceres als die "Bösen" Betitelten, in eine Trinkgelage verwandelt und das ziemlich viele Dämonen der "Aufwärmung" zum Opfer gefallen waren, interessierte in diesem Moment niemanden; wahrscheinlich war es nur der weit entfernte Karou, der überhaupt eine Zahl der Opfer besaß und sich immer noch am liebsten den Kopf gegen einen seiner Bildschirme rammen wollte, während seine Mitdämonen sich just in diesem Moment fürstlich betranken - die Fürsten miteinbegriffen. Ri-Il und seine "kleine Familie" waren trotz Mekares Proteste vor einigen Stunden nicht in ihr Gebiet zurückgekehrt und saßen nun inmitten dem unheimlich großen Festes, wo jeder der Anwesenden scheinbar vergessen hatte, was vor knapp drei Stunden geschehen war. Alles was sie noch wussten - und wissen wollten - war, dass bald ein neuer Krieg anfangen würde und sie damit endlich wieder Wächter töten konnten.
Die Jubelrufe über diese wundersame Nachricht waren unüberhörbar in der vollkommen überfüllten Bar, wo die Party sich sogar auf die Straßen ausgedehnt hatte. Die Wasserprobleme wurden in diesem Enthusiasmus komplett herunter gespült und auch Lerou schien vergessen zu haben, dass er vor drei Stunden angeschossen worden war und kümmerte sich auch nicht darum, dass einer der Dämonen, mit dem er gerade um die Wette trank sogar der gewesen sein könnte, der es auf sein Leben abgesehen hatte.
Blue war dieses Verhalten absolut unverständlich: nicht nur das von Lerou, sondern das von allen. Wie konnte man nur jetzt feiern, wo man sich gerade noch die Köpfe eingeschlagen hatte? Der Enthusiasmus an sich war ihm kein Rätsel: 18 Jahre eingesperrt zu sein in seiner eigenen Welt war eine lange Zeit, die Wasserprobleme könnten mit dem Brechen des Siegels gelöst werden... aber es gab doch noch viel zu viele Fragen die beantwortet werden mussten: Was hatte es mit Lerous Angabe auf sich? Wie würde der Bannkreis gebrochen werden? Ganz zu schweigen von Kriegsplänen, die Blue um einiges wichtiger erschienen, als sich darin zu konkurrieren wer am meisten trinken konnte.
Er selbst hatte nichts angerührt, denn er fürchtete die Wirkung des Alkohols und er hatte auch Silver davon abgehalten etwas zu trinken, da eindeutig zu viele Dämonen, zu viele Fürsten, an Ort und Stelle versammelt waren, als dass sie sich irgendeinen Ausrutscher erlauben konnten.
Kaum hatte Blue dies gedacht, tauchte auch schon Lycram an deren Tisch auf; ausgerüstet mit einer Flasche Absinth und wenn Blue nicht alles täuschte war das einer der Hochprozentigsten Getränke die man auftreiben konnte und als Lycram sein Fuß genau vor Ri-Il auf den Tisch platzierte, kam es dem Halbdämon auch so vor, dass der blauhaarige Fürst bereits einige von diesen Flaschen getrunken hatte; nicht zuletzt weil sein Zopf locker hing und er von Ri-Il erfahren hatte, dass Lycram pingelig darauf achtete, dass dieser aufrecht und fest gebunden saß:
"Du... Schweinehund von einem Hurensohn! Ich weiß... genau, was du vorhast! Ich bin dein Nachbar - ich sehe alles!" Obwohl Ri-Il auch schon einiges getrunken hatte, war er weit davon entfernt angetrunken zu sein und so hob er den Kopf fröhlich grinsend an, um seinen Gegenüber gelassen anzusehen als er antwortete:
"Lycylein, ich glaube dir tut der Absinth nicht gut. Dein Zopf sitzt ganz schief, das geht doch nicht. Soll ich ihn dir richten?" Ri-Il streckte bereits die Hände nach ihm aus, welche Lycram jedoch weg schlug.
"Fass mich nicht an, du... du... Arschloch du! Ich kann meinen Zopf selbst richten!" Der Angesprochene tat so, als würde er sich von Lycram bedroht fühlen und hob abwehrend die Hände vor sich, doch dieser war noch nicht fertig:
"Ich... kenne dich! Ich weiß, dass die Kriegserklärung von dir kommt! Daher auch diese... beschissene Zeitangabe... sowas Verwirrendes... kann nur von dir kommen!"
"Also Lycylein, ich weiß wirklich nicht, wovon du sprichst. Die Zeitangabe verwirrt mich genauso wie dich. Aber wenn wir alle unseren Rausch ausgeschlafen haben, können wir ja unseren geliebten König bei der nächsten Konferenz fragen, nicht wahr, Lycylein? Oh, ich sehe, da kommt dein Zwilling ja bereits angestürmt um dich ins Bett zu bringen." Und richtig, kaum, dass Ri-Il dies gesagt hatte, kam Azzazello herbei geeilt und legte seinen Arm um sein Familienmitglied, um ihn, unter Proteste, vom Tisch herunter zu bekommen. Kaum, dass Lycram wieder mit beiden Füßen auf den dreckigen Boden stand, schwankte er auch schon und wäre beinahe gefallen, hätte Azzazello ihn nicht gestützt und es wunderte Blue und Silver, dass Lycram diese Hilfe sogar annahm ohne zu protestieren.
Azzazello entschuldigte sich bei Ri-Il und wandte sich samt seinem Bruder herum, um Lycram wahrscheinlich in sein Gebiet zu bringen, doch bevor er dies in die Tat umsetzen konnte, raffte Lycram noch den letzten Rest seines klaren Verstandes zusammen und richtete sich noch einmal an Ri-Il:
"Ich krieg dich schon noch - wart's nur ab!" Ri-Il winkte ihm hinterher und wünschte ihm sogar eine Gute Nacht und kaum, dass die beiden blauhaarigen Zwillinge in der brüllenden Menge verschwunden waren, warf Blue einen Seitenblick auf seinen Lehrmeister, wo er nicht drum herum kam, für einen kurzen Moment ein schelmisches Lächeln auf dessen Gesicht zu bemerken, fast so, als würde er sagen wollen:
"Ich freu mich schon darauf."